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VIRUS 931 - Kapitel 01 - von Aabatyron, 16.07.2007
VIRUS 931
Kapitel 01 Die Reise


Die Familie hatte lange gespart, um sich diesen Urlaub leisten zu können. Ralf Hausmann arbeitet in einer großen Firma die viele Teile für die Autofertigung herstellt. Seine Frau Nora fand in ihrem Heimatort einen Halbtagsjob in einer der vielen dort angesiedelten kleinen Firmen. An einem Drehautomaten mußte sie Teile abnehmen und kontrollieren.

Die 12-jährige Tochter Nicole ging inzwischen in die sechste Klasse zur Schule. Das Dorf hatte leider keine eigene Hauptschule und deshalb mußte das Mädchen jeden Tag in das drei Kilometer entfernt liegende größere Nachbardorf fahren um dort die Schule zu besuchen. Sie ging sehr gerne zur Schule und lernte sehr schnell. Fast immer war sie mit dabei, wenn es am Jahresende für die Klassenbesten einen Preis oder eine Belobigung gab.

Ihr 14-jähriger Bruder Reinhard war da ganz anders. Dem war wichtig, mit seinen Freunden an den schulfreien Tagen um die Häuser zu ziehen und meist wurden die Hausaufgaben mit wenig Begeisterung gemacht. Oft mußten wegen ihm die Eltern zu dem Lehrer kommen weil es in der Schule Probleme gab. Vor allem der Vater war manchmal mächtig sauer, weil er wußte, dass sein Sohn nicht dumm, sondern nur faul war. Wenn er ihn am Abend streng und manchmal verärgert ermahnte, die Hausaufgaben zu machen, hatte der schon die Frechheit besessen, frei zu äußern, dass er keinen "Bock" habe" diese blöden Aufgaben zu bearbeiten. Nur beim Blödsinn treiben, da hatte der Einfallsreichtum bei ihm anscheinend keine Grenzen.

Na ja, Ralf hatte in seiner Jugendzeit des öfteren manchmal auch keine große Lust verspürt, bei schönem Wetter über den lästigen Hausaufgaben zu brüten. Wenn allerdings sein Vater abends nach hause gekommen war, und feststellte, dass die Aufgaben noch nicht erledigt waren, dann gabs ein paar hinter die Löffel gehauen - das half schnell auf die Sprünge, die Aufgaben doch noch schnell zu erledigen.

Leider war die Erziehung der Jugend heute viel schwieriger als früher. Es wurde um viele Dinge herumdiskutiert, die in früheren Zeiten durch die mahnende Hand des Vaters in Sekundenschnelle entschieden worden waren.


Allerdings mit der ganzen Familie in Urlaub fahren, davon hatte man früher nicht einmal geträumt. Fast vier Jahre hatte Ralf und seine Frau jeden nicht benötigten Euro auf die Seite gelegt, um seiner Familie diesen Wunsch zu erfüllen.

Das war vielleicht ein Glücksgefühl gewesen, als er endlich zusammen mit seiner Frau Nora in das Reisebüro gehen konnte, um die Tickets für die sechswöchige Reise nach Brasilien zu buchen. Stolz kamen sie nach hause und zeigten die Tickets ihren Kindern. Es gab in der heutigen Zeit eigentlich recht wenig, mit dem man die Jugend nachhaltig beeindrucken konnte - so ein Urlaub gehörte allerdings zu jenen Dingen, die auch bei der Jugend noch in der Lage war, den Puls höher schlagen zu lassen. Am nächsten Tag wußte es fast die halbe Schule, dass die Familie Hausmann in den großen Sommerferien nach Brasilien reisen würde.


Nora kaufte vorsichtshalber ein Wörterbuch für Portugiesisch - man sprach anscheinend in Brasilien wenig Englisch und die Landessprache dort war Portugiesisch. Ihre beiden Kinder hatten weniger Mühe einige Grundlagen der portugiesischen Sprache zu lernen. Bei solchen Dingen konnte man erkennen, dass Reinhard nicht dumm war - er konnte nach kurzer Zeit schon die meisten Wörter übersetzen.


Ende Juli war es endlich soweit, der letzte Schultag war vorbei und die Familie hatte alle Hände voll zu tun, die Reisekoffer zu packen. Man mußte auf das Gewicht des Gepäcks achten. Was über der zulässigen Grenze lag, kostete sehr viel Geld wenn man es trotzdem im Flugzeug mitnehmen wollte. Jeder schrieb seinen Namen und die Adresse auf die Anhängepackzettel, welche sie von der Reisegesellschaft bekommen hatten um ihr Gepäck zu kennzeichnen.

Schon am nächsten Tag ging der Flug vom Frankfurter Flughafen non Stop nach Rio de Janeiro in Brasilien. Zehn Uhr war als Abflugzeit angegeben. Die freundliche Dame im Reisebüro hatte empfohlen, mindestens zwei Stunden vor der regulären Abflugzeit im Frankfurter Flughafen einzuchecken und alle Formalitäten zu erledigen.

Der Vater hatte ausgerechnet, dass man etwa zwei Stunden Fahrzeit bis zum Frankfurter Flughafen brauchen würde. Spätestens um sechs Uhr früh war die Abfahrt von zuhause geplant. Ein im Ort ansässiger Personentransportdienst würde die Fahrt übernehmen.

Nora leistete für die Reise einige Vorarbeit bis alles organisiert war: Das Haus mußte während ihrer Abwesenheit in den sechs Wochen ab und zu von ihrer Mutter besucht werden um die Pflanzen zu gießen und auch sonst etwas nach dem Rechten zu sehen. Ralf hatte noch in der letzten Arbeitswoche den Rasen gemäht damit der Garten nach ihrer Rückkehr nicht aussah wie ein Urwald. Die Mülleimer mußten in der ersten Urlaubswoche zur Abholung raus gestellt werden und noch einige andere Dinge.

Schon drei Tage standen die meisten Koffer im kleinen Zimmer neben dem Windfang und Noras Liste an Dingen, die noch fehlten war bis auf vier Positionen abgehakt. Das wichtigste waren die Reisepässe und die Impfausweise der für die Reise notwendig durchgeführten Impfungen.

Einen Auslandkrankenschein hatte Ralf von seiner Krankenkasse auf Antrag erhalten und ihn bei seinen Unterlagen verstaut. Das Handgepäck beinhaltete auch die kleine Brieftasche, in dem das eingewechselte Geld, welches in Brasilien als Zahlungsmittel diente, verstaut war. Gottseidank konnte man dort inzwischen nicht nur mit Reals und Dollars, sondern auch mit Euros bezahlen. Die Wechselkurse waren meist nicht so günstig wenn man im Landesinneren Dollars oder Euros in die Landeswährung umtauschen wollte. Zur Zeit bekam man für einen Euro etwas mehr als drei Reals.


