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Prosa => Phantasy & SciFi


Herzblut - Kap.7 - von Paglim, 07.08.2008
7
Khalid erwachte nur langsam. Die chaotischen, düsteren Träume schienen ihn nicht loslassen zu wollen, hefteten sich an ihn wie blutsaugende Schmarotzer.
Da war Ludger, der an zwei Gräbern stand. Und Khalid blickte ihn an, doch sein Gesicht war schwarz und verfault und Würmer krochen darin und bohrten sich langsam hinunter in sein Herz. Und Blut floss, Blut, das Seen bildete und reißende Flüsse. Blut, das die Welt überschwemmte, bis sein Blick von diesem Rot ausgefüllt war, einem Rot, das den Lippen des Sukkub glich.
Es wurde warm.
Das große Feuer, das nur wenige Handbreit von seinem Gesicht entfernt brannte, tanzte fröhlich und ließ die Scheite knacken. Vereinzelte Funken stoben in seine Richtung, glühten noch einmal auf, bevor sie auf dem Boden erloschen.
Khalid beobachtete dieses Schauspiel eine Weile fasziniert, nicht sicher, ob er bereits wach war oder noch träumte. Doch dann trat ein Schatten in sein Blickfeld und mit einem Mal war die Erinnerung wieder da. Grimmig und ein wenig selbstzufrieden blickte Hilda auf ihn herab.
„Du bist also wach, wie schön!“
Der am Boden Liegende versuchte, sich aufzurichten, was sich als nicht so einfach herausstellte, da, wie er jetzt erst bemerkte, seine Hände vor dem Oberkörper gefesselt waren.
„Was ist passiert?“, rief er, als er es schließlich geschafft hatte, sich in eine sitzende Position zu begeben. Er registrierte nun, dass auch seine Beine gefesselt waren, daher versuchte er gar nicht erst, aufzustehen. „Wo sind wir? Und was soll das alles?“
Hilda grinste nur und sagte nichts, sondern verschwand aus seinem Blickfeld.
Khalid wollte ihr noch Etwas hinterher rufen, doch er vermutete, dass dies sinnlos sein würde. Stattdessen versuchte er, sich zu beruhigen und zu überlegen, wie er aus dieser Lage wieder herauskommen könne.
Das Feuer vor ihm war nicht klein, konnte aber das Gebäude, in dem er sich befand, nicht völlig ausleuchten. Dennoch konnte er erkennen, dass der Raum etwa vier Schritt in der Breite maß, dabei aber wesentlich länger war und vollständig aus Holz bestand.
Die Wände waren mit Fellen behangen und hielten die Kälte von draußen fern. Die meisten dieser Felle stammten wohl von Wölfen und Bären, aber Khalid konnte das nicht mit Sicherheit sagen. Von der Decke hingen verschiedene Nahrungsmittel, hauptsächlich Fleisch, aber auch verschiedene Kräuter. Direkt über der Feuerstelle befand sich ein Loch, durch das der Qualm abziehen konnte. Von diesem lag allerdings dennoch einiges in der Luft, was insgesamt zu einem benebelnden, jedoch nicht unangenehmen, Duftgemisch führte. Der Boden war, abgesehen von dem Bereich um die Feuerstelle, vollständig mit Teppichen aus Schafswolle bedeckt.
Es schien, als würde dieser Raum als Wohn-, Koch- und Schlafstube zugleich benutzt werden und zwar von vielen Personen.
Die Gedanken des Gefesselten wurden unterbrochen, als er Schritte hörte.
Angestrengt blickte Khalid in die Richtung, aus der die Geräusche kamen, doch er sah nur zwei schemenhafte Gestalten, die sich langsam auf ihn zu bewegten. Nur allmählich erkannte er, wie sich Hilda aus der Düsternis schälte.
In ihrer Begleitung war ein Mann von imposanter Größe und, wie sich schließlich zeigte, fortgeschrittenen Alters. Vom Gesicht des Mannes war hinter dem wilden rotblonden Vollbart und den langen gleichfarbigen Haaren nicht viel zu sehen, dennoch vermutete der am Boden Liegende, dass sein Gegenüber schon nahezu fünfzig Jahre zählen musste.
Wie bei Hilda war das Haar, in diesem Fall auch das des Barts, zu kleinen Zöpfen geflochten und auch er war in grobes Leder gehüllt, doch sein Körperbau übertraf den der jungen Frau noch um ein Vielfaches und schien vom Alter in keiner Weise geschwächt zu sein.
„Ich begrüße dich, Khalid, Novize des Lauranerklosters Eibenbach, im Langhaus meiner Sippe. Mein Name ist Haldir, meine Tochter Hilda kennst du ja bereits.“
Die Stimme des Hünen war seiner Statur würdig: tief, hallend und voller Kraft. Khalid schluckte, als er den Blick in Haldirs Augen sah. Er war kalt und voll von bitterem Ernst.
„Bevor wir uns unnötig lange mit dir aufhalten, werde ich dir eine Frage stellen“, fuhr der gewaltige Mann fort. „Von deiner Antwort wird abhängen, was mit dir passiert. Hast du das verstanden?“
Khalid nickte wortlos.
„Gut. Es ist eine einfache Frage: Wie lautet der Name deiner Mutter?“
Der Novize wurde bleich. Es war ihm schlichtweg nicht möglich, diese Frage zu beantworten. Aus den Augenwinkeln sah er deutliches Missfallen auf Hildas Gesicht.
„Herr, ich würde euch antworten, wenn ich könnte,“ brachte er hervor und versuchte, seine Stimme fest und selbstsicher klingen zu lassen. „Aber ich kann nicht. Meine Mutter starb bei meiner Geburt und mein Vater hat sich seit jeher geweigert, mir ihren Namen zu nennen.“
Was er sagte, entsprach der Wahrheit. Der Ansicht ihres Vaters nach waren er und Ludger die Mörder seiner Frau und durften nichts über sie wissen, da sie sonst ihr Andenken besudeln würden.
Eines hatte er offensichtlich geschafft, nämlich Haldir und seine Tochter zu überraschen. Damit hatte anscheinend keiner der Beiden gerechnet.
Doch der Ältere fing sich schnell wieder.
„Nun, dann nenne mir den Namen deines Vaters. Den zumindest solltest du doch kennen.“
Khalid nickte grimmig. Nie würde er diesen Namen vergessen können.
„Mein Vater heißt Yadif“, spuckte er aus.
Es schien, als hätte Haldir diese Antwort erwartet. Oder befürchtet, denn plötzlich lag ein Ausdruck tiefer Trauer auf seinem Gesicht.
„Nun, es war nach all den Jahren nichts Anderes zu erwarten, dennoch trifft mich der Tod meiner Schwester schwer. Hilda, nimm ihm die Fesseln ab!“
Widerwillig gehorchte die Tochter. Khalid war derweil so überrascht, dass es ihm vollständig die Sprache verschlagen hatte und so starrte er fassungslos die junge Frau an, die sich wenig sanft an den Seilen, die ihn banden, zu schaffen machte.
Nachdem sie ihre Arbeit beendet hatte, erhob sich Hilda wieder und plazierte sich mit verschränkten Armen hinter ihren Vater. Der befreite Pilger massierte sich die schmerzenden Gelenke und erhob sich vorsichtig.
„Hilda, bitte lass uns allein!“, fuhr Haldir nach einer Weile des Schweigens fort.
„Aber Vater...“, begann die offensichtlich schockierte Tochter, doch sie wurde von einer herrischen Handbewegung unterbrochen. Haldir blickte sie dabei nicht einmal an, dennoch senkte Hilda demütig den Kopf und verließ ihre Runde, jedoch nicht, ohne Khalid einen vor Wut und Hass triefenden Blick zuzuwerfen.
Nach einigen weiteren Momenten der Stille wandte Haldir seine Aufmerksamkeit wieder Khalid zu.
Sein Blick wurde plötzlich sanft.
„Ich denke, es wird Zeit für einige Erklärungen,“ sagte er und nahm den Novizen, der ihm kaum an die Brust reichte, bei den Schultern, „Und für eine neue, bessere Begrüßung. Also sei willkommen Khalid, mein Schwestersohn, im Langhaus deiner Vorfahren. Dein Erscheinen hier lässt neue Hoffnung in mir wach werden.“

