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Herzblut - Kap. 8 - von Paglim, 01.09.2008
Die Sonne musste mittlerweile ihren höchsten Punkt erreicht haben, doch davon war unter der dichten Wolkendecke nichts zu sehen. Es war kalt und windig, der Herbst war ungewöhnlich früh und schnell gekommen.
Daved wunderte sich, dass er sich über das Wetter Gedanken machte.
„…und die Ausbildung müssen wir beschleunigen. Wir haben nicht mehr viel Zeit. Auch die Frauen müssen intensiven Unterricht erhalten. Wir benötigen Feldscher und Kräutermischer und die Alchemisten brauchen Unterstützung zur Herstellung der Feuerteppiche. Des Weiteren… Daved, hörst du mir eigentlich zu?“
Der Angesprochene seufzte auf und wandte den Blick missmutig von den winzigen Runen ab, dem Abt zu, der auf Daveds Pritsche saß und ihm einen missbilligenden Blick zuwarf.
Er beschloss, die Frage nicht zu beantworten.
„Können wir diese Sache nicht einfach beenden?“, gab er stattdessen zurück.
Feldokar ließ ein verärgertes Schnauben vernehmen.
„Daved, darüber haben wir bereits gesprochen. Es ist gleich, ob wir den Barbaren das Buch geben oder nicht, sie werden uns angreifen, schon allein aus Rache, und wir müssen uns verteidigen.“
„Raggar, sie nennen sich Raggar“, murmelte der junge Mönch. Er blickte den Abt nicht mehr an, sondern sah aus dem Fenster.
„Wie auch immer“, gab Feldokar zurück und machte eine wegwerfende Handbewegung. „Jedenfalls haben wir keine Wahl mehr. Und du darfst bei alledem auch nicht unser Ziel vergessen. Wir tun das hier für die Menschen.“
„So ist es“, antwortete Daved wütend. „Doch ich hätte dich nie einweihen sollen. Deine Vorschläge waren bislang alles Andere als wirksam. Menschen sind gestorben!“
Der Abt zuckte zusammen, als wäre er geschlagen worden.
„Das weiß ich.“ Auch in seiner Stimme war nun Zorn zu hören. „Es tut mir unaussprechlich leid für diese armen Seelen, doch das waren Unfälle, die niemand vorhersehen konnte. Und im Übrigen entstanden sie aus deiner Unfähigkeit, mit diesem Buch umzugehen!“
Die Hand, die er anklagend auf Daved richtete, zitterte leicht. Dieser warf ihm nur einen kurzen Blick zu, dann sah er wieder aus dem Fenster. Feldokars Anklage machte ihm nichts aus, vielmehr waren es die Vorwürfe, die er sich selbst machte, die immer wieder an seinem Gewissen nagten. Er sagte nichts.
„Du musst gehen“, fuhr der Abt schließlich etwas ruhiger fort. „Weder du noch das Buch ist hier länger sicher.“
Daved nickte. Er wusste das, doch noch war es nicht an der Zeit. Er schwieg weiter.
Nach längerer Zeit ohne eine Antwort, sprach der Abt weiter:
„Und lass die Anstrengungen mit Ludger sein. Du wirst nicht zu ihm durchdringen können. Wirst du mir endlich erklären, was du dir von all der Mühe mit ihm und Khalid erhoffst?“
„Nein“, gab Daved zurück.
Feldokar schien auf mehr zu warten und mit jeder verstreichenden Sekunde des Schweigens stieg mehr Zornesröte in sein Gesicht.
„Ich rate dir, etwas mehr Respekt zu zeigen, Junge!“, brüllte er schließlich. „Glaube ja nicht, dass du dir Alles erlauben kannst nur wegen deiner Fähigkeiten. Auch du hast dich hier an die Regeln zu halten wie alle Anderen…“
Daved schloss die Augen und verbannte Feldokars Worte aus seinem Bewusstsein. Er hatte rasende Kopfschmerzen.
Es dauerte eine Weile, aber schließlich signalisierten ihm der laute Knall der Türe und die anschließende ersehnte Ruhe, dass es vorbei war.
Der erleichterte Mönch wandte seine Aufmerksamkeit wieder der Schrift auf seinem Pult zu. Auch wenn das mühsame Entziffern und Übersetzen der Hauptgrund für seine ständigen Kopfschmerzen, die Appetit- und Schlaflosigkeit war, konnte und wollte er damit nicht aufhören. Er hatte wieder gut zu machen, was er hatte tun müssen.
Als der Mönch gerade wieder in das Mysterium des Pak versunken war, klopfte es an der Tür. Verärgert schlug er das Buch zu und ließ es in einer Lade seines Schreibpults verschwinden, bevor er den ungebetenen Gast hereinbat.
Daved schluckte schwer, als er in Ludgers teilnahmsloses und bleiches Gesicht blickte. Ein heißer Stich fuhr durch sein Herz. Er würde sich nie verzeihen können, was er diesem jungen Mann angetan hatte.
Könnte ich dir doch nur sagen, dass dein Bruder noch lebt, dachte er bei sich, doch er wusste, dass dies unmöglich war. Nun, zumindest würde es bald alles vorbei sein.
Eine ganze Weile herrschte Schweigen, während Ludger im Türrahmen stand, ohne die Zelle zu betreten.
„Wir sollten kämpfen“, sagte er schließlich tonlos und Daved nickte und erhob sich.
Es bestand also noch eine Chance, dass alles wieder ins rechte Lot gerückt werden würde, das war gut. Er durfte sich nur nicht noch einmal von Ludger überraschen lassen.
Wortlos folgte Daved dem Novizen den Gang hinunter.

