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Prosa => Phantasy & SciFi


Herzblut - Kap. 6 - von Paglim, 11.06.2008
Khalid fing langsam an, sich Sorgen zu machen.
Schon seit über zwei Wochen reiste er nun durch diesen endlosen Nadelwald, der sich einfach nie veränderte und ihm nicht einmal einen Hinweis darauf gab, ob er noch in die richtige Richtung unterwegs war. Allein die Tatsache, dass es mit der Zeit merklich kühler wurde und die seltenen Momente, in denen er die Sonne durch das dichte Gehölz sehen konnte, hielten ihn auf dem rechten Kurs.
Der Reisende war mit der Zeit dazu übergegangen, seine Vorräte zu rationieren. Der Wald war voll von Wild, doch ihm fehlten die nötigen Werkzeuge zur Jagd. Gelegentlich konnte er einige Früchte sammeln, doch da er die meisten Pflanzen nicht kannte und kein Interesse daran hatte, sich zu vergiften, war seine Ausbeute auch hier eher gering. Mittlerweile gingen seine Lebensmittel daher zur Neige. Wenn er nicht bald eine Siedlung der Raggar finden würde, wäre es notwendig, alle Vorsicht fahren zu lassen und das zu nehmen, was der Wald ihm bot.
Auch dieser Tag ging auf sein Ende zu, was Khalid eigentlich nur daher registrierte, dass die gewöhnliche Düsternis des Waldes noch ein wenig finsterer wurde.
Doch dieses Mal war Etwas anders.
Nicht weit vor dem jungen Pilger drang das feuerrote Licht intensiver als sonst durch die Stämme.
Khalids Herz schlug schneller. In der Hoffnung, das Ende dieses verfluchten endlosen Waldes erreicht zu haben, stürmte er vorwärts.
Doch er wurde enttäuscht, als er sah, dass die Lichtquelle nichts weiter war als eine größere Lichtung.
Allerdings währte seine Enttäuschung nicht lang. Die fast perfekt kreisrunde, offensichtlich von Menschen geschaffene Fläche, bot ein Bild absoluten Friedens. Der Boden war übersät von wilden Orchideen, die einen betörenden Duft verbreiteten. Es herrschte vollkommene Stille.
Genau in der Mitte dieser Lichtung lag eine ebenfalls runde, an der Oberfläche flach geschliffene Steinplatte, die über und über mit Ornamenten und verschiedenen bunten Edelsteinen geschmückt war.
Und auf diesem Stein lag, ihm neugierig entgegen blickend, eine menschliche Gestalt.
Khalid schluckte schwer, feine Schweißtröpfchen bildeten sich auf seiner Stirn. Ungläubig betrachtete er die langen, glatten und silbrig glänzenden Haare, die über den makellos geformten Körper der Frau fielen.
Sie war völlig nackt.
Wie gelähmt stand der Novize da, als sich die Gestalt erhob und langsam wie schwebend auf ihn zukam.
Ihre Augen, die sich dabei zu keinem Zeitpunkt von ihm abwandten, waren silbern wie ihre Haare und tief wie das Meer. Kein Fehler war in ihrem Gesicht, nicht ein menschlicher Künstler hätte solche Vollkommenheit schaffen können.
Gebannt starrte Khalid einen einzelnen Tropfen Schweiß an, der von ihrem schlanken Hals ihre alabasterweiße Haut hinab über ihre wohlgeformte Brust lief, bevor er schließlich zu Boden fiel.
Beiläufig fragte er sich, warum sie nicht fror, war aber nicht in der Lage, den Gedanken zu verfolgen.
Wie lange es dauerte, bis sie ihn schließlich erreichte, konnte er nicht sagen, doch als sie seine Hand nahm, schoss Hitze durch seinen ganzen Körper, als wäre ein Höllenfeuer in ihm entfacht worden. Der junge Mann fühlte keinen Schmerz, dennoch wollte er einen Blick hinunter werfen, aber die Augen dieses unbekannten Wesens hielten ihn gnadenlos gefangen.
„Wer…wer bist du?“, stammelte er, dich die Frau legte ihm sanft einen Finger auf den Mund und zog ihn näher zu sich. Ein scharfer Geruch von Salz lag plötzlich in der Luft, doch Khalid ignorierte ihn. Sein ganzes Sinnen und Trachten war auf diese Manifestierung absoluter Weiblichkeit ausgerichtet.
Zeit und Raum verloren ihre Bedeutung, als sich ihre Lippen langsam den Seinigen näherten. Die Welt brach zusammen, sie war seine Welt, er wollte ihr dienen, ihr zu Gefallen sein.
Der Schmerz, die Angst, die Sorge, all das war gleichgültig, solange sie da war für immer und immer und immer und immer….
Ein weißer Blitz schoss zwischen sie und das gottgleiche Wesen war von einem Augenblick auf den Nächsten aus seinem Sichtfeld verschwunden.
Khalid wurde zurückgeworfen in einer Welt aus Finsternis und Kälte, er stolperte, fiel.
Die Ereignisse um ihn herum drangen nur langsam in sein Bewusstsein, als die Welt sich von ihrem Ursprung aus wieder vollständig aufbaute.
Die wiederkehrenden Eindrücke drohten, sein Nervensystem zu überreizen, doch der Novize versuchte verzweifelt, seine Gedanken und Gefühle zu sortieren und wieder Herr über den eigenen Körper zu werden.
Er bemerkte den Lärm erst, als es plötzlich wieder still wurde.
Seltsam, dass es ausgerechnet Ludgers Gesicht war, das sich über ihn beugte. Und dass es umrahmt war von unzähligen geflochtenen Zöpfen.
„Scheint so, als wäre ich gerade noch rechtzeitig gekommen.“