Endlich hatte die Sonne den Kampf aufgegeben und sich hinter den Horizont verzogen.
Es wurde finster. Ludger sah das mit Befriedigung, das Licht hatte in seinen Augen geschmerzt.
Seit Stunden saß der Novize nun schon im kleinen Mediationsraum hinter der Kapelle im nördlichen Teil des Sterns. Seine Linke ruhte auf dem Schwert, dass Daved ihm am Morgen gegeben hatte, seine Rechte auf dem Tuch, mit dem der leblose Körper seines Bruders bedeckt war.
Niemand hatte es gewagt, sich ihm entgegen zu stellen, als er durch die Menge geschritten war, die Leiche seines Bruders aufgehoben hatte und mit diesem im Arm zum Stern aufgebrochen war. Es hatte auch seitdem niemand den Raum betreten, in dem er sich befand und so hatte der Novize die Schatten dabei beobachtet, wie sie wanderten und länger wurden.
Nur ein münzgroßes Loch in der Brust, Khalid war durch einen Pfeil getötet worden. Der Ausdruck auf seinem Gesicht war ruhig, beinahe gelassen.
Auch Ludgers Miene wirkte ruhig und fast ebenso tot wie die seines Bruders. Doch in seinem Inneren tobte ein Krieg, ein Kampf zwischen zwei Stimmen, die versuchten, sich gegenseitig niederzubrüllen. Es hatte diese Kämpfe schon immer gegeben, doch nie so intensiv und erbittert wie am heutigen Tag.
Er ist nicht tot.
Was soll das? Hör auf, dir etwas vorzumachen! Er ist tot und das weißt du auch.
Er ist nicht tot.
Er liegt dort. Er atmet nicht. Du hast seine Wunde gesehen, welche Beweise brauchst du noch?
Er ist nicht tot, ich weiß es!
Du kannst es sehen, du kannst es fühlen und wenn du noch etwas wartest, kannst du es auch riechen. Er ist tot!
Du lügst!
Ich lüge? Wer belügt sich hier denn hier die ganze Zeit selbst? Du kannst dich nicht ewig vor der Wahrheit verstecken, so wie du es immer getan hast!
Das ist nicht wahr, ich wüsste es, wenn er tot wäre. Ich…ich weiß einfach, dass es nicht so ist.
Stell dich endlich der Realität und hör auf, dich zu verstecken! Er ist tot und das ist allein deine Schuld.
Was? Nein!
Oh doch, du hättest ihn aufhalten oder zumindest suchen müssen, aber du hast nichts dergleichen getan. Du hast ihn ziehen lassen und hast dich hier verkrochen in der Hoffnung, Alles möge bald vorbei sein. Es ist deine Schuld, alles, was passiert ist, ist deine Schuld. Du hättest dich nie Marie öffnen dürfen, du hast sie zu uns herein gelassen, hast ihr ein Stück von dir gegeben und jetzt ist sie tot und hat diesen Teil deiner Seele mitgenommen. Und Khalid, er hat noch viel mehr von uns besessen und er hat alles mitgerissen, als er gegangen ist. Jetzt bist du kaum noch mehr als eine leere Hülle. Sieh dich doch an! Sieh dir an, was die Menschen aus dir gemacht haben!
Khalid war…er ist mein Bruder und sie…ich habe sie geliebt.
Bist du sicher? Kannst du mit Sicherheit sagen, dass du sie geliebt hast nach allem, was passiert ist? Nein, das kannst du nicht. Du glaubst es vielleicht, aber du hast die Liebe nie erfahren, wie könntest du sie da fühlen? Du bist überhaupt nicht in der Lage, einen Menschen zu lieben und das weißt du.
Du lügst, hör auf damit!
Warum wehrst du dich? Ich bin du, schon vergessen? Dies sind deine eigenen Gedanken, ich zeige dir nur die Wahrheit, vor der du dich verschließt.
Sei still und verschwinde!
Nein, nicht mehr. Ich werde nicht wieder verschwinden, deine Maskerade muss ein Ende haben. Es wird Zeit, zu handeln.
Aber was soll ich schon tun? Es ist alles vorbei, ich habe nichts mehr.
Du hast noch deine Rache. Jedenfalls kannst du sie bekommen. Finde diese Primitiven, die deinen Bruder getötet haben und räche dich an ihnen. Und dann gehe nach Muftakheb und zeige Yadif, dass du kein kleiner Junge mehr bist, den er benutzen kann. Das gefällt dir, nicht wahr?
Rache…
Ja, Rache an allen, die dir wehgetan haben. Es wird den Schmerz nicht lindern, aber du weißt dann zumindest, dass deine Existenz hier nicht völlig umsonst war. Und wenn wir alles erledigt haben, dann ziehen wir uns hier drinnen zurück. Hier ist Frieden.
Frieden…
Dann ist alles vorbei und der Schmerz hat ein Ende…

