Homepage | Kalender | Mein Profil | Meine Post | Autorenliste | Buchshop
Poesie
Prosa
Verschiedenes
Werkstatt
Forum
Sonstiges

Prosa => Krimi


EXSOLUTIO (2) - von S.Reich, 11.08.2009
Hier geht's zur offiziellen Homepage / Buchdownload


EXSOLUTIO - PART 2

10
Pete stieß die Tür zum hinteren Bereich der Wohnung auf. Er geriet ins Stolpern, raffte sich aber wieder schnell auf und stürzte durch den Gang Richtung Haustür.
Hinter ihm hörte er das Zerbrechen eines weiteren Fensters, vermutlich war der Schütze soeben in seine Wohnung gestiegen. Was sollte er nun tun? Würde es so gefunden werden? Schaffte es Pete nicht, sein Wissen mit einem dritten zu teilen, so wäre er allein verantwortlich. Er.
Eine Kugel schlug krachend in eine alte Holzkommode, die Pete vor Jahren neben den Ausgang geschoben hatte, als Zwischenstation auf der langen Reise zur Deponie.
Pete spürte das schwere Schlüsselbund in seiner Brusttasche und eine Idee von Hoffnung keimte in ihm auf.
Er riss die Tür auf, sprintete in die Nacht hinaus über das unbeleuchtete, kleine Beet zur Hauptstraße und sprang in seinen alten Chevy, der seine besten Jahre längst hinter sich hatte.
Als er die Zündkerze entflammte und mit ächzendem Motor den Bordstein verließ, trat die vermummte Gestalt aus der Haustür. Bevor er sich auf die Route konzentrierte, riskierte Peter einen letzten Blick auf sie, doch konnte er nur noch erkennen, wie eine längliche Gestalt ruhigen Schrittes zu einem abgestellten Wagen ging.
Als ob es dem leidenden Motor zu mehr Kraft verhelfen würde, trat Pete noch kräftiger auf das längst durchgedrückte Gaspedal. Nach wenigen Hundert Metern kam das Straßenschild, auf dem „W. City“ vermerkt war. Ohne auf möglichen Verkehr zu achten riss er das Lenkrad in letzter Sekunde um und schlug seinen Weg in die Stadt ein.

11
Riley Manston hielt den Hörer immer noch, obwohl längst das Besetztzeichen ertönt war.
Das Blitzen eines Fotoapparates riss ihn aus den Gedanken.
Hinter ihm war die Spurensicherung eifrig zu Gange, wobei eine solche kaum nötig gewesen wär.
Selbst ein Mann, der nicht vom Fach wäre, hätte die Stichwunde oberhalb des Bauches von Goodrick und die daneben liegende große Küchenschere in einen kriminologischen Zusammenhang stellen können.
So lag er auf dem kalten Steinboden, neben ihm eine große Blutlache und ein Zettel, auf dem trotz seiner roten Färbung eine Nummer zu erkennen war.
„Alles klar, Chef?“, fragte Wood, ein hochgewachsener und dürrer Streifenpolizist.
Riley Manston überlegte. Er erhob sich, hängte den Hörer auf und blickte aus dem Fenster.
„Chef?“, fragte Wood erneut, dieses mal wesentlich vorsichtiger.
Manston drehte sich zu ihm. „Nein.“ .
„Nein?“, Wood blickte noch irritierter drein.
Riley Manstons Blick fiel erneut auf den Zettel, der vollgesaugt von Blut neben seinem Besitzer lag.
„Hier ist etwas Seltsames im Gange. Ich muss wissen, wo derjenige wohnt, der hier gerade angerufen hat.“ Langsam schritt er auf die Leiche zu, tippte einem Mitarbeiter der Spurensicherung auf die Schulter und machte ihm deutlich, dass er den Zettel, mittlerweile markiert als Beweisstück Nr. 4, benötigte. Der Mitarbeiter nahm ihn vorsichtig auf und bugsierte ihn in eine Plastiktüte.
Manston nickte ihm dankend zu und schnappte sich die Tüte. Auf dem Zettel stand „ Salford, Peter“ und eine dazugehörige Nummer.
Wenige Sekunden und einen Anruf später murmelte Manston „Largo“.
Zwar war er nicht aus der Gegend doch wusste er trotzdem, dass es nur wenige Meilen entfernt lag.
„Der Anrufer dort scheint ebenfalls überrascht worden zu sein“, teilte er dem verwirrten Wood mit, während er sich seinen Mantel überwarf.
„Soll ich mitkommen?“, fragte dieser tüchtig und mit einem Blick, der wirkte als sei er Bereit den leibhaftigen Teufel zu verhaften.
„ Nein. Du bleibst hier“, befahl Manston dem geknickten Jungen und verließ den Tatort.


