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Poesie => Hoffnung


D.M.d.B. Kapitel 06 "Eigenschaft des Herzens" - von Aabatyron, 15.09.2008
a potência de caridoso
(Die Macht der Barmherzigkeit)

Eigenschaft des Herzens


Das letzte, an das sich Djego erinnern konnte, als er wieder das Bewußtsein erlangte, war das Bild von Jose, der sich mit dem Messer in der Hand über ihn gebeugt hatte und zum zustoßen gerade ausholte. An den Schmerz, als das Messer an seinem Oberschenkel die Muskeln und Adern vollständig durchtrennte, konnte er sich nicht mehr erinnern. Er wußte nur noch, dass er von einer dieser gefährlichen Giftschlangen gebissen worden war, und eigentlich tot sein müßte. Als er realisiert hatte, dass die gerade in das Gebüsch kriechende Schlange ihre spitzen Zähne in seinen Oberschenkel gebohrt und dort ihr Gift eingespritzt hatte, wurde er sich zum erstenmal in seinem wahrscheinlich nur noch Minuten dauernden Leben bewußt, dass er sich mit all seinem Geld keine einzige Sekunde seines Lebens erkaufen konnte. Das makabere an der ganzen Sache war die Tatsache, dass ihm jetzt in den letzten Sekunden seines Lebens diese auch noch von dem wütenden und aufgebrachten Ehemann von Chonzuela geraubt werden würden. Seltsamerweise konnte er jetzt plötzlich in dieser Situation Jose sogar verstehen. Er hätte in umgekehrter Situation auch nicht anders gehandelt, wenn seiner Familie so viel Leid zugefügt worden wäre.