Ein Geräusch ertönte und Ludger schrak auf. Jemand hatte den Raum betreten.
„Wer ist dort?“, rief er und versuchte, seine sich überschlagende Stimme ruhig zu halten. Er bemerkte jetzt erst, dass er das Schwert krampfhaft umklammert hielt.
„Ich bin es!“ Es war Daveds Stimme die antwortete. „Kann ich mit dir reden?“
„Nein, verschwinde!“
Dennoch trat der Mönch aus der Düsternis des Eingangsbereichs und vor ihn. Auf seinem Gesicht lag Mitleid, in Ludger brodelte der Zorn bei diesem Anblick.
„Ludger, ich wollte dir nur sagen…“
„Spar dir deine Worte, Daved!“, fuhr der Novize ihm dazwischen. Seine Stimme war gedämpft, aber eisig kalt. „Glaubst du ernsthaft, du könntest etwas ändern mit dem, was du sagst? Kannst du die Toten auferstehen lassen? Nein, das kannst du nicht. Deine Worte helfen niemandem und dein Mitleid kannst du für dich behalten. Ich brauche keine gut gemeinten Ratschläge. Lass mich in Frieden, Daved!“
Es sah so aus, als wollte sein Gegenüber noch etwas sagen, doch er ließ es schließlich doch sein, wandte sich um und verließ den Raum.
Ludger nickte zufrieden.
Es war besser, sicherer für ihn, allein zu sein.
Er lehnte sich zurück und gab sich dem Hass hin, seinem neuen Zuhause.