12
Als ob seine Handschrift nicht schon zittrig genug gewesen wäre, erschwerten die Schlaglöcher auf der Straße das Schreiben. Pete hatte ein kleines Stückchen Papier im Wagen gefunden, das vermutlich von einem Brief oder einer der vielen, zerrissenen Mahnungsschreiben stammte.
In wenigen Worten hatte er versucht, eine eindeutige Botschaft zu hinterlassen. Mittlerweile hatte er den Stadtkern erreicht, war über den Southwest Freeway gerast, stets in der Hoffnung, die Aufmerksamkeit eines Polizei Wagens zu erregen. Aber er war jäh enttäuscht worden.
„Wenn man sie mal brauch“, fluchte er lauthals und schlug mehrfach auf das Lenkrad ein. Die Blutung an seinem Ohr hatte aufgehört, eine dicke, schwarze Kruste dämmte die Wallungen.
Schon vor einigen Meilen hatte er das Auto hinter sich bemerkt, was nicht allzu schwierig war, da es bereits mehrfach in dem Versuch ausgeschert war, ihn entweder zu irritieren oder mit Anlauf von der Straße zu drängen. Pete hätte sich denken können, dass er nicht so einfach aufgeben würde, aber wenigstens hatte er das wilde Feuern eingestellt. Am Horizont begrüßten bereits die ersten rötlichen Strahlen der Sonne die Menschen, die zu dieser Zeit aus der Wohnung mussten. Die Nacht wich und mit ihr Petes Hoffnung, gänzlich Heile aus der Sache rauszukommen.
Er jagte an der National Mall vorbei, fuhr noch wenige Blöcke weiter und entschloss dann, der Verfolgung ein Ende zu setzen. Als er einen vergleichsmäßig großen Auflauf von Menschen sah, die an einer Kreuzung auf das Ampelzeichen warteten, zog er impulsiv die Handbremse, rutschte einige Meter mit quietschenden Reifen und kam schließlich in der 12. Straße seitlich zum stehen.
Die Blicke der wenigen Passaten richteten sich auf ihn. Ungeachtet seinem Verfolger sprang er aus dem Wagen, rannte - so gut es noch ging - auf einen alleinstehenden Mann zu und drückte ihm den Zettel in die Hand.
„Laufen sie, schnell!“, keuchte er und blickte eindringlich in seine stark umrandeten Augen.
Noch immer verdutzt, zögerte der Mann.
Plötzlich zuckte er zusammen. Ein Schuss hatte die Stille des Morgens in Washington durchschnitten. Menschen kreischten, Vögel flohen.
In wenigen Sekunden war die Straße so leer, wie zuletzt in tiefster Nacht.
Der zweite Schuss traf. Pete fuhr zusammen.
Innerlich war er darauf vorbereitet gewesen, nicht zuletzt sein Arzt hatte ihm Gewissheit gegeben. Seine Lungen würden aufgeben, schon bald.
Der Doktor hatte Recht behalten, ironischer weise traf seine Prognose früher als vermutet ein. Als Zyniker musste er einsehen, dass die Situation einer gewissen Komik nicht entbehren konnte. Sein Mundwinkel zuckte, seine Augen tränten. .
Sein Hemd färbte sich auf Höhe der angeschlagenen Lunge rot und er fiel auf den harten Washingtoner Asphaltboden. Der Passant hatte seine Augen weit aufgerissen, stand noch immer wie angewurzelt da und beobachtete das bizarre Szenario.
Erst als er den vermeintlichen Schützen entschlossen herbeieilen sah wandte er sich ab, flüchtete die Straße hinab und verschwand in einem kleinen Seitenweg.
Pete hörte das Pochen seines Herzens lauter als die restlichen Geräusche, die seine Umwelt produzierte.
Er hatte das Gefühl, noch zwei Straßen weiter müsse es gehört werden.
Ihn überkam der Schwindel. Alles was er noch sah, war die dunkle Gestalt, die sich nun über ihn beugte. „Wer seid ihr?“, flüsterte Pete. Sein Körper zuckte erneut zusammen.
„Wir sind niemand. Wir haben keinen Namen. Alles was wir haben, ist ein Ziel.“ hauchte eine kalte Stimme.


