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Über das Grüßen von Gott (1) - von Felo, 26.08.2005
Neulich hatte ich mich mit ein paar Freunden über Grußformeln unterhalten, welche verschiedene Sorten es davon gibt, und was man so darauf erwidert.

Um das Ganze vorweg mit einem Zitat zu veredeln und in der Hoffnung, dass ich jetzt nicht verklagt werde:

Max Goldt hat in einem seiner Essays geschrieben:
„Es sagt einer „Grüß Gott“ zu ihm, und anstatt Gleiches zu erwidern, fällt ihm ein, dass er mit Gott ja gar nichts am Hut habe, dass er der Kirche kritisch gegenüberstehe (...) und so antwortet er: „Ja, wenn ich ihn mal treffe...“ Was für eine verschwendete oppositionelle Energie! Grußformeln sind dazu geschaffen, unüberlegt benutzt und erwidert zu werden.“
(Zu spät erkenne ich jetzt, dass ich mich in unschöne Lage manövriert habe, mich jetzt mit Max Goldt messen zu müssen. Na gut, kann man nichts machen. Jetzt hab‘s ich also vermasselt, da kann ich auch einfach weiter machen.)

Mir selbst geht das ähnlich:
Ich verstehe diese halsstarrige Eigenheit der Norddeutschen (oder besser: der Nördlicher-Deutschen, damit meine ich alle, die nördlich das Weißwurstäquators leben) nicht, in die Grußformel „Grüß Gott“ partout etwas vermeintlich Religiöses hinein interpretieren zu wollen! (So was von aus-Prinzip-humorloses kann auch eigentlich nur von norddeutschen Protestanten kommen! Ich hatte mal eine Kollegin, die... na ja, später vielleicht.)
Als ich in Köln zum ersten mal mit „Guten Tag“ begrüßt wurde, hätte ich wohl dementsprechend „Nana, so gut ist der Tag auch nicht, es sieht nach Regen aus!“ erwidern müssen, halb, weil es so bissig humorvoll gewesen wäre, halb, weil es so unglaublich originell gewesen wäre, und zur dritten Hälfte natürlich, weil ich damit meine Kritik am Deutschen Wettervorhersge-Dienst hätte ausdrücken können! (Auch hier: Was für eine verschwendete oppositionelle Energie! Danke, Max Goldt!) Nur hätte ich es natürlich nie getan, ganz einfach, weil ich mir dabei - vollkommen zu Recht - komplett lächerlich vorgekommen wäre! Jeder Norddeutsche, dem ich eine solch treffende Replik entgegengeschleudert hätte, hätte mit einem Augenverdrehen und einem „Ha. Ha. Wie witzig“ reagiert. Der gleiche Nordeutsche allerdings, in Würzburg, München oder Rosenheim mit einem „Grüß Gott“ konfrontiert, wird sich eher die Zunge abbeißen, als einfach genauso zurück zu grüßen, und kommt sich wie der originellste Satiriker seit Fips Asmussen vor, wenn er mit dem unter Norddeutschen Reisenden so üblichen „Ja, wenn ich ihn mal treffe!“ kontert!

Sehr zu recht stehen in keinem Lexikon der Welt unter den Begriffen „Locker“, „Unverkrampft“ oder „Humorvoll“ Querverweise zu „s.a. Norddeutsche Protestanten“!

Im großen und Ganzen aber bin ich ziemlich froh, nicht mehr „Grüß Gott“ sagen zu müssen, und das ganz sicher nicht aus anti-katholischem Widerspruchsgeist! Denn obwohl ich seit meinem 13. Lebensjahr keinen Gottesdienst mehr freiwillig besucht habe (und höchstens ein halbes Dutzend unfreiwillig), hatte ich diese Formulierung nun über 20 Jahre als ganz normale, alltägliche Begrüßung benutzt und sie von diesen 20 Jahren ungefähr 19 dreiviertel Jahre lang nicht ein mal mit Gott oder der Kirche in Verbindung gebracht!

Nein, der Grund, warum ich froh bin, dass „Grüß Gott“ los zu sein, ist ein ganz anderer:
Es klingt einfach scheußlich!

In Franken, meinem regionalen Ursprung, wird „Grüß Gott“ in etwa wie „GrsssG´tt“ ausgesprochen, mit einer kurzen, harten Betonung auf dem ausgelassenen o. Das klingt einfach nicht so nett wie „Tach!“, und es klingt schon gar nicht nach einem Glaubensbekenntnis! Höchstens nach einem sehr wurschtigen, gleichgültig dahingegrunzten Glaubensbekenntnis, und ganz bestimmt keins zu einer Religion, die einem irgendwas bedeutet.
Ich bin sicher, dass im ganzen süddeutschsprachigen Raum niemand „GrsssG´tt“ (bzw. die regional übliche Variante mit der entsprechenden Betonung) irgendwie mit Gott in Verbindung bringt! Das tun nur die Preißn!