Wo war er? Er sah sich um und entdeckte viele medizinische Apparaturen. Das mußte ein Krankenhaus sein. Ja, er lag in einem mit weisen Laken überzogenen Bett und eine Klimaanlage spendete wohltuende Kühle. Sein Fuß, schoß ihm der nächste Gedanke durch den Kopf. Ein dicker Verband um seinen rechten Oberschenkel bestätigte ihm, dass ihn dort die Schlange erwischt hatte. Aber wie hatte er den Biss überleben können? – und vor allen Dingen hatte doch Jose, der wütende Ehemann Chonzuelas wie wahnsinnig auf ihn eingestochen. Einer der Ärzte hatte bemerkt, dass ihr Patient inzwischen wieder das Bewußtsein erlangt hatte. Djego wollte ihn um Aufklärung der Situation fragen, konnte aber aufgrund der verabreichten Medikamente nicht sprechen. An den Andeutungen des Arztes entnahm er, dass er sich wieder beruhigen sollte und der Arzt empfahl ihm noch etwas zu schlafen. Er fühlte sich tatsächlich schwach und müde, fiel aber nur in einen Halbschlaf. Immer wieder sah er in seinen Tagträumen die Giftschlange deren Zähne sich gerade in sein Fleisch bohrten. Er hörte seinen Namen rufen, es waren seine beiden Söhne, konnte aber keine Antwort geben. Sie standen neben ihm und unterhielten sich laut darüber, wer von ihnen jetzt das Meiste erben würde. Er sei ja sowieso schon alt und gebrechlich, da wäre es höchste Zeit gewesen, dass er von der Bildfläche verschwinden würde, meinte Alfonso. Er warf seinem Bruder ganz offen vor, dass wenn er vor einem halben Jahr sich nicht so dumm angestellt hätte und dauernd mit seinem blöden Spruch „aber das ist doch unser Vater, das können wir doch nicht machen“ gekommen wäre, könnten sie schon lange das ganze Geld für sich ausgeben. Der Streit der beiden, wer am meisten bekommen würde, wurde in Djegos Traum immer lauter. Als er durch den Lärm, den die beiden verursachten dann doch aus dem Traum erwachte, stellte er überrascht fest, dass dies gar kein Traum gewesen war. Die beiden Streithähne standen neben seinem Bett und stritten sich tatsächlich darum, wer von ihnen wohl am meisten von dem Erbe bekommen würde. So also war ihre Einstellung gegenüber dem Vater. Hatte er die ganze Zeit gedacht, seine beiden Söhne fest im Griff zu haben, so war er jetzt gründlich eines besseren belehrt. Wenn er wieder gesund war, würde er die beiden unwürdigen Lumpen aus dem Haus werfen. Als sie bemerkten, dass ihr Vater inzwischen wach geworden war, hofften sie, dass er nicht zuviel von ihrem Streit mitbekommen hatte. Scheinheilig wünschten sie ihm eine gute Besserung als sie das Krankenzimmer verließen.
Jetzt wollte Djego von den Ärzten wissen, was wirklich vorgefallen, und vor allen Dingen, wie er gerettet worden war. Es war wie ein Wunder, denn bis jetzt hatte noch nie jemand das Gift dieser Schlangenart überlebt. Sie erzählten Djego, dass Jose mit seiner ungewöhnlichen Tat sein Lebensretter sei. Nachdem Jose erkannt hatte, was mit Djego passiert war, hatte er ohne zu zögern sein vom Vater gelerntes Wissen angewandt und sofort die Adern am Fuß die das Blut in den Körperkreislauf zurückführen würden vollständig durchgetrennt. Das mit dem Schlangengift vermischte Blut konnte somit nicht mehr in den Körper gelangen und spritzte mit jedem Herzschlag aus der weit auseinanderklaffenden Wunde. Lieber ein Bein verlieren als das Leben – diese Worte seines Vaters hallten in diesem Moment immer wieder in seinen Gedanken. Er mußte mehrere Schnitte durchführen um sicher den Gifttransport zu verhindern. Den Schmerz spüren würde sein Gegenüber sowieso nicht, die winzige Menge Gift, die bereits in den Blutkreislauf gelangt war, hatte inzwischen schon zur Betäubung des Opfers geführt. Die Wächter des Gutshofes hatten Jose blutverschmiert mit dem Messer in der Hand über ihren Herrn gebeugt entdeckt und natürlich angenommen, dass er ihren Anführer schwer verletzt oder sogar getötet hatte. Um ihn sofort an einem weiteren Zustoßen mit dem Messer zu hindern zerschoß ihm einer das Bein mit dem größten Kaliber das sie mitgenommen hatten. Diese Geschosse waren für die Jagd auf Wildkatzen gedacht und rissen einem kräftigen Mann normalerweise das gesamte Bein vom Körper ab wenn man richtig traf. „Ja, und wo ist dieser Jose jetzt?“, wollte Djego aufgeregt wissen. „Er ist auch hier im Krankenhaus. Allerdings liegt er auf der Notstation bei den Patienten, die kein Geld für Medikamente und Behandlung haben“, klärte ihn der Arzt auf. „Wahrscheinlich amputieren meine Kollegen gerade sein zerschossenes Bein“, fügte er noch hinzu. „Nein, das könnt ihr nicht machen. Ihr müßt ihn hierher verlegen, ich bezahle seine Behandlungskosten und auch die Medikamente“, hörte sich Djego selbst zum Arzt sagen. Was war plötzlich los mit ihm – war sein Gesinnungswandel auf die Wirkung der vielen Medikamente zurückzuführen, oder hatte der Streit seiner beiden Söhne vorher bewirkt, dass er seine soziale Einstellung plötzlich änderte? Der Arzt führte ein kurzes Telefonat. Er konnte Djego beruhigen, die Amputation hatte noch nicht stattgefunden. Djego wußte im Grunde selbst keine Erklärung dafür, aber er wollte unbedingt wissen, warum ihn dieser Mann gerettet hatte. Diese Handlung war mit keiner Logik erklärbar. Richtig gespannt wartete er darauf, bis sich die Zimmertür öffnete und ein Bett mit seinem Lebensretter in den Raum geschoben wurde. An dem blutgetränkten notdürftigen Verband am Bein des Patienten konnte