Mit dem Abend kam der Sturm.
Noch vorwenigen Minuten hatte die Sonne über Eibenbach geschienen und nun tobte ein Unwetter, weit stärker als dasjenige vor zwei Wochen.
Ludger hatte die Läden fest verriegelt, dennoch konnte er keinen Schlaf finden. Hagelkörner prasselten von außen gegen das Holz und verursachten einen Lärm wie eine ganze Armee.
So lag der Novize wach auf seiner Liege und starrte, wie in der letzten Zeit so oft, die leere Schlafstatt neben sich an.
Er befand sich im Zwiespalt. So ungern er das Kloster zu dieser Zeit verließ, die elementaren Kampfkünste hatte er erlernt und er traute sich zu, dieses Training selbstständig weiter zu führen. Er hatte das bekommen, was er erhofft hatte, nur zwei Wünsche blieben offen: Rache an den Barbaren zu nehmen und seinen Bruder zu finden. Und je mehr Zeit verging, desto sehnlicher wurde Letzterer.
Ludger hätte es nie für möglich gehalten, aber sein Bruder fehlte ihm wie ein Stück seiner Seele. Khalid war der einzige noch lebende Mensch, der ihm etwas bedeutete. Er musste alles tun, was in seiner Macht stand, um wieder zu ihm zu gelangen, mochte Feldokar sagen, was er wollte.
Genauso wie…Marie…
Das Klopfen hätte er beinahe nicht gehört, da es fast identisch war mit dem unaufhörlichen Hämmern am Fenster.
Daved trat ein, ohne eine Antwort abzuwarten.
Nun, da er ihn von Nahem sah, erschrak Ludger ob des Äußeren seines jahrelangen Vorbilds. Das Gesicht wirkte eingefallen, alt und müde. Die Haut war bleich wie die Schale eines Eies und trocken, fast porös. Vereinzelte graue Haare zeigten sich in dem Schopf.
Der Mönch wirkte wie um Jahre gealtert.
„Daved, was verschafft mir die Ehre?“, fragte Ludger, setzte sich auf die Bettkante und wies dem Anderen den Platz neben sich zu.
Dieser schloss die Tür hinter sich und kam gemessenen Schrittes auf ihn zu, während seine weite graue Kutte um ihn herum wehte wie um einen Pfahl.
„Du bist Ludger, nicht wahr?“, fragte er, während er Platz nahm. Erneut wartete er keine Antwort ab. „Orlem erzählte von dir.“ Daveds Stimme widersprach seinem Äußeren, sie war immer noch so volltönend und beruhigend wie früher.
„Orlem hat mit dir über mich gesprochen?“ Ludger war tatsächlich überrascht. Sein Lehrmeister hatte sich nie mehr mit ihm beschäftigt als mit den Anderen. Schon allein, da er versuchte, so wenig wie möglich aufzufallen. Er versuchte, den Ausdruck auf Daveds Gesicht zu erkennen, doch dieser schaute ihn nicht einmal an, blickte scheinbar ins Leere.
„Das hat er und er sagte, du wärest einer seiner gelehrigsten Schüler. Ich habe ein Angebot für dich.“
Nun endlich sah er Ludger an und dieser musste sich bemühen, nicht selbst den Blick abzuwenden. Es schien, als könne Daved hinter seine Augen sehen und erkennen, was dort verborgen lag.
Der Novize schwieg abwartend.
„Du weißt, eine Schlacht wird kommen. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis die Primitiven auch gegen uns massiv aufmarschieren. Wenn es soweit ist, benötigen wir besonders kampfestüchtige Männer und Frauen, die uns anführen. Das ist ausgesprochen wichtig für die Moral. Du bist zwar erst ein Novize, aber deine Fähigkeiten sprechen für sich. Ich möchte dich und einige Andere persönlich trainieren. Ich habe auf meinen Reisen viele Fertigkeiten erlangt, unter anderem die Fechtkunst mit dem Schwert. Ich möchte dieses Wissen an euch weitergeben, damit ihr unsere Generäle werdet. Was meinst du dazu?“
Schweigen breitete sich aus, als Ludger in Gedanken versank. Daved ließ ihm Zeit zum Nachdenken. Doch die Antwort des Novizen stand ohnehin schon längst fest, er wagte es nur kaum, sie auszusprechen.
„Ich fühle mich geehrt, Daved“, sagte er schließlich, „aber ich muss ablehnen, es tut mir leid.“
Der Angesprochene zeigte keinerlei Reaktion, sondern wartete geduldig.
„Deine Zeit wäre an mir nur verschwendet“, fuhr Ludger fort, „denn ich werde nicht mehr lange hier sein. Es wird Zeit für mich, endlich aufzubrechen und meinen Bruder zu finden.“
Daved nickte.
„Ich habe davon gehört und da Schicksal deines Bruders tut mir leid, genau wie dein Eigenes. Ich versteht, wie du dich fühlst.“ Der Mönch machte eine Pause und atmete tief ein, bevor er fortfuhr. „Aber der Angriff der Barbaren könnte in kürzester Zeit stattfinden. Bitte Ludger, du darfst uns nicht im Stich lassen. Wir brauchen jede Hand in dem bevorstehenden Kampf.“
Doch der Novize hatte sich entschieden. Wenn er Khalid auch noch verlöre, hätte er nichts mehr, dessen es sich zu leben lohnte, das wusste er nun mit Sicherheit.
„Ich kannt nicht. Du kannst das nicht ganz verstehen, Daved, aber glaube mir bitte, dass, so gern ich es möchte, ich euch nicht helfen kann.“
Seufzend erhob der Andere sich wieder.
„Hör zu, Ludger, ich mache dir einen Vorschlag: Morgen nach dem Training wirst du eine Stunde bei mir nehmen. Danach teilst du mir deine endgültige Entscheidung mit.“
Der Novize nickte. Er konnte nicht anders.
Als der Mönch daraufhin dazu ansetzte, den Raum zu verlassen, hielt Ludger ihn noch einmal zurück.
„Daved…ich meine…geht es dir gut? Du siehst krank aus. Vielleicht solltest du ins Hospital…“
Sein Gegenüber schenkte ihm ein trauriges Lächeln.
„Weißt du, Ludger, diese Zeiten können einen doch nur krank machen. Ich denke nicht, dass mir ein Besuch im Hospital viel nutzen würde. Aber danke für deine Sorgen. Wir sehen uns morgen früh.“
Und damit war er verschwunden und der Sturm wütete mit unverminderter Stärke weiter.

