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Prosa => Phantasy & SciFi


Phineas, Teil I - von Moons, 26.11.2007
„Wo ist er?“ niemand antwortete. Keiner konnte es über die Lippen bringen, doch es war auch keines falls nötig. Es war offensichtlich. Wieso sollten sie denn sonst hier auf dem Boden herumkriechen wie die Kackerlacken, die Köpfe eingezogen zwischen den Schultern um ja möglichst wenig Angriffsfläche preiszugeben? Wenn alles in Ordnung wäre, wieso sollten sie dann solche Angst haben? Gar nicht, genau das war es. Aber sie hatten allesamt Angst. Na ja, ein paar vielleicht weniger als die anderen, aber zweifelsohne hatten allesamt auf die verschiedene Weisen Angst. „Ich habe gefragt wo zum Teufel er ist, ihr verdammten Hornochsen!“ Das war ja noch ein richtig milder Ausdruck, aber Thorgrid hatte nicht die Hoffnung, dass es so einem seichten Tonfall weiter gehen würde. Schon der nächste Satz hatte mehr Härte. „Seid ihr Idioten taub? Wenn jetzt nicht sofort einer von euch sein Maul aufmacht und mir sagt, wo er ist, dann schwöre ich euch bei allem was mir heilig ist...“ die Drohung wurde nicht zu Ende gesprochen. Sie hatten von Anfang an ausgemacht, wer alles gestehen würde. Nun ja, eher gesagt, sie hatten darum gewürfelt, denn keiner hatte es freiwillig machen wollen. Das Los hatte Halgard getroffen. Thorgrid leugnete nicht, dass er glücklich darüber war, andererseits tat ihm Halgard wirklich leid. Thorgrid schaute gar nicht erst auf, als Halgard in einem beherrschten Tonfall sagte: „Er ist weg.“ Mehr brauchte er nicht zu sagen, mehr brachte er vielleicht aber auch gar nicht raus. Es reichte vollkommen aus um die richtigen Schlüsse zu ziehen. „Er ist entkommen?“ Die fünf Männer, die am Boden der Halle kauerten, zogen allesamt den Kopf noch tiefer zwischen ihre Schultern, als fürchteten sie einen Schlag. Es dauerte einen Moment, ehe einer von ihnen es wagte weiter zu sprechen, jedoch dabei sorgsam darauf achtend, nicht aufzusehen. „Ja, mein Herr. Siegward ist uns entkommen.“ „Und wie konnte das geschehen?“ Wieder mal blieb Thorgrids Blick fest auf den Steinboden geheftet, als wolle er mit seinem Blick alle Rillen und Risse nachfahren, die es dort zu entdecken gab. Zwar versuchte der Fürst seine Stimme noch beherrscht wirken zu lassen, doch der Ärger zitterte schon unterschwellig darin mit. Ganz davon abgesehen, dass der Fürst keineswegs für seine Geduld und sein Einfühlvermögen bekannt war. Wenn sie nicht schnell irgendetwas zu ihrer Verteidigung hervorbringen würden, dann waren sich alle der fünf Männer sicher, dass ihr Herr ihnen allesamt den Kopf von den Schultern schlagen lassen würde. Vielleicht würde es sie auch nicht ganz so schlimm treffen und er würde sie nur an den Pranger stellen lassen. Ja, dass konnte man noch verkraften. Ein bisschen taube Füße, Rückenschmerzen und lahme Arme, aber es war auszuhalten. Tausendmal besser als kopflos zu sein. „Es ist uns wirklich schleierhaft wie er aus der Zelle entkommen konnte, Herr.“ Halgard versuchte die auswegslose Situation doch noch irgendwie zu retten. Sie konnten das ungeduldige Klopfen der Finger hören, mit denen ihr Herr die Holzlehnen seines Stuhles malträtierte. Thorgrid wagte einen flüchtigen Augenaufschlag, um zu erkennen, was im Gesicht seines Fürsten vor sich ging. Doch er konnte nichts erkennen, der Fürst saß im dunklen Schatten der Halle, allein seine Umrisse waren zu erkennen. Er lümmelte im Sessel, hämmerte aber gleichzeitig voller Ungeduld auf den Armlehnen herum. Der Kerzenschein reichte bei der Dämmerung, die draußen bereits herrschte, nicht aus, um seine Miene deuten zu können. Sein Schweigen fassten allesamt als Aufforderung auf, weiter zu reden. Vielleicht konnten sie noch das letzte bisschen retten, dass zu retten war. Einen Versuch war es allemal wert. „Als am Abend Wachablösung war, fanden wir die beiden Wachen vor den Zellen mit durchtrennten Kehlen. Ich habe keine Ahnung wie er das schaffen konnte.“ „Wie er das schaffen konnte?“ die Stimme des Fürsten war von einem Augenblick zum nächsten zu einem bedrohlichen, aber bereits erwarteten, Donnern angeschwollen. Sofort senkte Thorgrid wieder seinen Blick und wünschte sich nichts sehnlicher, als unsichtbar zu werden. Was würde er dafür geben einfach klein wie eine Maus zu werden, um verschwinden zu können? Ihr Rettungsversuch war eindeutig in die Hose gegangen, was jetzt als nächstes passieren würde, das wollte er sich gar nicht vorstellen. Ein tiefes Seufzen erklang und dann, langsam, als müsse er es dummen Schülern erklären, sagte der Fürst: „Er ist einer der besten und mit abstand der klügste Ritter des Westreiches, hab ich euch Idioten das nicht oft genug gesagt? Habt ihr eigentlich auch nur den Hauch einer Ahnung was geschieht, wenn er es bis zum König schafft? Was aus meinem Plan wird, wenn er ihn warnen kann bevor es zu spät ist? Wisst ihr es? Nein! Ihr verdammten Hornochsen habt keinen geringsten Schimmer davon, keinen! Ihr wollt euch gar nicht ausmalen, was er alles weis und was er alles dem König sagen wird! Euer Hirn habt ihr wohl an den Meistbietenden verkauft!“ Der Fürst hatte seine letzten Sätze geschrieen und nun hörte Thorgrid das verräterische Knarren von Holz und die folgenden Schritte, die sich bedrohlich auf sie zu bewegten. Sein Atem wurde schneller und Schweiß bildete sich auf seiner Stirn. Eine einzige Perle rann von seiner Stirn und perlte an seiner Nasenspitze ab. Im selben Moment bekam er im Nacken eine Gänsehaut, als hätte ihn ein kalter Hauch erwischt. Unsichtbar, unsichtbar, unsichtbar! Es half nichts. Er wurde nicht unsichtbar, er kauerte immer noch auf dem Boden, mit eingezogenem Kopf und gekrümmtem Rücken. Den anderen ging es nicht besser, doch noch war nicht alles auf dem Tisch. Wer würde den Mut haben um ihrem Herrn die ganze Wahrheit zu unterbreiten? Vielleicht Herleif oder Halgard? Maugrimm oder vielleicht doch Thorkred? Es war Thorkred, der seinem Herzen einen Stoß gab. Viel mehr zu verlieren gab es ohnehin nicht mehr. Abgesehen von ihren Köpfen... „Mein Herr...