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Das Konzert - von Jurewa, 05.09.2007
Wie besessen rannte ich zum Radio, stellte auf volle Lautstärke und sang mit: ‚Dein Name’! Einer der besten Songs von Uschi Brüning wurde gerade im NDR gespielt. Ich war begeistert! Ein guter Auftakt für das Konzert nächste Woche mit Uschi Brüning und Band im Jazzkeller, das ich unbedingt besuchen wollte.
Ich ließ meine Augen noch eine Weile geschlossen, als das Lied verklungen war. Und dann sang ich es in Gedanken noch einmal.
Das erste Konzert mit Uschi Brüning besuchte ich in den 70er Jahren im Friedrichstadtpalast Berlin. In den frühen 70er Jahren sang Manfred Krug zusammen mit Brüning, der damals besten und talentiertesten Sängerin der DDR in der Klaus Lenz Band. Mit dem Titel ‚Dein Name’ fasste sie auch in der Schlagerbranche Fuß.
Über drei Stunden hatte ich damals im Dezember nach einer Karte angestanden. Es war kalt und ich fror jämmerlich. Der Mann vor mir in der Schlange, Reiner, hatte vorgesorgt mit trockenen Keksen, heißem Kaffee in einer Thermoskanne und bot mir von allem etwas an.
„Nimm ruhig, ich habe die ganze Tasche voll mit dem Zeug. Becher habe ich nur einen mit, da musst du aus meinem trinken. Stört dich das?“
Es störte mich nicht und wir kamen ins Gespräch, hofften, dass wir noch eine Karte abbekommen würden, da das Konzert schon ziemlich ausverkauft war. An dem Konzertabend saßen wir dann nebeneinander im 4.Rang, letzte Reihe und waren total glücklich.

Es war mein erstes Konzert überhaupt.
Ich hatte es geschafft, die Provinz hinter mir zu lassen, studierte seit vier Monaten an der Humboldt-Universität. Ich wollte leben, studieren, flirten, feiern und mich nicht festlegen.
Nach Berlin wollten alle irgendwann mal gehen, mindestens für ein Wochenende. Berlin war für uns der Inbegriff des anderen Lebens, der Ort, wo die Musik lauter und schneller gespielt wurde, wo die Filmpremieren stattfanden, wo die Schaufenster bunter, die Abende länger waren. Es war der Ort, wo die Weltrevolution bei Fettstullen und bulgarischem Rotwein heftiger diskutiert wurde als woanders in der DDR-Provinz.
Von Jazz wusste ich bis dahin nichts und auch mit Männern konnte ich nichts anfangen. Während ich zu letzteren relativ schnell Zugang fand, blieb mir die Musik immer etwas fremd.