„Welche Tageszeit haben wir?“, fragte Khalid und zog den Umhang enger um sich. Der Hagel hatte nachgelassen, doch der Wind pfiff immer noch beißend in jede Lücke seiner Kleidung. Dazu war es so düster, dass kein Sonnenstand auszumachen war und Khalid wusste nicht, wie lange er geschlafen hatte, nachdem Hilda ihn… nun, was hatte sie eigentlich gemacht?
„Der Mittag ist vorbei, vermute ich“, brummte Haldir neben ihm.
Khalids Blick glitt hinüber zu Hilda, die, in einen wärmeren Umhang gekleidet mit einem Sack über der Schulter hängend, offensichtlich bereits zur Abreise war.
„Können wir dann aufbrechen?“, fragte sie, als hätte sie seine Gedanken gelesen. „Das Wetter wird nicht besser werden, falls du das vermutest, und ich denke, wir haben keine Zeit zu verlieren.“
Khalid nickte. Er war noch immer schrecklich erschöpft, doch auch ihn hielt es nicht länger. Er musste Ludger sehen und ihn warnen, sie durften wahrlich keine Zeit verschwenden.
„Können wir zumindest noch etwas essen?“, fragte er, sich den schmerzenden Bauch haltend.
Hilda stöhnte entnervt auf, nahm den Beutel von der Schulter, wühlte eine Weile darin und reichte ihm dann ein Stück Brot. Es war hart und trocken, aber essbar und der Halbraggar war ihr dankbar dafür.
„Das ist das letzte Mal, dass ich dir etwas gebe“, fügte die Druidin hinzu. „Wir haben nichts zu verschenken, unterwegs wirst du dich selbst versorgen müssen, genau wie ich.“ Sie wandte sich Haldir zu. „Also dann Vater, leb wohl. Ich werde in einigen Wochen zurück sein und das Pak mitbringen. Ich werde die Schande wieder gutmachen, die ich über unsere Familie gebracht habe, das schwöre ich dir.“
Der Hüne lächelte. Khalid fand, dass es fehl am Platze auf Haldirs Gesicht wirkte.
„Gib auf dich Acht, meine Tochter, und du auch, mein Schwesternsohn. Ich werde darauf warten, dass ihr wohlbehalten zurückkehrt.“
Mit einem letzten Nicken wandte sich Hilda um und marschierte ohne ein weiteres Wort los. Erneut musste Khalid sich beeilen, um mit ihr Schritt zu halten.
Er konnte nicht viel von der Siedlung sehen, außer, dass sie aus vielen Langhäusern verschiedener Größe bestand, an die meist Ställe angeschlossen waren. Er sah kein lebendes Wesen, weder Mensch noch Tier, auf den Wegen.
„Wo ist Weißdorn?“, keuchte er, als er zu der Druidin aufgeschlossen hatte.
„Mach dir keine Sorgen, er ist in der Nähe“, gab diese zur Antwort, ohne ihn anzublicken.
Wut stieg in Khalid hoch. Er hatte langsam genug von Hildas kalter Art, mit ihm umzugehen.
„Hör mir zu, Hilda! Wir haben denselben Feind“, rief er. „Also lass deinen Hass mir gegenüber bleiben, ich habe nichts gegen dich verbrochen.“
Nun blickte die Raggar ihn doch an. Sie schenkte ihm einen langen, verächtlichen Blick, bevor sie ihre Aufmerksamkeit wieder dem Weg zuwandte.
„Du bist ein Narr, Khalid, genau wie alle Menschen aus dem Süden. Du magst vielleicht der Bastard einer Raggar sein und ein Tyrgolan noch dazu, doch für mich bist du nichts als ein verweichlichter Wurm aus dem Süden. Und du hältst mich auf, ohne dich wäre ich doppelt so schnell unterwegs. Ich habe dich nur mitgenommen, weil mein Vater es gewünscht hat. Ich war bereits auf dem Weg zu eurem Kloster, als ich dich gefunden habe. Es wäre besser gewesen, wenn ich dich deinem Schicksal überlassen hätte, Verwandtschaft hin oder her.“
„Nein, wäre es nicht. Dein Vater hat ganz Recht damit, dass wir zusammen reisen sollen. Ohne mich würdest du nicht in das Kloster gelangen nach allem, was passiert ist.“
Hilda lachte kurz humorlos.
„Vielen Dank, Khalid. Jetzt erkenne ich, was für eine enorme Bedeutung du für mich hast. Es wird ein Leichtes, mit dir in das Kloster zu gehen und Daved nett zu bitten, uns das Pak zu übergeben.“
Die Raggar blieb stehen und blickte ihn an.
„Hör nun mir zu, Khalid!“, sagte sie mit mühsam unterdrückten Zorn, „Es ist schlimm genug, dass wir überhaupt gemeinsam reisen müssen. Erspare mir deine Freundschaftsangebote. Lass mich einfach in Frieden.“
Khalid schluckte als er in ihrem Blick die Wut und den Hass sah, die beide bereit waren, sich auf den Nächsten zu entladen. Doch da war noch mehr, hinter all dem Zorn war da Schmerz. Sie wirkte wie ein verletztes Raubtier.
Sie hasst sich selbst für das, was passiert ist, ging es Khalid durch den Kopf. Er nickte nur und Hilda setzte ihren Marsch fort.
Dem Halbraggar blieb erneut nichts weiter übrig, als ihr zu folgen.