„Du…bist mein Onkel?“
Haldir nickte und führte Khalid an der Schulter in den hinteren Bereich des Langhauses.Hier befand sich eine zweite Feuerstelle, die aber nicht entzündet worden war. Dahinter stand ein gewaltiger Stuhl mit hoher Lehne, der mit Ornamenten reich verziert und mit Fellen gepolstert war. Offensichtlich war dies der Platz des Familienoberhauptes. Vor diesem und um die Feuerstelle herum standen einige Bänke und Sitzkissen.
Haldir setzte sich auf den Stuhl und wies Khalid mit einer Handbewegung an, ebenfalls Platz zu nehmen, was dieser auch befolgte.
Aus dieser Position wirkte der Hüne noch gewaltiger und Furcht einflößender, was vermutlich auch so beabsichtigt war.
„Bitte erzähle mir von meiner Mutter. Yadif behauptete immer, sie käme aus Maza´al.“
Der Ältere schüttelte den Kopf.
„Das war eine Lüge. Dennoch ist es äußerst respektlos, seine Eltern beim Vornamen zu nennen, Khalid.“
Der Getadelte nickte bußfertig, doch innerlich blieb er bei der Ansicht, dass sein Vater es nicht verdiente, mit diesem Titel benannt zu werden.
„Der Name deiner Mutter ist Sara“, fuhr Haldir fort, „und sie war das zarteste Geschöpf, das je seinen Fuß auf diese Erde gesetzt hat. Sie war die Jüngste von uns und das einzige Mädchen unter sechs Kindern. Dennoch hatte sie uns alle im Griff. Als Erwachsene war sie nur so groß wie du und ebenso schmächtig, doch ihre Schönheit machte all das wieder wett. Sie hatte sehr helle lange Haare und blaue Augen wie meine Tochter Hilda.“
Und wie Ludger, fügte Khalid in Gedanken hinzu. Sara… Der Name klang so seltsam vertraut und hinterließ einen stechenden Schmerz. Obwohl er sie nie kennen gelernt hatte, fehlte ihm diese Frau.
„Wir liebten sie, beschützten sie, wir haben sie vergöttert. Bis zu dem Tag als ein Händler aus dem Süden kam. Wir mögen hier für gewöhnlich kein Händler, doch manchmal sind wir auf sie angewiesen, da sie Waren bringen, die wir selbst nicht herstellen können. Im Fall deines Vaters waren das Öl und Salz. Er blieb eine Woche und machte Sara den Mund wässrig mit seinen Geschichten über die Wunder des Südens. Er umschlich sie wie eine Schlange, machte ihr Komplimente und Geschenke. Als er abreiste, begeleitete sie ihn. Heimlich. Sie wusste, wir hätten sie nie gehen lassen. Sie hinterließ nur einen Brief, in dem sie sich von uns verabschiedete. Über Jahre hörten wir nichts von ihr, nur einmal erreichte uns eine Nachricht, in der sie berichtete, sie sei guter Hoffnung. Das war ihr letzter Brief.“
Onkel und Neffe blickten sich an und in den Augen beider stand tiefe Trauer.
„Doch erzähle mir bitte von dir und deinem Leben, Khalid.“
Dieser wandte den Blick ab und starrte für einen Moment ins Leere. Er wusste, er konnte Haldir vertrauen, doch er wollte nicht darüber reden, nicht den Stoff seiner ständigen Albträume noch einmal erleben. Dennoch hatte er das Gefühl, es sei das Richtige, mit Haldir darüber zu reden. Aber zunächst kam ihm etwas Anderes in den Sinn.
„Darf ich dir vorher noch eine Frage stellen, Onkel?“
„Sicher, sofern du dich kurz fasst.“
„Woran hast du unsere Verwandtschaft erkannt? Es gibt gewiss nicht nur einen Yadif und man sieht mir die Verwandschaft mit meiner Mutter nicht so gut an.“
Haldir nickte und zeigte ein leichtes Lächeln.
„Hilda hat die Ähnlichkeit schon in deinem Blut gesehen. Ich musste nur noch herausfinden, auf welche Art du mit uns verwandt bist.“
„Doch warum hasst sie mich so?“
„Das erkläre ich dir später. Erzähle mir erst einmal von dir.“
„Nun gut.“ Khalid nahm tief Luft und blickte zur Decke. Das Licht des fernen Herdfeuers sandte Schatten, die wie Dämonen über die Wände tanzten. Die Düsternis lieferte eine schaurige Atmosphäre. Wie passend. „Zunächst muss ich dir sagen, dass ich nicht der einzige Sohn Saras bin. Ich habe einen Zwillingsbruder, Ludger. Wie wuchsen in einem Kellerloch auf, ohne die Sonne zu sehen. Yadif hielt uns wie Tiere, schlug uns, wenn ihm danach war, oder ließ uns hungern. Später verkaufte er uns an reiche Männer, die ihm viel Geld dafür boten, damit sie mit uns machen konnten, was sie wollten. Doch nicht am Rahl, da hatte er frei. Da nahm er uns selbst. Er hat uns immer gepredigt, dass dies allein unser Verdienst wäre, da wir für den Tod seiner Frau verantwortlich waren.“
Der junge Mann machte eine Pause und blickte Haldir tief in die Augen.
„Er glaubte das tatsächlich. Wir flohen, als wir acht waren. Lange Zeit irrten wir durch die Gegend, wären fast gestorben, bis wir schließlich halb verhungert am Kloster der Laurane in Eibenbach ankamen. Man nahm uns dort auf, pflegte uns gesund und schließlich traten wir dem Orden bei. Seitdem sind über acht Jahre vergangen, in denen wir in Frieden aufwuchsen, bevor sich plötzlich alles veränderte.“
Und so erzählte Khalid von dem großen Fest und den schlimmen Ereignissen danach, von dem seltsamen Mann aus dem Norden, seinem eigenen ungewöhnlichen Verhalten und den langen Stunden in der Bibliothek, der misslungenen Feuerprobe, seiner Abreise, vom Aufenthalt in und der Flucht aus der Klosterkreuzung, von der Überquerung des Issin und der Begegnung mit dem Sukkub. Er ließ kein Detail aus, er hatte das Gefühl, dass es dringend notwendig sei, Haldir alles zu erzählen.
Als er geendet hatte, schwieg sein Onkel noch einige Zeit, stand dann auf und ging an ihm vorbei zum Eingang des Langhauses.
Khalid blickte ihm verwirrt nach, wartete allerdings geduldig, bis Haldir einige Minuten später zurückkehrte, nun mit zwei Tonkrügen in den Händen.
Noch immer ohne ein Wort zu sagen stellte er die Gefäße vor Khalid auf den Boden und setzte sich.
Schließlich sprach er mit gemessener Stimme:
„Vertraust du mir, Khalid?“
„Ja“, antwortete dieser ohne zu zögern. Er war selbst verwundert über die Spontanität und Aufrichtigkeit dieser Antwort.