Es war nicht Ludger, natürlich war er es nicht, aber wäre sein Bruder als Frau geboren worden, so hätte er ausgesehen wie sie, dessen war Khalid sich sicher.
Zitternd ergriff er die ausgestreckte Hand und ließ sich auf die Beine helfen. Der Pilger fühlte sich schwach und ausgelaugt wie selten zuvor. Es dauerte eine Weile, bis er sicheren Stand fand und hoch blicken konnte in das markant geschnittene, von blonden, zu Zöpfen geflochtenen Haaren umrahmte Gesicht. Die eisblauen Augen lagen etwa eine Haupteslänge über Seinen, der Mund war zu einem spöttischen Grinsen verzogen.
Sie musste noch größer sein als sein Bruder, fast so groß wie Gilla.
„Du solltest aufpassen, was du tust. Mit einem Sukkub ist nicht zu spaßen. Ich bin übrigens Hilda.“ Mit diesen Worten streckte sie ihm erneut die große schwielige Hand entgegen. Der Novize ergriff sie. „Ich bin Khalid,“ erklärte er etwas atemlos. „Was ist hier gerade passiert?“
Doch Hilda schüttelte nur den Kopf und deutete auf den Wald außerhalb der Lichtung.
„Wir sollten erstmal von hier verschwinden. Ich erkläre die Alles unterwegs.“
Ohne eine Reaktion seinerseits abzuwarten, drehte sie sich um und ging strammen Schrittes auf den Wald zu, so dass Khalid sich beeilen musste, um mit ihr Schritt zu halten.
Erst jetzt bemerkte er, dass Hilda Raggaroth gesprochen und auch er instinktiv diese Sprache benutzt hatte. Es ging besser als erwartet, das tagelange Studium in der Bibliothek hatte sich offensichtlich ausgezahlt. Nur das Wort „Sukkub“ konnte der Pilger nicht einordnen, er hatte es noch nie zuvor gehört.
Da seine Führerin im Augenblick schweigend voranstürmte und Khalid kaum eine andere Wahl hatte als ihr zu folgen, nutzte er die Zeit, Hilda etwas genauer zu betrachten.
Auch wenn das wettergegerbte Gesicht einen anderen Eindruck vermittelte, was sie vermutlich nicht viel älter als er. Ihr Körperbau war schlank und muskulös, zumindest soweit er das erahnen konnte, denn die junge Frau war fast vollständig eingehüllt in weite Kleidung aus grob gegerbten Leder.
Hilda sprengte mit einem Tempo durch den Wald, das Khalid staunen machte. Es schien, als würde sich das Unterholz vor ihr auftun und ihrem Schritt Sicherheit verleihen, als verschmelze sie mit dem Wald in einer seltsamen Symbiose, anstatt ihn nur zu durchwandern.
Auf Khalid traf dies indes weniger zu. Mehr als einmal stolperte er über Wurzeln und Gestrüpp und drohte zu fallen. Er war mehr als erleichtert, als die junge Raggara schließlich das Tempo drosselte.
„Du siehst nicht so aus, als wärst du von hier,“ begann sie, als der Novize schließlich zu ihr aufgeschlossen hatte.
„Nein“, gab dieser zurück, nun noch atemloser als zuvor, „ich komme…aus dem Süden. Ich bin ein Reisender auf der Suche nach Wissen.“
In seiner Erschöpfung sah Khalid nicht die grimmige Bestätigung auf Hildas Gesicht.
„Ich glaube, wir sollten hier für die Nacht rasten.“, sagte sie nur und blieb stehen.
Khalid sah sich verwirrt um. Sie waren mitten im tiefsten Wald, weit und breit war keine freie Fläche zu sehen.
„Bist du sicher? Wo sollen wir schlafen und wie werden wir hier ein Feuer machen?“
Hilda warf ihm einen abfälligen Blick zu.
„Ein Feuer werden wir nicht brauchen, die Nächte sind noch warm. Außerdem sollten wir hier schlafen und nicht anderswo, denn im Süden sitzt der Sukkub und im Norden liegt das Revier eines Wolfsrudels.“