Es war die letzte Nacht vor der Reise. Vor Aufregung konnte keiner so richtig einschlafen, obwohl man am nächsten Tag sehr früh aufstehen mußte. Im Flugzeug hatte man bestimmt genügend Zeit, bei den elf Stunden Flug den versäumten Schlaf der Nacht nachzuholen.


Hoffentlich war nichts vergessen worden - am wichtigsten waren die Flugtickes und die anderen Papiere. Nora hatte diese Dinge sicher in ihrem Handgepäck verstaut - da war sie sehr gewissenhaft und man konnte sich darauf verlassen, dass sie normalerweise nichts vergaß.


Noch immer müde von der recht unruhig verbrachten Nacht mußten alle am nächsten Morgen sehr früh aufstehen. Frühstück, die Pflanzen nochmals alle gießen, überprüfen, ob alle Wasserhähne an Waschmaschine und Spülmaschine geschlossen waren - da hatte man auch schon schlimme Dinge gehört, wenn es einen Leitungsbruch gab während die Familie in Urlaub war - die Heizungsanlage mit der Temperatur ganz nach unten stellen.... und, und, und.

Ach ja, die Fenster sollten auch alle geschlossen sein - wer weis, ob es nicht ein Unwetter gab und es deshalb doch trotzt des großen Dachvorsprungs zu einem Eintritt des Regend kam wenn die Fenster offen standen. Endlich war die Liste komplett durch, was am Morgen alles noch geschwind gemacht werden mußte. Prompt signalisierte ein zaghaftes Klingeln an der Haustüre, dass der "Fahrdienst" für die Fahrt zum Flughafen auch schon bereit stand. Der Fahrer half beim Transport der Koffer von dem Bereitstellungsplatz im Windfang des Hauses zum Auto mit. Mit geübter Hand verstaute er alles in dem Laderaum seines Fahrzeuges.



Ralf ging in Gedanken noch einmal seine Checkliste durch - nein, man hatte nichts vergessen, es konnte losgehen.

Sohn Reinhard nahm die ganze Sache derweil recht gelassen. Die beiden Ohrenstöpsel seines Walkmans verrieten, dass er sich weniger Sorgen um irgend eine Checkliste machte als darum, ob er alle seine Lieblingslieder in den Speicher seines kleinen Abspielgerätes geladen hatte.

Nicole kam da schon eher nach ihrer Mutter in ihrem Verhalten - die Mutter bestätigte ihr, dass sie die Flugtickets und die Ausweise sicher in ihrer Handtasche verstaut hatte....ja, der Elektroherd war auch ausgeschaltet, selbstverständlich hatte Nora dies schon kontrolliert.


Es konnte losgehen. Die Fahrt ging zügig durch das Dorf über die Landstraße zu der Autobahnanschlussstelle. Um diese Zeit war noch kein Mensch unterwegs, es war erst kurz nach halb sechs Uhr morgens. Ralf war erstaunt, wie schnell man um diese Zeit durch die sonst so belebte Stadt fahren konnte die nach etwa sechs Kilometer Landstrasse durchquert werden musste um zu der Autobahn zu gelangen. Nur ein paar Busse hatten ihr Fahrgeschäft schon aufgenommen, aber viele Fahrgäste konnte man nicht erkennen.

Für diese Strecke brauchte man im Feierabendverkehr fast immer eine Halbe Stunde oder mehr. Nach knapp fünfzehn Minuten war die Autobahnauffahrt erreicht. "Da hätten wir ja fast eine Stunde später abfahren können", meinte Ralf aufgrund dieser zügigen Fahrt. Wissend entgegnete der Fahrer, dass man einen Stau auf der Autobahn immer einkalkulieren müsse - bei den vielen Baustellen unterwegs. Ausserdem würde man in Frankfurt doch noch mit dem Berufsverkehr konfrontiert - wer da zu spät dran war, würde Probleme bekommen.


Die Autobahnfahrt verlief trotz Baustellen dann doch unproblematisch. Nicole hatte sich jetzt auch die Kopfhörer ihres Walkmans in die Ohren gesteckt und lauschte den Rhythmen ihrer zuvor vom Internet heruntergeladenen Lieblingsmusik. Bei manchen besonders lauten Stellen konnten sogar ihre Eltern einen Teil dieser modernen Musik leise mithören. Also die Jugend hatte schon einen besonderen Geschmack in der Art von Musik, die sie hörte. Ein Blick von Ralf zu seiner Frau zeigte, dass sich seine Musikrichtung deutlich von der seiner beiden Sprößlinge unterschied. Die Mutter hatte Verständnis - vermutlich gab es in jeder Generation diesen "Geschmacksunterschied" in Puncto Musikrichtung.


Eindreiviertel Stunden Fahrt auf der Autobahn waren vergangen, als der Fahrer signalisierte, dass er jetzt direkt auf die Flughafenzubringerstrasse abbiegen würde.

Zubringerstraße? - also das sah ganz so aus, als ob die mehrspurige Autobahn einfach weitergehen würde. Terminal sechs war der richtige Weg. "Das hätten wir nie so schnell gefunden" meinte Ralf leise zu seiner Frau gewandt. Die wußte es besser, verriet ihr Grinsen. Diese Männer stellten sich manchmal an... Das war schon noch eine beachtliche Strecke bis das große quer über die Straße gespannte Schild mit der Aufschrift "Terminal 6" verriet, dass man gleich angekommen sein würde.


Der Fahrer des kleinen Transporters kennt sich gut aus, er hat schon sehr oft Fluggäste nach Frankfurt gefahren. Zielsicher steuert er eine Auffahrt zu einem der vielen Eingänge in das Flughafengebäude an. Dort dürfen nur Taxis parken - und auch die Autos der privaten Fuhrunternehmen. Lange wird die Parkerei eh nicht dauern.

Schnell ist ein Kofferkuli besorgt. Der Fahrer verstaut das Gepäck geschickt und mit geübter Hand auf dem kleinen Transportwägelchen. "Wenn sie zurück sind, rufen sie mich bitte vorher noch einmal an - sie haben ja meine Handynummer", verabschiedet er sich von der Familie. Er wünscht noch einen schönen Urlaub, bevor er die große Halle verlässt.

Mein lieber Mann, hier ist ein Betrieb schlimmer wie auf einem Bahnhof. Lange muß Nora nicht suchen, bis sie den Eincheckschalter ihrer Fluggesellschaft findet. Dort stehen bereits schon ein paar Fluggäste in einer Reihe mit ihrem Gepäck und warten geduldig, bis sie mit dem Einchecken an der Reihe sind.