13
Vor dem dreistöckigen Haus parkte ein Streifenwagen.
Manston hatte die Adresse ausgemacht und betrat nun vorsichtigen Schrittes den kleinen Weg, der zur Haustür der Mehrparteienwohnung führte.
Die Dunkelheit wich nun merklich, weswegen die frischen Reifenspuren auf der Straße bereits bei seiner Ankunft auffielen. Jemand musste hektisch aufgebrochen sein.
Sein Blick schweifte über den Bürgersteig, den Vordergarten, der wohl längst nichtmehr als solcher benutzt wurde, bis hin zu einem zersplitterten Fenster im Erdgeschoss.
Manston verspürte unweigerlich einen leichten Ruck, der seinen Körper durchfuhr.
Was war hier geschehen?
Mit festem Gang eilte er zur Haustür, läutete mit einer Hand mehrfach bei allen Parteien, während die andere energisch gegen die Tür klopfte. „Metropolitan Police Washington , öffnen sie die Tür“ .
Sekunden verstrichen.
Manston wiederholte diesen Vorgang immer und immer wieder. Gerade als sein rechter Arm vor Schmerzen rebellieren wollte, öffnete sich die Tür einen Spalt und eine grauhaarige Frau höheren Alters blickte misstrauisch auf den Officer.
„Ja?“, krächzte sie und musterte Manston.
„Madam, ich bin vom Metropolitan Police Department, ich muss sie umgehend bitten, die Tür zu öffnen.“, belehrte Riley bemüht ruhig die alte Dame.
„Worum geht’s denn?“, wollte sie murmeln, doch sein Geduldsfaden war gerissen.
Beherzt griff er durch den Türspalt, drückte die Dame so vorsichtig wie robust zur Seite und stemmte seine Schulter gegen die schwere Tür.
Im vorbeigehen noch hielt er ihr seine Marke unter die Nase und eilte gerade aus durch eine weitere Holztür, die unabgeschlossen war.
Als er eintrat, bot sich ihm ein Anblick des Chaos:
Zu seiner linken lagen Trümmern, die mal eine Art Nachtschrank geformt haben mussten und ein Tisch vor Kopf versuchte seine Statik mit nur noch drei Beinen zu finden. Die Blätter, Briefe und andere Kleinigkeiten auf ihm, waren der Schwerkraft zum Opfer gefallen und verteilten sich nun sorgfältig über den Holzboden.
Vorsichtig durchschritt der 38-Jährige das Durcheinander und betrat ein kleineres, fast quadratisches Zimmer. Hier befand sich das zersplitterte Fenster, dessen Scherben weit in den Raum befördert worden waren. Auf dem Boden lag ein zersprungener Hörer.
Riley Manstons Blick wanderte vom Fenster, über den Hörer, hoch zur gegenüberliegenden Wand, an der ein zersprungener Spiegel hing.
Langsam und nachdenklich trat er auf ihn zu und beobachtete die kräftige Gestalt, die sich ihm näherte. Die feine Faserung des zersplitterten Spiegels wirkte wie ein Spinnennetz, das Riley gleich mehrere identische, erschöpfte und blasse Gesichter präsentierte.
Kein Wunder, dass ihn die Frau an der Tür so gründlich inspiziert hatte, dachte er sich.
Seine, trotz seines noch jüngeren Alters, bereits gräulichen Haare zeigten wild in alle ihm bekannten Himmelsrichtungen und sein Drei-Tage-Bart schien mittlerweile zu einem Vollbart gereift.
Wer hatte hier auf wen und wieso geschossen?
Was wollte ihm dieser Salford wichtiges sagen?
Er wollte sich gerade zu der älteren Dame drehen, die bereits seit geraumer Zeit ächzend am Türrahmen klopfte, als sein Funkgerät zu rauschen begann. „Chief, Chief, hören sie mich?“.
Manston löste es vom Bund und betätigte einen kleinen Schalter. „Wood? Ich brauch eine weitere Spurensicherungseinheit nach Largo. Dieser Peter Salford ist verschwunden, wir müssen ihn unbedingt ausfindig machen.“
Eine kurze Pause trat ein.
„nicht nötig“, funkte Wood und seine Stimme wurde durch die schlechte Verbindung leicht verzerrt.
„Die Kollegen haben ihn bereits gefunden“.
„Wo?“, erkundigte sich Manston.
„ Auf offener Straße an der zwölften Ecke, Downtown.“
„Kann ich mit ihm sprechen?“, forderte der Officer im üblichen, harschen Befehlston.
„ Leider nein, Chief“.
Manston lauschte auf. „Wieso nicht?“
„ Er hatte zwei Kugeln in der Brust.“