Alef saß auf dem niedrigen grasbewachsenen Hügel und sah zu, wie sich die Dämmerung langsam auf das Land senkte und die letzten Strahlen der orange-roten Sonne hinter dem Horizont versanken.
Es war still hier und er genoss das.
Hier konnte er allein seinen Gedanken nachhängen, ohne die Hektik, die nun im Kloster herrschte. Natürlich ließ seine Wachsamkeit dabei zu keinem Zeitpunkt nach.
Da er zu jung war, um zum Kämpfer trainiert zu werden, hatte Alef darum gebeten, zu den Spähern gehören zu können, die in einem großen Kreis rund um das Lauranerkloster nach Anzeichen der raggarschen Armee Ausschau hielten.
Es hatte ihn einiges an Überzeugungskraft gekostet, bevor man dies zuließ. Der Junge verstand nicht, wieso. Er war klein, gelenkig, schnell und er hatte gute Augen. Er war besser für diese Aufgabe geeignet als die meisten Erwachsenen.
Man hatte ihm eingeschärft bei jedem Anzeichen von Gefahr sofort zum Kloster zu flüchten und auch die anderen Späher zu warnen (als hätte er das nicht selbst gewusst), doch im Augenblick war Alles friedlich.
Dennoch, der erwartete Angriff konnte jederzeit kommen. Und dann...Alef wusste es nicht so recht. Vermutlich würden sie sich im Kloster verbarrikadieren und dann würde gekämpft werden. So wie mit den Bären. Der Junge schauderte.
Er hatte viel Zeit hier draußen und seine Gedanken gingen bisweilen seltsame Wege. So dachte er viel über den Tod und das Sterben nach. Er hatte gesehen, wie Menschen getötet wurden mit all dem Blut und den Schreien. Was es bedeutete, zu sterben, das ging über seine Vorstellungskraft.
Aber er hatte Angst, fürchterliche Angst davor.