selbst Djego als Nichtmediziner deutlich erkennen, was es für einen Unterschied bedeutete arm oder reich zu sein. Jose lag in dem Bett und war offensichtlich nicht bei Bewußtsein. Viele Verletzungen an den Armen und in seinem Gesicht zeugten von der Brutalität der Schlägergruppe, die selbst dann noch auf ihr Opfer eingedroschen hatten, als dieses schon lange, unfähig sich zu wehren, schwerverletzt am Boden lag. Beschämend wurde sich Djego beim Anblick dieses Mannes bewußt, dass er für dessen Zustand voll verantwortlich war. Jose hatte ihm das Leben gerettet, und er hatte es ihm so gedankt. Die Ärzte mußten alles mögliche tun, um Jose wieder genesen zu lassen. In einer langwierigen komplizierten Operation konnte das Bein von Jose tatsächlich vor der Amputation gerettet werden. Aber richtig laufen konnte er damit mit Sicherheit nie mehr. Jose war kräftig und durchtrainiert, er würde die anderen Verletzungen auf jeden Fall ohne bleibenden Schaden überstehen. Erst nach drei Tagen erlangte Jose das Bewußtsein und war natürlich mehr als verblüfft, seinen Gutsherrn neben sich in einem Krankenbett liegen zu sehen. Er sah Djego nur fragend an. Welches grausame Spiel hatte der sich wieder ausgedacht? Nun, immerhin hatte er die Schläge der Wächter überlebt – nur sein rechtes Bein konnte er nicht mehr fühlen. Panisch kam die Erinnerung zurück, dass er von einer Kugel an diesem Bein getroffen worden war, und als er kurz nach dem Schuß auf die Verwundung geblickt hatte, war dicht oberhalb seines Knies der zersplitterte Knochen und die zerfransten Reste der Beinmuskeln zu sehen gewesen während das Blut in allen Richtungen aus der Wunde spritzte. Nachdem er die ersten Schläge der Aufseher am Kopf abbekommen hatte, war er ohnmächtig geworden. Fast panisch zog er die Bettdecke zur Seite – bestimmt hatten sie ihm sein Bein amputiert. Gottseidank – ein Gerüst aus metallenen Schienen und Verstrebungen, zwischen denen sein Bein mit vielen Stiften und Schrauben gehalten wurde, zeigte ihm, dass sie es doch nicht abgetrennt hatten. Etwas beruhigter zog er die Decke wieder über das Gestell damit es ihn nicht fror. Das war seltsam, es war dem Licht nach zu urteilen bestimmt mitten am Tag, und er lag hier und es war seltsam kühl um ihn herum. Sein Bettnachbar bemerkte offensichtlich seine Verwirrtheit und klärte ihn auf, dass die angenehme Frische von einer Klimaanlage erzeugt wurde. Warum lag er eigentlich hier in diesem Zimmer – das konnte er doch in seinem ganzen Leben lang nicht bezahlen? Djego klärte ihn jetzt darüber auf, dass er alle Kosten übernehmen werde, weil Jose ihm das Leben gerettet hatte. Nun wollte Djego unbedingt wissen, was Jose dazu bewegt hatte so, und nicht anders zu handeln. Jose versuchte es ihm zu erklären. Zuerst habe er von der Wut getrieben tatsächlich vorgehabt, den Peiniger seiner Frau und von ihm mit dem Messer zu töten. Aber als er sah, wie er so hilflos und stumm mit den Augen um Hilfe flehend auf dem Boden gelegen hatte, konnte er es einfach nicht übers Herz bringen, sein wehrloses Opfer zu töten oder an der Wirkung des Schlangengiftes sterben zu lassen. Er hatte von seinen Eltern gelernt, dass jedes Leben sehr wertvoll ist – selbst das unwürdigste. Sein Vater hatte immer gesagt, dass kein Geld der Welt jemand glücklich machen kann, sondern nur ein paar Sekunden Barmherzigkeit würden ausreichen, alles Glück der Welt zu erhalten. Dabei war es völlig egal welcher Schicht man angehörte. Mit Geld konnte man zwar kleine Dinge bewegen, mit Barmherzigkeit war selbst der Schwächste in der Lage, Berge zu versetzen. Jose war sich der Folgen seiner Handlung für seine Familie bewußt, aber egal was es auch für Folgen hatte, einem Menschen helfen zu können war eine Million mal mehr wert, als sich eines einzigen Tyrannen zu entledigen und danach immer mit dem Gedanken leben zu müssen, ein Menschenleben genommen zu haben. Die Dinge, die man mit Geld kaufen konnte, auch wenn jemand unermesslich reich war, waren trotzdem nicht einen Bruchteil dessen Wert, wie die Schätze, die man im Herzen trug: Nächstenliebe, Hilfsbereitschaft, Treue, Barmherzigkeit. „Nimm dein ganzes Geld, nicht eine dieser Eigenschaften kannst du dir davon kaufen“, klärte er Djego über seine Beweggründe, warum er ihm geholfen hatte, auf. „Du brauchst sie auch gar nicht zu kaufen, jeder Mensch bekommt sie bei der Geburt geschenkt – nur mußt du sie in dein Herz lassen“ , verriet er seinem Bettnachbarn. Djego hatte diese Einstellung von Jose sehr nachdenklich gemacht. „Ja, den reichen Leuten fällt es manchmal schon schwer, solche Dinge zu verstehen. Aber es mag zwar seltsam klingen, aber wenn du dein Herz gegenüber solchen Eigenschaften öffnest, wirst du dich nachher sogar über deinen Reichtum freuen können“. Seltsamerweise mußte Djego ihm in diesem Punkt recht geben. Er hatte bisher in seinem Leben mit Geld alles bekommen – glücklich war er trotzdem nie gewesen, und richtige echte Freunde gab es eigentlich bei ihm auch nicht. Der bisher einzigste Moment in seinem Leben, wo er echtes Glück und Freude empfunden hatte, war der Moment als er im Krankenhaus aufgewacht war und festgestellt hatte, dass er noch lebte. Diesen Zustand hatte er aber tatsächlich nicht mit Geld erkauft – nein, es war wirklich nur der kurze Augenblick erfahrener Barmherzigkeit gewesen, die ihn in diesen Zustand versetzt hatte.