Es geht recht zügig voran. Nach einer halben Stunde ist die Familie Hausmann an der Reihe. Die Koffer werden auf ein Transportband gestellt und automatisch gewogen. Alles scheint in Ordnung zu sein - jeder Koffer bekommt eine Plakette auf die man auch zusätzlich seinen Namen schreiben kann - schließlich muß man ja am Bestimmungsort sein Gepäck wieder finden können.

Jetzt nur noch mit dem Handgepäck belastet geht es weiter hinter die Absperrung an der Ausweiskontrolle vorbei. Ein etwas längerer Gang führt zu dem Warteraum, von dem aus direkt in das Flugzeug eingestiegen werden kann. Ein Blick auf die Uhr zeigt, dass man noch fast eine dreiviertel Stunde Zeit hat, bis das Flugzeug bereitgestellt wird.

Gottseidank hat jeder etwas zum Lesen mitgenommen - sonst konnte einem die Zeit lang werden.

Ralf sieht in dem Warteraum noch mehr Jugendliche die offensichtlich alle dem gleichen Hobby frönen - sie haben sich ihre Ohren verkabelt und hören leise die Musik aus ihren Walkmans.

Auf einer Bank sitzt ein Ehepaar mit sehr dunkler Hautfarbe und spricht leise miteinander in einer fremden Sprache - brasilianisch. Ralf kann sinngemäß verstehen, dass die Beiden Urlaub in Deutschland gemacht haben um ihre Tochter zu besuchen, die schon seit vier Jahren hier wohnt und glücklich mit einem Deutschen verheiratet ist.


Vor Aufregung kann sich Ralf nicht auf den Inhalt des von ihm aufgeschlagenen Magazins konzentrieren. Er hat es bereits schon ein paarmal durchgeblättert, aber seine Gedanken drehen sich immer wieder um den gleich beginnenden Flug und ob alles funktionieren würde.

Nora nimmts derweil viel gelassener. "Schau mal, das wäre doch auch eine schöne Jacke?", reist sie ihn aus seinen Gedanken und zeigt ihm eine der Modeseiten ihres Magazins. "Doch, ja, die sieht gut aus - so eine solltest du dir wirklich einmal kaufen", bestätigt Ralf seiner Frau gedankenversunken. Erst als er zum Dank einen dicken Schmatzer bekommt, wird ihm so richtig bewußt, was er gerade so leichtsinnig finanziell genehmigt hatte.


Der Urlaub kostete sehr viel Geld. Das Konto würde für den Rest des Jahres bei vorsichtiger Kalkulation überzogen bleiben. Hoffentlich hatte seine Frau nach dem Urlaub vergessen, dass er den Kauf so einer Jacke genehmigt hatte. Zum Pech für ihn wußte er, dass Nora ein Gedächtnis wie ein Elefant besaß. Die vergaß keinen Geburtstag oder einen einmal vereinbarten Termin. Dass sie das mit der modischen Jacke vergessen würde, war mehr als unwahrscheinlich.

Na ja, dann mußte halt wo anders noch ein wenig gespart werden. Liebevoll nahm Ralf seine Frau in die Arme. Er war glücklich, dass er so ein Organisationsgenie geheiratet hatte - wenn’s auch manchmal etwas Geld kostete.

Nicole und Reinhard sahen ihren Eltern nur so geflissentlich dabei zu, wie sie ihr Glück zeigten. Es war heute schon fast eine Ausnahme, wenn die Eltern sich so liebten wie ihre. Viele Freunde erzählten von stetigen Streitigkeiten in der Familie und manche hatten in der Schule riesen Probleme weil ihre Eltern sich trennten oder bereits getrennt waren.

Nicole hatte sich fest vorgenommen, sich einmal ihren Ehemann sehr genau auszusuchen. Eine mehr als gute Freundin von ihr war fast aus dem Fenster gesprungen, als sie erfuhr, dass sich ihr Vater von der Mutter trennen wollte. Heute saß sie zusammen mit ihrer Mutter in einer kleinen schäbigen Mietwohnung und wußte manchmal nicht, wovon sie die Lebensmittel bezahlen sollten. Ohne Grund hatte ihr Vater eine „andere“ genommen und von einem Tag auf den nächsten die Familie verlassen - ohne einen Cent Geld. Der Traum vom eigenen Haus war ausgeträumt. Als Grund hatte der Vater ihrer Freundin nur angegeben, dass er jetzt leben wolle und nicht nur arbeiten wie ein Pferd.


Gottseidank waren ihre Eltern anders. Ja gut, es gab auch einmal einen Streit in der Familie, aber am nächsten Tag war alles wieder im Lot. Es ist heutzutage besonders wichtig, dass es in der Familie klappt und es jederzeit bei Problemen Unterstützung gibt. Nicole wußte, dass sie mit allen Problemen zu ihren Eltern kommen konnte und sie ihr Hilfe gewähren würden.


Der kleine Wartesaal füllte sich immer mehr und bald waren alle Plätze auf den bereitgestellten Sitzreihen besetzt. Ein Blick auf die Uhr zeigte, dass das Flugzeug mit ihrer Flugnummer bald bereitgestellt werden würde. Es gab keine Verspätungen oder sonstigen Verzögerungen. Alles schien planmäßig zu funktionieren.

Ralf konnte eine gewisse aufkommende Nervosität nicht unterdrücken. Er war noch nie mit einem Flugzeug geflogen und hatte sich deshalb zuvor eingehend über diese Art zu reisen informiert.

Sonst hatte ihn in den Nachrichten wenig interessiert, wenn irgendwo auf der Welt wieder einmal ein Flugzeug fast verunglückt wäre. Sein Job war so anspruchsvoll, da blieb nicht mehr viel Zeit um über alle Dinge, die in der Welt passierten, lange nachzudenken. Ausserdem gab es ja sowieso jedesmal die Erklärung, dass statistisch gesehen die Fliegerei eines der sichersten Verkehrsmittel war, die es momentan gab.

Die immer noch stattfindenden Kriege, Ausschreitungen, Vandalismus bei Sportveranstaltungen - das waren schon eher die Themen in den Nachrichten, die ihn länger beschäftigten und über die er sich aufregen konnte. Ein Unfall war zwar schlimm, aber trotzdem nicht gewollt und meist im Nachhinein betrachtet durch menschliches oder technisches Versagen entstanden. Kriege und Ausschreitungen dagegen wurden durch Menschen provoziert und waren völlig idiotisch und nutzlos. Sie brachten Unschuldigen nur Leid und Elend. Die Anstifter entkamen fast immer ihrer gerechten Strafe - manchmal brüsteten sie sich sogar damit, dass sie Helden wären, die die Gesellschaft von irgend welchen Widersachern befreit hätten. Dabei war es offensichtlich, dass die Gesellschaft am besten dran gewesen wäre, wenn diese "Helden" die Gesellschaft von ihnen selbst befreit hätte.