Khalid fand es interessant, was seine Führerin als warm bezeichnete, doch er fragte nicht weiter, auch nicht, woher sie von dem Rudel wusste.
Er hatte so oder so keine andere Wahl, als ihr zu vertrauen.
.Der Pilger nahm also die Tasche herunter und versuchte gerade, sich das Unterholz so zurecht zu schieben, dass er eine bequeme Position haben würde, als plötzlich ein riesiger weißer Wolf zwischen den Bäumen auftauchte.
Khalid schrak auf und sah sich hastig nach einem Fluchtweg um, doch Hilda machte nur eine beschwichtigende Geste und so sah er ungläubig zu, wie das Tier langsam an die Seite der jungen Frau trabte und sich dort niederließ, ohne dabei den Blick der rubinroten Augen von ihm zu nehmen.
„Keine Panik, Khalid. Das ist Weißdorn, mein Gefährte. Er wird dir nichts tun, solange ich ihn nicht darum bitte.“
Wie aufs Stichwort ließ der Wolf ein tiefes Knurren hören und der eingeschüchterte Novize schluckte schwer. Er erinnerte sich nun auch wieder an den weißen Blitz, der ihn zuvor umgeworfen hatte.
„Also dann“, setzte Hilda an, „wenn du hier überleben willst, solltest du mehr über unser Land wissen, Khalid. Ich denke, ich werde ganz von vorne anfangen müssen, da du vermutlich nichts über uns weißt, außer dass du unsere Sprache spricht. Aber hör gut zu, denn ich werde mich nicht wiederholen. Und ich möchte keine lästigen Zwischenfragen, verstanden?“
Khalid nickte.
„Um zu verstehen, was mit dir geschehen ist, musst du unsere Lehre der Säfte kennen. Jedes Wesen, ganz gleich wie intelligent es ist, wird von vier Empfindungen gesteuert: dem Überlebensinstinkt, dem Drang, sich fortzupflanzen, dem Hass und der Liebe. Für jede dieser Empfindungen ist eine Flüssigkeit zuständig. Der Speichel steuert deine ursprünglichsten und wichtigsten Instinkte. Er zeigt dir, dass du Hunger hast, wenn dir das Wasser im Mund zusammenläuft und dass du Durst hast, wenn er dir Trocken wird. Ohne deinen Speichel könntest du nicht überleben, er zeigt dir, was das Wichtigste im Leben ist, nämlich Fressen.“
Hilda lächelte und kraulte Weißdorn hinter den Ohren, bevor sie fortfuhr.
„Der Fortpflanzungstrieb wird gesteuert vom Schweiß, dem zweiten Saft. Nicht umsonst wirkt sein Duft anziehend für Wesen des anderen Geschlechts, sowohl bei Tieren als auch bei Menschen. Außerdem kennst du es vermutlich, dass die der Schweiß auf die Stirn tritt, wenn du einer schönen Frau begegnest. Oder…naja, für was auch immer du dich interessierst. Allerdings denke ich, diese Frage dürfte geklärt sein, nach dem, was ich gesehen habe…“
Khalid versuchte, Hildas hämisches Grinsen zu ignorieren und wartete stattdessen daraif, dass sie weiter sprach.
„Der Hass wird ausgelöst und unterstützt von Galle. Und nicht nur er: Neid, Zorn, Gier, Angst und viele Krankheiten, all das haben wir der Galle zu verdanken. Ist zu viel davon in deinem Körper, wirst du missmutig, reizbar und krank. Aber dein Körper kennt sichere Wege, sich der überschüssigen Galle zu entledigen, wenn du verstehst, was ich meine. Aber die Galle ist auch wichtig. Angst und manchmal auch Zorn sind notwendig fürs Überleben.
Und schließlich gibt es da noch die Liebe. Sie und die Trauer werden verursacht durch das Blut, genauer gesagt das Herzblut. Das ist dasjenige Blut, das gerade dein Herz verlassen hat und noch voll ist von deinen Empfindungen. Ich könnte dir jetzt Etwas erzählen vom Herzklopfen beim Anblick des Geliebten und so weiter, aber das spare ich mir. Du kannst dir den Rest ja denken. Jedenfalls kann jedes Wessen auch unter einem Überschuss von Herzblut leiden, was zu Liebeskrankheit oder Depressionen führen kann. In solchen Fällen hilft nur ein Aderlass.“