Ich weiß allerdings noch wie heute, wie es war, als ich zum ersten mal mit „Grüß Gott“ (ich schreibe das ab jetzt wieder in Hochdeutsch, das sieht mir sonst zu doof aus, und außerdem funktioniert sonst auch meine Geschichte nicht) in Berührung kam: es war ziemlich verwirrend.

Ich war etwa sechs Jahre alt, oder vielleicht auch fünf, auf jeden Fall noch nicht in der Schule, und ich wollte Marcel besuchen (damals mein bester Freund, heute ein unbeschreiblich arrogantes Arschloch, das ich gottseidank nicht mehr kennen muss, wenn ich ihm an Weihnachten in der einzigen Wernecker Szene-Kneipe begegne), und Mama hatte mir genau erklärt, wie das geht mit dem Leute-Grüßen: Wenn man jemanden trifft, den man sehr gut kennt und mag, und vor allem, den man duzt (also mit „Du“ anspricht; das merke ich nur an, weil ich finde, dass das Wort „duzt“ so seltsam aussieht, wenn man es schreibt), begrüßt man ihn (oder sie) mit einem ganz normalen, mir damals schon altvertrautem „Hallo“. Trifft man jemanden, den man siezt, spricht man ihn mit „Grüß Gott“ an. Zwar hatte ich jenes mysteriöse „Grüß Gott“ damals schon öfter meine Eltern aussprechen hören, aber nun, da es endlich soweit war, dass auch ich endlich alt genug war, diese tolle Erwachsenen-Formel zu benutzen, war ich so aus dem Häuschen, weil ich endlich, endlich! zu den Großen gehören durfte, dass ich Sinn und Inhalt dieser zwei Worte anfangs nicht in Frage stellte.
So ging ich denn hin - ich war damals schon groß genug, um den Weg zu Marcels Haus allein zu gehen - und grüßte auf dieser mir damals wie eine Weltreise vorkommenden Strecke von ungefähr zehn langsamen Gehminuten jeden, aber auch wirklich jeden Menschen, der mir entgegen kam! Als ich am Abend, wieder zuhause angekommen, meinen Eltern stolz von meinen Leistungen berichtete, wurde ich abrupt eines besseren belehrt: man grüße nur Erwachsene, die man kenne, vorzugsweise namentlich, man wüsste ja nie, wer sich so rumtreibe in den Straßen Wernecks und kleine Kinder verschleppe, wenn diese ihn unbedacht mit „Grüß Gott“ ansprächen!
(Ich glaube, meine Eltern haben das nicht ganz so drastisch formuliert, aber im Großen und Ganzen war es das wohl, worauf sie hinaus wollten.)
Das verkomplizierte die ganze Sache natürlich enorm! Hatte ich mir bis dahin nur die einfache Regel zu merken „Duzen: Hallo – Siezen: Grüß Gott“, um dem Rest der Wernecker Bevölkerung für einen Fünf- oder Sechsjährigen angemessen würdevoll gegenüber treten zu können, musste ich nun einen jeden Erwachsenen, den ich traf, einer gründlichen Gesichtskontrolle unterziehen, damit auch ja nicht versehentlich jemand falsches grüßte, den ich eigentlich nicht hätte grüßen dürfen! (Wo es zudem ja auch extrem schwierig war, einen fälschlicherweise angebrachten Gruß wieder zurück zu nehmen, ohne dabei das Gesicht zu verlieren!) Dies alles bereitete mir damals erheblichen Stress, und nicht selten wurde ich von gekränkten Erwachsenen, bei denen ich mir nicht ganz sicher war, ob ich sie denn nun wirklich kenne (Nasenlöcher sehen von unten alle gleich aus!), und sie daher mal lieber vorsichtshalber nicht gegrüßt habe, mit einem vorwurfsvollen „Na, Felix, du kennst mich wohl gar nicht mehr!“ bedacht. Ich halte es meiner Charakterstärke zugute, dass ich mich angesichts dieser für ein Kind ziemlich traumatisierenden Erlebnisse doch noch zu einem einigermaßen kommunikativen, oder sagen wir mal: zu einem für fränkische Maßstäbe einigermaßen kommunikativen Menschen entwickelt habe, und nicht, wie andere Kinder mit labilerer Psyche, schweigsam zu Boden blickend durch die Straßen Wernecks gewandelt bin und alle Erwachsenen gleichermaßen ignoriert oder der Einfachheit halber alle mit Steinen oder Hundekot beworfen habe (wie man mir berichtete, dass es beispielsweise in Brühl, Haselünne oder Bad Ems Brauch wäre.)

