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Status: Zur Vernichtung freigegeben! - Kapitel 03 - von Aabatyron, 19.07.2007
Status: Zur Vernichtung freigegeben!

Kapitel 3 Schleichende Gefahr

Es sorgte überall für mehr als Verwirrung, aber die Ortungsergebnisse aller Radarstationen zeigten eindeutig, dass sich die Masse des abgestürzten Meteors tatsächlich bewegte. Bei mehr als zweitausend Tonnen Meteoreisen konnte man sich einfach nicht täuschen. Warum dies so war, musste noch ergründet werden. Es widersprach jedenfalls allen physikalischen Gesetzen.

Hatte John schon mit seiner Magnetfeldtheorie für Aufregung gesorgt, die neuen Messungen setzten dem noch eins drauf.

Seismologische Messgeräte sind bekanntlich sehr empfindliche Messgeräte die jede kleinste Erschütterung registrieren. Es hatte in der Vergangenheit schon viele Versuche gegeben, was die Ursache für ein Erdbeben sein könnte. Selbst die verrückte Idee, was passieren würde, wenn alle Menschen weltweit gleichzeitig von einem Stuhl springen würden, hatten Forscher ausprobiert. Ein Erdbeben wurde damit zwar nicht ausgelöst, aber die Messgeräte hatten deutlich die Schwingungen aufgezeichnet, die dabei entstanden waren.

John saß nun etwas ratlos vor seinen Kontrollen und überlegte krampfhaft, wie er der Hauptzentrale seine neue Entdeckung berichten sollte. War seine erste Meldung schon fast unglaublich gewesen, das was er jetzt entdeckt hatte übertraf das ganze noch einmal um Längen.

Seine Messgeräte registrierten winzige Erschütterungen in relativ gleichem Takt - die sich langsam landeinwärts zu bewegen schienen. Es sah fast so aus, als ob eine gigantische Spinne auf der Erdoberfläche krabbeln würde und dabei dieses Schwingungen verursachte.

Der Computer hatte innerhalb weniger Minuten den Ursprungsort dieser Schwingungen lokalisiert. Das Epizentrum lag genau deckungsgleich mit dem Absturzort des Meteors.

Als John die Leitzentrale kontaktierte, herrschte dort offensichtlich Aufregung über eine zuvor eingegangene Nachricht anderer Beobachtungsstationen. Der Meteor würde sich bewegen hieß es nur kurz. Jetzt gab John seine Messergebnisse durch und bestätigte damit eigentlich nur die verrückte Tatsache, dass sich der Meteor anscheinend doch Richtung Landesinneres bewegte.

Allerdings hatte John noch etwas alarmierendes entdeckt: die Schwingungen schienen an Intensität kaum spürbar zuzunehmen, was letztendlich bedeutete, dass sich die Masse dieses bewegenden Objektes sich laufend vergrößerte.

Wahrscheinlich hatten die Wissenschaftler noch nie so schnell einen Datenvergleich ihrer Radarortung durchgeführt.

Das "Objekt" hatte sich in der Tat vergrößert und an Masse zugenommen. Der direkte Vergleich von den ersten Bildern die sich im Zentralrechnerspeicher befanden und den neusten Daten waren eindeutig. Jetzt wußte man auch, wohin die Poseidon Fünf so schnell verschwunden war. Genau im Augenblick ihres Verschwindens war die Masse des Meteors um diesen Betrag sprunghaft angestiegen - wie wenn der Meteor die Poseidon verschluckt hätte.



Es wäre für die Familie Bonner eine freudige Erwartung geworden, bald würde es soweit sein - der Nachwuchs hatte sich angekündigt. In immer kürzeren Abständen setzten die Wehen ein. Hartmut wußte, dass er noch am gleichen Tag Vater einer Tochter sein würde. Carmen seine Frau hatte man vor vier Wochen ins Krankenhaus gefahren, nach ihrem schweren Unfall.

Ein ganzes Team von Ärzten stand schon bereit. Der betreuende Arzt machte sich anscheinend große Sorgen, dass alles gut gehen würde und hatte diese Maßnahme angeordnet.


Alles war so gut verlaufen bis zu dem Tag, als seine Frau am Morgen schnell wie gewohnt die Brötchen fürs Frühstück holen wollte. Die Bäckerei war nur ein paar Meter von der Haustür entfernt. Nur eine Straße musste man überqueren.