Sehr traurig darüber, dass er von seinen Eltern diese Eigenschaften nicht mitbekommen, und er bisher auch noch nie sich mit einem Gedanken mit solchen Dingen befasst hatte, resignierte er zu Jose gewandt: „Ich glaube, dass obwohl du kein Geld hast, bist du viel reicher als ich“. Jose lag lange Zeit schweigsam in seinem Krankenbett bis er plötzlich die Frage an Djego stellte: „Und warum bezahlst du dann meine Behandlungskosten und die Rechnung für meine Medikamente? Nur weil ich dir das Leben gerettet habe – das hätte ich für jeden anderen auch getan“. Es fiel Djego schwer, darauf eine Antwort zu finden – verdammt, er wußte es ja selbst nicht warum er sich plötzlich so verhielt. Vor ein paar Wochen wäre es ihm noch egal gewesen, wenn einer seiner Arbeiter irgend wo verblutet wäre. Eine mögliche Antwort könnte sein, dass er unbedingt den Grund für Joses Handlungsweise wissen wollte. Kurz hatte er auch Mitleid mit dem von ihm geschundenen Mann gespürt – er konnte es nicht sagen, was ihn letztendlich dazu bewogen hatte, dass es für ihn plötzlich so wichtig war, dass Jose wieder gesund wurde. Das Leben war hart und man mußte sich einfach in der Gesellschaft durchsetzen – das war halt einfach so, und genau nach diesem Grundsatz hatte er bisher gelebt. Dass ihn einmal etwas so zum nachdenken zwingen würde, hatte er sich nie vorher vorstellen können.

Jose erklärte ihm, dass die Kraft und der Durchhaltewille der Farmarbeiter nur von der Kraft des Herzens kam – wie sonst hätten sie auch tagtäglich die schweren Arbeiten ohne Klagen bewältigen können. Die Kinder konnten sich bedingungslos auf ihre Eltern verlassen und umgekehrt. So etwas konnte man sich mit Geld nicht kaufen. Da hatte Jose tatsächlich recht. Djego fiel sofort das Streitgespräch seiner beiden mißratenen Söhne an seinem Krankenbett ein – leider waren dies Eigenschaften, die sie vom ihm gelernt hatten. Bestimmt brauchte sich Jose im Alter einmal keine Gedanken darüber zu machen, ob und wann er von seinen Kindern von den Klippen gestoßen wurde. Wenn der Schlangenbiss auskuriert war, mußte er dringend auf der Farm viele Dinge ändern.


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