14
Der Mann, der durch die Straßen rannte, wurde nur Joe genannt.
Wenige Menschen kannten seinen vollständigen Namen, was nicht verwunderlich war.
Seit Jahren hatte er sich mehr und mehr isoliert, seine sozialen Kontakte beschränkten sich auf seine Arbeit bei einer Reinigungsfirma und, zumindest bis vor wenigen Stunden noch, auf Lora.
Was geschah hier?
Sein Verstand verlangte nach Aufklärung. Während er lief versuchte er krampfhaft die unsaubere Handschrift, die den kleinen Zettel füllte, zu entziffern. Er musste anhalten,
doch konnte er sich das bei einem Verfolger leisten, der ohne zu zögern den Überbringer dieser Nachricht niedergeschossen hatte?
Joe steigerte das Tempo, schlug weitere Haken in kleine Seitenstraßen und blieb dann, nach einigen Minuten erschöpft in einem kleinen Hinterhof stehen. Er verspürte heiße Stiche in den Seiten, als er den Zettel überflog.

Sein Jäger hetzte durch die Gassen. Er konnte ihn nicht verloren haben. Ihm war der Zettel nicht entgangen, den dieser Narr dem Unbeteiligten noch zugeschoben hatte.
Alles hatte sich ungeplant entwickelt, nichts hiervon wäre von Nöten gewesen, aber sie hatten es so gewollt. Jetzt musste er den Weg bis zum Ende beschreiten, eigentlich mussten sie ihm sogar dankbar sein.
Als er an einem geöffneten Gittertor vorbei lief, erhaschte er aus dem Augenwinkel eine Gestalt. Er hatte es bereits hinter sich gelassen, als er anhielt, sich drehte und zurück lief.
Schon durch die Gitter erkannte er die Person. Sie stand im Lichtkegel einer kleinen, an der Hauswand befestigten Leuchte und starrte auf den Zettel.
Joe schreckte auf. Ihre Blicke trafen sich. Er wirbelte fluchtartig herum und sprang auf die Feuertreppe, die sich hoch bis zum Dach des Gebäudes erstreckte.
Die Treppe krachte, als ihn eine Kugel knapp verfehlte.
Gemächlich senkte der Schütze die Waffe und betrat ebenfalls die Treppe, um ihm zufrieden zu folgen.
„Hoffentlich hast du keine Höhenangst“ höhnte er mit selbstgerechtem Lächeln.

15
Die Metro donnerte durch die dunklen Kurven des Washingtoner U-Bahn Systems.
In ihr saß, oder besser schlummerte, Ciara Havering. Die Augen geschlossen und mit Kopfhörer im Ohr erwartete sie die Ankunft im Central Business District. So wie sie dort saß, in dickem Mantel mit großer, modischer Wollmütze bestückt, schien sie gewappnet für die nächste Eiszeit. Zwar gaben sich einige Fahrgäste nur wenig Mühe, ihr Unverständnis über diesen winterlichen Aufzug zu verstecken (erfuhr Washington doch gerade noch eine genießbare Wärmephase des Spätsommers), doch war dies Ciara Havering herzlich egal.
Sie hasste diese Uhrzeit, ganz besonders im Winter, doch Arbeit war nun mal Arbeit und gerade die letzten Wochen waren sie und ihr „Freund“ des Öfteren am Rande des finanziellen Abgrunds angekommen.
Zumindest vorerst musste sie deswegen, zu ihrem Leidwesen, die Pflicht über ihre eigenen Wünsche, und noch viel schlimmer, ihre Schlafgewohnheiten, stellen.