“ seiner Stimme war die Furcht deutlich anzuhören. Der schwere nordische Akzent lies seine Worte verwaschen klingen. Aus Thorgrids Augenwinkeln sah es aus als würde sogar die knotige Narbe am rechten Auge seines Bruders zittern. „...es ist noch nicht alles.“ Für einige unerträgliche lange Augenblicke lang herrschte das schlimmste Schweigen das sich Thorgrid nur vorstellen konnte. Seine Nackenhaare stellten sich auf und er musste seine Hand zur Faust ballen. Seine Fingernägel gruben sich in seine Handfläche, doch wenn er diesen Schmerz nicht gespürt hätte, dann hätte er vermutlich losgeschrieen, oder wäre hinausgerannt. Aber das durfte er nicht, wenn er das wagen würde, würde alles nur noch viel schlimmer werden. „Siegward...bei seiner Flucht hat er eine der schwarzen Rüstungen mit sich genommen.“ Das Schweigen ihres Fürsten war tausendmal schlimmer als eine seiner Flucharien oder seine Schimpftiraden. „Außerdem fehlt sein Pferd, das wir unten im Stall bei den anderen hatten. Die Männer im Stall berichteten von einem der Schwarzen Ritter, der voller Hast davon stob, sie hatten keine Ahnung wem das schwarze Pferd, das er ritt, gehörte. Er soll in Richtung der östlichen Grenze davon sein.“ Vollkommen unverhofft entrang ein Lachen der Kehle ihres Herrn. Ein Lachen, so bösartig und beinahe schon verrückt. Auf Thorgrids Nacken bildete sich eine weitere Gänsehaut, während eine Schweißperle sich von seiner Stirn löste und nun bis zu seinem Kinn rann. Es kitzelte unangenehm, als sie sich den Weg bis zu seiner Kehle bahnte und dort sitzen blieb. Liebend gern hätte er sie weggewischt, doch er wagte keinen Muskel zu bewegen, während ihr Herr vor ihnen stand und anstarrte wie ein Adler, der nur darauf wartete, dass seine Beute einen unbedachten Mucks tat. Denn das tat sein Herr zweifelsohne. „Ich frage mich manchmal, wieso ich mich überhaupt mit solchen Idioten wie euch abgeben muss? Gott im Himmel muss wahrlich Großes mit mir vorhaben, wenn er mich mit solchen Plagen bestraft.“ Sie hörten Schritte, als ihr Fürst sich wieder von ihnen entfernte und erneut geschmeidig auf seinen Sessel gleiten lies. Thorgrids Muskeln entspannten sich wieder, fühlten sich dafür aber an, als wären sie aus Pudding. Er wusste nicht, ob er es schaffen würde aufzustehen ohne hinzufallen. Er wollte seinem Bruder Thorkred einen Blick zuwerfen, um ihn um Hilfe zu bitten, doch ganz entgegen seinen Wünschen schweifte sein Blick zu ihrem Fürsten. Er wünschte sich, er hätte nicht aufgeblickt und verfluchte sich, wieso er in die Richtung gesehen hatte. Das Gesicht des Fürsten war mittlerweile von noch mehr Kerzen erhellt. Doch trotz dem roten Schein der Flammen erkannte man, dass es kreideweiß war. Die Augen starrten mit einer solchen Verachtung und Wut auf die Gruppe, dass Thorgrid ganz schlecht davon wurde. Sie würden für die Flucht ihres Gefangenen büßen, wenn auch nicht sofort. Doch sie würden nicht ungeschoren davon kommen, ihr Herr würde sich etwas einfallen lassen und je nachdem, wie alles ausgehen würde, würde ihre Strafe milder oder weniger milder ausfallen. Selbst eine milde Strafe wäre schon schlimm genug. „Ihr werdet Siegward folgen, versteht ihr mich? Ihr werdet ihm folgen und ihn ein für alle mal unschädlich machen. Ich will ihn nicht mehr hier bei mir haben, bringt ihn um, egal wie und durch welchen Hinterhalt es geschieht. Bringt mir zum Beweis den schwarzen Helm zurück, verstanden? Und seinen Kopf dazu. Falls ihr das nicht schaffen solltet und er den König erreicht, ehe ihr ihn töten könnt, dann Gnade euch Gott. In dem Fall nämlich, wird mein gesamter Plan scheitern und dieses Reich ein für alle Mal im Krieg stehen. Es könnte sein, dass ich dann ziemlich schlechte Laune habe und sie an irgendjemandem auslassen muss. In dem Fall hättet ihr diese Ehre, also beeilt euch lieber.“ Halgard neben Thorgrid schluckte hörbar. „Na los! Was machen eure Ärsche noch hier?“ der Schrei des Fürsten jagte alle fünf Reiter auf die Füße. Thorgrid spürte wie sein Bruder in seinen Ärmel griff und ihn auf die Füße zerrte. „Verneigen!“ zischte er kaum hörbar und drückte Thorgrid, der alles über sich ergehen lies wie eine Marionette, mit sanfter Gewalt in eine Verbäugung. Kaum hatten die Fünf das hinter sich gebracht, wandten sie sich um und rannten aus der Halle, so schnell ihre Füße sie nur trugen. Erst auf der Treppe merkte Thorgrid, dass Thorkred ihn immer noch hinter sich herzerrte. Er war dankbar dafür, denn seine Knie waren so weich, dass sie sich von alleine vermutlich nie in Bewegung gesetzt hätten. In aller Hast stolperten sie aus dem brüchigen Gebäude und schnappten unten ihre Pferde. Thorkred stieß seinen kleinen Bruder zu dessen Pferd und beobachtete noch aus den Augenwinkeln wie dieser sich mit schreckensblassem Gesicht in den Sattel zog. Halgard war schon dabei sein Pferd anzutreiben, doch Thorgrid saß noch beinahe reglos im Sattel. Thorkred sah flüchtig an der Burg hinauf und erkannte das Gesicht des Fürsten hinter einem Fenster. Er lächelte böse auf sie herab, was Thorkred weiter auf seinen Bruder zutrieb „Thorgrid, komm schon!“ schrie er und gab dessen Pferd einen heftigen Schlag auf die Kuppe. Sein Bruder erwachte augenblicklich aus seiner Starre und wandte sein Pferd um. Sein feuerrotes Haar klebte schweißnass zusammen. Thorkred lies seinen kleinen Bruder vorreiten und wartete bis er auch wirklich aus dem Hof getrabt war, dann erst folgte er ihm. „Alles wird gut, hörst du? Ich pass schon auf, dass er dir nichts tut.“ Thorgrid wandte ihm halb den Kopf zu. Sein Gesicht war noch immer gespenstisch blass. Doch der Hauch eines dankbaren Lächelns lag in seiner Miene. Thorkred blickte auf und erkannte, dass Halgard, Herleif und Maugrimm bereits den Wall hinter sich gelassen hatten und auf dem freien Feld ihre Pferde antrieben. „Also los!“ Thorkred stieß seinem Pferd mit einem Schrei die Hacken in die Flanken und jagte den anderen hinterher, als hätte der Teufel persönlich ihnen eine Galgenfrist gesetzt. Dabei achtete er, dass sein kleiner Bruder immer in seiner reichweite war.