Kurz nach sieben kam ich im Jazzkeller an.
Als ich die Treppe hinunterstieg, schlug mir Stimmengewirr entgegen. Der Preis der Eintrittskarte war sehr niedrig, was mich insgeheim verwunderte.
Ich kannte einen großen Teil der Anwesenden vom Ansehen, deren Gesichter vielfach gerötet und erregt waren. Die Luft vibrierte von den Gesprächen und vom Lachen, sie vibrierte von der Erwartung. Warten war und ist für mich immer ein aufreizender Augenblick, den ich manchmal gerne in die Länge ziehen möchte. Eine enorme Vorfreude lag in der Luft.
Die meisten standen oder saßen in Gruppen beieinander und unterhielten sich.
Ich hatte Mühe, einen freien Platz zu finden, der strategisch und kommunikativ günstig lag. Die Stimmung übertrug sich schnell auf mich.
Schließlich fand ich einen Platz in der Nähe des Tresens.
Ich schaute nach links und begegnete dem Blick eines Mannes. Irgendwie kam er mir bekannt vor. Wir musterten uns aus den Augenwinkeln. Um die Taille hatte er einen leichten Ansatz, eine fast sinnliche Schwellung, die mal mehr oder weniger zu sehen war. Das Kopfhaar war stark gelichtet. Ich guckte intensiver. Er guckte ebenfalls, nunmehr wir beide mit halbem Lächeln.
Da schoss es mir ein, woher ich ihn kannte. Siedendheiß schoss es mir ein!
„Sie waren kürzlich in meiner Praxis, stimmt’s?“ fragte er fast im gleichen Moment.
„Ja, war ich, stimmt!“ antwortete ich und schaute etwas verlegen nach unten.
Es war der Arzt, der vor drei Wochen eine Rektoskopie bei mir vorgenommen hatte. Ich würde also den ganzen Abend neben einem Mann sitzen, der eines meiner dunkelsten Geheimnisse kannte! Wie aufregend.
Etwas verschämt schaute ich auf seine Hände, die auf der Tischkante lagen. Ihr Anblick faszinierte mich zunehmend. Es waren auffällig knotige Hände und an den Fingeransätzen sah man Haarbüschel. Die Fingerkuppen waren so flach wie die Saugnäpfe eines Salamanders aus Madagaskar. Die Daumen erschienen mir unanständig lang und wie eine Banane gekrümmt. Die Hände waren hässlich, sicher, aber da sie mich an meine erste große Reise nach Afrika erinnerten, störte mich diese Hässlichkeit nicht. Für mich war es jene Art von Hässlichkeit, die schon wieder faszinierend wirkt. Er trug keinen Ehering, schaute locker im Saal umher, nein, er war wohl nicht verabredet. Ich schaute wieder in sein Gesicht, direkt in seine Augen. Dass er sich an mich erinnerte, verwunderte mich.

„Zufälle gibt es, die muss man sofort feiern, oder? Ich lade Sie ein. Was trinken Sie?“
„Einen Rotwein, bitte!“ antwortete ich etwas zögernd und fragte mich insgeheim, was es da zu feiern gab. Dass er mit diesen Saugnäpfen meinen Körper untersucht hatte, war das ein Grund zum Feiern? Ich ertappte mich, dass ich mich an Äußerlichkeiten, diesmal getarnt als behaarte Saugnäpfe, festhielt.
Er lief zum Tresen, um die Getränke zu holen.

Ich beobachtete die Leute im Saal. An den Begrüßungen sah ich, dass das Konzert Anlass war, sich zu treffen bzw. dass eine unverhoffte Begegnung stattfand.
Der Chirurg kam mit den vollen Gläsern zurück. Wir stießen an.
„Sind Sie des öfteren hier? Ich habe Sie noch nie hier gesehen.“
„Ja, ab und an, ich mag die Atmosphäre. Übrigens, mein Name ist.....“
„Linda Albrecht. Ich weiß, ich sagte doch, ich erinnere mich!“ unterbrach er mich lachend.
Ich war verblüfft, schaute wieder auf seine Hände. Ich war einfach zu lange allein, die Sicherheit im Flirten war mir abhanden gekommen. Was nützt in so einem Moment beruflicher Erfolg und Anerkennung? Beides hatte ich mehr als genug. Es stimmte, ich war ab und an in dem Jazzkeller, verstand von Musik nicht viel, entschied meist aus dem Bauch heraus, ob es mir gefiel oder nicht, was ich hörte. Aber die Atmosphäre dieses kleinen, stets verrauchten Kellers mochte ich sehr.
Ich hatte Lust auf den Chirurgen. Genau in diesem Moment.
Dass mir sein Name nicht einfiel, irritierte mich allerdings zunehmend. Es war mir peinlich, ihn danach zu fragen. Er stieß wieder mit mir an, lächelte.
Der Raum war nun brechend voll, überall saßen die Leute, auf den Treppen, zwischen den Stühlen und auf dem Fußboden.
Endlich betraten die Musiker, ausschließlich Mitglieder der Posterneck-Group, die Bühne und stimmten ihre Instrumente ein. Diese Gruppe war die momentan angesagteste Jazzformation der Stadt. Das Bild von Pavel Posterneck, dem Chef der Band, war so oft in der Zeitung, dass selbst ich ihn inzwischen kannte.
„Das verstehe ich nicht. Wieso sind denn nur diese Musiker auf der Bühne?“ schrie ich meinem Nachbarn ins Ohr. Auch er hatte keine Erklärung.