Erneut machte die Raggara eine Pause, lehnte sich zurück und schloss die Augen.
„Soweit die Grundlagen. Diese vier Gefühle sind die Grundbausteine dieser Welt und sie stecken in allem, das lebt, ob du es glauben magst oder nicht. Da sie also überall vorhanden sind, gibt es manchmal Verkörperungen dieser Elemente. Wir nennen sie Nornen. Einer solchen bist du begegnet, einem Sukkub. Das sind Geister des Schweißes, Gestaltwandler, die ein Äußeres annehmen, das ihr Opfer…anspricht. Dieses Opfer verführen sie dann und von den darauf folgenden…Geschehnissen ziehen sie ihre Energie. Die Sukkub kennen weder Erschöpfung noch Erbarmen, sie benutzen ihr Opfer so lange, bis es einfach stirbt. Ein solcher Akt kann mehrere Tage dauern. Kein schlechter Tod, wenn du mich fragst, aber da sind die Geschmäcker wohl verschieden.“
Khalid schluckte schwer und versuchte, nicht darüber nachzudenken.
„Es gibt noch weitere Nornen: die Warg sind die Geister des Speichels. Sie erscheinen als gewaltige schwarze Wölfe. Für die Warg gibt es nur zwei Dinge im Leben: Jagen und Fressen. Begegnest du Einem, so bist du schon tot, du weißt es nur noch nicht.
Die elementaren Geister der Galle sind die Schatten, körperlose Wesen, die sich an den Geist eines Menschen heften, ihn mit Hass, Misstrauen und Wut infizieren und sich dann von den Reaktionen anderer Menschen ernähren.
Die Blutgeister schließlich sind die Feen, je nach ihrer Stimmung als Licht- oder Dunkelfeen bekannt. Sie sind die unstetesten Wesen, die jemals existiert haben. Ihre Laune kann von einem Moment auf den anderen grundsätzlich umschlagen. Sind sie glücklich, so erscheinen sie als kleine goldene Glühwürmchen und haben Vergnügen daran, wildfremde Menschen ineinander zu verlieben. Dabei stören sie sich im Übrigen nicht am jeweiligen Geschlecht ihrer Opfer. Sind sie traurig, so zerstören sie glückliche Beziehungen und ernähren sich von dem darauf folgenden Kummer. Sie sehen dann aus wie kleine schwarze Käfer und werden meist überhaupt nicht bemerkt.
Wir Druiden sind die Einzigen, die diese Wesen kontrollieren können. Der Ort, in den du gestolpert bist, ist eine Kultstätte. Mit Hilfe der elementaren Säfte ist es möglich nahezu jede Krankheit zu heilen. Daher wurden diese Stätten eingerichtet an Orten, an denen die Geister stark sind. Die elementaren Geister waren schon immer gefährlich, doch in letzter Zeit sind sie besonders aufgebracht. Aber das zu erklären würde jetzt zu lange dauern. Du bist müde.“
Khalid nickte. Sie hatte Recht. Doch es gab noch Einiges, das er wissen wollte.
„Du bist eine Druidin?“, fragte er.
„Bin ich, ja.“
„Ich habe Geschichten über euch gehört, aber ich wusste bislang nicht einmal sicher, dass ihr tatsächlich existiert. Stimmt es, dass ihr Tiere und Pflanzen kontrollieren könnt?“
„Später, Khalid. Ich werde dir noch Alles erklären. Du bist müde. Du solltest schlafen, Khalid. Beantworte mir aber noch eine Frage: du bist nicht irgendein Reisender, nicht wahr? Du bist ein Pilger aus dem Lauranerkloster.“
Khalid nickte unsicher und das letzte Bisschen Freundlichkeit wich aus Hildas Gesicht und Stimme.
„Gut. Du bist müde. Schlafe!“
Und Khalid schlief.