Das einzige, das ich damals trotz aller Charakterstärke nicht bewältigte, war das „Namentlich grüßen“: In all dem Stress, den das konzentrierte Nachdenken darüber mit sich brachte, ob mir mein Gegenüber nun denn auch wirklich bekannt war, vergaß ich im gleichen Moment, in dem mir einfiel, dass ich ihn (oder sie) tatsächlich kannte, aus lauter Nervosität den Namen des Betreffenden!

Und das geht mir eigentlich noch heute so.

Ich habe es in den 25 oder 26 Jahren, seit ich gelernt habe, korrekt zu grüßen, nur unter größten Anstrengungen geschafft, auf ein „Hallo, Felix“ oder „Grüß Gott, Herr Herzog“ mit einem „Hallo, äh Robbe“ oder „Grüß Gott, Heeerr... Wiesmüller“ zu antworten. Selbst wenn mir der Name des Betreffenden irgendwann so geläufig und selbstverständlich geworden ist, dass ich ihn nur noch in Momenten größter Überrumpelung vergesse, benutze ich die namentliche Begrüßung nur höchst selten, einfach aus Gewohnheit, und weil sie mir irgendwie überfrachtet vorkommt. Ich versuche dann meistens, die doch etwas unpersönliche Anrede „Hallo“, „Tach“ oder „Grüß Gott“ mit einem persönlichen oder wissenden Blick zu übertünchen.
Ich weiß aber eigentlich nicht, ob es funktioniert.

Da ich damals aber nun auf einmal mit einer Situation konfrontiert war, die mir in jedem Moment regestes Reflektieren abforderte, fing ich nach und nach an, mein Augenmerk auch auf andere Aspekten dieser nunmehr höchst eigenartigen Begrüßungsrituale zu lenken, Aspekte, die ich vorher in meiner Euphorie angesichts dieser neuen und anfangs noch leicht zu bewältigenden Aufgabe komplett übersehen hatte.

Da war zum einen das Wort „Grüß“. Ich kannte es vorher schon, es war ja ein ganz gebräuchliches Wort, das ich schon oft gehört hatte in Wendungen wie „Grüß mir Deine Eltern.“ oder „Grüß mir den Opa.“ Neu war allerdings, dass bei dem Wort „Grüß“ eigentlich der zweite Teil, nämlich das „mir“, fehlte! Aber ich begriff rasch, dass „grüß“ und „Grüß mir“ eigentlich mehr oder weniger das selbe bedeuten musste, und dass ich ruhig „Grüß Gott“ sagen konnte und nicht „Grüß mir Gott“, ohne dabei einen groben Fehler zu begehen. Soweit also alles im Klaren. Was mir allerdings Sorgen bereitete, war, dass ich, wenn ich Leute mit „Grüß Gott“ ansprach, diese ja damit duzte, und das, obwohl ich nur Leute, die ich siezte, mit „Grüß Gott“ ansprechen sollte! Korrekt gewesen wäre „Grüßen Sie Gott“. Warum ich allerdings weiterhin bei der unangebrachten Duz-Form bleiben sollte, diesen Widerspruch konnte oder wollte mir kein Erwachsener ausreichend erklären.
Mein Misstrauen in die Zuverlässigkeit der Erwachsenen war geweckt, und so wendete ich mich bei meinem nächsten Problem, das ich mit „Grüß Gott“ hatte, gleich gar nicht mehr an sie (die Erwachsenen), sondern versuchte das Rätsel selbst zu lösen. So war mir z.B. nicht ganz klar, warum ich einen mir bekannten Erwachsenen nicht ganz einfach mit „Ich grüße Sie“ begrüßen sollte - wie es für mich logischer gewesen wäre - sondern die ganze Sache unnötig verkomplizieren sollte, indem ich einen Dritten mit hinein zog, indem ich den Erwachsenen dazu aufforderte, er solle Gott grüßen.
Zudem kam mir diese brüske Aufforderung, die schon mehr einem Befehl glich, doch sehr unhöflich vor!