Es gab einen Zebrastreifen, gut einsehbare Schilder - ein sicherer Fußgängerüberweg.

Eine Tochter würde es werden. Das kleine Wesen war gut auf dem Ultraschallbild zu erkennen gewesen. Und lebhaft war die Kleine. Ein richtiger Wildfang. Strampelte manchmal, dass man es sogar an der Bauchdecke der Mutter sehen konnte. Gesund wie ein Fisch im Wasser, meinte der Hausarzt.

"Pass auf die Kaffeemaschine auf - nicht dass wieder das Wasser überkocht", rief Carmen gutgelaunt zu ihrem Mann gewandt. "Ich hol nur mal schnell frische Brötchen!"

"Bleib doch hier, ich hole die Brötchen", versuchte Hartmut sie zurückhalten. Er wollte seine Frau schonen - bestimmt war es mühsam mit so einem dicken Bauch über die Straße zu laufen.

"Ich brauche ein wenig Bewegung - das schadet unserem kleinen Wildfang bestimmt nicht" - und schon war seine Frau aus dem Haus.

Hartmut sah kurz auf die Kaffeemaschine - er hatte extra darauf geachtet, nicht zuviel Wasser einzufüllen. Das gab eine mächtige Sauerei wenn der heiße Kaffee überlief und sich überall ausbreitete.

Nie wird er das Geräusch vergessen. Ein kurzes Quietschen von Reifen und danach ein Platschen - wie beim Metzger wenn der ein großes Stück Fleisch bearbeiten wollte und auf die Schneidunterlage warf.

Hartmut wußte nicht, was passiert war - instinktiv ahnte er Schlimmes. Rannte fast in Panik aus dem Haus. Seine Frau! Das Kind!

Er bog um die Ecke, nach wenigen Metern von der Haustür entfernt war der Zebrastreifen. Der sichere Fußgängerüberweg. Ein Auto stand schräg, mitten auf dem Zebrastreifen. Einer hielt ein Handy ans Ohr, sprach irgend etwas aufgeregt ins Mikrofon.

Wie in Trance lief Hartmut zu dem Bündel, das vor dem Auto lag, halb begraben unter dem Fahrgestell.

Eine unsichtbare Hand drückte seine Kehle zu, er konnte seine Hände nicht mehr spüren. Das was halb unter dem Auto eingeklemmt lag - war seine hochschwangere Frau.

"Es tut mir so leid - war so in Gedanken - habe ich doch nicht gewollt - mein Gott..." stammelte neben ihm eine junge Frau, leichenblass im Gesicht. Sie war die Fahrerin des Autos. Frisch den Führerschein gemacht. Sie hatte es eilig gehabt.

"Ich habe sie nicht gesehen", stammelte sie immer wieder.

Das Geräusch einer Sirene heulte auf, kam schnell näher. Der Notarzt.

Hartmut stand wie versteinert neben seiner Frau die reglos unter dem Auto eingeklemmt war. Er konnte sich vor Schock nicht bewegen.

Die Bäckerei war inzwischen leer - die Leute standen alle auf der Straße. Zwei knieten neben der eingeklemmten Frau, versuchten sie anzusprechen - konnten nicht helfen.

Die beiden Notärzte sprangen aus dem Auto. Hasteten zu dem Unfallopfer.

"Sie lebt noch" - hörte Hartmut wie von ganz weit her. Er konnte sich fast nicht mehr auf den Beinen halten.

"Das habe ich nicht gewollt", hörte er wie durch einen Nebel. Es war die junge Frau die offensichtlich selbst einen Schock erlitten hatte.

Einer der Notärzte hatte inzwischen telefoniert.

Die Polizei war eingetroffen. Sie machten Platz, drängten die Umstehenden zurück.

Wieder ein Signal. THW und Feuerwehr. Man mußte das Auto anheben um das Unfallopfer zu befreien.

"Der Mann da - das ist der Mann von der Verunglückten" Es war die Stimme der Bäckersfrau. Sie kannte die Familie Bonner sehr gut. Jeden Tag kaufte Frau Bonner frische Brötchen.

"Mein Gott, die arme Frau, die hat sich so auf den Nachwuchs gefreut", sagte irgend jemand.