„Gut. Dann trink! Aber gibt Acht, nur in einem dieser Krüge ist Wasser. In dem Anderen ist ein tödliches Gift.“
Khalid wurde bleich.
„Was? Warum sollte ich dann davon trinken? Was soll das, Onkel?“, rief er aufgebracht.
„Beruhige dich, Khalid. Du weißt schon längst, welchen Becher du nehmen musst. Also trink!“
Sein Onkel musste verrückt geworden sein. Khalid dachte fieberhaft darüber nach, was er tun konnte. Eine Flucht war wohl ausgeschlossen, mitten in einer raggarschen Siedlung. Er musste Haldir wieder zur Vernunft bringen.
„Onkel…“, begann er, doch er wurde jäh unterbrochen.
„Es reicht!“, rief Haldir und sprang aus seinem Sitz auf. Plötzlich lag ein langes Messer in seiner Hand. „Trink endlich oder ich zwinge dich dazu!“
Erneut musste Khalid beobachten, wie sein bewusstes Handeln wie eine lästige Fliege zur Seite gescheucht wurde und er nichts anderes mehr tun konnte, als zu beobachten, wie sein Körper selbständig handelte. Er versuchte, die Barriere zu durchdringen, wieder die Oberhand zu bekommen, doch es war aussichtslos.
Unfähig, etwas dagegen zu unternehmen, sah der Novize, wie sich sein rechter Arm den rechten Krug griff, diesen zum Mund führte und leerte.
Er schmeckte nichts als Wasser, doch das beruhigte ihn keineswegs, vor allem da nun sein Arm den leeren Becher achtlos zur Seite warf und Anstalten machte, sich den Anderen zu greifen.
Das war zuviel, die Panik ergriff endgültig Besitz von Khalids Bewusstsein. Er stürmte gedanklich mit aller Macht voran, versuchte, die Barriere zu durchbrechen, die Kontrolle über den eigenen Körper wieder zu erlangen.
Es gelang ihm, die autonome Bewegung des Armes zu verlangsamen, doch es war ein harter Kampf. Khalid spürte, dass er es nicht mehr lange durchhalten würde, sein Atem wurde schnell, eine einzelne pochende Vene erschien auf seiner Schläfe, als er jeden Muskel seines Körpers verkrampfte.
Die Hand griff nach dem Krug, zitterte, ließ ihn wieder los. Das Tongefäß schwankte kurz hin und her, gab dann aber endgültig der Schwerkraft nach und ergoss seinen Inhalt über den Boden.
Im selben Moment fiel der Bann von ihm ab.
Verwirrt, zornig suchte sein Blick Haldir. Tränen standen in Khalids Augen, gewaltige Schmerzen hämmerten in seinem Schädel.
„Warum, Onkel?“, flüsterte er, „Warum hast du das getan?“
„Es tut mir leid“, gab dieser mit unbewegter Miene zurück, in seinen Augen lag nur ein Funke Mitgefühl, „aber es musste sein. Irgendwie musste ich deinen Instinkt doch wecken.“
„Ich verstehe das alles nicht!“ Verärgert stellte Khalid fest, dass seine Stimme sich überschlug, Er durfte keine Schwäche zeigen. Doch er konnte sich kaum dagegen wehren, es wurde alles immer verwirrender. Sein Leben, das nie vollständig geordnet gewesen war, brach in den letzten Wochen immer mehr auseinander. Er war an der Grenze dessen angelangt, was er ertragen konnte. Doch er kämpfte die Tränen nieder. Sein Stolz zwang ihn dazu.
„Beruhige dich, Khalid“, sprach Haldir in ruhigem Ton. „Es wird dir nicht nützen, jetzt mit deinem Leben zu hadern. Für so etwas haben wir keine Zeit. Ich werde dir alles erklären, hör mir einfach nur zu.“
Der junge Halbraggar nickte bemüht und versuchte, sich zusammen zu reißen.
„Also gut Onkel, erkläre es mir bitte. Warum dieser fürchterliche Test?“
Haldir nickte und faltete die Hände über dem Schoß.
„Ich hatte schon eine Vermutung nach deiner Geschichte, aber ich brauchte Sicherheit. Es war in beiden Krügen nur Wasser, kein Gift. Kein Raggar würde jemals jemandem aus seiner eigenen Sippe Schaden zufügen. Allein die Tatsache, dass du instinktiv aus beiden Bechern trinken wolltest, lieferte mir den letzten Beweis. Du, mein lieber Schwesternsohn, besitzt eine Fähigkeit, die nur äußerst wenigen Raggar vorbehalten ist und für gewöhnlich nur Reinblütigen: du bist ein Tyrgolan. Um zu verstehen, was das ist, musst du wissen, dass der Mensch nicht nur über fünf bewusste Sinne verfügt, also Sehen, Riechen, Hören, Fühlen und Schmecken, sondern auch über einen Sinn, der jenseits des Bewusstsein liegt: das Tyr. Es lässt uns in gefährlichen Situationen instinktiv das Richtige tun und lenkte unsere Instinkte. Diese Fähigkeit besitzt jeder normale Mensch, nur in einer viel schwächeren Form als es bei den Tyrgolan der Fall ist. Bei dir und wenigen Anderen mit deiner Gabe nimmt das Tyr Einfluss auf all dein Handeln und steuert es so, dass es für dich selbst am besten ist. Dieser Fähigkeit hast du es zu verdanken, dass du und dein Bruder damals in das Kloster gefunden habt und dass du nun hier bei uns bist, bei deiner Familie. Mehr noch: jede Entscheidung, die du in deinem Leben getroffen hast, hatte einen Zweck: dich am Leben zu erhalten. Und es scheint so, als wäre dieses nun gefährdeter denn je, denn dein Tyr ist so stark, dass es dein Bewusstsein völlig verdrängen kann, wie wir vorhin gesehen haben.“
Haldir machte eine Pause und Khalid schnappte nach Luft. Alles, was er je getan hatte, hatte einen Grund. Alles…
„Hast du dich nie gefragt, warum du in der Lage warst, so schnell unsere Sprache zu lernen? Dein Tyr hat deine Fähigkeiten unterstützt. Denn das Lernen wird zu einem großen Teil über Instinkte gesteuert. Sie entscheiden, was wichtig genug ist, um in unser Gedächtnis aufgenommen zu werden, und was nicht.“
Er hatte es sich nicht gefragt, hatte es hingenommen wie all die anderen Ungereimtheiten der letzten Wochen. Es stellten sich so viele Fragen, aber eine war besonders eindringlich und diese musste er einfach aussprechen:
„Warum ich? Warum habe ich diese Fähigkeit?“
Doch Haldir hob nur in einer hilflosen Geste die Hände.