Was es mit Gott auf sich hatte, wusste ich damals schon, immerhin ging ich jeden Sonntag brav mit meiner Oma in die Kirche. (Die Oma war die Religiöseste in unserer Familie. Der Opa ging nicht in die Kirche, außerdem war er Protestant und damit nach allgemeiner Auffassung sowieso ungeeignet für die Pflege kindlichen Seelenheils. Als er meine Oma geheiratet hatte, geschah das nur, weil er seinen Schwiegereltern in spe bei seiner Ehre als Mensch und Protestant versprochen hatte, dass er sich nicht in die religiöse Erziehung seiner Kinder einmische! Dafür kam später der Pfarrer Seitz (oder heißt das bei den Prostanten Pastor?), der seine Handvoll evangelischer Schäfchen in Werneck alle persönlich kannte und jeden einzelnen, der nicht mehr in die recht kleine evangelische Kirche kam, schmerzlich vermisste, regelmäßig am Samstag zu meinen Großeltern und redete eine Stunde lang auf meinen Opa ein, in der Hoffnung, ihn doch wieder in den Schoß der Kirche zurück zu führen, was mein Opa mit fröhlicher Gelassenheit quittierte, zumal die Besuche des verschrobenen Pfarrers, der beim Sprechen immer auf die gleiche Stelle links oben an der Decke starrte, so skurril waren, dass sich der Opa schon immer vorher darauf freute. Der nächst-religiöseste in der Familie war wohl mein Vater, der hin und wieder mit in die Kirche kam, wenn wohl auch eher, um seine Mutter nicht zu kränken. Auf jeden Fall besuchte er die Gottesdienste eher gleichmütig und ging nicht zur Kommunion, weil er „vorher nicht gebeichtet“ habe, was meiner Oma wohl als Ausrede genügte, und mir jedes Mal einen Wahnsinnsrespekt vor den unglaublichen Sünden einflößte, die mein mir sonst so harmlos erscheinender Vater begangen haben musste!)

Gott war mir also kein Unbekannter, und ich wusste genau, wie man es anzustellen hatte, Gott zu grüßen:
Man betete, natürlich!
Auch wusste ich, dass man sich zum Beten nicht zwangsläufig in die Kirche begeben musste, man konnte es genauso gut zuhause vor dem Bett kniend machen oder natürlich auch ganz einfach gleich an Ort und Stelle tun! So naiv war ich auch nicht, dass ich glaubte, wenn ich jemanden dazu aufforderte, Gott zu grüßen, derjenige sofort in die Kirche lief oder nach Hause, wo er sich vor sein Bett knien würde und „Lieber Gott, mach mich fromm, dass ich in den Himmel komm!“ aufsagen würde! (Jedenfalls war ich nicht lange so naiv.) Auch bemerkte ich recht schnell, dass keiner der Erwachsenen, den ich begrüßte, direkt an Ort und Stelle ein schnelles Gebet aufsagte. Ich ging vielmehr davon aus, dass diese Aufforderung zum Gebet eine Art Erinnerung war, später, wenn man etwas mehr Zeit und Muße hätte, das Beten nicht zu vergessen.
Was mich allerdings verwunderte, warum ausgerechnet Gott in diese Sache mit hinein gezogen wurde, in eine Begegnung zwischen zwei Leuten, mit der er doch in diesem Moment eigentlich gar nichts zu tun hatte!
Sicher, Gott war allgegenwärtig und er war ja auch für alles, was passierte, verantwortlich, folglich also auch für diese Begegnung, aber war das jetzt wirklich so außergewöhnlich und großartig, dass ich Frau Schulz oder Herrn Emmerling extra daran erinnern musste, später deswegen ein Dankgebet zu sprechen? So toll war es nun auch wieder nicht, mir auf der Straße zu begegnen! Eine kurze Begrüßung, „Grüß Gott“ von meiner Seite „Hallo, Felix“ von der anderen, und das war’s! Und dafür sollte der andere sich jetzt extra bei Gott bedanken? Herr Emmerling traf ja im Laufe des Tages wahrscheinlich noch mindestens... na... zehn oder vier oder hundertausendmillionenmilliardenbillionen andere Kinder, da wäre er ja am Abend ewig damit beschäftigt, zu beten und sich sinnloserweise für diese vollkommen unwichtigen Begegnungen zu bedanken!
Und was war mit Gott? Hatte der nichts besseres zu tun, als all diese Begegnungen zu arrangieren und dann später Dankgebete dafür entgegen zu nehmen? Musste der nicht das Böse auf der Welt bekämpfen? Den Hunger in Afrika beenden oder ein paar Kriege verhindern zum Beispiel? So Kriege wie den, von dem mir die Oma immer erzählt hatte? War dieser Krieg vielleicht nur entstanden, weil Gott vor lauter Begegnungen und Dankgebete für Begegnungen keine Zeit mehr gehabt hatte, sich um die wirklich wichtigen Dinge zu kümmern? Und jetzt? Hatten denn die Menschen gar nichts daraus gelernt? Bekamen wir vielleicht bald wieder einen neuen Krieg, weil wir uns ständig mit „Grüß Gott“ begrüßten und Gott damit von seinen wichtigeren Aufgaben abhielten? War denn die ganze Welt verrückt und nur ich allein der einzig normale, (vermutlich) sechsjährige (vielleicht aber auch nur fünfjährige) Mensch auf Erden?
Und außerdem, warum sollte ich meine Mitmenschen von allen lästigen Pflichten denn nur ans Beten erinnern? Viel sinnvoller wäre es gewesen, sie daran zu erinnern, sich die Zähne zu putzen! Wenn man vergaß, sich die Zähne zu putzen, bekam man Löcher und musste zum Zahnarzt, wenn man abends vergaß zu beten, schlief man nur etwas schlechter ein, weil man kein gutes Gewissen hatte.

