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Die wahren Träumer - Kapitel 2 - von MangaEngel, 13.07.2009
Kurz nachdem er zuhause angekommen war, betrat Stefan auch schon seine Wohnung. Er lebte allein, die Wohnung war auch nicht groß, aber er mochte sie. Allerdings konnte er sich für einen kurzen Moment beinahe vorstellen, wie sich Anna fühlen musste, wenn sie nach Hause kam und sonst war immer jemand da gewesen, der nun nie wieder da sein würde. Doch die Vorstellung war im direkten Vergleich noch weit entfernt von dem Schmerz, der Verzweiflung, die unaufhaltsam Annas Herz und Gedanken quälte. Den restlichen Tag saß er einfach nur auf der Küchentheke, unsicher, was er tun sollte. Sie anrufen, um zu sehen, ob sie Trost braucht? Einfach vorbeischauen? Oder nur eine simple SMS? Er weiß, wie sehr Anna geweint hatte, als ihre Mutter gestorben war. Doch Richard hatte ihn vom Trösten abgehalten, gesagt 'Dafür sind Väter schließlich da' und tatsächlich ging es ihr am nächsten Tag direkt viel besser. Wenn er doch nur wüsste, was Richard gesagt hatte, vielleicht könnte auch der beste Freund so etwas tun. Doch nun war es zu spät zum Fragen. Richard war weg. Und dabei war Richard auch fast sowas wie sein zweiter Vater gewesen. Da er immer bei Anna war und Stefan immer bei Anna war, kannten sie auch sich gegenseitig sehr gut. Er war immer freundlich gewesen, wenn auch mitunter ein kleiner Hektiker. Aber es war wirklich bewundernswert, wie intensiv er sich mit Anna und auch Stefan befasste, wenn er mal nicht arbeiten musste. Egal, wann der Junge vorbeikam, ob morgens, mittags, abends oder sogar nachts, wenn Richard nicht arbeiten war, dann beschäftigte er sich mit seiner Tochter. Als der junge Mann noch klein war, glaubte er sogar, dass Richard ein Vampir wäre und darum gar nicht schlafen müsste. Was der Mann sich selbst und seinem Körper zumutete war wirklich schon fast wahnsinnig, doch er schaffte es. Das er am Ende wegen sowas banalem wie einem Sonnenstich stirbt...war einfach nur unbegreiflich.
Richard selbst war sicherlich klar, dass er mit seinem hektischen Leben nicht lange unbeschwert leben könnte, dass sein Körper irgendwann streiken würde. Seine Haare waren schließlich sogar schon vollkommen weiß-grau geworden, obwohl er erst 49 Jahre alt gewesen war. Er hatte zwar noch alle Haare, sogar mehr als genug bei seinem kurzen Vollbart, aber sie waren weiß. Doch gerade dieses Aussehen ließ einen glauben, dass er älter, reifer wäre. Man traute ihm direkt so viel zu, wenn man ihn sah, weil man glaubte, dass fast sechzig Jahre Erfahrung vor einem standen und nicht ein Mann Anfang Fünfzig. Doch bei der Mutter war es auch nicht anders gewesen. Sie war auch sehr viel bei den alten Leuten und immer als Erste da, wenn etwas passierte. Ihre Haare wurden auch immer heller, als wenn sie sie bleichen würde. Doch bis zum Weiß kam sie nicht, sie schaffte es nichtmal, ihren vierzigsten Geburtstag zwei Monate nach ihrem Tod zu feiern. Wirklich eine traurige Familiengeschichte. Mutter, Vater und Tochter in Pflegeberufen. Und bis auf die Tochter alle vergleichsweise früh verstorben und das für Andere. Kurz wurde Stefan unwohl bei der spontanen Vorstellung, wie Anna versuchte, einem Kind von einem Baum zu helfen, dabei fiel und sich das Genick brach. So würde man ihn wohl für paranoid halten, doch wenn Vater und Mutter es schaffen, dann könnte es auch die Tochter. Stefan betete, dass dem nicht so sein würde.
Doch trotz dem leicht trauerndem Eindruck am ersten Tag verbesserte sich ihr Zustand, sie schien aufzuhellen und sich zu bessern. Sie hatte zwar irgendwann nach etwa zwei Wochen eine Art Rückfall, in der sie aussah, als hätte sie den Tod gesehen, aber auch das legte sich wieder. Doch zum ersten Mal fiel Stefan etwas bewusst auf: sie wirkte auch in guten Zeiten einfach nur krank. Ihre Haut war sehr, sehr blass, beinahe schon etwas bläulich. Sie geriet schnell ausser Atem. Sie schwitzte schnell, hustete manchmal und das, was er immer für Tic Tac's gehalten hatte, waren eigentlich kleine Pillen. Das wirklich seltsame war, dass sie aussah wie immer. Also schon immer...krank aussah. Nur war es ihm vorher nie aufgefallen, selbst, wenn sie mal erkältet war, sah sie so aus. Wie der lebende Tod selbst. Doch sollte er in so einer schweren Zeit fragen, ob sie etwas hatte? Vielleicht in irgendwelchen Wunden rumstochern? Stefan kannte sich in Medizin gar nicht aus, das Schlimmste, was er mal gehabt hatte, war ein Bruch des linken Schlüsselbeins als Kind gewesen. Und nun fiel ihm auf, dass seine beste Freundin offenbar schon seit Jahren mit irgendwas zu kämpfen hatte. Diabetes oder vielleicht sogar Krebs! Stefans Sorge stieg ins Unermesslich, zeitgleich schluckte er es aber runter, denn Anna weiß sicherlich schon lange, was sie hat, doch sie daran in so einer Zeit zu erinnern wäre wohl nicht gut. Doch durch diese unangenehme Mischung aus Sorge und Zurückhaltung wurde er nun für krank gehalten. Vor allem Frau Acatay und Frau Schaller waren fest überzeugt, dass sich Stefan zu fiel zumutete. Jeder wusste, dass auch er Richard gut gekannt hatte und das er sich nun für Anna verantwortlich fühlen würde. Und dazu noch die Aufsichtspflicht über zwanzig Kinder. Niemand ausser ihm sah, wie schlimm Anna aussah, alle bemerkten nur sein seltsames Verhalten. Es kam Stefan schon fast zu verquer vor.