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„Es ist schon lange her, dass Siegward aufgebrochen ist. Hoffentlich ist ihm nichts passiert.“ Seufzte der Kronprinz besorgt und stütze sein Kinn schwer in seine Hand. „Mach dir keine Sorgen. Siegward ist unser bester Ritter, vertrau ihm. Er hat immerhin schon jahrelange Erfahrung. Alte Männer darf man nicht unterschätzen.“ Entgegnete sein Bruder lächelnd. Er saß in einem weichgepolsterten Sessel im Garten unter dem weißen Sonnensegel, das sie vor der ärgsten Hitze schützte. Die letzte Nacht hatte den Jüngeren wieder einmal ein Fieberanfall gequält und er war dankbar für das warme Wetter, das ihm ein wenig die Stimmung hob. Es war nicht mehr so heiß wie im Hochsommer, wo man tagsüber kaum einen Fuß vor die Tür setzen konnte, ohne das Gefühl zu haben, gegen eine Wand aus Hitze anzurennen. An diesen Tagen trieb einem selbst das Atmen den Schweiß auf die Stirn und besonders Gäste aus anderen Teilen des Reiches oder aus anderen Reichen hatten mit dem heißen Klima zu kämpfen. „Dein Bruder hat Recht.“ Schalt sich der König ein, der ebenfalls in einem Sessel saß und diese Pause mit seinen Kindern genoss. „Auch wenn ich das mit den „alten Männern“ überhört haben will.“ Er warf seinem Jüngsten ein gespielten bösen Blick zu, ehe er sich wieder an seinen Ältesten wandte: „Vertrau Siegward, er steht schon lange in meinen Diensten und er hat mich noch nie enttäuscht. Vielleicht musste er unterwegs nur einen kurzen Halt machen, wegen des Wetters oder vielleicht hat auch sein Pferd gelahmt. Er ist auch nicht mehr der Jüngste.“ Der König versuchte ein Lächeln auf seine alten Züge zu zaubern, doch der Kronprinz kannte seinen Vater zu gut, um auf dessen Maskerade hereinzufallen. Sein Vater sorgte sich, ja er sorgte sich sogar sehr um seinen besten Ritter und gleichzeitig einen seiner engsten Freunde. Siegward hatte all seinen Kindern das Kämpfen beigebracht, selbst seinem jüngsten Sohn, der so kränklich und angeschlagen war, dass er nicht die Aussicht hatte, jemals in eine Schlacht zu gehen. „Aber ich frage mich nur, ob man ihmtatsächlich trauen kann.“ Ohne dass der Kronprinz den Namen genannt hatte, wussten alle Anwesenden von wem er sprach, denn dieser eine Name wurde schon lange nicht mehr in ihrer Familie benutzt. Alle teilten seinen Zweifel. Sie klammerten sich zwar alle daran, dass der Friedensantrag ernst gemeint sei, doch nach so vielen Jahren der Enttäuschung war es einfacher ans Unglück zu glauben, als ans Glück. „Hör doch auf mit deiner Schwarzmalerei. Sei doch lieber mal glücklich, dass er endlich alles mit uns bereinigen will. Menschen ändern sich, verstehst du? Vielleicht hat er eingesehen, dass es falsch war was er getan hat, vielleicht liegt ihm wirklich etwas an unserem Frieden.“ Der jüngere Bruder versuchte immer noch ihn in Schutz zu nehmen, obwohl er ebenso zweifelte wie alle anderen. Aber bei ihm war der Rest Hoffnung noch nicht so sehr zusammengeschrumpft wie bei seinem älteren Bruder oder gar bei seinem Vater. Der Blick des Kronprinzen blieb an seinem jüngsten Bruder hängen. Er seufzte beinahe lautlos. Ja, er wollte ja daran glauben, wollte glauben, dass endlich alles gut werden würde, aber die vielen Jahre der Enttäuschung hatten ihn misstrauisch gemacht. Dieses Misstrauen regte sich auch jetzt wieder und lies ihn unruhig werden. „Er kann sich nicht verändern. Da geht schon eher die Welt unter. Er ist unverbesserlich wie ein hartes Stück Fels. Glaub mir Brüderchen, ich hab ihn länger gekannt als du. Du warst damals noch so klein...“ „Hört auf. Ich will an so einem schönen Tag keinen Streit in meiner Familie!“ Ging der König, ihr Vater, dazwischen. Er sah deutlich wie sich sein Jüngster über die Worte des Älteren aufregte und Aufregung war jetzt wirklich nichts für ihn. Tadelnd blickte der König seinen Ältesten an. Sein kleiner Bruder war angeschlagen genug, er wusste es doch genau, er sollte es nicht noch schlimmer machen, indem er ihn unnötig in Rage brachte. „Tut mir leid.“ Gab der Kronprinz nach. „Ich bin nur selber so ratlos.“ Er legte den Kopf ein Stück in den Nacken, streckte sich ausgiebig und sah dann wieder zu seinen Geschwistern. Seine Schwester hatte bis jetzt noch kein Wort von sich gegeben. Sie saß neben dem jüngsten Bruder und genoss ebenso wie dieser die Sonnenstrahlen. Mittlerweile war ihr dicker Babybauch nicht mehr zu übersehen und sie hatte die Hände auch so stolz darüber gefaltet, dass es die Tatsache, dass sie schwanger war, noch mehr unterstrich. Als sie den Blick ihres älteren Bruders bemerkte, blickte sie auf und erwiderte dessen Blick. Sie musste nichts sagen, der Kronprinz verstand auch so. Sie misstraute dem ganzen Frieden ebenso wie er, doch auch sah er die Hoffnung in ihren Augen, dass endlich alles gut werden würde, dass alles wieder so werden würde wie früher. Der König versuchte sich seine Bedrücktheit und Sorge nicht anmerken zu lassen, als er seine drei Kinder liebevoll musterte, die so friedlich mit ihm hier saßen. Alles kam ihm wie ein unwirklicher Ruhezustand vor. Wann waren sie das letzte Mal so friedlich beisammen gesessen, an einem so schönen Platz wie diesem, bei so herrlichem Wetter? Er musterte seine Kinder unauffällig. Sein ältester Sohn, auf dessen Schultern die gewaltige Verantwortung lastete, später einmal König dieses Landes zu werden und es ebenso gerecht zu regieren wie der König zurzeit selbst. Seine Tochter, der ruhende Pol der Familie, die immer ein offenes Ohr für alle hatte und zu helfen versuchte, wo sie nur konnte. Und dann sein jüngster Sohn, den das Schicksal so hart getroffen hatte und der trotz seiner ständigen Krankheit beinahe nie klagte. „Ich würde mich gern noch mal ein bisschen ins Bett legen. Ich habe gestern Nacht einfach zu wenig geschlafen und bin hundemüde.“ Unterbrach der jüngere Bruder die Stille. Sofort erhob sich der Kronprinz und kam hilfreich an seine Seite. „Komm, ich helfe dir rein.