Noch ein Rettungsfahrzeug traf ein. Blieb mit grell blinkenden Lampen stehen.

"Er hat einen schweren Schock", beorderte einer der Notärzte den neu eingetroffenen Helfer zu Hartmut.

Die Angst um das Leben seiner Frau und des Kindes schnürte Hartmut noch immer die Kehle zu.

Er spürte nicht einmal den kurzen Piekser, als man ihm ein Beruhigungsmittel gab.

Die eiserne Hand schien allerdings plötzlich den Griff um seine Kehle zu lockern. "Meine Frau - was ist mit meiner Frau und dem Kind?", flüsterte er leise zu seinem Betreuer.

Ein seltsames Geräusch ertönte. Es war die Hydraulik mit der man das Auto endlich hochstemmte um das Unfallopfer darunter hervorziehen zu können.

"Es sieht schlimm aus", drang wie ein weiterer Schock an das Ohr von Hartmut.

Das Beruhigungsmittel zeigte allerdings seine Wirkung. Die Hände und Füße fingen an zu kribbeln - das Blut fand wieder einen Weg zurück. Der Schock hatte ihn zuvor gelähmt.

"Ich habe sie wirklich nicht gesehen", beteuerte die junge Frau mit weinerlichem Unterton in der Stimme. "Es tut mir so unendlich leid - mein Gott die arme Frau!"

Die beiden Notärzte und noch ein paar Helfer knieten neben Carmen die man endlich von der Last des Autos befreien konnte das sie unter sich begraben hatte.

Die Notärzte verstanden ihr Handwerk, gaben kurze Befehle an die Helfer von dem anderen Rettungswagen.

„Vielleicht können wir das Leben der Frau retten – das Kind wird es leider nicht überleben“ Hartmut hörte inzwischen alles wie durch einen dichten Nebel – weit weg. Das Beruhigungsmittel zeigte Wirkung.

Die Polizisten hatten sich der jungen Frau angenommen – auch ein Sanitäter war bei ihr. Sie zitterte am ganzen Körper – der Schock zeigte so langsam auch bei ihr Wirkung. Der Polizeibeamte sprach zuerst beruhigend zu der jungen Frau. Wollte erst dann den Hergang des Unfalls wissen wenn sie sich etwas beruhigt hatte. Es mußte ein Protokoll aufgenommen werden. Zeugen gab es keine – alles war so schnell gegangen. Nur den Aufprall hatten alle gehört.

Fast eine Stunde kämpften die Ärzte um das Leben von Carmen – dann wurde sie auf einer speziellen Trage vorsichtig in den Krankentransporter geschoben. Überall hingen kleine Flaschen welche die Helfer festgehalten hatten während sie neben der Trage herliefen. Der andere Transporter nahm Hartmut mit – er mußte gegen Schock behandelt werden.

Erst im Krankenhaus wurde Hartmut so richtig bewußt, was eigentlich passiert war. Die Operation seiner Frau dauerte nun schon fast zwei Stunden. Vorsichtig setzte er sich auf, konnte es auf der Liege nicht mehr aushalten.

Dann endlich kamen die Ärzte aus dem Operationssaal. Mit ernster Mine berichtete der Chefarzt von der vorangegangenen Operation seiner Patientin. Sie würde durchkommen. Schwere innere Verletzungen – aber mit ein wenig Glück.

Das Kind? „Was ist mit unserem Kind?“ Die Angst über die Antwort fing an, Hartmut wieder langsam die Kehle zuzuschnüren.

„Wenn es die heutige Nacht überlebt kann es ihre Frau vielleicht behalten – so ein junges Leben ist zäh – wehrt sich“, meinte der Arzt nachdenklich. „Da müssen wir wirklich abwarten – so lange wie das Kind nicht mit Blut versorgt wurde – das ist sehr kritisch – wollen hoffen dass es keine zusätzlichen Komplikationen gibt“ Der Arzt sah Hartmut sehr nachdenklich an, wollte noch etwas sagen. Nein, er mußte den Mann schonen – er konnte ihm nicht die ganze Wahrheit verraten. Es war so schon schlimm genug für den armen Mann.

Hartmut sollte nach hause gehen – er konnte nichts für seine Frau oder sein Kind jetzt tun – morgen vielleicht ein kurzer Besuch.