Auch Ludger blickte in die heraufziehende Nacht.
Prüfend bewegte er die linke Hand. Der Bruch war sauber verheilt, die Bewegung noch etwas steif und schmerzhaft, aber das würde hoffentlich auch bald vergehen.
Er war erschöpft, jeder Muskel an seinem Körper schmerzte ihm, doch das erfüllte ihn nur mit grimmiger Befriedigung. Den halben Tag hatte er mit Daved geübt, danach noch einige Zeit alleine.
Nur ein paar Tage noch und er würde bereit sein, die Barbaren gebührend zu empfangen.
Das bringt ihn auch nicht zurück.
Der Novize schüttelte den Kopf, als könne er den Gedanken so vertreiben.
Und sie auch nicht.
Es stimmte. Sie würden nicht zurückkommen, beide würden nicht zurückkommen. Aber wenn er erst einmal seine Rache hätte, würde auch sein Geist endlich zur Ruhe kommen.
Bist du dir da ganz sicher?
Nein, das war er nicht. Das konnte er nicht sein. Aber was sollte er tun? Welche Wahl hatte er denn?
Die Stimme schwieg. Auch sie wusste darauf keine Antwort.
Ludger stand auf und ging zu dem Bett, in dem sein Bruder einst schlief. Seine Hand strich über die Decke. Sie war kalt.
Ohne es recht zu wollen, setzte er sich auf die Pritsche und nahm die Decke auf den Schoß. Sie trug noch die Erinnerung an den Duft seines Bruders.
Dann kam sie wieder, die Stimme. Und sie stellte die Frage, die er die ganze Zeit befürchtet hatte.
Was, wenn sie dich jetzt sehen könnten? Glaubst du, sie würden das wollen?
Ludger vergrub den Kopf in der Decke, leugnete die Tränen, die ihm die Wangen herabliefen.
Weinen ist falsch, ist gefährlich, mach IHN nur wütend.
Nein, er war weit fort von seiner Heimat. Weit fort von IHM. Er konnte ihm nicht weh tun.
Es ist falsch. Reiß dich zusammen, du Schwächling! Was soll dein Bruder nur denken?
Doch er war tot, Khalid war tot, er hatte selbst seine Leiche gesehen.
Bist du dir sicher?
Der Novize ignorierte die bohrende Stimme und ließ den Tränen freien Lauf, in der Hoffnung, sie würden die Angst und den Schmerz fortspülen.