“ „Das musst du doch nicht. Das können doch...“ der Kronprinz schüttelte beharrlich den Kopf und hatte seinem kleinen Bruder bereits aufgeholfen. „Ich bin immerhin dein großer Bruder. Sind es nicht die Aufgaben von großen Brüdern, ihren kleinen Brüdern zu helfen wann immer es geht?“ „Und wo warst du dann, als ich mit den Hunden Ball in Mutters Zimmer gespielt hab und dabei ihre gute Vase runter geworfen hab? Die war sogar ein Geschenk ihrer Mutter zu ihrer Hochzeit, die wurde von Generation an Generation weiter geschenkt, bis ich sie zerbrochen habe. Ich hab so einen Ärger gekriegt, wie nie zuvor und auch nachher nicht. Obwohl, doch das eine Mal vielleicht, als ich dein Pferd geklaut hab, dass du zum Geburtstag hättest bekommen sollen. Ich hab’s bis zum Wald geschafft, ehe es mich abgeschmissen hat.“ „Selber Schuld, du hättest wissen müssen, dass es noch nicht richtig zugeritten ist. Abgesehen davon, hat Mutter sich nur Sorgen um dich gemacht und hat deshalb so ein Donnerwetter los gelassen.“ „Donnerwetter ist das richtige Wort. Trotzdem, da hättest du mal da sein sollen.“ Der Kronprinz warf seinem Bruder einen seufzenden Blick zu, woraufhin sein jüngerer Bruder nur grinste und sich mit einem guten Teil seines Gewichtes auf die angebotene Schulter seines Bruders stützte. „Schlaf dich aus. Soll ich dir noch etwas bringen lassen? Hast du auch wirklich alles?“ der König erhob sich halb um ihnen zu folgen, doch sein jüngster Sohn wank nur ab. „Nein, nein. Bleibt ihr beiden nur noch hier und genießt den schönen Tag.“ Seine Schwester griff nach dem Arm ihres Vaters, als wolle sie ihn notfalls mit Gewalt davon abhalten, den beiden zu folgen. „Wir sind uns immer noch nicht sicher welchen Namen wir aussuchen sollen.“ Meinte sie völlig unvermittelt und lächelte ihren Vater an. Er blickte seinen Söhnen nochmals unwirsch nach, wandte sich dann aber geschlagen seiner Tochter zu. „Ich dachte ihr hättet einen gehabt.“ Sie wiegte nachdenklich den Kopf: „Ja, das dachte ich auch, aber du kennst Mirkea ja. Er entscheidet sich schneller um, als ein Schwein blinzeln kann.“ Während die Brüder durch einen Torbogen verschwanden, verwickelte die Tochter somit ihren Vater geschickt in ein Gespräch und lenkte seine Aufmerksamkeit vollkommen auf den Namen ihres Kindes. „Du traust dem Frieden des Fürsten also nicht?“ fragte der kleine Bruder, als sie schon halb in dessen Zimmer standen. Der Kronprinz lies ihn auf sein Bett sinken und nickte seufzend. „Wieso diese plötzliche Wende? Wieso auf einmal? Ich hoffe nur Siegward kommt jetzt bald zurück und erzählt uns, was er alles herausgefunden hat.“ „Das hoffe ich auch.“ Sein kleiner Bruder gähnte und lies sich in die Kissen sinken. „Schlaf gut. Ich lasse deinem Diener sagen, dass er dich nicht wecken soll.“ Ein letztes Mal griff sein kleiner Bruder nach der Hand des Kronprinzen: „Es wird schon alles gut gehen. Vielleicht will er ja wirklich, dass alles wird wie früher.“

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Jeder Schritt wurde mittlerweile beinahe zur Qual. Phineas hatte den kühlen Wald schon seit geraumer Zeit verlassen und musste nun beinahe ohne jeglichen Schatten auskommen. Er hielt sich zwar immer noch am Waldrand, um wenigstens ein bisschen vor der Sonne geschützt zu sein, doch bald würde er unweigerlich abbiegen müssen. Als er am Morgen zu seiner kleinen Streiftour aufgebrochen war, war es noch angenehm warm gewesen, doch mittlerweile war es so unangenehm schwül geworden, dass ihm der Schweiß in Perlen von der Stirn troff. „Viel zu warm, es ist einfach viel zu warm für die Jahreszeit.“ Schimpfte Phineas leise vor sich hin. Das Schimpfen half ein wenig, ihn von der Hitze abzulenken und von der Tatsache, dass er sich mittlerweile fühlte, als wäre seine Haut mit einem riesigen Schweißfilm überzogen. „Meine Güte, es ist doch schon Spätsommer...“ das konnte doch nicht wahr sein. Dieses Jahr war es wirklich ungewöhnlich heiß gewesen. Jetzt im Spätsommer, war es noch so warm, wie er es nur aus Erzählungen kannte. Sein Vater hatte immer gesagt, dass es im Westreich und im tiefen Süden, immer so warm war. Phineas bezweifelte das stark. Wie sollte man denn bei einem solchen Wetter ein normales Leben führen? Da konnte man sich doch nur in seinem Haus verkriechen und nicht eher herauskommen, als dass die Sonne untergegangen war. Als in der Ferne ein bedrohliches Grollen zu hören war, schoss sein brauner Lockenschopf in die Höhe. „Bei allen...“ er verkniff sich den Fluch bei dem Gedanken, dass sein Vater ihm dafür einen Ellenbogenstoß in die Rippen gegeben hätte. „Das kann doch nicht wahr sein. Auch noch ein Gewitter, na wenn das nicht mein Glückstag ist!“ Sarkasmus war schon immer seine Sache gewesen. Riesige schwarze Wolkenberge türmten sich vor ihm am Horizont auf. Die Sonne strahlte zwar noch immer mit unverminderter Härte, aber das lies die dunklen Wolken noch viel schwärzer und bedrohlicher wirken, als sie es in Wirklichkeit waren. Eine einzige weiße Schäfchenwolke schob sich vor der schwarzen brodelnden Wolkenmasse her. Die Luft war mittlerweile so drückend, dass Phineas nicht daran zweifelte, dass dieses Gewitter sich mit Pauken und Trompeten entladen würde. Und er war mitten drin. Bis nach Hause würde er noch eine kleine Ewigkeit brauchen, vor allem da er ohne hilfreichen Pferdeuntersatz unterwegs war. Als er am frühen Morgen losgegangen war, hatte es noch kein bisschen nach Regen ausgesehen und selbst vor wenigen Stunden hatte die Sonne noch am blitzblanken Himmel gestrahlt. So wie die letzten drei Wochen eben auch. Kein Tropfen Regen seit einer Ewigkeit, irgendwann musste das ja mal schief gehen, aber gerade heute? Hätte er nur auf Jon gehört, der hatte ihn gewarnt. Dem mageren Stallknecht seines Vaters hatte heute Morgen die Narbe auf der linken Wange gejuckt wie verrückt. Jon schwor Stein auf Bein darauf, dass dies der zuverlässigste Regenmelder war, den man sich auch nur annähernd vorstellen konnte. Abermals ein grollendes Donnern, dieses Mal lauter und bedrohlicher. Ein einzelner Blitz durchzuckte den schwarzen Horizont. „Jons beknackte Narbe hatte doch recht.