„Haben sie jemand der sie abholen kann? Soll ich ihnen ein Taxi rufen?“, fragte eine freundliche Stimme. Stumm nickte Hartmut – ein Taxi wäre gut. Seine Gedanken drehten sich jetzt nur um seine Frau und um das noch ungeborene Leben.

Schlafen? Nein, immer wieder drang dieses klatschende Geräusch ins Bewußtsein von Hartmut. Er machte sich schwere Vorwürfe. Warum um alles in der Welt hatte er nicht selbst die Brötchen geholt. Irgendwann schlief er dann doch vor Müdigkeit und Erschöpfung ein.

Schon früh am Morgen schreckte er hoch. War alles ein böser Albtraum gewesen? Nein, der Platz neben ihm im Bett war leer. Wie eine Lawine kam der gestrige Tag wieder in sein Bewußtsein zurück. Die Firma anrufen – er konnte heute nicht arbeiten. Es meldete sich eine fremde verschlafene Stimme. In der Aufregung hatte sich Hartmut anscheinend auch noch verwählt – stammelte verwirrt eine Entschuldigung. Dann endlich, die Sekretärin der Werkstatt war am anderen Ende. Selbstverständlich würde sie für ein paar Tage Urlaub eintragen – sprach ihr Mitgefühl aus.

Den Taxiruf – wo war das Telefonbuch? Das organisierte sonst immer alles seine Frau. Selbst Autofahren traute er sich nicht zu. Seine Hände zitterten immer noch von der Aufregung. Er fühlte sich müde und zerschlagen. Dachte immer wieder an seine Frau. Hoffentlich konnte das Kind auch überleben.

Der Taxifahrer schien zu ahnen, in welcher Verfassung sich sein Fahrgast befand. Nur aus dem Funkgerät ertönte ab und zu leise irgend eine Stimme – sonst war nur das Motorengeräusch und das Rollen der Räder auf dem Asphalt zu hören.

Das Tor zum Krankenhaus tauchte auf. „Soll ich sie nachher wieder hier abholen?“ Der Taxifahrer reichte Hartmut eine Visitenkarte, dort stand die Telefonnummer.

„Carmen Bonner“, sagte Hartmut leise, als er den fragenden Blick des freundlichen Herrn hinter der Scheibe des Pförtnerraumes sah. Der tippte den Namen in den Computer ein. „Sind sie Angehöriger?“, fragte der Mann im Büro dann, als er die Dateninformation bekam. Hartmut nickte und bejahte mit leiser brüchiger Stimme. „Intensievstation, zweite Etage rechts – melden sie sich aber am Eingang an“, bekam er zur Auskunft.

Der Fahrstuhl brauchte unheimlich lange bis er im zweiten Stock ankam – zumindest hatte Hartmut den Eindruck. Er war innerlich so angespannt, dass man ihm seine Aufregung direkt ansehen konnte.

Die Tür war leicht zu finden. Bitte Klingel betätigen – nicht eintreten ohne Aufforderung, stand groß auf einem Schild direkt über einem gut sichtbaren Taster. Kaum hatte Hartmut den Klingelknopf betätigt, wurde er aufgefordert, seinen Namen zu nennen. Er beugte sich in Richtung der Türsprechanlage: „Hartmut Bonner“. „Moment bitte, sie werden gleich abgeholt“, ertönte es ohne Verzögerung aus dem Lautsprecher.

Die Sekunden wurden zu Minuten. Dann öffnete sich eine Türe. Eine freundliche Krankenschwester forderte Hartmut auf, mit ihr zu kommen. Schuhüberzüge, Schutzmantel und Hände desinfizieren – das mußte sein, bevor er in den Raum gehen durfte, wo seine Frau lag.

So eine Technik hatte Hartmut noch nie gesehen. Überall blinkten Lampen und verliefen Schläuche. Fast mitten im Raum stand das Bett auf dem seine Frau mit einem weisen OP-Hemd bekleidet lag. Das gleichmäßige Piepen der Herzfrequenzmessung war fast beruhigend. Seine Frau lebte. Hatte die Augen aber geschlossen. „Nur kurz – die beiden brauchen sehr viel Ruhe“, mahnte der Arzt.