Doch als bereits etwa drei Wochen vergangen waren, rang er sich dazu durch, sie auf dem Heimweg darauf anzusprechen. "Sag mal, Anna... Hast du eigentlich irgendwas?" Anna sah ihn verwirrt an, offenbar selbst nichtmal bemerkend, dass ihr Körper sie verriet. "Was soll ich haben? Fieber?" fragte sie nach und Stefan schüttelte seufzend den Kopf. Er überlegte sich kurz im Kopf, wie er es am Besten formulieren sollte. "Was nimmst du denn zum Beispiel immer für Pillen?" fragte er dann und Anna sah ihn kurz unschlüssig an, ehe sie ihre Tic Tac-Dose mit den Pillen darin rausholte. "Das? Das ist Prostacyclin." antwortete sie schlicht und Stefan stöhnte leise darüber, dass er ihr wohl alles an der Nase rausziehen musste. "Wogegen ist das?" fragte er nun energischer nach und Anna sah erst ihn, dann die Dose an. "Gegen Bluthochdruck." sagte sie nur schulterzuckend und direkt fühlte sich Stefan wieder etwas besser. Das Wort sagte ihm etwas, auch, wenn er nur kaum etwas über Bluthochdruck wusste. "Wie lange nimmst du das Zeug schon?" fragte er weiter und Anna überlegte offenbar angestrengt, ehe sie meinte, dass sie es schon als kleines Kind genommen hatte. Auf die Nachfrage, ob es gefährlich wäre, zuckte sie wieder nur mit den Schultern, was das bedeuten sollte, konnte Stefan nicht wirklich sagen, doch Anna erklärte das Gespräch durch einen Themawechsel für beendet. Sie trennten sich schließlich, als sie in unterschiedliche Straßen mussten und kaum, dass Stefan zuhause war, durchsuchte er das Internet nach Bluthochdruck. Was er las, war nicht schön. Herz-Kreislauf-Beschwerden, Schlaganfall und auch ein paar Herzprobleme, die ihm nichts sagten. Doch es schien wirklich so zu sein, unter Symptomen fand er Müdigkeit, Atemnot, Schwindelgefühl. Von Blässe und Husten fand er zwar nichts, doch es musste schließlich nicht zwangsweise alles zeitgleich auftreten, vielleicht kamen diese auch von einem Folgeschaden oder wie man das nannte.
Auch, wenn es keine gute Nachricht war, so fühlte er sich doch erleichtert. Er hatte Recht und da Anna diesen Hochdruck bisher gut durchstanden hat, wird sie es wohl auch weiterhin schaffen. Er wurde wieder zuversichtlich und schneller als er es sich vorstellen konnte, hatte er auch schon wieder vergessen, dass sie krank war. Wohl auch, da sich Anna zunehmend besserte. Irgendwann erzählte sie ihm erleichtert, dass sie das Zimmer von Richard ausgeräumt und die Möbel einem Kinderkrankenhaus geschenkt hatte. Diese haben damit ein Spielzimmer ausgestattet, nur das Bett fand keine Funktion und wurde einer armen Familie mit einem kranken Kind geschenkt, dass längst ein größeres Bett bräuchte. Langsam blühte Anna wieder auf, langsam wurde sie wieder die Alte. Fröhlich, unbeschwert, nur ein leichter Schimmer von Einsamkeit umgab sie, doch Stefan war zuversichtlich, dass auch dieser verschwinden würde. Bald würde sie wieder voll und ganz seine alte, beste Freundin sein. Es würde zwar auch in Jahren noch schwer sein, ohne Richard zu sein, doch es würde schon klappen. Richard hätte sicher nicht gewollt, dass die Beiden sich so sehr zurückhalten wegen ihm. Und das wurde wohl auch Anna zunehmend bewusster. Sie begann mit der Zeit wieder guter Dinge zu sein, wollte sogar das Zimmer ihres Vaters in einen kleinen Altar umwandeln, da sie nicht wusste, was sie sonst daraus machen sollte. Stefan versprach tatkräftige Hilfe und Anna wusste direkt schon eine Aufgabe für ihn: Katzensitten. Sie wollte das Zimmer erstmal neu streichen und damit Mannie nicht in die Farbe rannte, sollte er bei Stefan bleiben. Der war mit einem Mal doch nicht so begeistert, doch er versprach schließlich, den Kater am nächsten Tag abzuholen. Als er nachfragte, wann der Kater wieder zurücksolle, zuckte Anna lachend mit den Schultern und meinte, sie würde Stefan schon benachrichtigen. Und so saßen beide lachend im Pausenraum während die Kinder endlich das erste Mal wieder draußen spielen durften. Und Stefan fiel nicht auf, dass ihre Lippen langsam lila-blau geworden waren.



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