Auch zwischenmenschlich war dies alles andere als hilfreich.
Ciaras gereizter Umgang mit Evan wurde durch seine regelmäßigen Wutanfälle nur noch gesteigert. „Kommunikation“ oder „Produktivität durch gemeinsamen Dialog“ erschienen ihr längst wie Fremdwörter aus einer anderen Welt.
Sie blickte auf die Uhr. Im selben Moment ertönte eine weibliche und emotionslose Stimme, die „Farragut North“ als nächste Haltestelle verkündete.
Ciara fuhr sich durch die Haare, rieb sich ihre Augen und raffte sich auf.
Als sie auf die Straße trat, wehte ihr der Starke Wind die Tränen in die Augen. Sie zupfte sich den Mantel zu Recht, wandte den Blick zum Boden und trat ihren Fußweg an. Nach wenigen Minuten bog sie auf die namensträchtige Independence Avenue, in der kahle Bäume vergeblich versuchten, ein heitereres Bild auf den süd-westlichen Stadtteil zu werfen. Nur wenige Schritte weiter nahm sie den Fußweg eine weitere Straße hinab. Hier war es windstill.
In Gedanken verloren lauschte sie den Klängen ihres Musikspielers, so dass sie den Mann kaum wahrnahm.
Erst ein starker Windzug zu ihrer Rechten, dann die Vibration eines dumpfen Aufschlags und zuletzt das Gefühl, Nass zu werden, ließ Ciara Havering reagieren.
Sie wirbelte herum.

16
An einer Laterne, die sie gerade noch vorm Wegknicken bewahrt hatte, fand die leichenblasse Frau halt. Mit ihren aufgerissenen Augen und den Blutspritzern im Gesicht, hätte sie einen jeden ohne Mühe verjagen oder zu Tode erschrecken können, doch befand sich neben ihr und dem in der Blutlache liegenden, in sich eingesackten, Körper niemand in der Straße.
Der Chorus dröhnte laut und gewaltig in Ciaras Ohr, doch alles was sie noch wahrnehmen konnte, war ein sich verengendes Sichtfeld begleitet von einem jähen Rauschen.
Wie eine passive Betrachterin sah sie sich zu dem Körper gehen, dessen Blut mittlerweile die 8. Straße rinnenförmig hinab lief. Sie hatte den Zettel fixiert, der unter seiner verformten und aufgeplatzten Hand hervorstach.
Bemüht, nicht in die Lache zu treten, beugte sie sich weit über und erreichte das triefende Papier.
Zitternd entfernte sie sich wenige Schritte und blickte auf das Blatt. Dieses Mal fand sich kein Gegenstand, der ihr helfen konnte. Sie knickte zusammen, schaffte es aber noch sich mit den Händen abzufangen.
Panisch rang sie nach Luft während sie verzweifelt versuchte, den Blick vom krakeligen Schriftzug abzuwenden.
„ Menschen sind hierfür bereits gestorben / Sie müssen es verhindern / Die Welt wird untergehen.“

