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Prosa => Märchen


Schneewittchen Teil I - von scrittore, 20.07.2007
I

Empört rauschte die Königin durch den langen Flur. Langsam nervte sie der
ewige Streit mit ihrer Stieftochter, hatte sie diese doch wieder vor dem
Spiegel erwischt.
Sie konnte es nicht mehr hören, dieses

„Spieglein, Spieglein an der Wand. Wer ist die Schönste im ganzen Land?"

Ja, was bildete sich dieses dumme Ding eigentlich ein. Kaum achtzehn Jahre
alt, noch den Babyspeck am Körper und wollte ihr Konkurrenz machen, ihr,
die doch nun wirklich makellos schön war. Außerdem war sie die Königin,
daher stand ihr das Privileg zu, die Schönste zu sein. Da könnte ja jeder
kommen. Nein, sie würde darauf bestehen, ein Gesetz, notfalls eine
Verordnung musste her. Und wenn der Alte nicht spurte, da würde er schon
sehen. Sie hatte ja ihre Lysistrata gelesen. Pah! Männer, sie wusste, wie
sie den Alten kirre machen konnte. Er war Wachs in Ihren Händen.
Das höchste war aber, sie glaubte ihren Ohren nicht trauen zu dürfen, als
dieser nichtsnutzige Spiegel seine Antwort dem Gör herausschleimte.

Sie musste es einfach noch einmal probieren, er sollte es ihr ins Gesicht
sagen. Hah, jede Wette, das würde er nicht wagen, ihr, der Königin
gegenüber unbotmäßig zu sein, ihr den schuldigen Respekt zu verweigern.
Mit zusammengepressten Lippen und einer Menge Wut im Bauch bog sie in den
Spiegelsaal ein. Gottseidank, leer, da hing er der vermaledeite Spiegel. Mit
einem energischen Handgriff schob sie den Vorhang zur Seite, holte tief
Luft, atmete noch einmal kräftig durch und presste die Worte heraus:

„Spieglein, Spieglein an der Wand. Wer ist die Schönste im ganzen Land?"

Ungläubig vernahm sie seine Antwort. Die Zornesadern
schwollen ihr, ob dieser Impertinenz. Ihr Gesicht verfärbte sich hochrot. Die Königin war außer sich vor Wut. Sie stampfte mit dem Fuß auf. Hatte er doch die Stirn besessen zu antworten:

„Ihr Frau Königin seid die schönste hier, aber Schneewittchen ist noch
tausendmal schöner als Ihr."

Am liebsten hätte sie den Spiegel von der Wand reißen und in tausend
Stücke zerschmettern können. Aber eine kühle Logik sagte in ihr, das der Spiegel ihr noch zu Nutzen sein könnte. Nun gut, man würde sehen. Mühsam
beherrscht wollte sie noch heute verlangen, das diese Brut ihrer
verstorbenen Vorgängerin aus dem Schloss entfernt werden sollte.
Gottseidank war der Alte auf einer Konferenz mit seinen Kollegen aus den
Nachbarländern. Sie könnte da schon etwas einfädeln, nur gut bedacht
sollte es sein. Der Alte fraß ihr zwar aus der Hand, aber auf den Kopf
gefallen war er auch nicht. Na, ja, sie hatte im Laufe der letzten Jahre
ihre Seilschaften im Palast installiert. Besonders der Jäger war ihr
ergeben. Kein Wunder, für ihre Alter und mit ihrer perfekten Figur, war
sie noch ein Appetithappen für jeden Mann. Das Lifting im Gesicht sah man
ihr nicht an, sie sorgte schon dafür, das die Beleuchtung dem angemessen
war. Sie badete jeden Tag in Eselsmilch, ihre Zofen rieben sie mit
köstlichen, wohlriechenden Ingredienzien ein und massierten sie dann von
Kopf bis Fuß. Außerdem gönnte sie sich von Zeit zu Zeit einen jungen,
knusprigen Burschen zum Zeitvertreib. Der Alte hatte in dieser Beziehung von
Zeit zu Zeit so seine Probleme. Der Bursche tat seine Pflicht, bekam einen
Sack Goldstücke für seine Dienste und wurde dann außer Landes geschickt.
Das Spiel lief zu ihrer Zufriedenheit, ja die hohe Kunst der Intrigen
beherrschte sie zur Vollkommenheit.
Ach, wenn doch die Fee das Spinnrad dieser dummen Göre geschenkt hätte!
Dann schliefe sie jetzt hundert Jahre, und es wäre endlich Ruhe im
Schloss.
Sie musste sich jetzt ernsthaft was überlegen. Vielleicht könnte man das
Kind verheiraten. Am besten mit irgendeinem senilen Trottel, der sich was Junges gönnen wollte, möglichst weit entfernt. Notfalls könnte sie auch noch ein
erkleckliches Sümmchen drauflegen.

