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Prosa => Liebe


Treppenfest - von Jurewa, 28.03.2008
Ich fiel die Treppe hinauf.
Die meisten fallen die Treppe hinunter, ich fiel sie hinauf und schlug mir dabei das Knie an der eisenbeschlagenen Treppenkante auf. Es war das rechte Knie mit der großen Brandnarbe auf der Kniescheibe. Der Schmerz ließ mich zusammenzucken und aufschreien. Das Blut schoss aus der Wunde, und ich wimmerte noch mehr. Eine fremde Hand ergriff meinen Arm und zog mich hoch. Ich blickte in das Gesicht eines jungen Mannes, der mich aufmerksam musterte und fragte:"Alles ín Ordnung? Kannst du laufen?"
Ich starrte ihn wie hypnotisiert an, verschluckte meine Tränen und nickte. Sprechen konnte ich nicht.
Es war mein erster Tag auf der Erweiterten Oberschule und ich verliebte mich unsterblich in diesen jungen Mann, einen Schüler der zwölften Klasse, wie ich später erfuhr.
Sein Name, den ich nach vielen Fragen rausbekam, war Rüdiger Mehnert, ein großer, schlaksiger Junge mit langem blondem Haar.
Ich ging gern zur Schule und von nun an noch lieber. In den Pausen, während wir die Klassenzimmer wechselten, versuchte ich immer, einen Blick auf ihn zu erhaschen. Ich glaubte, man sah mir an, wie sehr ich ihn mochte.
Er nahm keinerlei Kenntnis von mir.
Wenn wir Hofpause hatten und um den Schulteich marschierten, wollte ich in seiner Nähe sein, seine Blicke auf mich ziehen. Nichts, er sah mich nie an. Unentwegt redete ich von ihm. Meine Freundin verbot mir schließlich, den Namen in den Mund zu nehmen, wenn ich mit ihr zusammen war.

Jedes Jahr fand in der Schule im Treppenhaus ein 'Treppenfest' statt.
Ich freute mich darauf, aber die Frage der Kleidung wurde zu einem fast unüberwindlichem Hindernis.
Die Scheidung meiner Eltern lag in den letzten Zügen und ich hatte noch vier Geschwister, von denen drei jünger waren als ich. Da brauchte ich mit dem Wunsch nach etwas Neuem zum Anziehen gar nicht erst kommen. Es war kein Geld da. Ich war uneinsichtig und bockig, so, wie man mit vierzehn Jahren ist.
Ein neues Kleid sollte es sein, eines, das mich älter aussehen ließ. Wieso ging das nicht? Ich konnte doch Rüdiger nicht in meinem Jugendweihekleid gegenübertreten!
Mit meiner Freundin versuchte ich dieses Problem zu lösen. Von ihr passte mir nichts, da sie einen Kopf kleiner und sehr viel dicker war als ich. Sie meinte aber, ihre Mutter habe genügend Klamotten und sie würde nichts merken, wenn sie ein Kleid aus dem Schrank entwenden würde.
Gesagt, getan.
Das Kleid war viel zu weit, hatte aber hinten eine Naht und wir beschlossen, es einfach von oben nach unten enger zu nähen. Natürlich ohne Maschine! Von hinten sah es liederlich aus, von vorn ging es. Wir beschlossen, dass meine Freundin immer hinter mir stehen und ich mich möglichst in Wandnähe aufhalten sollte.
Als wir auf dem Fest ankamen, waren schon sehr viele der Schüler und Lehrer da. Mein Herz schlug bis zum Halse, als ich Rüdiger sah. Er schaute in meine Richtung und ich glaubte, er meinte mich. Endlich! Aber nein, sein Freund tauchte gleichzeitig mit uns auf. Ich himmelte Rüdiger an, immer bemüht, es keinen merken zu lassen. Wie gern hätte ich mit ihm getanzt! Obwohl, ich konnte gar nicht tanzen. Und wenn er mich berührt hätte, ach, ich hätte alles dafür gegeben! Die Musik begann zu spielen und es wurde relativ schnell getanzt. Pärchen, die man vom Schulhof kannte, tanzten sehr eng miteinander. Wie ich sie beneidete! Rüdiger tanzte nicht. Ein Mädchen mit langem Haar unterhielt sich mit ihm, was ihn aber nicht hinderte, sich nach anderen umzuschauen und Gespräche zu führen.
Ich litt still.
Meine Freundin wusste um meine Sehnsucht, hatte sich aber auch verknallt und kümmerte sich deshalb nicht weiter um mich. Dass sie immer hinter mir stehen sollte, hatte sie längst vergessen. Auch sie buhlte um die Aufmerksamkeit eines Jungen aus den oberen Klassen.
Plötzlich hörte ich, wie jemand sagte: DAMENWAHL!
Damenwahl.......Damenwahl...wie durch einen Schleier hörte ich es und dachte, oh Gott, das ist deine Chance! Jetzt oder nie! Du musst ihn auffordern....einfach hingehen, jetzt!
Wie im Trance ging ich zu ihm hin und bat mit total heiserer Stimme um den Tanz.
Die Gespräche um ihn verstummten, er schaute vollkommen verdutzt auf mich herunter, lächelte verlegen, schaute zur Seite, schaute mir wieder in's Gesicht und sagte:
"Gut, komm mit!"
Und dann tanzte ich mit ihm. Ich, die nicht tanzen konnte, bewegte mich wie eine, die meinte, tanzen zu können. Ich vergaß die liederliche Naht an meinem Rücken, vergaß meine Umwelt. Ich tanzte! Mit ihm! Er hielt die drei Titel durch und brachte mich dann zu meiner Freundin zurück. Ich war so sehr glücklich.
Wenn wir uns später im Schulhaus trafen, schaute er sofort weg. Gerne hätte ich mit ihm gesprochen, über diesen Tanz, über irgendetwas, einfach nur sprechen. Mit fehlte der Mut für einen zweiten Anlauf und irgendwann war es vorbei mit meiner Schwärmerei.