17
Oh Gott. Wie konnte das nur passieren?“.
Die Stimme kroch förmlich durch die noch immer menschenleere Straße. Ciara Havering bemerkte sie kaum.
Sie starrte an dem Zettel vorbei ins Leere und rang um ihre Fassung. Ein weiterer unkontrollierbarer Schauer ließ sie noch weiter zusammenfahren.
Mittlerweile lehnte sie hilflos an einer gegenüberliegenden, alten Backsteinmauer, nur wenige Meter entfernt vom vor Blut triefenden und verformten Körper.
„Wieso hat er das nur getan?“.
Es dauerte einige Momente, bis Ciara begriff, dass nicht sie soeben diese Frage gestellt hatte.
Zitternd vor Schmerz und Verwirrung blickte sie sich um.
Es gibt doch immer andere Auswege“, belehrte die phrasenausspuckende, emotionslose Stimme.
Nun hatte sie den Herkunftsort dieser ausgemacht. Sie kam von oben, von einem Hausdach.
Die aufgehende Sonne hüllte die Silhouette des Mannes in lediglich grobe Umrisse. Es war das Hausdach, von welchem jene Person gestürzt sein musste, das Begriff sie sofort. Instinktartig zuckte sie zusammen.
Ihre Hand fuhr zur Hosentasche.
Madam, können sie mich hören?“ säuselte die schneidende Stimme. Trotz ihrer leisen Art schien sie unwirklich drückend und bedrohlich.
Ich an ihrer Stelle würde das nicht tun“ flüsterte sie.
Ciaras Hand wich vom Mobiltelefon. Stattdessen kämpfte sie sich mühsam auf die Beine.
„ Hören sie mir gut zu.“, diktierte die Gestalt auf dem Dach, deren Stimmfarbe sich plötzlich gänzlich gewandelt hatte.
„ Ich werde nun herunterkommen und sie bleiben genau dort. Wenn ich bei ihnen bin, können wir ganz in Ruhe über alles reden.“ Während die Worte ihren Weg zu ihr fanden, zeichnete sich der Schatten der Person auf den Asphalt, deren Extremitäten durch den Stand der Sonne fast karikaturartig unendlich lang erschienen. Beinahe spielerisch wendete und bestaunte der Mann den kantigen Gegenstand in seiner Hand
Es war der Hohn in der Stimme, der Ciara aufweckte und aus ihrer Verwirrung riss:
„Ich bin gleich bei ihnen“, versicherte die Person lässig, die vom Rand des Daches zurück aus der Sonne getreten und bereits auf der Rückseite des Gebäudes verschwunden war. Sie hatte nur wenige Sekunden, das wusste sie, doch diese reichten ihr einen Entschluss zu fassen:
Sie langte in ihre Tasche, verlor dabei Kleingeld und allerlei Müll und fand dann ihr Mobiltelefon.
Ihre noch immer wackeligen Beine trugen sie nur mit Mühe, als sie begann zu laufen.
Sie wählte den Notruf, verschwand hinter einer Ecke und meldete mit bebender Stimme ihre Notlage.



18
Hier ging es nicht mehr um einzelne, zufällige Mordfälle. Riley Manston spürte es. Es war etwas anderes im Gange, etwas, das verhindert werden musste – und zwar sofort.
Im klappernden Streifenwagen schoss er mit schreiender Sirene den Freeway hinab.
Das Aufkommen der Verkehrsschilder vermehrte sich: Er war seinem Ziel nahe: Washington City.
Wie ein sich von selbst öffnender Reißverschluss scherten die Wagen vor ihm aus und eröffneten Manston eine Gasse, durch die er wildentschlossen hindurch jagte.
Den einkommenden Funkspruch ignorierte er zuerst, da seine Konzentration allein dem Ziel Stadtkern galt.
Doch die rauschende, leicht verzerrte Stimme, wollte nicht absterben. „Chief? Sie müssen sich melden!“. Es war Wood, Riley erkannte seinen aufgeregten Tonfall.
„ Herr Gott nochmal!“, Manston griff nach dem Gerät und betätigte es blind. „WAS?!“.
„ Die Zentrale hat soeben einen Notruf an uns weitergeleitet. Eine junge Frau meldet dass sie von einem Mann verfolgt wird, der möglicherweise einen Mord begangen haben soll. Verstehen sie Mr. Manston?“.
Der Officer riss das Lenkrad nach links und schaffte es noch gerade einer älteren Dame auszuweichen, die die bellende Sirene überhört haben müsste.
„ Du meinst der Mörder von diesem Salford dreht gerade völlig durch?“. Er bog auf die Ausfahrt, überholte die wartenden Autos und donnerte über die Kreuzung. Manston ignorierte die quietschenden Bremsen.
„ Wo war die Frau als sie anrief?“, bellte er.
„ Independence Avenue, 8.Straße“, antwortete Wood knapp.