Der Stimmungspegel war inzwischen weiter angeschwollen, es wurde laut und hemmungslos gelacht und erzählt, der Alkohol tat seine erste Wirkung, die Luft war zum Schneiden dick.
Der Organisator des Abends betrat die Bühne und begann seine allgemeinen Ausführungen in den Lärm hinein: „.............habe ich zunehmend das Gefühl, die Redakteure der OSTSEE-Zeitung wollen uns veralbern....“ hörten wir ihn sagen. Augenblicklich wurde es ruhiger. Wer wollte hier wen veralbern?
„Für die, die es noch nicht wissen sollten, das Konzert mit Uschi Brüning findet heute nicht statt. Sie gastierte bereits am Freitag letzter Woche in der Kunsthalle.“

Stille. Eine eigenartige Stille. Überraschung? Enttäuschung?
Alles fühlbar, greifbar.
Keine Uschi Brüning.
Die Stimmung sank spürbar.
Der Organisator gab das weitere Programm des Abends bekannt, informierte darüber, dass er selbst unter die Musiker gegangen sei, heute Abend im Anschluss an die Posterneck- Group sein erstes Konzert gebe und glücklich sei, dass alle so zahlreich erschienen sind.
Wir schauten uns ungläubig an.
„Der spinnt wohl!“ sagte der Chirurg in die Stille hinein.
Pavel Posterneck erfasste intuitiv die Situation. Er betrat die Bühne und legte auf fast mediterrane Art seine Hand auf den Oberarm des Organisators. Die Manschetten seines weißen Hemdes waren nicht zugeknöpft, was aus irgendeinem Grunde nicht schlampig sondern fast schon mondän wirkte.
Er unterbrach den Redeschwall und gab das Programm des Abends bekannt.

„Die nächste Runde geht auf mich!“ sagte ich zu dem Chirurgen, „Das gleiche noch einmal?“
„Nein, für mich etwas stärkeres! Es ärgert mich, dass das Konzert ausfällt. Ich hatte mich so drauf gefreut, sogar den Dienst getauscht. Was mache ich denn jetzt?“ antwortete er.
"Habt ihr denn das nicht gelesen? Draußen an der Eingangstür war doch ein Hinweis, dass das Konzert ausfällt und die Karten zurückgegeben werden können!" mischte sich der Nachbar des Chirurgen in das Gespräch ein.
Wir hatten beide den Hinweis nicht gesehen. Er würde doch nicht schon gehen?
Während ich an der Theke anstand, sah ich eine Frau im Spiegel, eine Frau, die sich Mühe mit sich selber gab, die versuchte, ihren Jahren noch etwas Attraktives abzugewinnen, nicht groß, nicht dick, nicht dünn, mit einer jener Art Kurzhaarfrisuren im Fransenschnitt, bei der man beim Friseur ein Vermögen hinlegen musste. Sie hatte schöne Augen, blau, soweit man das in diesem Licht beurteilen konnte, leicht verwunderter Ausdruck und einen ganz normalen Mund, allerdings die Sorte Mund, auf der kein Lippenstift hielt. Die Lippen waren rissig vom vielen essen, reden oder vielleicht küssen. Das Kinn war etwas rund und man ahnte, dass Hängebäckchen im Anmarsch waren.
Ich lächelte meinem Spiegelbild zu und lief beschwingt zurück. Mein Bauchgefühl signalisierte mir, dass das einer der schönen Abende werden würde. Unterwegs stimmte ich in den Gesang der Umstehenden ein, einen Song von Uschi Brüning, den die Band spielte.
‚Dein Name’ war der Titel und endlich fiel er mir ein, der Name des Chirurgen: Dr. Armin Sibelius!
Ich reichte ihm das Glas und lächelte ihn an.
Er erwiderte mein Lächeln.

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©2007 by Jurewa. Jegliche Wiedergabe, Vervielfaeltigung oder sonstige Nutzung, ganz oder teilweise, ist ohne vorherige schriftliche Genehmigung des Autors unzulaessig und rechtswidrig.

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