An dieser Stelle möchte ich mich für Eure Fürsorge und Euer selbstloses Engagement bedanken. Wie ich in den Medien täglich mehrmals erfahre, erleben wir gerade einen Wirtschaftsaufschwung und darauf seid Ihr mit Recht stolz. Ich warte täglich darauf, dass dieser Aufschwung auch mich erreicht und lange kann es ja nicht mehr dauern! Lasst Euch nicht durch die Unkenrufe in der Presse entmutigen! Dass jeder vierte Bundesbürger am Hungertuch nagt und jeder achte gar unter dem Existenzminimum sein Leben fristet ist doch egal. Diese Leute sind ja so undankbar und wollen partout nicht einsehen, dass man sein persönliches Wohl auch mal der Allgemeinheit, bzw. Eurem politischen Ansehen opfern muss.

Was soll das Gejammer, wo doch die Wirtschaft boomt? Die Arbeitslosenzahlen gehen schließlich zurück – aus welchen Gründen auch immer, egal, Hauptsache die Zahlen stimmen und Zahlen sind schließlich wichtiger als Menschen, denn sie sind geduldig und Menschen mäkeln immer herum. Damit macht ihr uns alle fröhlich, und zuversichtlich wollen wir gerne auf eine gute Ausbildung unserer Kinder verzichten, weil wir diese nicht mehr finanzieren können. Wer braucht schon ein Studium, wo doch das Leben ruft!

Ich war richtig gerührt, als unsere Bundeskanzlerin mit betroffenem Gesicht und bebender Stimme ihre Meinung zum beliebten Komasaufen unserer Jugend kundtat. Sie hat ja Recht – was stellen sich diese jugendlichen Tunichtgute so an, bloß weil sie weder eine Ausbildung, noch Aussicht auf eine irgendwie geartete Zukunft haben. Wer braucht schon sinnvolle Freizeitaktivitäten, die sich keiner mehr leisten kann! Wir haben doch einen Wirtschaftsaufschwung, das müsste doch reichen! Da sollten wirklich mal die Erwachsenen ein Auge drauf haben und die jungen Leute davon überzeugen, dass es doch nicht so wichtig ist, sich beispielsweise gesund zu ernähren oder einem Sportverein beizutreten, wenn die nötige Kohle fehlt. Man sollte sich lieber hinsetzen, in sich gehen und sich über den Aufschwung freuen. Allerdings würden die jungen Leute dann ihren Alkoholkonsum eventuell einstellen und das würde die Getränkeindustrie ganz bestimmt nicht gut heißen. Wir dürfen doch den Aufschwung nicht aus den Augen verlieren! Und wenn in den Kneipen nicht nur die Raucher, sondern auch noch die Säufer fehlen würden, wäre ja auch keinem geholfen.

Ich genieße jeden Augenblick, den ich noch nicht zu den Armen gehöre aber das kann ja noch kommen und dann werde ich heldenhaft mein Schicksal tragen, denn es ist doch nur gut für mein Land, wenn ich freudigen Herzens Unsummen für Öl, Strom und Benzin ausgebe, damit es weiter aufwärts gehen kann. Ich will mich auch nicht beklagen, dass es nicht für die dringend notwendigen Sparmaßnahmen – wie z.B. eine Solaranlage oder ein alternativ betriebenes Auto – langt. Ich möchte doch auch weiterhin pflichtschuldigst meinen Beitrag zum Aufschwung leisten.

Also, Landesmütter und –väter, macht weiter so! Lasst Euch nicht beirren und hört nicht auf, auch noch den letzten Blutstropfen aus uns herauszuquetschen. Schließlich ist das Geld ja noch da – es wird nur anders verteilt. Wir werden uns redlich bemühen, das große Ganze zu sehen und uns von ganzem Herzen darüber zu freuen.