“ Viel schlimmer als der Regen, war jedoch, dass Phineas sich bestimmt die nächsten Wochen von Jon anhörend lassen musste, dass dieser Recht gehabt hatte und ihn ja gewarnt hätte und Phineas ja somit selber Schuld gewesen war an seinem „Badeausflug“. Zwischendurch bemerkte er beunruhigt, dass keine einzige Vogelstimme mehr zu hören war. Auch das Blätterrauschen hatte aufgehört. „Oh bitte, lass mich heim kommen, ehe dieses Donnerwetter los bricht.“ Murmelte er und sah sehnsüchtig nach vorn. Das Herrenhaus seiner Eltern war noch ungefähr eine halbe Wegstunde entfernt, wenn er sich sputen würde. Nicht einmal fünfzehn Minuten würde er mit einem Pferd brauchen, aber nein, er hatte ja keines mitnehmen wollen und auch können. Zum einen war ein Pferd bei seinen Streifzügen durch den Wald nur hinderlich. Die großen Tiere kamen meist nicht durch das dichte Geäst, durch das er sich zwängen wollte. Er hätte das Pferd auch einfach irgendwo anbinden können, aber er hatte einfach zu sehr Angst, dass es geklaut werden könnte. Pferde waren ein Vermögen wert und sein Vater hätte ihm den Kopf anstandslos vom Hals gerissen, wenn er eines von ihnen verloren hätte. Zum anderen waren sein Vater und seine Mutter schon vor zwei Tagen in die Stadt geritten. Beide würden vor dem morgigen Mittag nicht zurückkehren. Das dritte Pferd, das sie besaßen, lahmte auf dem rechten Vorderbein und wurde von Jon, dem Stallknecht, gehegt und gepflegt als wäre es der König persönlich. Hätte Phineas auch nur angedeutet, dass er es mitnehmen wollte, hätte Jon ihm eine derartige Anstandspauke gehalten, dass er nicht mehr rechtzeitig aus dem Haus gekommen wäre. Phineas blickte nochmals skeptisch zum Himmel und kaute auf seiner Unterlippe. Noch hielt das Wetter, doch für wie lange würde das wohl so bleiben? Er wusste wie schnell Gewitter ziehen konnten, wie plötzlich sie ihre Richtung änderten und vor allem wie unerwartet sie über einen hereinbrechen konnten. Dann muss ich einfach ein bisschen schneller laufen, spornte er sich an und legte einen Zahn zu. Er musste immer nur dem Weg am Waldrand entlang folgen. Soweit war es ja gar nicht mehr, das redete er sich zumindest ein. Er erkannte sogar schon die ersten Dächer, die zwischen den Weizenfeldern hervorblitzen. Die Bauernhöfe lagen zwar weit auseinander, aber immer noch dicht genug beisammen, um bei einem Notfall schnell beim Nachbarn zu sein. Viele der Felder waren bereits abgeerntet, meist gehörten sie den ängstlichen Bauern, die ihre Ernte noch vor dem großen Regen in der Scheune haben wollten. Diejenigen, die mutiger gewesen waren, konnte man jetzt als Gestalten auf den Feldern herumwuseln sehen. Angesichts der drohenden Gewitterwolken war jeder auf den Beinen und arbeitete auf den Feldern mit. Phineas erkannte Gestalten, die sich als schwarze Punkte aus den Feldern abhoben. Einige schwangen noch die Sensen, andere verschnürten schon alles zu bündeln und karrten es mit den Pferdewagen in die sicheren Scheunen. Er wollte nicht wissen, wie sehr die Bauern und ihre Leute schwitzten, die jetzt in der prallen Sonne schufteten wie die Ackergäule. Zwar kannten ihn und seinen Vater einige der Bauern gut, aber er bezweifelte, dass einer von ihnen ihm einen Gaul leihen würde. Alle wurden jetzt ja zur Feldarbeit gebraucht. Er hatte die Stelle beinahe erreicht, an der sein Weg sich gabelte und er vom schattigen Waldrand abschied nehmen musste um quer durch die Felder zu laufen und schließlich, nach einem kleinen Weganstieg das Haus seiner Eltern zu erreichen. Er machte sich schon innerlich darauf gefasst, sich wie eine Haxe über dem Feuer zu fühlen, als lauter Hufschlag ihn aus den Gedanken riss. Halb wandte Phineas sich um und sprang im nächsten Moment einen entsetzten Satz zur Seite. Ein riesiges Pferd brach mitten aus dem Unterholz und hätte ihn beinahe über den Haufen gerannt. Doch das Pferd hielt schnaubend an, ehe es ihm wirklich gefährlich geworden wäre. „Hei da!“ rief Phineas empört. Er hasste es, wenn solche aufgeblasenen Idioten dachten, die Wege würden ihnen ganz alleine gehören. So etwas gehörte sich einfach nicht! „Wie wäre es denn, wenn Ihr ein wenig mehr achtet wer vor euch auf dem Weg geht? Ihr hättet mich fast über den Haufen geritten.“ Meinte Phineas und bemühte sich erst gar nicht seine Verärgerung zu verbergen. Doch eine Antwort bekam er nicht. Phineas knirschte mit den Zähnen. Eine ganz aufgeblasene Hofschranze, wie? Er trat einen Schritt näher an das Pferd heran um den Reiter in Augenschein zu nehmen. So einfach lies er sich doch nicht abspeisen, immerhin war sein Vater ein guter Freund des Königs! Doch Phineas erkannte von seinem Standort aus nicht viel mehr als die Knie des Reiters. Kurzentschlossen griff er dem Pferd in den Zügel und ging halb um das Tier herum. Es war ein riesiges schwarzes Tier, kein weißer Fleck war an ihm, das Fell glänzte wie Seide und die Mähne war ebenso seidig und dick gelockt. „Hei da, hab ich gesagt! “ rief er nochmals etwas lauter, als der Reiter in sein Blickfeld kam. „Denkt Ihr etwa...“ Irritiert blieb Phineas stehen, als er einem alten Mann gegenüber stand. Der Alte allein wäre ja nicht verwunderlich gewesen, doch der Mann sah nicht etwa aus wie ein wohlhabender Reisender, nein ganz im Gegenteil. Er hatte sich einen löchrigen, am Saum ausgefransten Mantel um die knochendürren Schultern geworfen, dass Haar war vollkommen weiß und wirkte ungepflegt und der Mann hing eher im Sattel, als dass er saß. Phineas trat einen Schritt zurück, doch im selben Moment blickte der Alte auf und präsentierte ihm sein knochiges, ausgemergeltes Gesicht. Aus wässrigen blauen Augen blickte er Phineas an, als würde er noch nicht so ganz realisieren, dass er auf einen Menschen getroffen war. „Guter Junge...