Die Politik war eine verzwickte Sache. Jeder schimpfte über die Politiker, aber keiner konnte es besser machen oder wollte so ein Amt übernehmen. Sprach ein Politiker einmal die Wahrheit über den momentanen Zustand eines Landes offen aus, dann wurde er aufgrund seiner Wahrheitsliebe schnell von einem anderen abgelöst.

Die Menschen wollten im Grunde genommen die Wahrheit gar nicht hören. Ein Versprechen über eine schöne Zukunft war meist viel beruhigender, als die traurige Wahrheit darüber, dass es wirtschaftlich dem Land mehr als miserabel ging.

Die Familie mußte immer mehr sparen - die Nettoeinkommen verliefen momentan eher rückläufig. Trotz allem verbreiteten die Politiker den Optimismus, dass es wirtschaftlich eine gute Erholung gab, und die Kaufkraft wieder im Steigen begriffen war. Diese Ansprachen konnten einen Dauerarbeitslosen allerdings nicht mehr in Euphorie versetzen. Wer seine Arbeitsstelle verloren hatte, den traf die Realität umso härter, je engstirniger er zuvor sein Weltbild von einer heilen Welt geformt hatte.

Plötzlich nicht mehr zu wissen, wie man Miete, Versicherung, Energie, und vieles mehr bezahlen konnte, traf viele wie ein Schock. Dabei konnte jeder mit ein wenig gesundem Menschenverstand eigentlich wissen, dass der viele Luxus, den man sich heutzutage als "Standart" leistete, auch entsprechend finanziert werden mußte. Wann konnte früher sich ein Achtzehnjähriger ein eigenes Auto und gleichzeitig eine eigen Mietwohnung leisten - und dies alles auch noch vom "Ausbildungslohn"?

Dass sich dieser Wohlstand nicht für alle Zeiten so fortentwickeln konnte, dass war offensichtlich abzusehen.

Spare in der Zeit, so hast du in der Not, hatte Ralfs Mutter ihn in seiner Jugendzeit immer gemahnt. Sie hatte rechtbehalten. Ohne diesen Grundsatz hätte er das kleine eigene Häuschen niemals finanzieren können.

Treu und brav zahlte er einen Großteil seiner Ausbildungsvergütung bei einer Bausparkasse ein. Freilich hatte er sich manchmal neidisch das neue Auto eines der anderen Auszubildenden angeschaut, wenn bei denen nach bestandenem Führerschein und einer kräftigen Finanzspritze von Opa und Oma, das eigene Auto angeschafft worden war.

Meist gabs von den Großeltern viel Geld - schließlich konnte der Enkel die alten Leutchen mit dem neuen Auto ab und zu zum Einkaufen fahren und die lästige Busfahrerei hatte endlich ein Ende. Leider rechneten die Älteren nie mit der Selbständigkeit ihrer Enkel, den neuen stolzen Führerscheinbesitzern. Von wegen Oma oder Opa zum Einkaufen fahren - also das war ja wohl das uncoolste, das man unternehmen konnte. Disco und Ausflüge mit der Clique - das war der Trend.

Gerechterweise mußte Ralf zugestehen, dass es auch Ausnahmen gab. Der Nachbarsjunge zum Beispiel. Der hatte sich ein gebrauchtes Auto gekauft, mit seinem eigenen Geld. Fast an jedem Wochenende holte er seine Großeltern für den Nachmittagskaffeetisch ab und meist gings bei schönem Wetter auf der Terrasse des Nachbarhauses recht lustig zu. Der Junge war auch sonst schwer in Ordnung und sehr freundlich. Von der Sorte sollte es mehr auf der Welt geben.


Ralf wurde durch eine laute Ansage abrupt aus seinen Gedanken gerissen. Die Stimme ertönte in mehreren Sprachen und verkündete, dass die Fluggäste der Flugreise Nummer 456 sich gleich an Bord begeben könnten.


Planmäßiger Abflug, war auch eine positive Information. 456, das war ihre Flugnummer.

Sogleich kam Aktivität in den Reihen der wartenden Fluggäste auf. Mit dem bereits eingehend kontrollierten und durchleuchteten Handgepäck, stellten sich schon die ersten vor der großen Türe auf, durch die man über einen Verbindungstunnel in das Flugzeug gelangen konnte.


Die Crew ging selbstverständlich als erste an Bord – erst einige Zeit später wurde endlich der Weg für die wartenden Fluggäste freigegeben.

Einige freundliche junge Damen begrüßten die Fluggäste und wies ihnen ihre Plätze zu. Die Familie Hausmann hatte links aussen ihre vier Plätze erwischt – mit herrlicher Sicht aus einem der geschickt an ihrem Platz befindlichen Fenster. Nicole war natürlich ganz begeistert, dass sie sich an den Fensterplatz setzen durfte, Reinhard hingegen war der Meinung, dass man vom zweiten Platz aus auch noch alles sehen konnte.

Gleich hinter den beiden Kindern saßen Nora und Ralf. Ralf wäre am liebsten in einer in der Mitte des Flugzeugs befindlichen Vierersitzreihen gewesen – dort schien es ihm weniger gefährlich wie in den Aussenreihen.

Nora hatte aber extra bei der Reisegesellschaft darauf gedrängt, eine Sitzposition in einer der Aussenreihen zu bekommen. Dort konnte man bequem aus den Fenstern sehen und wenn man sich in einem der Gänge die Füße vertreten wollte, war dies auch einfacher zu bewerkstelligen.


Bis alle Fluggäste eingestiegen waren, verging fast noch eine dreiviertel Stunde.

Obwohl noch nicht alle Plätze belegt waren, wurden die Türen plötzlich geschlossen, und an den leichten Vibrationen konnte man spüren, dass das Flugzeug jetzt zu der Startbahn befördert wurde. Es folgte noch einmal eine freundliche Begrüßung und dass man ausnahmsweise sehr gutes Wetter zu erwarten hatte. Trotz allem fehlte nicht der Hinweis, dass jeder darauf achten sollte, dass sein Gurt während des Starts geschlossen war.

Einige Lichtzeichen mit eindeutigen Symbolen oberhalb des Sitzplatzes gaben deutlich zu erkennen, welche Aktivität gerade gefordert wurde. Die Startbahn schien erreicht, denn jetzt kam das Flugzeug kurz zum stehen.

Ein mehr als kräftiges Rumoren verriet, dass die Düsenantriebe jetzt hochgefahren wurden und an den Erschütterungen konnte man sogar fühlen, welche gewaltigen Kräfte diese Antriebsaggregate besaßen.

Das Flugzeug setzte sich langsam in Fahrt und wurde immer schneller. Das Geräusch nahm sogar noch an Stärke zu und Ralf hatte das Gefühl wie bei einem Lamborgini in den Sitz gepresst zu werden.

