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Ich bin zwei entsprungene Kettensträflinge - von Felo, 25.08.2005

Ich habe einen Bekannten, Uli, der sich jedes mal, wenn er mich bei immer selteneren Gelegenheiten trifft, darüber beschwert, dass ich ihm die ganze Zeit nur vorjammere, wie schlecht es mir geht, wie gestresst ich bin, dass der Job nervt, dass die Kunden nerven, dass mein Kopf nervt, ich meine: schmerzt, dass mein Darm rebelliert, und so weiter, die Liste lässt sich nach Belieben fortsetzen - zumindest nach Meinung von Uli, meinem Bekannten!

Natürlich ist nichts davon wahr!
Die Wahrheit könnte kaum weiter davon entfernt sein!
Absolut lächerlich! Reine Unterstellung!

Ha!

Na gut, zugegeben, das mit meinem Darm stimmt ja schon irgendwie, hin und wieder zumindest, und Kopfschmerzen, also, wer hat die nicht, man muss ja einfach Kopfschmerzen kriegen, wenn man sich ständig mit nervigen, stressigen Kunden herum plagen muss, aber mein Job, der nervt nun wirklich nicht, ich mache meinen Job ausgesprochen gerne!
Nun gut, natürlich auch nicht immer, klar, wer tut das schon, es gibt so Tage, da hasst man seinen Job einfach, an Montagen zum Beispiel, Oder Dienstage. Mittwoche, Donnerstage, Freitage. Najaaa gut, an Samstagen und Sonntagen, also da nervt mein Job definitiv nicht, aber was kann ich dafür, dass Uli mich immer nur an allen anderen Tagen trifft!
Außerdem jammere ich ihm nicht einfach was vor, auch das ist reine Unterstellung!

Folgendermaßen läuft das ab: Er stellt mir jedes Mal, kaum dass ich ihm irgendwo verabredet oder auch überraschend über den weg laufe, diese immer wieder gleiche, immer wieder lästige Frage „Und, wie geht‘s?“ Eine einfach schreckliche Frage, denn sie nötigt einen zur Selbstbetrachtung, zur Reflektion, in Momenten, wo diese eher unwillkommen ist, denn wer will sich schon ständig selbst reflektieren, wenn man eigentlich nur mit ein paar Kumpels einige oder etliche Biere trinken will, die man, wenn es genau bedenkt, eigentlich lieber nicht trinken sollte, der allgemein schlechten Gesundheit wegen, an die man ärgerlicherweise gerade erinnert wird. Reicht es nicht, wenn ich mich am nächsten Morgen im Spiegel betrachten muss und mir diese blöde Frage dann selber stelle?
Ist das nicht mehr als genug Selbstreflexion?

Und dann sind da ja auch noch all die kleinen Wehwehchen und Unwohlwohlseinheiten, die den ganzen Tag über an die Oberfläche meines Seins steigen und Aufmerksamkeit beanspruchen wie ein quengeliges Kind, das solange herumnölt, bis ihm irgend ein Erwachsener eine klebt, und das Kind glücklich ist (oder meiner Meinung nach gefälligst sein sollte!), weil ihm endlich jemand Beachtung schenkt.

Mein Körper ist auch so ein quengelndes Kind, ständig verlangt er von mir, dass ich ihn beachte, „He, kuck doch mal, was ich mache, schau doch mal, hier, schau doch endlich mal, was ich mit deinem Dickdarm mache!“, und wenn ich mich weigere, ihn zur Kenntnis zu nehmen, randaliert er so lange, bis ich ihn mit Zuwendung, Magentropfen, Kopfschmerztabletten, Arztbesuchen oder wenigstens mit Alkohol ruhig stelle.