Der Regen hatte die ganze Nacht lang angedauert und erst am folgenden Morgen ließ er langsam nach. Dennoch hatte sich eine kleine Gruppe Schüler auf dem aufgeweichten Boden des Innenhofes zusammengefunden.
Noch sah Ludger kein Anzeichen von Daved, aber er vermutete, dass sich der Mönch erst nach Ablauf der heutigen Übung zeigen würde.
Er hatte in der vergangenen Nacht kaum noch Schlaf gefunden, war immer wieder im Kopf das Gespräch mit Daved durchgegangen. Es erschien ihm seltsam, dass der Mönch ihn herausgesucht hatte, an seinem Privatunterricht teilzunehmen. Und überhaupt, wieso wurde nur eine kleine Gruppe im Kämpfen mit dem Schwert unterrichtet und nicht alle Mitglieder des Klosters?
Nun, es war auch gleich, Ludger würde nicht mehr von seinem Plan abweichen. Nach der Erfüllung von Daveds Wunsch, würde er abreisen.
Der Novize blieb ihm Recht. Direkt nachdem sich die Menge nach Beendigung des Unterrichts zerstreut hatte, kam der Mönch hinter dem südwestlichen Teil des Sterns hervor.
Er trug heute ein weißes Hemd und eine straff sitzende Lederhose anstelle der üblichen Klostertracht. Diese Kleidung hob seine hagere Gestalt noch mehr hervor, so dass Ludger sich fragte, ob Daved überhaupt in der Verfassung war, ihm Etwas beizubringen.
„Schön, dass du noch gewartet hast.“, begann der Mönch schließlich. „Komm mit, wir müssen nicht hier draußen im Matsch trainieren.“
Ludger nickte und schloss sich dem Mönch an, der zügig voranging.
„Ich komme mit, aber ich weiß nicht, wofür das gut sein soll, Daved. Du vergeudest deine Zeit, ich habe meinen Entschluss schon gefasst.“
„Das weiß ich“, antwortete sein Gegenüber ohne sich umzuwenden, „und ich wäre überrascht, wenn es anders wäre. Nach dem zu schließen, was ich über dich und deinen Bruder gehört habe, scheint ihr mir nicht wankelmütig zu sein. Aber ich habe noch Etwas für dich.“
Ludger kam nicht mehr zu einer Erwiderung, da in diesem Moment Daved vor einem Haus, das anscheinend schon seit Jahren unbewohnt war, stehen blieb. Das Gebäude, das eher eine größere Kate als ein Haus war, war ziemlich verfallen, die Läden des Backsteinbaus waren verschlossen, die Wände waren von Farn und Efeu überwuchert und in der Decke prangte ein großes Loch.
Der Novize warf Daved einen zweifelnden Blick zu, doch dieser lächelte nur flüchtig.
„Wenn man ein ruhiges, ungestörtes Plätzchen sucht, dann ist es von Nutzen, die leer stehenden Gebäude in diesem Kloster zu kennen, mein Freund. Tritt ein!“
Ludger gehorchte und fand sich in einem staubigen, düsteren und fast völlig leeren Raum wieder. Das Einzige, was sich darin befand, waren zwei Schwerter, die an der gegenüber liegenden Wand lehnten.
David öffnete unterdessen die Fenster und ließ das Licht des aufklarenden Himmels herein.
Es zeigte sich, dass tatsächlich alle Möbel aus dem Raum entfernt worden waren, auch der Boden bestand nur aus gestampftem Lehm. Zwei Türen führten offensichtlich in weitere Räume, doch sie waren geschlossen und vermutlich auch nicht weiter wichtig. Sie hatten hier Platz genug.