Einmal hatte ihn ein Freund mit so einem Auto zu einer Feier abgeholt und dort hatte er das gleiche Gefühl gehabt, als es auf die Autobahn ging.


Hoffentlich ging alles gut, dachte er gerade, als die Erschütterungen plötzlich verschwanden und nur noch das Geräusch der Düsen hörbar war. Ein vorsichtiger Blick aus dem Fenster zeigte ihm sogleich, dass das Flugzeug gerade abgehoben hatte.

Vor lauter Aufregung hörte er nicht einmal auf die freundliche Stimme aus dem Lautsprecher, die die Fluggäste über den Verlauf des Fluges informierte. Die Häuser wurden schnell kleiner und kleiner, je höher des Flugzeug sich in die Luft erhob.

Erst als das Geräusch der Düsenantrieb sich wieder reduziert hatte, schien die richtige Flughöhe erreicht zu sein. Es ertönte ein Signal, und gleichzeitig erlosch die Anzeige der „Gurtpflicht“.

Erstaunt registrierte Ralf, dass das Fliegen anscheinend doch mehr als angenehm war – es war praktisch ausser dem Summen des Düsenantriebs kein anderes Geräusch mehr zu hören oder irgend etwas von der Fortbewegung zu spüren.


Nora erklärte Ralf, dass vorher bei der Durchsage mitgeteilt worden war, dass man sich den Ton zu dem auf einem vorne eingebauten Monitor gezeigten Film mit den kleinen Ohrhörern über eine Buchse in der Armlehne des Sitzes anhören konnte.

Nein, Filme wollte Ralf jetzt keine sehen, die unten vorbeigleitende Landschaft war momentan viel interessanter. Noch nie hatte er selbst die Häuser und Straßen von so hoch oben sehen können.

Nora bot ihm an, dass es sich ja dicht ans Fenster setzen konnte – sie würde gerne mit ihm tauschen. So weit ging allerdings seine Neugier nun auch wieder nicht – aus dem Fenster zu sehen, das war die eine Seite, fast zu spüren, dass nur eine dünne Wand davor schützte dort in die Tiefe zu stürzen, war eine ganz andere Sache.

Freilich war diese Angst unbegründet – das saß halt irgendwie im Unterbewußtsein fest. Es war wirklich eine verrückte Sache. Lag ein Balken direkt auf dem Boden, konnte Ralf fast spielerisch darüber hinweg balancieren ohne ein einziges Mal daneben zu treten oder auch nur die Spur von Furcht zu empfinden. Lag der gleiche Balken - so wie bei ihrem kleinen Häuschen während der Bauzeit - über einem drei Meter tiefen Arbeitsraum oder Graben, dann war es sofort vorbei mit dem Mut, ihn zu überqueren.

In der Nacht einmal, hatte er so einen Steg überquert in der Meinung, er würde nur eine zehn Zentimeter tiefe Wasseransammlung überspannen. Als er am nächsten Tag erkannt hatte, dass der Steg einen vier Meter tiefen Gartenteich überspannte, war er mächtig erschrocken.

Konnte Nora gerade seine Gedanken lesen? Ihr Grinsen verriet, dass sie wußte, welche Befürchtungen ihn gerade beschäftigten.


Selbst vom Anblick der unten langsam vorbeigleitenden Landschaft wurde Ralf dann doch abgelenkt, als die Stewardessen mit ihren kleinen Transportwägen das Frühstück brachten. Die Getränke konnte man sich auswählen. Jeder hatte inzwischen schon mächtig Hunger bekommen und trotz anfänglicher Zweifel, machte das Frühstück doch mehr als satt.

So nebenbei wurde darauf aufmerksam gemacht, dass man gerade mit einer Geschwindigkeit von 940 Kilometern pro Stunde reisen würde. Auf einer Anzeige konnte man wie zum Beweis diesen Wert ablesen. Die dort gezeigten Zahlen wiesen aus, dass momentan draussen mehr als frostige Temperaturen herrschten – und dies obwohl die Sonne klarer nicht vom Himmel scheinen konnte. Das war ganz schön heftig, Minus 28 Grad. Über dem Wasser würde es noch ein wenig kälter werden prognostizierte die grafische Anzeige.


Das beobachten der Landschaft, und das üppige Frühstück zwangen die Müdigkeit der schlaflosen Nacht in die Glieder zurück.

Nora hatte ihren Sitz schon in die bequemere Stellung gebracht und auch Ralf nahm sich jetzt die Technik der Sitzverstellung vor.

Anscheinend erging es den anderen Fluggästen auch nicht anders wie der Hausmann-Familie. Die Gespräche verstummten immer mehr, und viele hatten sich schon entspannt in ihrem Sitz zurückgelehnt um sich ein wenig auszuruhen.

Jetzt da es so still geworden war, konnte man ab und zu die leisen Geräusche hören, wenn ein Servo in dem Flugzeug aktiviert wurde und mit einem summenden Geräusch irgend welche Korrekturen in den Leitwerken durchführte.

Bei Nicole und Reinhard konnte man auf den ersten Blick nicht feststellen, ob sie bereits schliefen, oder sich nur entspannt ihre Musik anhörten – auf jeden Fall ertönte aus deren Kopfhörern leise die Remake-Musik der Neuzeit.


Walter schreckt auf – er war anscheinend doch tatsächlich gerade eingedöst. Ein Blick auf seine Uhr zeigte allerdings, dass er ganze zweieinhalb Stunden geschlafen hatte.

Ein verstohlener Blick aus dem Fenster, ohne seine Frau zu wecken, zeigte erstaunliches. Dort unten schien es nur noch blau schimmerndes Wasser zu geben. Ralf wußte, dass die weiteste Strecke über dem Meer lag.

Minus 42 Grad Celsius Aussentemperatur war nicht gerade das angenehmste, wenn man frisch erwachte und deshalb sowieso meist ein wenig fror. Im Flugzeug war es allerdings angenehm warm – hoffentlich fiel dort nie die Heizung aus.

Ein weiter Blick brachte noch eine andere Beobachtung: Immer wieder lösten sich von den Flügeln kleine Eisstücke, die zuvor offensichtlich durch die Luftfeuchtigkeit an den Kanten der Flügel angefroren waren. So wie es aussah, hatten die Ingenieure in den Flügeln auch Heizelemente eingebaut, die das Eis kontinuierlich wieder von der Oberfläche abschmolzen. Wenn immer mehr Luftfeuchtigkeit sich auf der Aussenhülle absetzen und anfrieren würde, mußte das Flugzeug durch das entstehende Gewicht sonst irgendwann in die Tiefe gezogen werden.