Grimmig kaute Khalid auf dem alten Stück Brot herum, dem letzten, das er noch in seiner Tasche hatte finden können und starrte dabei auf das saftige Stück Fleisch, dass Hilda in ihren vor Fett triefenden Händen hielt.
Weißdorn lag neben ihr nagte an den letzten Resten seines Anteils des Hasen, den er gerissen hatte, herum.
Doch Khalid sagte nichts. Er wäre lieber ein Dutzend Tode gestorben, bevor er Hilda bäte, ihm etwas abzugeben. Die junge Druidin riss das Fleisch genüsslich vom Knochen und war sich nicht einmal zu schade dafür, ihrem Gegenüber immer wieder hämische Blicke zu zuwerfen.
Dann plötzlich, als sie ungefähr die Hälfte des Fleisches vertilgt hatte, war sie den Rest dem Halbraggar auf der anderen Seite des kleinen Feuers zu, welcher die unerwartete Gabe instinktiv auffing und Hilda einen verwirrten Blick entgegen sandte.
„Du hast Stolz, das muss man dir lassen,“ lachte die Raggar. „Nun, vielleicht hast du doch etwas von deiner Mutter geerbt.“
Khalid verzog die Mundwinkel, nicht sicher, was er von dieser Aussage halten sollte. Kurz überlegte er, Hilda das Almosen vor die Füße zu werfen, doch so weit ging sein Stolz nun doch nicht und das gebratene Fleisch duftete einfach herrlich.
Die Raggar schien seine Gedanken gelesen zu haben, als sie sagte: „Iss nur. Du wirst deine Kraft brauchen, wenn wir in diesem Tempo weiterreisen möchten.“
Was sie sagte, war richtig. Die Geschwindigkeit, die Hilda bei ihrer Abreise an den Tag gelegt hatte, behielt sie bis zum Abend bei und Khalid war völlig erschöpft.
„Warum bist du plötzlich so großzügig und freundlich?“, fragte er, bereute es aber sogleich wieder, als er sah, wie sich Hildas Blick verdüsterte.
„Wir können das auch gleich wieder ändern, wenn dir das lieber ist!“, gab sie zurück, woraufhin der Halbraggar entschuldigend die Hände hob.
„So war das nicht gemeint. Aber heute morgen warst du ganz anders und seitdem haben wir nicht mehr gesprochen.“
„Bilde dir ja nichts darauf ein. Ich verachte dich immer noch.“
Khalid zuckte mit den Schultern. Damit hatte er gerechnet und er konnte auch durchaus damit leben. Er wartete, bis Hilda fortfuhr.
Diese blickte zur Seite, zu ihrem wölfischen Begleiter hin. Sie lächelte leicht, als sie sah, wie das Tier sich die Vorderpfoten leckte in Erinnerung an den Geschmack des Fleisches, das zuvor darauf gelegen hatte.
„Weißt du, Weißdorn und ich, wir jagen zusammen, teilen Alles, beschützen uns gegenseitig. Keiner ist wertvoller als der Andere. Und wir vertrauen uns in jeder Hinsicht.“ Sie sah wieder zu Khalid. „Dir vertraue ich nicht.“ Sie hob die Hand, bevor Khalid etwas einwenden konnte. „Noch nicht. Aber immerhin bist zu zur Hälfte einer der Unsrigen. Und auch wenn ich nicht weiß, wieso du aus dem Kloster unserer Feinde stammst, so ist es doch am nützlichsten, wenn wir zusammenarbeiten, zumindest für die Zeit, in der wir uns nicht aus dem Weg gehen können.“
Khalid nickte, aber innerlich verdrehte er die Augen. Das hatte ja schon eine Weile gedauert, bis Hilda auf diesen außergewöhnlichen Gedanken gekommen war.
„Du bist meine Base, Hilda,“ sagte er eindringlich. „Natürlich kannst du mir vertrauen. Ich würde es nicht missbrauchen, schließlich sind wir verwandt. Und die Tatsache, dass ich im Lauranerkloster aufgewachsen bin, ist nichts als Zufall.“
Die Druidin zuckte nur mit den Schultern.
„Wir werden ja sehen.“
Damit war die Unterhaltung vorläufig beendet und Khalid aß schweigend und genüßlich das schon leicht kalt gewordene Fleisch.
„Sag mal, als du mich schlafen gelegt hast gestern“, sagte er schließlich, während er sich das letzte Fett von den Fingern leckte. „Da hast du doch Magie benutzt, oder?“
Hilda nickte. „Wenn du es als Magie bezeichnen möchtest...“, sagte sie einschränkend.
„Nun, aber ich dachte, ihr hättet alle Macht verloren?“
Die Raggar brummte verärgert auf.
„Du hast wirklich ein Talent, die falschen Fragen zu stellen. Jedenfalls haben wir Druiden immer noch einen Teil unserer Kraft behalten und in diesem Fall habe ich nichts weiter getan, als deinen ohnehin schon müden Körper zu überzeugen, sich endlich auszuruhen. Ich habe die Sache nur ein wenig beschleunigt, mehr nicht.“
Erneut nickte Khalid. Er wusste nicht genau, wie er sich das vorzustellen hatte, doch es war gut, zu wissen, dass Hilda noch einige Kräfte hatte, die sie im Notfall einsetzen konnte.
Nach einigen weiteren Momenten peinlichen Schweigens, murmelte die Raggar plötzlich:
„Er muss sehr vorsichtig sein.“
Khalid blickte auf. „Wer?“
„Daved.“ Hilda blickte zu Boden, während sie sprach. „Das Pak zu benutzen ist nicht ungefährlich, vor Allem, wenn man das Wissen nicht besitzt.“
„Wieso?“, fragte Khalid verwirrt und erntete ein humorloses Lachen seiner Base.
„Glaubst du etwa, solch eine Macht kommt ohne einen Preis daher? Das Pak nährt sich von dem Geist und vor Allem den Säften eines Menschen.“
„Wie muss ich mir das vorstellen?“
„Wir Druiden nutzen die Macht des Pak nur selten und mit äußerster Vorsicht,“ erzählte sie und fing an, mit einem Stock Kreise in die Erde zu zeichnen. „So halten wir nicht nur das Gleichgewicht der Natur aufrecht, wir schützen uns auch selbst. Das Pak erkennt, welche Motive ein Mensch hat, wenn dieser seine Macht nutzt. Und je nachdem, welche Motive das sind, wird der entsprechende elementare Saft aus dem Menschen gezogen und dem Pak einverleibt. Das ist eine der Quellen der Macht dieses Artefakts.“
„Heißt das, wenn ein Mensch aus Liebe zu Anderen die Macht des Pak nutzt, so wird er irgendwann...blutleer?“
„So ist es,“ bestätigte Hilda grimmig. „Dasselbe gilt für Galle bei Taten aus Hass, Neid, Zorn und so weiter, für Speichel, wenn die Macht für den reinen Überlebenskampf eingesetzt wird und...nun ja, für Schweiß, falls jemand die Macht zu...Fortpflanzungszwecken einsetzen sollte...was ich mir nicht wirklich vorstellen kann.“
„Aber stirbt man dann nicht?“, fragte Khalid fassungslos, doch die Raggar schüttelte den Kopf.
„Nein, das Band zum Pak hält diesen Menschen trotzdem am Leben, so lange, bis seine Zeit gekommen ist.“
Der junge Mann geriet ins Grübeln. Wie würde Daved aussehen, wenn sie ihm gegenüberständen? Er wusste nichts von den Motiven des Mönchs, konnte sich aber nicht vorstellen, dass es gute waren. Konnte man solch einen Menschen bekämpfen? Und überhaupt, wie würden sie das Pak bekommen, wenn sie einmal im Kloster wären?
Hilda legte sich an der Seite des Feuers auf den Boden. Es war noch immer unangenehm kalt, doch die Druidin schien sich nicht weiter daran zu stören.
„Wir sollten jetzt ein wenig schlafen“, beschloss sie. „Weißdorn wird dabei über uns wachen.“
Khalid stimmte ihr zu, war sich aber sicher, dass er nicht schlafen können würde. Doch als er sich auf den kalten Boden legte, den Arm als Kissen nutzend, war er innerhalb weniger Augenblicke eingeschlafen. Nur ein Gedanke ging ihm noch durch den Kopf.
Was, wenn sie zu spät kommen würden?
Er fand keine Antwort darauf.