Mein Körper und ich, wir haben wohl die übliche kranke Beziehung zueinander, die in dieser Fit- und Funness-Gesellschaft wohl die meisten unsportlichen Leute zu ihren Körpern haben: wir können uns nicht leiden, würden uns gerne gegenseitig ignorieren, und sind nicht dazu in der Lage, weswegen wir das nächstbeste tun, das nach gegenseitigem Ignorieren kommt: wir machen uns gegenseitig das Leben schwer!
So gesehen führen mein Körper und ich in etwa genau die gleiche Beziehung wie sie unzählige andere Pärchen auch führen, wenn sie merken, das ihre Beziehung nicht mehr funktioniert, sie sich aber nicht so einfach trennen können, weil da noch die Kinder sind, oder die Hunde, die gemeinsame Wohnung, die DVD-Sammlung, sexuelle Nötigkeit oder die lästigen Gesetze der Physik.

Mein Körper und ich, wir kennen uns nun schon seit über dreißig Jahren, und das waren keine unbedingt immer glücklichen dreißig Jahre, die wir zusammen verbracht haben. Zu behaupten, wir wären alte Freunde, wäre glatt gelogen. (Auch wenn wir, mein Körper und ich uns manchmal so anfühlen, als wenn wir beide zusammen weitaus älter wären als dreißig. Wenn man es zusammenzählt, sind wir beide 62,5 Jahre alt. Gefühlte Mathematik, das Äquivalent zur Gefühlten Temperatur. )

Mein Körper und ich, wir sind eher wie Jack Lemmon und Walther Matthau in „Ein seltsames Paar“, der eine der Hypochonder und der andere der schlampige Grummler, und nur mein Psychotherapeut, hätte ich einen, nicht, dass ich keinen bräuchte, wüsste zu sagen, wer von uns beiden eigentlich der Ordnungsfanatiker sein soll (eine Frage, die ich langsam wirklich gerne beantwortet wüsste! Seit über dreißig Jahren streiten wir uns nun schon darum, wer das Bad sauber machen soll!) Vielleicht sind wir aber auch zwei entsprungene Kettensträflinge, aneinander gefesselt, sich nicht leiden könnend und doch aufeinander angewiesen, wobei noch zu klären wäre, wer von uns beiden Tony Curtis sein soll und wer... der andere... äh... verdammt! Jetzt hab ich vergessen, wer den anderen aus „Flucht in Ketten“ spielt, den Schwarzen, war das Sydney Pointier? Äääh...

Was wollte ich eigentlich... Ach ja! Die Frage!

Ich habe schon vor langer Zeit erkennen müssen, dass es sich bei “Wie geht’s?” keineswegs immer um eine echte Frage handelt, quasi eine Aufforderung, einem anderen Menschen seinen Zustand mitzuteilen, sondern oft nur eine Begrüßungs-Floskel ohne echtes Interesse am Befinden des anderen. (So, wie etwa “Guten Tag” keine Wettervorhersage oder “Grüß Gott” kein Gebet ist.) Oder wenn doch, dann wird vom Fragenden an das “Wie geht’s?“ meist direkt eine unausgesprochene Aufforderung angehängt, einen doch im Gegenzug für soviel selbstlos menschliche Anteilnahme auch nach dem eigenen Befinden zu fragen, was er (der ursprünglich Fragende) dann für endlose Lamentationen über die ganze Misere seinen verpfuschten Daseins ausnutzt, was den anderen (den ursprünglich gefragten, also in dem Falle: mich) nun wirklich einen feuchten Dreck interessiert. Wenn der Kerl sich ausjammern will, soll er das bei seiner Freundin machen oder bei seinem Friseur, oder wenn er beides nicht hat, sich einen Hund kaufen. So hatte ich es also bisher immer wohlweislich vermieden, Uli (oder jedem bileibigen anderen Freund) mit einem “Gut, und selbst?” zu antworten, denn was mich da erwartet hätte, wusste ich schon. Andererseits: wenn er schon fragt, kann ich ihm ja auch gleich all meine Sorgen klagen, das ist immerhin einfacher und billiger als in die USA umzusiedeln und sich dort einen Therapeuten zu suchen. Wenn’s ihn nicht wirklich und aufrichtig interessiert hätte, wie es mir geht, hätte er ja wohl nicht gefragt, oder?