Die Beiden. Der Arzt hatte wirklich „die Beiden“ gesagt. Gottseidank, das Kind war am Leben. Carmen öffnete kurz ihre Augen – erwiderte den Druck der Hand von Hartmut – fast als ob sie damit sagen wollte, dass alles in Ordnung wäre. Dann schien sie schon wieder in einen Dämmerschlaf zu fallen.

Fast zwei volle Stunden saß Hartmut noch schweigend neben dem Bett und beobachtete „die Beiden“, die ihm das liebste auf der Welt waren.

Die Beruhigungs- und Schmerzmittel mußten schuld sein. Ja bestimmt! Nicht einmal hatte sein kleiner Wildfang sich im Bauch der Mutter bemerkbar gemacht. Aber dass seine kleine Tochter lebte, bewies das schwache Signal, dass die Herzfrequenz überwachte. Es war bestimmt doppelt so schnell, wie das Signal von der Mutter. Manchmal ertönten beide im gleichen Takt.

„Ihre Frau wird wieder ganz gesund werden“, wurde Hartmut aus seinen Gedanken gerissen.

Jetzt konnte er beruhigt nach hause gehen – morgen war seine Frau bestimmt wach und er konnte sich mit ihr unterhalten.

So besuchte er jeden Tag „die Beiden“ und von Tag zu Tag ging es seiner Frau tatsächlich besser.

Dann wurde Carmen sogar auf ein normales Zimmer verlegt. Es gab zwar immer noch viele Apparaturen um ihr Bett herum aufgereiht, aber schon deutlich weniger als in der Intensievstation.

Seit dem Unfall schien das Kind die Freude am Strampeln verloren zu haben. Carmen hatte bis jetzt Hartmut noch nie etwas verschwiegen. Dass sie etwas verbarg, war für ihn wie ein offenes Buch.

Immer drängender wollte Hartmut wissen, was sie vor ihm verheimlichte. Aus den Augenwinkeln von Carmen drängten ein paar Tränen, als sie endlich das Geheimnis lüftete: „Das Kind – es ist etwas mit unserem Kind passiert“

„Aber die Ärzte haben doch gesagt, dass es überleben wird?“, fragte Hartmut mit versteinertem Gesichtsausdruck.

„Es wird leben“, flüsterte Carmen. „Aber es war lange Zeit ohne Blutversorgung, die Nabelschnur war abgedrückt gewesen“. Sie konnte jetzt ihre Tränen nicht mehr zurückhalten. „Es wird geistig schwer behindert sein“

Hätte Hartmut jemand eine Keule ins Genick geschlagen wäre dies vermutlich noch harmlos dagegen gewesen als das, was er in diesem Augenblick fühlte.

Praktisch brach eine Welt zusammen. Er und seine Frau hatten sich schon so gefreut, bald mit dem kleinen Wesen eine richtige Familie sein zu können – und jetzt so eine niederschmetternde Nachricht.

In manchen Fällen gäbe es immer noch eine kleine Hoffnung – hatten die Ärzte gesagt. Man müßte einfach abwarten.


Der Tag der Geburt war für die Familie Bonner nicht unbedingt ein Tag der Freude. Die Angst was alles auf sie zukommen würde überwiegte alles andere. Die Ultraschallmessungen hatten eindeutig gezeigt, dass das Kind geistig geschädigt worden war. Der Kopf war übergroß ausgebildet, der Körper praktisch nicht mehr viel weiterentwickelt. Die Ärzte hatten etwas von punktieren gesagt. Das Wasser aus dem Gehirn des Kindes bringen.

Die Geburt war mehr als anstrengend und schmerzhaft. Fast hatte man noch im letzten Augenblick sich entscheiden müssen, einen Kaiserschnitt zu machen. Deutlich war der übergroße „Wasserkopf“ und die verkümmert aussehenden Arme und Beine zu sehen. Die Augen waren noch geschlossen. Das Kind mußte sofort zur Untersuchung. Wenn man das Wasser nicht aus dem Gehirn bringen konnte, würde es keine Stunde überleben.

Banges Warten der Eltern. Es war schon fast später Nachmittag in der Säuglingsstation. Klein „Jennyfer“ war von der Untersuchung zurückgebracht worden. Die Ärzte berieten sich sehr lange, während sie vor dem kleinen Bettchen standen, in dem Baby Jenny lag.