„Ich hoffe, du bist einverstanden mit diesem Raum. Er ist nicht sonderlich gut ausgestattet, aber immer noch besser als die Suppe da draußen. Hm, vielleicht hättest du dich noch umziehen sollen…aber ich denke, für heute wird es gehen.“
Ludger sah hinunter auf seine dreckverkrustete Tunika. Er fror leicht, aber die Übungen würden die Kälte bald vertreiben. Und waschen musste er sich so oder so noch vor seiner Abreise. Daved hatte Recht, für heute würde es gehen. Und bei heute würde es bleiben.
Der Novize ging zur hinteren Wand und nahm sich eines der Schwerter. Es war eine kurze, schlanke Klinge, die gut in der Hand lag und überraschend leicht war. Der Griff war unverziert und schlicht, aber gut gepolstert und komfortabel. Er kannte sich zwar nicht sehr gut aus, aber Ludger war sicher, dass dies eine teure Waffe war.
„Gewöhne dich schon einmal an dieses Schwert.“, sagte Daved lächelnd. „Du kannst es behalten, wenn du möchtest.“
Mit Erstaunen, Misstrauen und Unglauben zugleich starrte der Beschenkte seinen Wohltäter an.
„Warum schenkst du mir dieses Stück, Daved? Ich habe dir doch gesagt, dass ich bald fort sein werde. Ich bin keine Hilfe in der kommenden Schlacht. Verschwende keine Ausrüstung an mit, die jemand anderem nützlicher sein könnte!“
Doch der hagere Mönch schüttelte den Kopf und nahm das zweite Schwert in die Hand.
„Selbst wenn du wirklich gehen willst, Ludger, kann ich dich nicht ohne eine richtige Waffe ziehen lassen. Du wirst kaum eine Chance gegen die Barbaren haben, wenn du nichts weiter trägst als einen Stock.“
Ludger verzog das Gesicht bei dieser Aussage. Daved hatte damit indirekt behauptet, ein Großteil der zukünftigen Verteidiger des Klosters würde den Barbaren gegenüber chancenlos sein.
Aber statt etwas darauf zu erwidern, bedankte er sich lediglich unsicher und wartete darauf, dass Daved mit dem Training beginnen würde. Doch dazu sollte es an diesem Tag nicht mehr kommen.
Denn in diesem Moment ertönte von draußen ein Lärm von vielen Stimmen, die so laut durcheinander brüllten, dass man kein Wort verstehen konnte.
Ludgers Lehrer forderte ihn mit einer Handbewegung auf, zu warten, während er die kleine Kate verließ, um nach der Ursache des Tumults Ausschau zu halten. Es war deutlich zu sehen, dass er sehr verärgert über die Unterbrechung war.
Der Novize indes blieb stehen, steif wie eine Puppe.
Langsam wich alle Farbe aus seinem Gesicht und die Kälte drang tiefer in seine Glieder, als das Gebrüll deutlicher wurde und einzelne Wort- und Satzfetzen an sein Ohr drangen.
Es musste Daved sein, der schließlich mit dem Mönch sprach, der direkt vor dem Haus stand.
Jedes Wort des Unbekannten war der Stich eines vergifteten Messers und das Gift zersetzte sein Herz und ließ sein Blut faulen und die Welt zersprang, als alles in ihm starb in diesem einen Augenblick.
„Sie haben Khalid gefunden! Die Reiter! Sie haben ihn im Wald gefunden bei der Klosterkreuzung! Er ist tot! Die Raggar haben Khalid getötet!“