„Diese Frage wird dir niemand beantworten können. Das Tyr ist bei den meisten Menschen sehr schwach, bei einigen wenigen sehr stark ausgebildet. Etwas dazwischen gibt es nicht und nur ein Raggar kann als Tyrgolan geboren werden. Ob es mit unserer Verbundenheit mit den elementaren Säften zu tun hat, weiß ich nicht, niemand weiß das. Aber du wirst noch lernen müssen, deine Gabe sinnvoll einzusetzen. Denn sie kann nicht nur ein Segen sein. Du musst Folgendes bedenken: das Tyr schützt dich und dich allein, andere Menschen sind bedeutungslos. Selbst wenn sie dir etwas bedeuten: müssen sie sterben, damit du leben kannst, wird das Tyr sie opfern. Es schützt nur dein Leben, nicht deinen Geisteszustand.“
Khalid schluckte schwer. Was Haldir sagte, klang logisch und doch schien es ihm undenkbar. Aber er wusste bereits, wie stark das Tyr war, wie mühelos es ihn verdrängen konnte. Ein Schauder lief über seinen Rücken.
„Die Kontrolle über das Tyr würde dir noch mehr Vorteile verschaffen. Es steuert Entscheidungen, die deine Zukunft verändern und somit die Kontrolle des Tyrs dir einen leichten Einblick in diese gewähren. Auch kannst du Lösungen für Probleme finden, die dich gar nicht betreffen, indem du dafür sorgst, dass sie dich betreffen. Und vor Allem: du weißt, was das Tyr dir zu tun rät und kannst entscheiden, ob du es tust.“
„Aber wie erreiche ich diese Kontrolle?“
„Du musst im Reinen mit dir selbst sein, Khalid. Deine Säfte müssen vollständig harmonisch sein und dein Bewusstsein frei von Verunreinigungen. Jede Störung verwehrt dir den Zugang zum jenseitigen Bewusstsein.“
[size=5][color=red]K[/size][/color]halid wandte den Blick ab. Er war alles Andere als im Reinen mit sich. Und er wusste, dass er daran nichts ändern können würde.
„Was ist mit meinen Träumen?“, fragte er. „Könnten sie auch etwas mit dem Tyr zu tun haben?“
„Das wäre möglich. Vielleicht will es dir helfen, deine Vergangenheit zu bewältigen, indem es dich mit ihr konfrontiert. Ich weiß es nicht sicher.“
Khalid nickte. Ja, das war möglich. Aber es war nicht der Weg, den er gewählt hätte.
Eine Weile herrschte Schweigen während der Raggar und der Halbraggar jeweils ihren Gedanken nachhingen. Dann erhob Haldir erneut die Stimme.
„Wir werden über dein Tyr noch reden müssen. Es ist sehr wichtig, dass du es zu beherrschen lernst. Doch im Augenblick gibt es noch viel mehr, das ich erzählen muss. Die Raggar sind das stärkste und älteste Volk von allen und darauf sind wir stolz. Niemand hat es je gewagt, uns den Krieg zu erklären, dennoch stehen wir kurz vor dem Untergang.“
„Was ist passiert?“, fragte Khalid schockiert. „Hat es etwas damit zu tun, dass ihr euch untereinander bekriegt?“
„Nein die Fehden zwischen den Stämmen haben uns erst so stark gemacht wie wir heute sind. Unser Problem ist ein ganz anderes und es fing mit einem Mönch aus dem Lauranerkloster an. Sein Name ist Daved.“
Khalid stutzte. „Daved? Ich verstehe nicht. Was hat Daved mit den Raggar zu tun?“
Draußen begann es zu regnen, sie hörten die Tropfen auf das Reisigdach prasseln. Es wurde kühl. Khalid wickelte seinen Umhang um sich, dennoch fror er leicht.
„Es ist folgendermaßen:“, begann Haldir. „Wir kennen es schon seit vielen Jahren, dass eure Novizen in unser Reich eindringen. Kaum jemand reist dabei so weit wie du. Sie irren meist am Rande des Gebiets der Bahlog Nar herum. Das ist ein kleiner Stamm, der im Bur Issin recht verstreut und nicht in großen Sippen siedelt. Daher kommt es kaum jemals zu Begegnungen und für gewöhnlich suchen eure Novizen in so einem Fall das Weite. Insgesamt stören wir uns nicht weiter an ihnen. Sie sind wie Zugvögel, die die Orientierung verloren haben. Und für gewöhnlich suchen sie sich einen Stein, den sie für heilig erklären, setzen sich einige Tage darauf und verschwinden wieder.“
Khalid verzog die Mundwinkel. Haldir hielt offensichtlich wenig von den Novizen des Lauranerklosters. Aber er hielt sich zurück und sagte nichts dazu. Interessant war, dass sein Onkel das Wort heilig auf saros, der gemeinsamen Sprache der sareischen Kleinstaaten, aussprach. Anscheinend existierte dieses Wort im Raggaroth nicht. Noch bemerkenswerter war es aber, dass Haldir überhaupt Saros sprach. Er würde mit ihm darüber reden müssen. Aber nicht jetzt.
„Mit Daved war es anders“, fuhr der Hüne fort. „Er kam unserer Grenze sehr nah. Wir beobachteten ihn eine Weile und unsere Druiden stellten fest, dass er verwaschenes raggarsches besitzt, genauso wie du. Wir konnten allerdings keine Verwandtschaft mit ihm ausmachen und auch er kannte sine Herkunft nicht, hatte seinen Vater nie kennen gelernt. Dennoch nahmen wir ihn wie ein Mitglied unserer Sippe auf. Er blieb zwei Wochen, sprach viel mit unseren Druiden. Er sagte einmal zu mir, dass er nach echter Weisheit suche und nicht nach Steinne.“
„Das ist seltsam.“, murmelte Khalid und Haldir blickte auf, leicht gereizt wegen der Unterbrechung. Der Jüngere bemerkte nichts davon. „Daved sollte eigentlich nach Rah´aleb reisen, zu seiner dritten Pilgerfahrt. Er hätte überhaupt nicht hier sein sollen.“
Nur war auch sein Onkel nachdenklich.
„Das ist seltsam, wirklich. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass...Nein, das kann nicht sein. Wie auch immer, Daved blieb zwei Wochen, dann war er plötzlich verschwunden. Und mit ihm das Pak.“
Pak – das hieß Buch...oder so ähnlich. Khalid konnte sich nicht erinnern, in welchem Zusammenhang er es gelesen hatte.
„Das Pak?“, fragte er.
„Ja, unser höchstes Gut. Im Pak haben alle Druiden aller Generationen ihr Wissen über die Natur und die elementaren Säfte niedergeschrieben. Jeder Druide geht einen Bund mit dem Pak ein, so dass sein Wesen für die Ewigkeit erhalten bleibt. Dies schafft die Quelle, aus der unsere Druiden ihre Kraft und Weisheit beziehen. Sie können mit Hilfe des Pak die Natur beeinflussen, was notwendig ist, damit unsre Brüder im Ödland des Nordens Ackerbau und Viehzucht betreiben können. Jeder Druide bekommt das Pak nur einmal in seinem Leben, doch die Verbindung reicht für alle Zeit.“