19
Ciara Havering war gerannt bis ihre Lungen zu explodieren drohten.
Dann hatte sie das Fenster entdeckt. Es war geöffnet und führte in einen abgedunkelten Lagerraum.
Keuchend war sie durchgeklettert, um hinter einem haushohen Stapel von Kartons gierig die mangelnde Luft aufzusaugen.
Wo war ihr Verfolger? Hatte sie sich das alles nur eingebildet? Vielleicht wollte er ihr wirklich helfen.
Sie wagte einen Blick vorbei an den Kisten zum noch immer geöffneten Fenster. Wieso hatte sie es nicht geschlossen? Sollte sie es wagen, oder würde ihr vermeintlicher Verfolger sie genau in dem Moment zu Gesicht bekommen?
Nach einigen Sekunden, die ihr jedoch ewig erschienen, wagte sie es aus dem Versteck zu kommen.
Vorsichtig tastete sie sich voran, da sie sicher gehen wollte keine Gegenstände zu berühren, die in irgendeiner Weise verräterische Geräusche verursachten.
Sie hatte gerade den halben Weg zum kleinen Fenster zurückgelegt, als draußen ein Mülleimer krachend zu Boden gestoßen wurde.

Auch ohne Beschilderung hätte Manston die gemeldete Ecke leicht gefunden. Das Farbenspiel der blau-roten Sirene und die unverwechselbaren Töne der Lautsprecheranlage , die stets neues Unglück verkündeten, hatte ihn den Ort finden lassen. Es war ein anderer als zunächst angenommen, das hatte er sofort bemerkt. Zwei Mordfälle in so kurzer Zeit und, was ihm noch auffälliger erschien, in so unmittelbarer Nähe.
Er war aus dem Wagen gesprungen und zur Ansammlung gelaufen. Polizisten hatten den Bordstein abgesperrt und weiß gekleidete und maskierte Mitarbeiter sicherten die Unglücksstelle. In der Mitte der Blutlache lag er, der Körper eines Mannes, oder besser das, was noch von ihm übrig war. Manston schätzte ihn auf weiß und Mitte dreißig.
Er rief sich Woods Funkspruch in Erinnerung „ ein Mann, der einen Mord begangen hat“ würde die Frau verfolgen.
Falsch, kam es ihm in den Sinn, nicht einen. Du hast zwei begangen, mindestens.

Der vermummte Mann starrte durch das Fenster. In der Mitte der Lagerhalle stand die Frau. Sie machte keine Anstalten zu fliehen. Wie paralysiert blickte sie entgeistert auf ihn. Sah er so komisch aus?
Mit wenigen Schritten war er am Fenster und ehe sie sich versah stand er vor ihr inmitten des dunklen, länglichen Raumes zwischen Kisten und Kartons.

Worum ging es hier? Manston bückte sich und hob das Kleingeld auf, dass auf dem Bürgersteig gegenüber der Leiche ein paar Meter die Straße hinab gerollt sein musste.
War der Mann gestürzt oder gezwungen worden? Die Leiche, die mit zerbersteter Brust wenige Straßen weiter oben auf dem Bürgersteig lag, konnte dort nicht zufällig geendet sein. Nicht zu dieser Uhrzeit, nicht in so kurzem Abstand.
Wo war die Verbindung? Und dann war da noch der Rentner, der Peter Salfords Namen auf einem Zettel bei sich trug .
Hatte dieser Goodrick den Stein ins Rollen gebracht?

„Wieso tun sie das? Was geht hier vor sich?“, schrie sie dem Mann entgegen.
Dieser lächelte nur, er schien es zu genießen.
„ Verdammt, wenn dieser Mann recht hatte, dann wird bald etwas mit unserer Welt passieren, wieso tun sie nix dagegen?!“
Howard Crop demaskierte sich mit langsamen Bewegungen und zog anschließend seine Pistole. Er atmete lange und seufzend aus.
„Weil wir es wollen.“

[ENDE TEIL 2]
------

jetzt tu ich's doch: Die schöne Story wird zerstückelt.
Am Stück gibt es sie dennoch auf
www.einfalls-reich.tk
zum kostenfreien download. Viel Spaß.

Hier geht's zur offiziellen Homepage / Buchdownload



©2009 by S.Reich. Jegliche Wiedergabe, Vervielfaeltigung oder sonstige Nutzung, ganz oder teilweise, ist ohne vorherige schriftliche Genehmigung des Autors unzulaessig und rechtswidrig.

Kommentare





Keine Kommentare vorhanden.

Bewertungen

Bewertung: 1.8/6
(16 Stimmen)

Es gibt 0 Kommentare


Aktionen


QR-Code als Direktlink


Werbung


Suchwolke