Von nun an verlief die Reise wesentlich angenehmer, wenn auch nicht weniger schweigsam. Nicht, dass Khalid sich daran gestört hätte, er genoss vielmehr die Ruhe. Die meiste Zeit war ihm so oder so nicht zum Reden zumute, die Sorge um Ludger und das Kloster saß ihm ständig im Nacken. Außerdem kostete Hildas zügiges Reisetempo ohnehin jeden Atemzug.
Aufgrund der strammen Geschwindigkeit der Raggar, sowie ihrer gute Kenntnis des Landes erreichten sie schon am Morgen des zehnten Tages nach ihrer Abreise das Nordufer des Issin.
„Wir sind zu einem günstigen Zeitpunkt hier angekommen“, bemerkte Hilda. „Bei Nacht würde ich den Issin nicht überqueren wollen. Und das Floss befindet sich auch auf dieser Seite.“
Khalid erkannte an dem provisorischen Knoten, dass sich das Floss seit seiner Ankunft nicht von der Stelle bewegt hatte. Er war überrascht, dass es tatsächlich gehalten hatte, dankte aber im Stillen seiner Voraussicht (oder eben dem Tyr), denn sonst wäre es schwierig geworden, über den Fluss zu kommen.
„Ist das Heer nicht hier entlang gekommen?“, fragte der junge Mann verwundert.
Hilda schüttelte den Kopf. „Sie sind weiter östlich losgereist und daher werden sie auch den Fluss weiter östlich überquert haben. Komm, lass uns keine Zeit verlieren!“
Die Fahrt mit dem Floß war nicht weniger anstrengend als beim letzten Mal, auch wenn sie sich an der Antriebsstange abwechselten. Das höhere Gewicht erschwerte das Vorankommen um ein Vielfaches und der Issin war an diesem Tag sehr unruhig.
Weißdorn schien das Ganze wenig geheuer zu sein, er kauerte sich in der Mitte des Floßes zusammen und winselte jedes Mal, wenn Wasser auf das kleine Gefährt schwappte.
Die Sonne erreichte an diesem, für die letzte Zeit ungewöhnlich warmen, Tag gerade den höchsten Stand, als sie am Südufer ankamen. Erleichtert, erschöpft, schwitzend und durchnässt stieg Khlaid auf den Steg und schwor sich, niemals wieder zu versuchen, diesen Fluss zu überqueren.
„Gut“, kommentierte Hilda, die wenig erschöpft schien. „Wir können heute noch ein Stück vorankommen und morgen Abend das Kloster erreichen.“
„Ich hoffe, wir sehen das Heer vorher“, murmelte der Halbraggar.
„Hoffe lieber, dass wir es sehen, bevor die Späher uns entdecken. Ich möchte nicht wissen, was sonst mit uns geschehen wird.“
„Aber du bist eine Druidin, warum sollten sie dir etwas antun?“, fragte Khalid verwirrt.
„Ja, das ist wahr, aber es ist mir auch verboten worden, dass Heer zu begleiten.“
„Nun, du begleitest das Heer nicht, du…folgst ihm.“
„Das tut nichts zur Sache“, entgegnete Hilda energisch. „Versuche nicht, es zu verstehen, Khalid. Du bist mit unseren Bräuchen nicht vertraut.“
Der junge Halbraggar zuckte mit den Schultern und beließ es dabei. Es war nicht der rechte Zeitpunkt, sich über so etwas Gedanken zu machen.