“ brachte der Mann endlich hervor und lies sich kraftlos aus dem Sattel gleiten, ehe Phineas es verhindern konnte, oder ihm gar helfen konnte. Verwirrt runzelte Phineas die Stirn und trat ein wenig zurück, um dem Mann Platz zu machen. Doch der Alte machte nicht den Anschein, alleine stehen zu wollen. Kaum war er wie ein nasser Sack aus dem Sattel gerutscht, da knickten schon seine Beine unter ihm weg wie dürre Äste. Ohne zu zögern sprang Phineas an seine Seite und wollte ihn hilfreich stützen, doch der Alte strebte zum festen Erdboden hin, als würden seine Beine ihn auch mit Stütze keinen Augenblick länger tragen wollen. Also half Phineas dem Alten sich bequem hinzusetzen. „Meine Güte, was ist mit Euch geschehen? Wieso reitet Ihr allein durch den Wald? Wo wollt Ihr denn hin?“ fragte Phineas, kaum hatte er sich wieder aufgerichtet und musterte besorgt das müde Gesicht des Alten. Wer hatte diesen alten Kauz den aus dem Haus gelassen? Der hatte bestimmt einen kleinen Dachschaden und wusste selber nicht mehr so recht was er tat. Vielleicht war er ausgerissen. Phineas wurde ganz anders. Seine Mutter hatte ihm mal erzählt, dass man sich vor solchen Verrückten in Acht nehmen sollte, weil man nie genau wissen konnte, was sie als nächstes taten. Na ja, anderer sei's, gegen die dürren Ärmchen dieses Kerls würde er ja bestimmt noch ankommen. Aber wie sollte er ihn wieder heim bringen, hier sitzen lassen konnte er ihn ja auch nicht. Die glasigen blauen Augen starrten Phineas erschöpft an. „Guter Junge.“ Wiederholte der Alte nochmals mit leiser Stimme und streckte die knochige Hand nach Phineas aus. „Mein Herr...mein Herr Siegward, er ist...“ Phineas ging vor dem Alten in die Hocke um ihn besser zu verstehen. Er war sich vollkommen sicher, dass der Alte wirklich nicht mehr alle im Oberstübchen beisammen hatte. Immer freundlich bleiben, lass ihn in seinem Glauben und reg ihn ja nicht auf, hallte die mahnende Stimme seiner Mutter in seinen Ohren. „Euer Herr? Ihr seit nicht allein unterwegs?“ der Alte schüttelte schwach den Kopf und griff mit der rechten Hand in Phineas Ärmel, als wolle er ihn etwas näher ziehen, doch es gelang ihm nicht. „Mein Herr Siegward ist von den fünf Blauen Reitern umgebracht worden... er ist tot.“ Phineas Augen weiteten sich für einen Moment. Er wusste nicht recht, ob er dem Gestammel des Alten Glauben schenken durfte. Vielleicht erzählte er ihm hier das Blaue vom Himmel herunter und war in Wirklichkeit nur ein verwirrter Landstreicher auf einem geklauten Pferd. Denn das Pferd sah zweifelsohne so aus, als gehöre es einem hohen Herrn und keinem heruntergekommenem Alten. Phineas unterdrückte den Gedanken, dass der Alte zweifelsohne ein ras ab hatte. Sein Gefühl sagte ihn, dass hier irgendetwas nicht stimme, auch wenn er wirklich nicht glaubte, dass so ein Mord unbemerkt geblieben wäre. „Ihr sagt wirklich Euer Herr wurde umgebracht?“ er brach ab und rang nach Worte. Wie brachte er das dem Alten nur am schonendsten bei? „Ich meine, äh...habt Ihr denn auch Beweise... nun ja ich meine...“ Phineas brach wieder mitten im Satz ab, doch dieses Mal unfreiwillig. Der Alte hatte seinen Kragen ergriffen, ihn ein gutes Stück zu sich gezerrt und hielt ihm jetzt einen Brief dicht vors die Gesicht. Er hatte ihn, während Phineas Frage , aus seiner Manteltasche gezogen und streckte ihn nun so nahe an Phineas Gesicht, dass dieser unweigerlich zurückwich und sich aus dem Griff des Alten befreite. Der Brief war mit einem Wachstempel versiegelt, doch der Stempel war ungleichmäßig und verschmiert, als wäre es in aller Hast passiert. Das Papier selbst war zerknittert und am Rand mit etwas verschmiert, dass verräterisch nach getrocknetem Blut aussah. Mit der freien Hand packte der Alte erneut Phineas Hand und drückte ihm den Brief hinein: „Auch wenn du mir nicht glauben wirst, Junge, musst du diesen Brief nehmen. Ich bitte dich darum, nimm ihn. Dieser Brief hat meinem Herrn den Tod gebracht... ich kann nicht mehr.... nimm ihn Junge und bring den Brief König Almarich.“ Phineas spürte gar nicht, wie sich seine Finger um das verschlissene Papier schlossen. Vollkommen perplex hockte er da und starrte auf diesen geheimnisvollen Alten hinab, der immer noch vor ihm auf dem Boden saß. „König Almarich?“ brachte Phineas unsicher hervor und wagte einen Blick auf den Brief. „Aber dessen Königreich liegt hinter...“ Der Fleck am Rand des Briefes nahm für ihn immer mehr die Form eines Daumenabdruckes an. Er bildete sich sogar ein, die Fingerlinien zu erkennen. „Tu es Junge, die Existenz des Königreiches...“ der Alte hustete geräuschvoll auf und ließ schwach den Kopf sinken. Hastig legte Phineas dem Alten die Hand auf die Schulter und meinte eindringlich: „Ich hole Hilfe, keine Sorge, wir finden bestimmt einen Ritter der den Brief zu König Almarich bringt. Aber erst einmal suche ich Hilfe für Euch.“ Er wusste immer noch nicht so recht, ob er dem Gefasel des Alten trauen konnte, doch die Sache mit dem Brief und mit dem König des Westreiches beschäftigte ihn doch mehr, als er zugeben wollte. Eines war jedoch klar, er wollte auf jeden Fall einen Erwachsenen hinzuziehen und ihn nach der Meinung fragen. Er wollte sich abwenden, um zu gehen, doch da spürte er einen Wiederstand an seinem Ärmel. Der Alte hielt seine Handgelenk mit eisernen Fingern umklammert. Phineas war erstaunt über dessen plötzliche Kraft. „Nein, du darfst keinem von dem Brief berichten. Keiner darf es wissen. Nur du...“ Phineas löste sich bestimmt aus seinem Griff und hob beschwichtigend die Hände „Keine Sorge, ich hole nur Hilfe. Ich leihe mir Euer Pferd, wenn Ihr erlaubt...