Haldir seufzte und erhob sich, um unruhig auf und ab zu laufen.
„Zum Zeitpunkt, als Daved bei uns war, war Hilda im Besitz des Pak.“
Khalid schluckte. Jetzt verstand er auch, warum Hilda solch einen Hass gegen die Mitglieder des Lauranerordens hegte, auch wenn er selbst rein gar nichts damit zu tun hatte.
Es wurde immer kälter.
„Glaubst du, dass Daved schon mit der Absicht, das Buch zu stehlen, zu euch kam?“
Haldir blieb stehen und schüttelte entschieden den Kopf.
„Unmöglich! Kein Fremder weiß davon und Hilda schwört, dass sie es ihm nicht erzählt hat. Ich verstehe weder, wie er es fand, noch, warum er es mitgenommen hat. Es macht keinen Sinn. Aber das ist auch nicht weiter wichtig.“
Der gewaltige Raggar setzte sich stöhnend wieder auf seinen hohen Stuhl.
„Als Daved das Pak stahl und dabei gleichzeitig eine Verbindung mit ihm einging, wurde das Band zu allen anderen Druiden gekappt und sie verloren ihre Kräfte.“
„Wie kann das sein?“
„Zunächst ist Daved kein voller Raggar, sein Blut ist verunreinigt. Außerdem hatte er nicht das Wissen um den Ritus, mit dem die Verbindung zu dem Pak geschaffen wird. Er muss sie erzwungen haben und scheinbar hat er alle anderen Bindungen dabei zerrissen. Jetzt bleibt den Druiden nur noch ein kümmerlicher Rest ihrer ursprünglichen Kräfte, nämlich ihre eigene. Unsere Brüder im Norden fürchten nun, ihr Land verlassen zu müssen, um nicht zu Grunde zu gehen, daher wurde ein gewaltiges Thing einberufen.“
„Ein Thing?“
„Nun, wir finden uns bei einem Thing zusammen, um wichtige Entscheidungen zu treffen.“
Eine Versammlung also, dachte sich Khalid.
„Und wer trifft die Entscheidungen auf diesem Thing? Wer darf teilnehmen?“
Haldir blickte ihn verwirrt an.
„Nun, der Vorsteher einer jeden Sippe nimmt teil und vertritt seine Meinung. Dann wird gemeinsam entschieden. Wenn keine Einigkeit gefunden wird, dann müssen die Vertreter der verschiedenen Meinungen im Kampf gegeneinander antreten. Der Sieger behält Recht.“
Diese Art von Regierung erschien Khalid äußerst primitiv, doch er sagte nichts dazu und nach kurzer Zeit fuhr Haldir mit seiner Erzählung fort.
„Jedenfalls schickten alle Stämme der Raggar Vertreter zu diesem Thing und es wurde beraten, was geschehen sollte. Die Rasik-Onk, Tuktin-Nar, Nohlok, Wulfen, Miken Tar, Magrar und Vulkur, die alle auf die Hilfe des Pak angewiesen waren, wollten entweder die Maza´al angreifen, um südlichere Siedlungsgebiete zu gewinnen oder das Lauranerkloster direkt zu attackieren und das Buch mit Gewalt zurück zu fordern. Aus Schuldigkeit schlossen wir, die Terek-tar uns dieser Meinung an.“
Khalid sog scharf die Luft ein und wollte etwas erwidern, doch Haldir wies ihn mit einer Handbewegung an, noch zu warten.
„Die Issindis, Bahlog Nar, Rozzak, Lerembuk, Nokkin und Behken Nar, die auch ohne das Pak überleben können, wollten zunächst mit den Lauranern verhandeln. Es ist nicht so, dass sie nicht bereit zum Kampf wären, doch die Macht des Pak ist groß und wir wissen nicht, wie gut Daved daraus lesen kann.“
Der Wind pfiff eine misstönende Melodie und sandte bittere Kälte in das Langhaus. Einzelne Hagelkörner fielen durch das Loch über der Feuerstelle. Khalid registrierte es nicht.
„Schlussendlich wurde entschieden, dass eine Truppe zum Lauranerkloster geschickt werden sollte, um mit Daved zu reden. Sie kehrte nie zurück.“
Haldirs Blick glitt ins Leere. „Weitere Truppen griffen die Maza´aler an, um herauszufinden, wie stark ihre Verteidigung ist. Leider war der Widerstand dort stärker als vermutet und einen langen Krieg halten wir nicht durch. Daher hatten wir keine andere Wahl, als das Lauranerkloster anzugreifen.“
Khalid sprang auf. „Wie könnt ihr das tun? Die Menschen dort sind unschuldig! Ich verstehe nicht, wie ihr sie alle opfern könnt zur Bestrafung eines Einzelnen“, rief er in kampfbereiter Haltung.
„Du verstehst nichts, Khalid!“, tobte Haldir plötzlich und die Wut und Verzweiflung der vergangenen Wochen war in jedem seiner Worte zu hören. „Es geht nicht nur um uns Raggar in dieser Sache. Daved hat keine Ahnung, mit welchen Mächten er spielt. Jede unbedachte Benutzung des Pak kann das Gleichgewicht der Natur durcheinander bringen. Sieh es dir doch an: Stürme, Unwetter, die Harmonie ist gestört und wenn wir Daved nicht aufhalten, wird alles im Chaos versinken!“
Schwer atmend sank Haldir zurück. Zum ersten Mal wirkte er wie ein alter Mann.
Khalid zwang sich zur Ruhe.
„Wann wird die Armee aufbrechen?“
„Vor zwei Tagen schon. Wir hatten keine Zeit zu verlieren.“
Der aufgebrachte junge Mann fluchte innerlich, doch noch war es nicht zu spät.
„Ich kann sie einholen, eine Armee reist langsam, ich kann vor ihnen am Kloster sein und alle warnen.“ Erst als er es ausgesprochen hatte, fiel ihm ein, dass es vielleicht nicht so klug war, diese Gedanken vor Haldir zu äußern. Doch überraschenderweise nickte dieser zustimmend.
„Ja, das solltest du tun“, erwiderte er.
„Was?“, rief Khalid völlig verdutzt.
„Du wirst dorthin reisen. Hättest du es nicht selbst vorgeschlagen, hätte ich dich darum gebeten. Du bist Mitglied des Klosters, du kennst Daved, vielleicht bekommst du Zugang zu ihm.“
Der Pilger nickte. Sie mochten zwar nicht dieselbe Motivation haben, doch ihr Ziel war das gleiche.
„Und Hilda wird dich begleiten,“ fügte Haldir noch hinzu, kam diesmal aber einer empörten Bemerkung von Khalid zuvor, indem er fortfuhr. „Sie hat ihr ganz eigenen Ziele in dieser Sache. Es war ihr verboten, mit dem Heer zu reisen, doch sie will Daved um jeden Preis zur Strecke bringen. Ihr solltet so bald wie möglich aufbrechen.“
Khlaid rieb sich die steifen Glieder. Der Sturm draußen wurde immer stärker, doch nur ein Gedanke beherrschte den Geist des jungen Halbraggar.
Ludger...



