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Schneewittchen Teil II - von scrittore, 20.07.2007
Schneewittchen Teil II

Schneewittchen hatte wieder geraume Zeit vor dem Spiegel verbracht. Ihre
schwarzen Haare standen in einem seltsam berührenden Kontrast zu ihrer
hellen Haut. Ein güldener Kamm schmückte ihre wallenden Locken, und auf
ihrem Arm trug sie ihren Liebling, ein weißes Kaninchen. Das enge
rotseidene Kleid umschmeichelte ihre Figur. Langsam entwickelte sie sich zur
Frau. Sie hatte schon kokett die verstohlenen Blicke ihrer Kammerdiener
registriert und liebte es, sich herauszuputzen. Voller kindlicher Freude verbrachte sie Stunden vor dem Spiegel und bewunderte sich von allen Seiten. Es schmeichelte ihrer natürlichen Eitelkeit, dem Spiegel immer und immer
wieder die Frage zu stellen:

„Spieglein, Spieglein an der Wand. Wer ist die Schönste im ganzen Land?"

Sie jauchzte jedes Mal hell auf, wenn er antwortete:

„Schneewittchen, ihr seid die Schönste im ganzen Land!"

Dann spielte sie mit ihrem goldenen Ball, hockte sich auf den Brunnenrand
und bewunderte ihr Antlitz im Wasserspiegel.
Manchmal hatte sie dabei das Gefühl, beobachtet zu werden. Doch nur ein
dicker, grüner Frosch hockte auf einer vorspringenden Steinplatte im
Brunnen.

„Schneewittchen, habt ihr nicht Lust, mit mir auf die Jagd zu gehen? Ich will
euch auch interessante Dinge in der Natur zeigen."

Rief der Jäger, wobei er sie liebevoll betrachtete.

„Ach ja, lieber Jäger, da würde ich mich freuen. Die Alte war gestern
wieder unausstehlich zu mir. Lasst uns in die freie Natur ziehen und von
Herzen fröhlich sein."

Dem Jäger zerriss es nahezu das Herz, als er daran dachte, was die Königin
ihm aufgetragen hatte. Er konnte sein eigen Fleisch und Blut nicht töten,
und konnte doch auch nicht wider das Gebot der Königin handeln, sollte es
ihm doch sein Leben kosten. Schwer hockte er sich auf einen gefallenen
Baumriesen, als sie im tiefen Forst Rast machten. Mit bedrückter Miene und
voller verzweifelter Sorge erzählte er dem Schneewittchen der Königin
Begehr. Sie mochte es zunächst nicht glauben, ließ sich aber dann von ihm
überzeugen.

„Aber werdet ihr nicht in Ungnade fallen, wenn ihr wider dem Befehl der
Königin handelt?",

fragte Schneewittchen dann zaghaft.

„Nein, nein! Ich werde ein Reh erlegen und ihm Herz und Leber herausschneiden, und das soll dann für eures durchgehen"

erwiderte der Jäger mit fester Stimme.

„Schneewittchen, ihr müsst nun weiter in diese Richtung gehen. Da weiß ich
ein Häuslein, das von ehrenwerten Gesellen bewohnt wird. Dort könnt ihr
Unterkunft und Speis und Trank finden. Aber nie, ich wiederhole niemals,
dürft ihr wieder in Nähe des Schlosses kommen. Das würde unser beider
Leben kosten. Nun eilt, macht es mir nicht so schwer."

„Ach Jäger, lieber Jägersmann, wie werd ich euch missen!",

mit tränenüberströmten Wangen lief Schneewittchen in die ihm gewiesene
Richtung, während der Jäger daran ging ein Reh zu erlegen und die
verlangten Herz und Leber der Königin darzubringen.


Mit ihrer Jagdkleidung war Schneewittchen heute kaum als Mädchen zu
erkennen, als sie mit tränenüberströmten Gesicht und leise schluchzend in
die vom Jäger gewiesene Richtung stolperte. Sie trug eine enge hellbraune,
knielange Lederhose, ein ebenso braunes Wams aus schwerem Wollstoff,
kniehohe weiche Lederstiefel und ein schmuckes Hütchen mit einer
Fasanenfeder darauf, das ihre langen auf dem Kopf zusammengebundenen
schwarzen Haare verbarg. Diese Kleider, die eigentlich einem der Jagdknappen
gehörten, hatte Schneewittchen schon oft und gern getragen wenn sie den
Jäger begleitete.
Heute schützten sie ihre Haut vor den Dornen und dem struppigen Unterholz,
durch das sie sich mühsam vorwärts kämpfte. Immer wieder wischte sie sich
die Tränen aus den Augen. Sie musste weiter, der Jäger hatte ihr geraten,
nicht zu verweilen, bis sie das Häuslein im Wald erreicht habe.
Hungrig pflückte sie sich eine Handvoll Beeren und schöpfte ein wenig
Wasser aus dem Bach, um ihren Durst zu löschen.

Endlich, die Sonne stand schon hoch am Himmel, öffnete sich vor ihr eine
kleine Lichtung. Das Häuslein, das der Jäger ihr genannt hatte, duckte
sich vor ihren Augen. Durch das tief heruntergezogene mit Stroh gedeckte
Dach drängte sich ihr dieser Eindruck auf. Die Wände waren blendend weiß
gekalkt, die Fenster mit den kleinen Butzenscheiben erschienen ihr matt und
waren mit Spinnweben verziert. Ein kleiner Gemüsegarten umgab das
Häuschen, gelbe, rote und blaue Blüten wiegten sich im leichten Wind, die
Zauntür hing etwas schief in den Angeln und öffnete sich leicht
Quietschend, als sie den Vorgarten betrat. Nur ein paar Schritte, und sie
stand vor der schweren, dunklen Tür. Sie pochte zaghaft, doch niemand öffnete ihr. Sie klopfte noch einmal, diesmal etwas kräftiger. Dann drückte sie
die Klinke mutig herunter und mühte sich die Tür aufzuschieben, was ihr
dann auch gelang.


Teil III



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