Hatte nicht dieser etwas grobschlächtige, grauhaarige Fremde, der neulich
auf ihrer letzten großen Einladung mit Schneewittchen geplaudert hatte, ein
Auge auf das Kind geworfen?
Wie hieß er noch gleich? Irgendein komischer Name, seltsam, was es für Namen gab.
Ach ja, richtig Drosselbart, König Drosselbart, man muss sich einmal
vorstellen, was manche Leute für Namen hatten.
Dieser König Drosselbart sollte ja außerdem einigermaßen betucht sein,
munkelte man. Das wäre eine Lösung. Andererseits hatte er jedoch verlauten
lassen, er wolle sich auf einen Kreuzzug begeben, ins Heilige Land,
Jerusalem befreien.

Zu dumm, zu dumm!
Sie könnte den Jäger rufen. Er war ihr noch einen Gefallen schuldig. Der Jäger
hatte des öfteren ihr Lager geteilt. Er dürfte sich als loyal erweisen. Und
wenn nicht, sie konnte auch anders. Ein Wort an ihren königlichen Herrn
Gemahl, und der Jäger würde brennen. Gepfählt, gevierteilt, in siedendem
Öl gesotten, das wäre so etwa das, was er erwarten durfte, sollte er
auch nur einen Gedanken daran verschwenden unbotmäßig zu sein.
Sie war Schauspielerin genug. Ein wenig Tremolo in ihrer Stimme, ein paar
Tränen, das sollte reichen. Das Wissen darum, wie man Männer um den
Finger wickelt, hatte sie mehr noch, als jede andere Frau, mit der
Muttermilch eingesogen.

„Wache, W A C H E, man rufe den Jäger herbei!!"

Sie ließ sich in einen Sessel gleiten und von ihrer Zofe Luft zufächeln.
Ein falsches Lächeln umspielte ihre Lippen. Der Jäger betrat den Saal mit
einem Kratzfuss. Er zog seinen federgeschmückten Hut und beugte seine Knie.
Mit zuckersüßer Stimme flötete sie, nachdem die Zofe den Saal verlassen
hatte:

„Ach lieber Jäger. Gern gedenke ich der Stunden, die ich mit euch verbracht
habe. Wohlan, nun ist es an der Zeit, mir die Gunst, die ich euch gewährt
hatte, zu vergelten."

„Sagt an, Frau Königin. Was ist euer Begehr? Ich will es verrichten
allzu gleich"

sagte der Jäger, der mit gebeugtem Knie vor dem Sessel der Königin
verharrte.

„Ich, die Königin wünsche, nein ich verlange, dass ihr Schneewittchen vom
Hofe entfernt. Vielleicht ein kleiner Unfall, na ja, das überlasse ich eurer
Phantasie. Ich hoffe, wir haben uns richtig verstanden. Schneewittchen muss
weg. Ach ja, bevor ich’s vergesse, ich habe bemerkt, dass ihr einen Narren an
dem Ding gefressen habt. Bringt mir Schneewittchens Herz und ihre Leber,
damit ich sicher sein kann, das ihr mich nicht hintergangen habt. Ach lieber Jäger, könnt ihr euch vorstellen, was mein Herr Gemahl, euer König, mit Gesindel
macht, das der Königin zu nahe getreten ist? Bedenkt das bei eurer Entscheidung. Ich erwarte diesbezüglichen Bericht bis übermorgen. Ihr dürft euch nun entfernen."

Der Jäger schluckte, jähes Entsetzen erfüllte ihn. Schneewittchen, das
wusste niemand, war seine Tochter. Die verstorbene Königin war ihm von
Herzen zugetan gewesen. Doch niemand ahnte davon. Verzweifelt überlegte
er, was zu tun sei, nachdem die Tür des Saals hinter ihm ins Schloss
gefallen war. Nun, er könnte Schneewittchen morgen mit sich in den Wald
nehmen und....
Irgend etwas würde ihm schon einfallen.


Teil II



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