Eine vorbeigehende Stewardess sah Ralfs sorgenvollen Blick auf die wegfliegenden Eisschollen und erklärte ihm, dass dies ein ganz normaler ungefährlicher Effekt wäre. Die Luftfeuchtigkeit über dem Meer sei besonders hoch und deshalb würde dieses Eis entstehen. Dort draussen würden tatsächlich Minus 42 Grad herrschen – deshalb durften auch keine lebenden Tiere im Frachtraum eines Flugzeuges in dieser Höhe befördert werden – der Frachtraum wurde nicht wie der Passagierraum beheizt.

Ralf dachte bei dieser Information gleich an seine wertvolle Fotoausrüstung – hoffentlich erlitt sie keinen Schaden durch diese Temperaturen dort unten im Frachtraum. In dem Handgepäck wäre das ganze etwas umständlich und sperrig geworden – dort befand sich nur seine kleine Digitalkamera um ein paar Bilder zu machen.


Jetzt da er sowieso wach war, nahm er dankend das Angebot der Stewardess an, eines der vielen Magazine zu lesen, die es gab. Natürlich waren diese Magazine auch mit ein wenig Werbung für die Fluggesellschaft bestückt. Aber es gab viele sehr interessante technische Informationen zu lesen.



Elf Stunden Flugzeit waren eine lange Zeit. Manche der Fluggäste hielten es in ihren Sitzen nicht mehr aus und vertraten sich auf den beiden Gängen ein wenig die Füße.

Es war seltsamerweise mehr als anstrengend, sich ruhig auf dem Platz verharrend nur dem Lesen einer Zeitschrift zu widmen.

In der Nachbarschaft von Ralf und Nora auf dem Gang gegenüber saß auch ein Ehepaar, das fast im Alter wie die beiden sein mußte.

Nora war diejenige, die als erste ein Gespräch mit diesen Beiden begann. Das Gesetz des Zufalls wollte es, dass diese Beiden Sitznachbarn das gleiche Ziel hatten wie die Familie Hausmann. Sie wollten im selben Hotel ihre Ferien verbringen und hatten auch den Ausflug zu den großen Wasserfällen gebucht.

Karlheinz und Evamaria Müller - stellten die beiden sich vor. Jetzt war’s vorbei mit der Langeweile.

Dieser Herr Müller arbeitete beruflich bei einem großen Konzern und war dort für die Neuentwicklung von "Richtfunkanlagen" zuständig. Zusammen mit seiner Frau reiste er jedes halbe Jahr in irgend ein Land um dort die Sehenswürdigkeiten zu bestaunen. Herr Müller verdiente in seinem Job sehr viel Geld. Kinder hatte die Familie noch nicht. Nein, ein eigenes Haus kam auch noch nicht in Frage, eine kleine Mietwohnung genügte. War ja auch viel vernünftiger so - der ständige Arbeitseinsatzwechsel lies es nicht zu, sich jetzt schon ortsansässig zu machen.

Frau Müller hatte nach ihrem Studium einen Platz als Sachbearbeiterin bei einer renommierten Bank gefunden und wußte sachkundig, dass man jederzeit heutzutage eine "billige" Immobilie kaufen konnte wenn Bedarf bestand.

Da jetzt feststand, dass beide Familien das gleiche Ziel hatten, bot man sich gegenseitig das "Du" an.

Besonders Nora war sehr geschickt, schnell solche "Freundschaften" zu schließen.

Evamaria schien genauso kontaktfreudig und war sehr redsam. "Du glaubst gar nicht, wie viele Häuser die Banken momentan von zahlungsunfähigen Kunden besitzen", verriet sie Nora.

Da Ralf in seinem Beruf auch sehr viel mit Technik zu tun hatte, entstand natürlich schnell ein richtiges Fachsimpelgespräch zwischen ihm und Karlheinz von dem die beiden Frauen so gut wie nichts verstanden.

Ralf hatte den Beruf eines Mechatronikers erlernt und war in einem Großkonzern in der Anlagebauabteilung beschäftigt. Manchmal mußte er dort sogar den Einsatzleiter vertreten oder hatte "Notdienst" übers Wochenende wenn für einen wichtigen Kunden Teile auf einer Anlage gefertigt wurden.

Sobald an einer Anlage Störungen auftraten wurde er gerufen und mußte die gesamte Maschinerie so schnell wie möglich wieder zum Laufen bringen.

"Meist liegt’s aber nur am Bediener", sinnierte er laut, als man auf die Fehlerursachen zu sprechen kam.

Karlheinz konnte ein resigniertes Lachen nicht verkneifen - genau diese "Fehlerursache" kannte er zum Leidwesen auch.

Die Technik wurde halt einfach immer komplizierter, da war es schwer, die richtigen Fachleute für eine störungsfreie Bedienung zu bekommen - stellten beide fachmännisch fest.


Nora hatte der Fachsimpelei mit einem Ohr zugehört. Verschmitzt warf sie ein: "Wenn man über Technik so viel weis wie ihr beiden, dann sollte man doch annehmen, dass man vor so einem Flug keine Angst zu haben braucht". Sie sah Ralf grinsend an.

"Gerade weil man als Techniker weis, was alles kaputt gegen kann, bestehen manchmal solche Ängste", konterte Karlheinz geschickt. Das war ein gutes Argument - Ralf war dankbar, dass seinem Gegenüber so schnell diese schlagkräftige Antwort eingefallen war. Ausserdem war es ihm ein wenig peinlich, wenn die anderen erfuhren, dass er als erwachsener Mensch Angst vor dem Fliegen hatte.

Dass jetzt auch Evamaria mit verschmitzter Mine dieser Dreierdiskussion beiwohnte, hatte weit zurückliegende Gründe. "Das ging mir bei meinem ersten Flug ganz genauso", verkündete Karlheinz jetzt ganz offen. Das erklärte den Gesichtsausdruck seiner Frau in der gleichen Sekunde.

Als die Frauen sich wieder ihrer Unterhaltung widmeten, flüsterte Karlheinz leise in Richtung zu Ralf gewandt: "Die beiden hatten bestimmt beim ersten Flug in ihrem Leben genauso Schiss, aber Frauen können dies offensichtlich besser verbergen als die Männer".

"Das habe ich gehört!", kam sofort die nicht ernst gemeinte Entrüstung von Evamaria. Jetzt wurden sogar die anderen Fluggäste darauf aufmerksam, dass sich in ihren Reihen anscheinend eine besonders lustige Gesellschaft gebildet hatte.


Fast hatte die Familie Hausmann das Gefühl, dass durch die anregende Unterhaltung der Flug nur noch halb so lange dauerte. Zwischendurch gabs ein gutes und reichliches Mittagessen, eine kleine Ruhephase danach.

Bei neuen Bekanntschaften war es fast immer so, dass anfangs sehr viel Stoff zum Erzählen vorhanden zu sein schien. Nora wußte bereits innerhalb dieser kurzen Zeit mehr über "Kreditkontos" als sie in ihrem Leben zuvor hatte herausfinden können.