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Kommentare


Von Paglim
Am 28.08.2008 um 10:07 Uhr

Danke, so ein Lob ist mir sehr wichtig, vor allem da ich mir an solchen Stellen (z.B. auch diejenige, an der Ludger erfährt, dass Khalid gestorben ist) immer Sorgen mache, dass sie zu theatralisch seien könnten.
Also vielen Dank dafür :)


Von Jason-Potter
Am 27.08.2008 um 15:24 Uhr

Ich wollte dir die ganze Zeit schon etwas zu dieser Sequenz schreiben:


Khalid erwachte nur langsam. Die chaotischen, düsteren Träume schienen ihn nicht loslassen zu wollen, hefteten sich an ihn wie blutsaugende Schmarotzer.
Da war Ludger, der an zwei Gräbern stand. Und Khalid blickte ihn an, doch sein Gesicht war schwarz und verfault und Würmer krochen darin und bohrten sich langsam hinunter in sein Herz. Und Blut floss, Blut, das Seen bildete und reißende Flüsse. Blut, das die Welt überschwemmte, bis sein Blick von diesem Rot ausgefüllt war, einem Rot, das den Lippen des Sukkub glich.
Es wurde warm.
Das große Feuer, das nur wenige Handbreit von seinem Gesicht entfernt brannte, tanzte fröhlich und ließ die Scheite knacken. Vereinzelte Funken stoben in seine Richtung, glühten noch einmal auf, bevor sie auf dem Boden erloschen.
Khalid beobachtete dieses Schauspiel eine Weile fasziniert, nicht sicher, ob er bereits wach war oder noch träumte. Doch dann trat ein Schatten in sein Blickfeld und mit einem Mal war die Erinnerung wieder da. Grimmig und ein wenig selbstzufrieden blickte Hilda auf ihn herab.
„Du bist also wach, wie schön!“

Die ist so berauschend schön, dass ich sie am liebsten in meinen Roman eingebaut hätte. Aber so etwas würde ich natürlich nie tun, würde auch gegen meinen Ehrenkodex verstoßen. Aber ich wollte dir dieses Kompliment nicht vorenthalten: Dass ich so etwas harmonisch fließendes,so tiefgreifendes - fast ist schon ein wenig poethisch -, bisher nur selten zuvor gelesen habe - Vielleicht bei Anne Rice, wobei dein Schreibstil ein ganz anderer ist.


Von Nymphadora
Am 27.08.2008 um 10:17 Uhr

Ganz ehrlich: Ich kann mir nicht vorstellen, daß du ernsthaft Schwierigkeiten haben dürftest, einen Abnehmer dafür zu finden.
Und falls doch, Harry Potter wurde, glaube ich, sechmal abgelehnt. Also bloß nicht aufgeben!


Nana Nymphadore


Von Paglim
Am 26.08.2008 um 23:25 Uhr

Ob ich das an nen Verlag schicke, entscheide ich, wenn es fertig und überarbeitet ist. Ich arbeite ja noch aktuell am Roman selbst und er ist noch lang nicht fertig.
Aber das ist kein Problem, selbst wenn es hier veröffentlicht ist. Zur Not löscht man es halt wieder.


Von Nymphadora
Am 26.08.2008 um 18:02 Uhr

Bist du mit der Geschichte schon bei einem Verlag gewesen? oder darf man das nicht mehr, wenn man bereits Teile veröffentlicht hat (so wie hier)? Ich kenne mich da nicht so aus.


Von Paglim
Am 26.08.2008 um 14:01 Uhr

Weiß wieder nicht, was ich sagen soll... Danke für das große Lob, ich weiß das wirklich zu schätzen und ich freu mich sehr, wenn das, was ich schreibe, gefällt. :)


Von Nymphadora
Am 24.08.2008 um 11:25 Uhr

So, jetzt habe ich alle Teile deiner Geschichte gelesen und ich bin echt platt. Das ist richtig, richtig gut!!! ich würde ja gern ein paar Verbesserungsvorschläge machen, aber mir fällt absolut nicht zu meckern ein.
Protagonisten toll nahegebracht. (Man fühlt mit den Personen. Das ist für mich immer sehr wichtig!)
Umgebung interessant beschrieben. (Man langweilt sich nicht. Das schaffen nicht mal einige von den Großen.)
Zusammenhänge gut erklärt!
Und spannend!
Ich freue mich schon auf die Fortsetzung! Solches Kaliber hätte ich in einem Hobbyschreiber-Forum nicht erwartet!
Ich bin schwer beeindruckt. Respekt!!!


Nana Nymphadore

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