Jahre später, als ich in Berlin an der Humboldt-Universität studierte und auf einem der seltenen Wege nach Hause war, traf ich ihn im Zug. Ich hatte ihn schon auf dem Bahnsteig gesehen, kurz überlegt, ihn anzusprechen, aber wozu?
Der Zug war brechend voll und ich bekam nur einen Stehplatz. Plötzlich tippte mir jemand auf die Schulter und ich wusste instinktiv, dass ist er.
Überrascht starrte ich ihn an, fühlte, wie meine Narbe am Knie pochte.
"Erinnerst du dich an das Treppenfest?", fragte er mich. Ob ich mich erinnerte? Was für eine Frage!
"Weißt du, dass ich vollkommen überrascht war, als du mich damals zum Tanzen aufgefordert hast? Es war irgendwie rührend wie dein Gesicht glühte, deine Augen leuchteten und dann dieses komische Kleid, dass du anhattest. Ich hätte gar nicht ablehnen können, verstehst du? Kannst du dir vorstellen, dass ich bis zu diesem Tage noch nie getanzt hatte? Was meinst du, wie mich die anderen hinterher aufgezogen haben!", hörte ich ihn lachend sagen.
Ich beugte mich verlegen nach unten, rieb die Narbe an meiner Kniescheibe. Ob er sich auch daran erinnerte, dass er es war, der mir damals beim Aufstehen nach dem Sturz geholfen hatte? Ich könnte ihn fragen, jetzt, nur, wollte ich das? Nein, ich hatte meine erste Liebe, die doch nur eine Schwärmerei war, als meine Erinnerung abgespeichert, wollte ihn nicht mehr daran teilhaben lassen.
Langsam kam ich wieder hoch und stimmte in sein Lachen ein.
















©2008 by Jurewa. Jegliche Wiedergabe, Vervielfaeltigung oder sonstige Nutzung, ganz oder teilweise, ist ohne vorherige schriftliche Genehmigung des Autors unzulaessig und rechtswidrig.

Kommentare


Von Nymphadora
Am 06.09.2008 um 17:24 Uhr

Setzt du noch mal etwas rein? Ich muß gestehen, daß ich bislang nur die recht neuen Sachen gelesen habe, weil einges schon recht alt ist und ich nicht wußte, ob die jeweiligen Autoren noch aktiv dabei sind.


Nana Nymphadore


Von Jurewa
Am 06.09.2008 um 15:14 Uhr

Hallo Jason-Pott und Nymphadora,

danke für eure Kommentare zu meiner Geschichte. Es freut mich, dass sie Anklang gefunden hat. Ist nicht in jeder Geschichte etwas Eigenerlebnis dabei? Sicher kann man den Inhalt nicht 'eins zu eins' auf den Verfasser übertragen,
Aber es stimmt, in meinen Geschichten finden sich Episoden aus meinem Leben wieder, anders verpackt und interpretiert, aber doch schon Eigenerlebnisse.

Freundliche Grüße,
jurewa


Von Nymphadora
Am 05.09.2008 um 20:00 Uhr

Das ist irgendwie rührend. Ich finde es recht gut geschrieben. Allerdings finde ich, daß es sich wie ein biographisches Erlebnis liest. Aber das ist ja nichts schlechtes.


Nana Nymphadore


Von Jason-Potter
Am 02.07.2008 um 11:30 Uhr

Deine Geschichte zeigt , wie sehr man doch von Gefühlen und der Eigeninterpretation fremder Verhaltensweisen gelenkt wierden kann und wie tragisch das stellenweise ist. Mit diesem Verlauf der Geschicht konnte niemand rechnen und das bedeutet, du hast sie gut verpackt.

Grüße Ralf

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Es gibt 4 Kommentare


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