Die Männer, die beiden Techniker, fachsimpelten fleißig miteinander weiter. Es entstand fast der Eindruck, dass sie sich daran erfreuten, dass ihre Frauen so staunend manchmal ihren technischen Erzählungen zuhörten. Da konnte man so richtig auftrumpfen und selbst die Schande der zuvor gezeigten Flugangst trat angesichts so viel technischem Wissens in den Hintergrund.

Die Jugend indessen interessierte dies alles recht wenig. Deren "Fachsimpelei" drehte sich mehr um die Begriffe der neuen Bands und Musikrichtungen die momentan in den Charts um die obersten Plätze und um die Gunst des Publikums kämpften. Das wichtigste für sie war allerdings das Wissen, mindestens für sechs Wochen Ruhe vor dem leidigen Schulstress zu haben.

Während des Urlaubs von der "Arbeit" zu erzählen, das fand besonders Reinhard "ätzend". Das würde ihm bestimmt später nie passieren, dass er im Urlaub auch nur einen Gedanken an die leidige Arbeit mit all ihrem Stress verwenden würde.

Freilich hatte er sich schon überlegt, was er später einmal lernen würde. Elektroniker sollte es werden - da verdiente man viel Geld. Aber es gab eine teuflische Hürde - seine derzeitigen Noten.

Wenn er so weitermachte wie bisher, wurde es bestimmt nichts mit diesem Beruf. Na ja, er hatte ja noch viel Zeit um Versäumtes aufzuholen - schließlich war er ja nicht der Dümmste.

Nicole hatte es da viel einfacher, die konnte eigentlich alles lernen was es als Berufe gab. Die kleine Streberin lernte viel selbständig zu hause und hatte immer nur Einser in ihren Klassenarbeiten.

Reinhard fand es echt blöd, bei schönem Wetter sich daheim in den Büchern zu vergraben während andere mit der Clique um die Häuser zogen. Da hatte man ja gar nichts vom Leben. Ausserdem war er eigentlich viel intelligenter wie seine jüngere Schwester. Mit dem bisschen was er lernte, wurde er auch jedesmal in die andere Klasse versetzt. Also wenn er erst einmal richtig loslegte, dann würde er es den Strebern schon zeigen wie man so etwas macht.

Seine Gedanken wanderten sehr schnell wieder zu der Urlaubsplanung. Hoffentlich war alles so, wie in dem Prospekt beschrieben. Er hatte es sogar fertiggebracht, ein wenig von seinem Taschengeld zu sparen damit er sich im Urlaub etwas davon kaufen konnte.


Ein Signal schreckte die Fluggäste aus ihren vielfältigen Unterhaltungen hoch. Das Signal für die "Gurtpflicht " über ihren Sitzen leuchtete auf. Waren sie etwa schon am Ziel angekommen? Das konnte gar nicht möglich sein, es war noch fast eine Stunde übrig.


Sogleich verkündete eine Stimme über die Lautsprecher den Sinn dieser Aktion. Bedingt durch Luftturbulenzen in Küstennähe wäre es sicherer, in den Sitzen angeschnallt zu sein - man bat um Verständnis für diese Maßnahme.

Manche nahmen’s gelassen - da würde schon nichts passieren. Fleißig wurde ohne Reaktion mit dem Nachbarn weitergeplaudert.

Dann kam das erste "Luftloch". Die Maschine sackte schlagartig ab und jeder hatte das Gefühl, sich in einem Fahrstuhl zu befinden, bei dem gerade die Seile gerissen waren. Ein vielfältiges Geräusch klickender Sicherheitsgurts verriet, dass jetzt alle, die zuvor gezögert hatten, der Aufforderung nachzukommen, dies freiwillig nachholten.

Die ruhige Stimme aus dem Lautsprecher verriet, dass dieser Effekt normal sei und sich wirklich niemand zu fürchten brauche.

Ralf half dies wenig. Noch viel verkrampfter wie in der Jahrmarktsgondel saß er in seinem Sitz und brachte keinen Ton mehr heraus.

Auch Nora war plötzlich recht kleinlaut geworden.

Schon kam der nächste "Sturzflug" in ein weiteres Luftloch. Manchen konnte auch die Stimme aus dem Lautsprecher nicht mehr beruhigen. Einzig Reinhard schien die Situation so richtig zu genießen. Das War viel besser wie Achterbahn zu fahren und jetzt endlich war er derjenige in der Familie Hausmann, der die Oberhand behalten hatte.

Es war schon lustig auch einmal die anderen dort so zusammengekauert in ihren Sitzen zu sehen. Sonst war er zuhause immer derjenige der Familie, der zusammengekauert sich eine der vielen Standpauken anhören mußte weil er wie so oft eine Arbeit in der Schule verpatzt hatte.

Nach knapp zehn Minuten war der ganze Spuk vorüber. Das Flugzeug lag wieder ruhig in der Luft und das Signal der Gurtpflicht erlosch.

Doch, es hatte eine Änderung gegeben. Aus dem Fenster konnte man auf eine bunte Landschaft blicken, am Rande begrenzt durch einen herrlichen Strand und das Meer. Sie waren in Brasilien angekommen und es würde jetzt nicht mehr lange dauern, bis das Flugzeug zur Landung ansetzte.


Das Flugzeug flog eine enge Kurve und man konnte unten deutlich die Landebahnen des Flugplatzes sehen. Dann setzte es zur Landung an. An den vielfältigen Geräuschen der Hydraulik konnte man hören, dass das Fahrwerk ausgefahren wurde und viele Steuerungsfunktionen aktiviert waren. Der Pilot schien sehr gute Erfahrung zu besitzen, fast unmerklich setzte er auf der Landebahn auf.

Dann allerdings gings her wie auf einem Feldweg. Die Erschütterungen durch die vielen Beschädigungen der Landebahn zogen sich durch die gesamte Struktur des Flugzeuges und jeder war froh, als es endlich zum stehen kam.

Erst jetzt konnte man ermessen, dass nicht alle Länder solche strengen Vorschriften hatten wie die Deutschen und die Rollfelder manchmal in solchen anderen Ländern von Ausbesserungsstellen übersät waren.

Die Crew des Flugzeugs nahm`s gelassen - sie erlebten so eine Landung als normales Alltagsgeschehen und regten sich über ein paar Löcher in der Landebahn nicht mehr sonderlich auf. Die Fluggäste zollten dem Kapitän spontanen Beifall dass er alle wieder heil auf die Erde zurückgebracht hatte.


Das Flughafengebäude hatte deutlich kleine Abmessungen als das in Frankfurt. Eine Treppe wurde an den Rumpf des Flugzeuges gefahren. Nachdem die Crew sich von ihren Fluggästen verabschiedet und ihnen einen guten Aufenthalt gewünscht hatte, öffnete sich die Türe damit die Fluggäste aussteigen konnten.