“ Der alte Mann stemmte sich mühsam hoch und stand schließlich wankend am Baum. Er musste sich an der knorrigen Rinde abstützen, um nicht zu stürzen. Mit zitternden Bewegungen griff der Alte abermals in seine Manteltasche und zog etwas Kleines hervor: „Nimm den Brief und diesen Ring dazu. Wenn du zu Almarich kommst, dann gib ihm den Ring. Er wird erkennen das du Siegwards Gesandter bist, denn es war sein Ring... und wenn du den Rastlosen Ritter Navarr triffst, sag ihm Siegward ist tot. Er war sein bester Freund, er sollte es wissen...“ Phineas konnte nicht verhindern, dass der Alte ihm einen Ring zwischen die Finger steckte. Es war ein auffälliger goldener Ring mit einem blauen Stein darin und einem Wappen auf der Rückseite. Phineas blieb einen Moment unschlüssig stehen und blickte auf den alten Mann, der sich erschöpft gegen den stützenden Stamm hinter sich lehnte. Was ist das nur für ein seltsamer Kauz? fragte Phineas sich, ehe er den Ring und den Brief schnell einsteckte und zu dem großen schwarzen Pferd trat. Er steckte die Dinge nur in seine Tasche, um die Hände frei zu haben und den Alten zu beschwichtigen. Er hielt es für das Beste, den Alten vorerst nicht aufzuregen. Richtig realisieren konnte er es nicht. Alles ging viel zu schnell für ihn und in seinem Kopf schwirrten tausend Gedanken übereinander. Mit hastigen Bewegungen zog er sich in den teuren Sattel des schwarzen Pferdes und warf dem Alten nochmals einen eindringlichen Blick zu: „Wartet hier, ich komme wieder und bringe Euch Hilfe mit und dann werden wir bereden, was zu tun ist.“ Er warf dem Alten ein unüberzeugendes Lächeln zu, ehe er dem Tier die Hacken in die Flanken drückte und davon ritt. Phineas ritt so schnell er konnte, das Pferd des Alten war wirklich erstaunlich. Ein so schnelles Tier hatte er noch nie gesehen. Nicht einmal König Umbriel besaß so ein Pferd. Das Tier sprang über die letzen Baumwurzeln, die quer über den Weg rankten und preschte über das freie Feld, als wäre die Hölle hinter ihm her. Phineas Schädel brummte vor Anstrengung, als er an den Alten zurückdachte, doch er musste jetzt einen kühlen Kopf bewahren! Er trieb das Pferd abermals mit einem lauten Ruf aus und zügelte es erst, als ihm der erste Bauer in die Sicht kam. Aus vollem Galopp bremste er das Pferd ab, so dass der Boden unter den Hufen aufstob. „Wartet Herr!“ rief Phineas atemlos dem Bauern, vom Pferd herab, zu. Der Bauer, der gerade dabei gewesen war, seinen geschnittenen Weizen zusammenzubinden, sah erschrocken auf. „Meine Güte Junge, erschrecke mich doch nicht so.“ stieß er hervor und musterte Phineas argwöhnisch. Schweiß stand auf der Stirn des Mannes und sein Gesicht war von der Sonne verräterisch gerötet. Zudem wirkte der Mann ziemlich schlecht gelaunt und war zweifelsohne in Eile um seine Ernte noch rechtzeitig vor dem Gewitter in Sicherheit zu wissen. Das Donnern, das mittlerweile immer lauter geworden war, und der eiskalte Wind, der das Gewitter auf sie zu trieb, war Phineas total entgangen. Die übrigen Leute auf dem Feld, etwas weiter entfernt, arbeiteten weiter ohne auch nur einmal aufzublicken. „Aber es ist wichtig! Im Wald, dort drüben, liegt ein alter Mann. Er braucht Hilfe, aber allein schaffe ich es nicht.“ der Bauer sah sich zur Wolkenwand hinter sich um und seufzte. Es war nicht zu übersehen, dass er eigentlich keine Zeit hatte sich um irgendwelche Alte zu kümmern, aber als anständiger Kerl musste er jedem Hilfe leisten, der sie brauchte. Brummend lies er den Ballen sinken an dem er gerade gearbeitet hatte und nickte: „Ich komme, warte...“ „Nein, kommt mit auf das Pferd!“ rief Phineas und zerrte den verdutzten Bauern hinter sich auf das schwarze Pferd, ehe dieser Wiederrede leisten konnte. Wenig später waren sie wieder an der Stelle, an der Phineas den Alten getroffen hatte. Er zog abermals die Zügel straff und starrte auf die Stelle. Der Platz, an dem der alte Mann gelehnt hatte, war vollkommen leer, so als habe es ihn nie gegeben. „Das kann nicht sein...“ flüsterte Phineas mit erstickter Stimme. Der Alte konnte doch nicht einfach so verschwunden sein! Er hatte ja kaum stehen können, wie sollte er denn weggelaufen sein? „Was ist? Wo ist der Alte denn?“ der Bauer rutschte als Erster vom Pferd und trat unruhig einen Schritt weiter in den Wald, während er sich fragend umsah. Als Phineas sich aus dem Sattel gleiten lies, waren seine Knie weich und seine Finger zitterten. „Äh, ich weiß nicht.“ stotterte er und schüttelte leicht den Kopf. „Gerade war er noch hier...“ Er trat zu der Stelle, an dem noch vor kurzem der Mann gelehnt hatte. „Ja, aber wo soll er denn in der Zeit hingegangen sein, wenn er so schwach war, wie du sagtest?“ meinte der Bauer und Phineas erkannte den aufkeimenden Ärger in seiner Stimme. „Äh...“ er zuckte hilflos die Schultern und warf nochmals einen suchenden Blick über die Stelle. Gute Frage? Wo ist der Alte denn hin? Er konnte es selbst nicht glauben. Wo war der Alte denn nur hin? Ich war keine fünf Minuten weg, der Alte kann sich doch nicht in Luft aufgelöst haben! Wenn ich es nicht wüsste, würde ich mir selbst nicht glauben... „Findest du das etwa lustig, Junge? Im Gegensatz zu dir feinem Herrn, haben anständige Bürger noch eine Arbeit, der sie nachgehen müssen! Ich muss meine Ernte einfahren, dass ich einen ordentlichen Preis auf dem Markt dafür bekomme. Nur weil dein Vater ein reicher Sesselfurzer ist und du dir jeden erdenklichen Luxus leisten kannst, musst du nicht denken, dass du unbescholtene Bürger einfach zum Narren halten kannst!“ fuhr der Bauer Phineas an. „Aber er war gerade noch...“ „Sei am besten still! Ich schwöre dir, wenn ich dich noch mal erwisch, wie du deinen Schabernack mit anderen Leuten treibst, dann...“ der Bauer drohte mit dem erhobenen Zeigefinger. „Ich warne dich.“ Er wandte sich abrupt um und ging im Laufschritt davon. Phineas blieb wie angewurzelt allein im Wald zurück und starrte dem Bauern hinterher. „Aber er war wirklich hier.“ Rief er dem Bauern verzweifelt nach. Doch dieser wandte sich nicht noch einmal zu ihm um. „Du hast ihn auch gesehen, hab ich Recht?