Die geschwärzte Ruine zeigte in den Himmel wie ein mahnend erhobener, doch verkohlter Finger. Noch immer stieg Rauch auf, die Hitze war deutlich zu spüren. Das Feuer war erst vor kurzem erloschen, vermutlich erst in der vergangenen Nacht.
Voller Entsetzen blickte Khalid auf die Überreste der Klosterkreuzung. Schon als sie an diesem Morgen den Wald verlassen hatten, hatten sie am Himmel Rauchschwaden gesehen.
„Diese Narren“, murmelte Hilda bei dem Anblick. „Ihre Wut auf das Kloster muss sie rasend gemacht haben. Und da wundern sie sich über unseren schlechten Ruf. Nun, wie auch immer, wir sollten uns beeilen. Komm!“
Khalid schauderte. Er hoffte inständig, dass Samuel und Gilla rechtzeitig geflohen waren. Er mochte nicht daran denken, was die Raggar mit ihnen gemacht hätten.
Er konnte es sich nicht leisten, das Haus nach den Beiden zu durchsuchen. Wenn dies ein Zeichen war für das, was dem Kloster drohte…Er ließ den Gedanken unvollendet.
Hilda hatte Recht, sie mussten sich beeilen.
Hastig lief der Halbraggar hinter der großen Frau, die schon ein gutes Stück voraus war, her.
Und zum ersten Mal in seinem Leben betete er inständig zu Laurane und den anderen Heiligen, auf dass sie nicht zu spät kommen mochten.