Dann durften die Eltern zum erstenmal ihr Kind sehen. Hartmut erschrak deutlich. Die Ärzte hatten dem Baby nicht helfen können. Die Punktierung hatte keinen Erfolg gezeigt.

Einer der Ärzte sah die verzweifelte Reaktion des Vaters und klärt ihn auf: „Es war kein Wasser im Gehirn. Das Kind hat eine ungewöhnlich große Gehirnmasse – so etwas haben wir bisher noch nie in der Medizin erlebt“

Die Mutter darf jetzt ihr Baby in den Arm nehmen. Das ist der Moment, wo die Mutter entscheidet, dass sie ihr Kind unter allen Umständen großziehen will – egal wie stark es geistig und körperlich geschädigt ist. Das kleine Bündel liegt ruhig in ihrem Arm – meckert nicht wie all die anderen kleinen Babys, weil sie Hunger haben.

Das kleine Wesen strahlt eine richtige Wärme aus – nein es ist kein Fieber, es fühlt sich nur so an. Als der Vater eines der winzigen Hände seiner Tochter berührt, ist auch bei Ihm der Bann gebrochen. Vielleicht lässt sich auch die Behinderung mit der Zeit etwas beheben.

Am nächsten Tag werden die Eltern mit einem strahlenden Lächeln belohnt. Zwei kleine himmelblauen Augen starren neugierig in die Gesichter von Carmen und Hartmut, wie wenn sie ihnen Hoffnung machen wollten, nicht an dem was auf sie zukommt, zu verzweifeln.


Sechzehn Jahre später. Die Liebe von Eltern kann sehr viel tragen und überwinden. Aber es ist mehr als anstrengend, sich jeden Tag um ein schwerstbehindertes Kind zu sorgen. Carmen war gesundheitlich seit dem Unfall nicht mehr so auf dem Damm. Zunehmende Beschwerden machten den Alttag immer schwerer. Die inneren Verletzungen hatten zu Verknorpelungen geführt die sich wie ein Geschwür immer weiter vergrößerten. Operation auf Operation war die Folge. Die letzte Diagnose lautete Krebs. Die vielen Operationen hatten den Körper ausgezehrt – auch die stetige Sorge um die schwerstbehinderte Tochter.

Hartmut arbeitet fast Tag und Nacht – versorgte nebenher nicht nur die Tochter, sondern mußte sich auch zunehmend um seine Frau kümmern. Seine Arbeitskollegen überraschte es nicht, als es eines Tages hieß, dass ihr Kollege mit einem Herzinfarkt zusammengebrochen wäre und auf dem Weg ins Krankenhaus verstorben sei.

Die sechzehnjährige Tochter mußte in ein Heim für geistig und körperlich Schwerstbehinderte eingewiesen werden – die Mutter lag schon wieder im Krankenhaus – Krebsoperation. Ihr Wunsch, ihre Tochter noch einmal sehen zu dürfen, wurde ihr nicht mehr erfüllt. Sie hatte sie trotz aller Behinderungen ins Herz geschlossen, vielleicht sogar noch viel stärker als sie es mit einer gesunden Tochter getan hätte.

Das Mädchen saß immer anteilnahmslos im Rollstuhl. Nie kam ein Laut der Klage über ihre Lippen. Die Augen schienen allerdings alles zu erfassen und man hatte zuweilen den Eindruck, dass sie auch eine gewisse Aufmerksamkeit ausdrückten.

In der Nacht, als ihre Mutter starb, berichteten die Pfleger von einem eigenartigen Erlebnis. Jennyfer hatte mitten in der Nacht genau um ein Uhr siebenundzwanzig angefangen zu weinen. Das sonst so ruhige Mädchen sei nicht mehr zu beruhigen gewesen. Diese Zeit war der exakte Zeitpunkt, an dem ihre Mutter gestorben war. Ab der Nacht saß sie wieder wie zuvor in ihrem Rollstuhl und jeder war der Meinung, dass sie absolut nichts von ihrer Umwelt mitbekam.


Dass Jennyfer Bonner einmal der einzigste Mensch sein würde, der die Menschheit vor der totalen Vernichtung bewahren konnte – das hätte bestimmt niemand geglaubt, wenn er den schwächlichen Körper mit dem überdimensionalen „Wasserkopf“ so zusammengesunken im Rollstuhl sah.



Autor: Werner May











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