Den Gesichtern meines immer spärlicher werdenden Freundeskreises konnte ich im Laufe der Zeit allerdings sehr wohl ablesen, dass meine Strategie nicht unbedingt ihre ungeteilte Zustimmung fand, weshalb ich dann auch so nach und nach dazu überging, als Antwort auf die Grußformel “Wie geht’s?” die - zumindest meiner Meinung nach - neutrale Erwiderung “Geht so” zu verwenden.
Eine grobe Fehleinschätzung, wie sich noch herausstellen sollte!

Ich weiß nicht genau, woran es liegt, dass mein “Geht so” in meinen Gesprächspartnern immer den Eindruck erweckt, es ginge mir eher schlecht als gut. Ich selbst finde “Geht so” absolut wertfrei, weder gut noch schlecht, halt so, wie einem eben geht, wenn nichts besonderes passiert. Alltagstauglich gewissermaßen. Ich habe aber auch schon etliche Leute ebenfalls mit “Geht so” eine Begrüßung erwidern hören, ohne dass sofort alle Seelsorgeralarmglocken beim Gegenüber anfingen zu läuten. Wie machen die das? Liegt es vielleicht an meiner fränkischen Herkunft, die dem Rheinländer so unvertraut bummelig vorkommen muss, dass er sofort annimmt, wenn jemand so unrheinländisch-unfrohsinnlich ist, muss es ihm ganz einfach schlecht gehen?

Oder ist die Welt einfach nur über-bevölkert mit gnadenlos mitfühlenden Gutmenschen, die es ums Verrecken nicht schaffen, sich um ihren eigenen Kram zu kümmern, und sich statt dessen an dem Leiden ihrer Mitmenschen ergötzen wollen, als Kompensation für ihr eigenes von extremer Fitness und endlosem Fun geprägtes, unerträglich erfülltes und ausgeglichenes Leben? Warum beschaffen sich diese Leute nicht einfach ein paar eigene Problemzonen, in die sie sich zurückziehen können, ernähren sich mal etwas ungesünder, trinken regelmäßiger einen über den Durst und treiben mal etwas weniger Sport? (Ich hätte gute Lust, eine “Verändere auch DU dein Leben! - Lebe ungesünder!”-Aufklärungskampagne zu starten, nur um endlich mal wieder in Ruhe jemanden auf der Straße begegnen zu können!)
Was soll’s, ich weiß es nicht, und ich will es eigentlich auch gar nicht wissen. Wenn ich mich für andere Leute interessieren würde, würde ich mich nicht mit Spekulationen über die Beweggründe ihres Handelns aufhalten, sondern ich würde sie einfach fragen, wie es ihnen geht.

Viel interessanter finde ich die Tatsache, dass es in allen Buddy-Filmen das ungleiche Paar letztendlich immer schafft, sich zusammenzuraufen, und die zwei, die sich am Anfang nicht leiden konnten, am Ende die dicksten Kumpels werden. Wenn das stimmt - und wer würde schon wagen, anzuzweifeln, dass das, was man im Kino sieht, nichts anderes ist, als die ungeschminkte Realität - würde das bedeuten, dass auch mich irgendwann mit meinem renitenten Körper in Einklang bewege, und wir die besten aller besten Freunde werden!
Ich kann und will es mir einfach nicht vorstellen, aber sollte diese Utopie eines fernen Tages wider Erwarten doch eintreten, so kann ich mich immerhin schon mal mit dem Gedanken trösten, Uli in Zukunft dadurch verwirren zu können, dass ich auf die Frage “Und, wie geht’s?” antworte:

“Danke, mir geht’s allen beiden gut!”








... und möge der Wind in Eurem Rücken stets der der eigene sein!



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