Verträumt beobachtete Alef die sinkende Sonne, die das Land wieder in ein feuriges Licht tauchte. Er lag schon den halben Tag auf seinem Beobachtungsposten und hoffte, dass bald jemand kommen würde, ihn abzulösen.
Sein Magen knurrte protestierend, da er heute sein Proviant viel zu früh aufgebraucht hatte.
Der Junge setzte sich gerade auf und blickte zurück in Richtung des Klosters, doch es war niemand zu sehen, der sich auf ihn zu bewegte. Missmutig wandte er seine Aufmerksamkeit wieder der weiten Ebene vor sich zu.
Etwas war seltsam.
Alef strengte seine Sinne an, doch er sah und hörte nichts.
Es war so still. Warum war es so unheimlich still? Wo waren all die Vögel hin?
Dann spürte er es.
Wie das Rumoren eines gigantischen Körpers sandte die Erde leichte Erschütterungen zu ihm, die er mit den Fingerspitzen gerade noch wahrnehmen konnte.
En kalte Hand der Furcht schloss sich um Alefs Brust.
Was war das?
Seine Frage sollte binnen Kurzem beantwortet werden, als der Horizont sich verfinsterte von einer dunklen Welle, die sich langsam vorwärts schob.
Das sind Menschen, schoss es dem Jungen durch den Kopf. Das sind alles Menschen! Bei allen Heiligen, das ist ein riesiges Heer!
Schließlich hörte er es. Wie ein gewaltiges, nicht abebben wollendes Donnergrollen dröhnte das Stampfen tausender schwerer Stiefel zu ihm.
Sie kommen, dachte er entsetzt und schließlich kam es ihm auch über die Lippen.
„Sie kommen!“
Zum Glück reagierte sein Körper von selbst und trieb ihn zur Flucht in Richtung des Klosters.
„Sie kommen!“, rief er dabei immer wieder. „Die Barbaren kommen!“



©2008 by Paglim. Jegliche Wiedergabe, Vervielfaeltigung oder sonstige Nutzung, ganz oder teilweise, ist ohne vorherige schriftliche Genehmigung des Autors unzulaessig und rechtswidrig.

Kommentare


Von Jason-Potter
Am 06.09.2008 um 08:48 Uhr

Was mit an deiner Geschichte besonders gut gefällt, sind die zwei verschiedenen Blickwinkel aus der man die Barbaren und die Klosterbewohner betrachten kann, wodurch der Leser sich fragt, warum tun sie sich das gegenseitig an. Und auch das Verhältnis zwischen Khalid und Hilda ist mehr als interessant - werden sie noch irgendwie Freunde, wie wird Ludger reagieren, wenn er eventuell Khalid mit Hilda erblickt. Und die vielen Intrigen die das ganze Konstrukt erst in Bewegung setzen - von wem gehen sie aus. Wer ist der große Bösewicht, für den sich so viele blindlings ins Verderben stürzen, wer wird ihn aufhalten und wird Khalid ihn erkennen.
Es tun sich sehr viele Fragen auf und das finde ich gut.


Von Paglim
Am 04.09.2008 um 08:07 Uhr

Danke Nana, ich geb mein Bestes, aber in der nächsten Zeit wirds langsamer vorangehen, hab leider ne Hausarbeit zu schreiben und dir wird meine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen.

Und @ Aabatyron: Freu mich schon, zu hören, was du von der Geschichte bislang hälst :)


Von Nymphadora
Am 03.09.2008 um 11:14 Uhr

Es gibt nur einen Kritikpunkt. Ich mache es kurz und knackig.
Du hast nicht genug geschrieben, mehr davon!!!


Nana Nymphadore


Von Aabatyron
Am 01.09.2008 um 17:00 Uhr

...habe mich mal kurz in das Kapitel reingelesen. Also alle Achtung - dein Schreibstiel gefällt mir echt gut.
Da werde ich wohl bei Gelegenheit auch die anderen Kapitel noch lesen müssen.


Werner May (Aabatyron)

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