All dies (oder doch das meiste davon) ging mir damals so im Kopf herum, zusammen mit ebenso wichtigen Problemen und Fragen wie: Ob ich wohl das Playmobil-Piratenschiff zum Geburtstag bekam oder wie ich die blöde Katharina Casper von der Rutsche schubsen konnte, obwohl sie ein Jahr älter und stärker war als ich.
Und so ist es doch erstaunlich, dass ich mich schon kurze Zeit später so an diesen merkwürdigen Vorgangs des Begrüßens gewöhnt hatte, dass mir bis heute (oder besser gesagt, weil heute nicht mehr das heute von oben ist, bis vorgestern) nie mehr der Gedanke kam, das Süddeutsche „Grüß Gott“ könne irgend was mit Gott oder Religion zu tun haben! Nicht einmal, als ich mich mit 13, ganz in wütender Teenager-Manier, zum Atheismus bekannte, nicht mehr in die Kirche ging und meiner Oma trotzig (aber doch höflich und vorsichtig, schließlich war sie ja immer noch meine Oma!) eröffnete, ich käme ab sofort Sonntags nicht mehr in die Kirche, weil ich nicht mehr an Gott glauben könne!
Der erhoffte Zusammenbruch aller Werte blieb dann allerdings aus, weil meine Oma ganz gelassen meinte, das sei schon in Ordnung, sie verstehe das ganz gut, sie habe früher auch mal nicht an Gott geglaubt, aber das würde sich schon wieder legen mit der Zeit, ich solle mir da keine Sorgen machen, sie mache sich auch keine, was dann allerdings meine sämtlichen Werte zum Zusammensturz brachte!
Meine Oma war auch mal Atheistin gewesen!? Das durfte nicht sein! Mein Atheismus war heilig, Zeichen meines Aufbegehrens, meines zornigen Heranwachsens, und vor allen Dingen: mein Atheismus war etwas vollkommen Neues, Einzigartiges, etwas Vorher Nie Dagewesenes! Dass meine Oma, Vertreterin einer durch und durch spießigen und religiösen Gesellschaft, meine Oma, die zum Heiligen Christopherus betete, wenn sie irgendwas nicht finden konnte, meine Oma, die mit uns, als wir noch klein gewesen waren, Kerzen in der Kapelle unserer Kirche angezündet hat, dass diese meine tief religiöse Oma früher auch mal Atheistin gewesen sein sollte, war einfach... einfach...
...mir fehlen die Worte, und ungefähr genau so fühlte ich mich auch damals!

Wenn ich allerdings heute sehe, wie meine Mutter, die bisher (und heute eigentlich auch noch) jeder Art von Religiosität skeptisch gegenüber stand, zumindest an Weihnachten und Ostern wieder in den Gottesdienst gehen will, und dann enttäuscht ist, wenn sie es wegen der ganzen Kocherei nicht schafft, glaube ich langsam, dass an dem, was Oma damals sagte, doch was dran ist.
Bei dem Gedanken, später im Alter wieder selig in den Schoß der Mutter Kirche zurück zu finden, graust es mich, der ich heute meinen damaligen heiß erkämpften Atheismus schon nur noch milde lächelnd, ein klein wenig peinlich berührt und mit der Weisheit der Jahre betrachte, doch...

„Zutiefst!“
(Um diesen Text nun auch mit einem Zitat zu beenden, in der Hoffnung, dass ich jetzt nicht auch noch von Alan Alexander Milne verklagt werde.)








...und möge der Wind in Eurem Rücken stets der der eigene sein!



©2005 by Felo. Jegliche Wiedergabe, Vervielfaeltigung oder sonstige Nutzung, ganz oder teilweise, ist ohne vorherige schriftliche Genehmigung des Autors unzulaessig und rechtswidrig.

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