“ Er sah dem Pferd in die Augen, und als hätte dies ihn verstanden, schnaubte es leise. Mit geschmeidigen Bewegungen kam es auf ihn zu und stieß ihm die Nase in die Seite. Phineas legte ihm, mit einem kurzen Lächeln, die Hand auf die Stirn und schüttelte abermals den Kopf: „Na toll, und was mach ich jetzt? Wenn der Alte wirklich Recht hatte, dann muss ich den hier zum König bringen.“ Er zog den Brief wieder hervor, und betrachtete den bräunlichen Fleck an der Ecke. Vorsichtig hob er den Brief näher vor seine Augen und kratzte an dem seltsamen Fleck. Er war eindeutig in der Form eines Fingerabdruckes, beinahe konnte er noch die feinen Linien der Fingerkuppen nachvollziehen. Als hätte einer, mit beschmierter Hand, diesen Brief weiter gereicht. Es muss Blut sein! Phineas hätte den Brief beinahe fallen gelassen, als ihm die Erkenntnis durch den Kopf schoss. Blut, das musste es sein. Wer immer der Ritter auch gewesen war, er hatte den Brief mit blutbeschmierten Fingern an seinen treuen Diener weitergereicht. Das wurde ja alles immer schlimmer und schlimmer. Verzweifelt spähte Phineas nochmals um sich. Er hoffte immer noch, dass der Alte gleich wieder quietschfidel aus dem Busch hüpfen würde und alles für einen saudummen Scherz ausgeben würde. Vielleicht träum ich das alles auch nur. Er schloss die Augen für einen Moment, hob die Hand und kniff sich, so fest er konnte, in den Oberarm. Als er die Augen wieder öffnete, blickte das schwarze Pferd ihn aus großen Augen an. Phineas klopfte ihm kopfschüttelnd den Hals. „Na dann also doch kein Traum. Du siehst ziemlich echt aus und fühlst dich auch ziemlich echt an.“ Er steckte den Brief zurück in seine Tasche und musterte das Tier eingehend. Es war riesig und muskelbepackt. Er verwettete seine Mutter, dass es ein sündhaftteures Schlachtross war. Das Fell des Pferdes war schwarz, so schwarz wie Phineas es sich nur vorstellen konnte. Ebenso rabenschwarz war seine Mähne, die in dicken, lockigen Flechten auf den muskulösen Hals fiel. Das Tier streckte den Kopf vor und nestelte vorsichtig mit seinen zarten Lippen an Phineas Hosentasche herum. „Da ist leider nichts mehr für dich drin. Tut mir leid, aber wenn wir daheim sind...“ er klopfte dem Tier den Hals, griff nach der Trense des Pferdes und zog dessen Kopf in seine Augenhöhe herauf. Die Trense war aus doppeltgelegtem Leder und ins Stirn und Nasenriemen waren feine Muster eingeritzt. Ebenso verziert waren die Zügel. „Dein Herr war bestimmt ein reicher Mann.“ Brummte Phineas dem Pferd zu. Es spitzte die Ohren und ihm war es plötzlich, als sähe es ihn ärgerlich an. „Du hast Hunger stimmts?“ ein leises Schnauben war die Antwort des Pferdes. Phineas hingegen lachte prustend los. „Bist du jetzt auch noch ein Zauberpferdchen, das die Menschen versteht und sprechen kann?“ Das Pferd blieb stumm und blickte ihn weiter mit diesem menschlichen Ausdruck in den Augen an. Seufzend strich Phineas ihm über den Nasenrücken, umrundete es halb und zog sich in den Sattel. Der war ebenso reichlich verziert wie die Trense, dazukam dass das Sattelhorn mit etwas glänzendem beschlagen worden war. „Zuerst einmal reite ich mit dir nach hause, dass du was Anständiges in den Magen bekommst. Wer weiß, seit wann du nichts mehr hattest.“ Phineas nahm die Zügel auf, strich dem Tier noch einmal durch die Mähne und schnalzte dann leise mit der Zunge. Ein letztes Mal blickte er an die Stelle, an welcher der alte Mann gesessen hatte. Es war als hätte es ihn nie gegeben, als hätte sich Phineas das alles doch nur eingebildet. Er war schon beinahe so weit, selbst zu Zweifeln, doch das Pferd, der Ring und der Brief ließen ihn etwas anderes glauben.



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Kommentare


Von Jason-Potter
Am 27.11.2007 um 23:43 Uhr

Hallo Moon,

den Anfang deiner Geschichte finde ich sehr gelungen und sehr spannend. Du hast einen schönen Sprachstil und einen guten Wortschatz, verstehst es, die richtigen Worte im richtigen Moment, an der richtigen Stelle zu setzen. Im Prinzip schon fast alles was benötigt wird um ein gutes Buch zu schreiben.
Allerdings gibt es auch ein paar Kitikpunkte, wobei wir die mal in Klammern stehen lassen, denn Geschmäcker und Meinungen sind ja bekanntnlich verschieden.

Kritikpunkt 1: An einigen Stellen des Textes beweist du, dass du mit dem Konjunktiv II sauber umgehen kannst, warum benutzt du dann aber an anderen Stellen die unsaubere und unelegante Form mit "würde" in Verbindung mit dem Infinitiv und das auch noch bei unregelmäßigen Verben die eine eigene Konjunktivform besitzen? Ich würde das ändern, klingt halt einfach sauberer(sicher kann der ein oder andere Unsaubere mal durchrutschen, aber man sollte schon versuchen, eine Linie damit zu fahren).

Kritikpunkt 2

Der Anfang ist wirklich gut und wie oben schon ewähnt sehr spannend. Besonders gefallen hat mir, dass du erstmal offen gelassen hast, was genau da enflohen ist, wobei die Aufklärung dieser Tatsache dann wieder fast schon zu unspektakulär und zu schnell ging. Mir gefällt auch deine sehr lebendig wirkende wörtliche Rede sehr gut. Im hinteren Bereich der Geschichte werden die Konversationen jedoch leider etwas banal und wirken dadurch leicht gekünstelt (zumindest für einen Roman der Spannung erzeugen will), was mit dafür sorgt, dass der Spannungsbogen leider gegen Mitte des Textes sehr stark abfällt, begünstigt dadurch, dass auch zu viele unwichtige Details aufkommen und zu wenig wichtige die ihn wieder steigen ließen. Du lässt den Leser zu lange ohne die wirklich zwingenden Fragen wie es weitergeht im Regen stehen. (da vielleicht etwas mehr einbauen, mehr Geheimnisse mehr, Rätsel, weniger aufdecken)
Ansonsten hast du meiner Meinung nach echt Talent, nur vielleicht zu sehr darauf bedacht, alles haargenau umschreiben zu müssen. An manchen Stellen ist das ja sehr gut, aber an manchen denkt man halt auch: Wann geht es endlich weiter mit dem spannenden Teil der Storie.



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