©2008 by Paglim. Jegliche Wiedergabe, Vervielfaeltigung oder sonstige Nutzung, ganz oder teilweise, ist ohne vorherige schriftliche Genehmigung des Autors unzulaessig und rechtswidrig.

Kommentare


Von Jason-Potter
Am 27.06.2008 um 11:26 Uhr

Hi, ich bin es noch einmal. Also wegen Copyright brauchst du dir keine Sorgen machen. Du musst nur Sorge dafür tragen, dass sobald du einen Vertrag abgeschlossen hast, das Zeug wieder aus dem Internet verschwindet. Auf romansuche.de läuft es ja nicht anders und über diese Seite sind sogar schon unbekannte Autoren zu Bestsellern gekommen. Also nur weiter so.
Ich werde jetzt übrigens auch Student, bin nur noch nicht ganz sicher, für welchen Studiengang ich mich letztendlich entscheiden soll.

PS: Vielleicht liest du ja trotzdem mal ein einzelnes Kapitel von mir durch (auch wenn du natürlich die Story nicht kennst) und gibst mir ein paar Tips, wie man es eventuell sprachlich interessanter gestalten könnte. Ich bin von meinem Schreibstil nämlich nicht wirklich überzeugt, aber vielleicht sehe ich mich selbst auch zu kritisch, keine Ahnung.


Von Paglim
Am 27.06.2008 um 10:05 Uhr

Danke Ralf, deine Kommentare sind immer wirklich aufbauend und motivierend. So macht die ganze Sache noch mehr Spaß :)
Muss aber natürlich erst mal fertig werden, bevor ich mich nach Verlagen umsehe. Außerdem ist das Buch hier und in nem anderen Forum frei zugänglich und das gibt doch mit Sicherheit Copyright-Probleme...
Würde gern auch dein Geschriebenes lesen, aber so wie es aussieht müsste ich da jede Menge nachholen und dafür fehlt mir leider die Zeit im Semester. Sobald du was Neues anfängst bin ich mit dabei.

Gruß,
Paglim


Von Jason-Potter
Am 25.06.2008 um 17:08 Uhr

Was du hier betreibst ist eine hohe Kunst in letzter Vollendung. Dabei bekommt man echt weiche Knie. Du hast einen unglaublich lebendigen Erzählstil. Bewerbe dich doch einmal bei Romansuche.de dort suchen sich die Verlage auch manchmal neue Autoren. Du solltest das Schreiben wirklich professionell betreiben und das meine ich jetzt verdammt Ernst.

Grüße Ralf

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