Als Ralf mit seiner Familie ins Freie trat schlug ihm eine Wärme entgegen, gerade so, als ob seine Frau daheim die Backofentür geöffnet hätte um einen frisch gebackenen Kuchen zu entnehmen. Zuvor hatte er so nebenbei den Wetterbericht dieses Landes gehört - erst jetzt konnte er begreifen, was "sommerliche" Temperaturen in Brasilien bedeuteten. 36 Grad gabs daheim höchstens einmal im Hochsommer - und nur für kurze Zeit. Hier in Brasilien war dies fast eine Dauertemperatur.

Den Kindern war’s recht - da würde es am Strand bestimmt keinen frieren. Sie freuten sich schon, einen der vielen herrlichen Strände besuchen zu können um zum erstenmal im Meer baden zu können.


Der Weg zum Flughafengebäude war schnell zurückgelegt. Trotz des geringen Gewichts des Handgepäcks bemerkte jeder, dass es in dieser Wärme mehr als anstrengend war etwas tragen zu müssen.

Passkontrolle - der Beamte fragte etwas in seiner Landessprache, wiederholte es dann in Englisch. Jeder mußte seinen Pass vorlegen und bekam einen Einreisestempel. Die Kontrolle war nicht besonders streng. Vermutlich gabs in diesem Land keine Terroristen die die Flughäfen unsicher machten.

In einem angrenzen Saal wurden die Koffer der Fluggäste über ein Förderbahn auf eine Art Rundell transportiert und jeder konnte sich so sein Gepäck heraussuchen.


Nora bewies Organisationstalent und nachdem sie kurz verschwunden war, kam sie wenig später mit einem Gepäckwagen wieder zurück. Ralf und seine Kinder hatten inzwischen schon den ersten ihrer Koffer entdeckt und von dem sich drehenden Präsentierteller genommen.

Da, da kam schon der nächste. Nein, doch nicht - der sah nur gleich aus, hatte aber eine völlig andere Adresse auf dem Anhängeschild stehen. Es kamen immer mehr Koffer von dem Fließband was dazu führte, dass manche Gepäckstücke jetzt sogar übereinander lagen.

Hoffentlich hielten alle Schlösser und keiner der Koffer öffnete sich in dem wilden Durcheinander. Nicole hatte Nummer zwei entdeckt und Reinhard half ihr dabei, den recht großen Koffer unter dem Berg der anderen Gepäckstücke herauszuziehen. Noch zwei Stück, dann war’s geschafft. Nummer Drei lag geschickt obenauf - das kleinste von allen. Nora griff beherzt zu und stellte das Teil auf den neben ihr geparkten Gepäckwagen.

Das Rundell leerte sich zusehends und einige waren sogar schon dabei den Gepäcksaal zu verlassen. Hoffentlich war ihr vierter Koffer nicht verlorengegangen - jedenfalls hatte noch keiner der Familie ihn auf dem Rundell entdeckt.

Die Abstände, in denen jetzt weitere Gepäckstücke vom Förderband kamen, wurden immer länger. "Nur Geduld, der kommt schon noch", hörte Ralf plötzlich eine Stimme von hinten. Es war Karlheinz Müller, der zusammen mit seiner Frau sich auch seine Gepäckstücke aus dem großen Haufen herausgesucht hatte und jetzt bereit war, den Gepäcksaal zu verlassen.

"Da - da ist er", signalisierte Nicole laut und forderte ihren Vater auf, sich das schwere Gepäck zu greifen. Sie hatte nicht die Kraft den Koffer von dem Rundell zu ziehen, ließ aber auch nicht mehr los – jetzt, nachdem sie ihn endlich entdeckt hatte.

Reinhard schien sich köstlich zu amüsieren, als er sah, wie seine Schwester so hilflos im Kreis herumrannte und vergeblich immer wieder den Versuch unternahm, den Koffer doch noch von dem Gewühl herauszuziehen. Ralf langte beherzt zu und beendete damit den Stress. "Faulpelz - hättest deiner Schwester ruhig ein wenig helfen können", mahnte er Reinhard.


In der Großen Wartehalle standen unter den Fluggästen auch Bedienstete von den Reiseveranstaltern, die mit einem kleinen in die Höhe gehobenen Schild auf sich aufmerksam machten, dass sie die Ansprechperson für die Ankömmlinge waren, die ein Hotel mit dem Service der Abholung am Flugplatz gebucht hatten.

Diesesmal war es sogar Reinhard, der als erster ein Schild entdeckte, auf dem der Namen "Familie Hausmann / Familie Müller / Familie Schwaab" stand. Der junge Mann, der das Schild zeigte, sprach sehr gut englisch und es stellte sich heraus, dass er drei Familien aus Deutschland mit einem kleinen Transporter abholen sollte um in das circa fünfzehn Kilometer entfernt liegende Hotel zu bringen.


Die Familie Schwaab lies leider noch einige Zeit auf sich warten. Während Ralf zusammen mit seinem Sohn die Koffer bereits in dem direkt vor dem Ausgang geparkten Kleintransporter verstaute, suchte der Fahrer nach den drei letzten fehlenden Personen, die er zu seinem Hotel bringen sollte.

Es dauerte fast eine halbe Stunde, bis er endlich mit den drei Personen zum Ausgang kam. Ursula und Hermann Schwaab - ein Ehepaar etwa im gleichen Alter wie Ralf und Nora.

Ihre fünfzehnjährige Tochter hatte natürlich sich gleich nach der Ankunft in einem der kleinen Geschäfte innerhalb des Flughafengebäudes etwas kaufen müssen. Es hatte ein wenig gedauert, bis sie begriff, dass es innerhalb des Flughafengeländes nicht üblich war, mit den Verkäufern über die Preise zu feilschen.

Reinhards Herz schlug sofort höher, als es das ausnehmend hübsche Mädchen sah. Jetzt war er sich absolut sicher, dass dies ein besonders guter Urlaub sein würde. Die junge Dame bemerkte natürlich sofort, dass sie von ihm mehr als aufmerksam gemustert wurde.

Als sich die Familien untereinander bekannt machten, erfuhr Reinhard, dass das Mädchen auf den Namen Michaela hörte. Es war kein Zufall, dass sie sich dann für die Fahr zu dem Hotel direkt neben ihn setzte.

Nora konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Die junge Dame hatte ihren Sohn anscheinend so beeindruckt, dass er bei der Fahrt sogar vergaß, seine beliebten Ohrenstöpsel in die Gehörgänge zu schieben um sich an der momentan modernen Musik zu ergötzen. Stattdessen war er ungewöhnlich gesprächig und erfuhr, dass Michaela auf ein Gymnasium ging und sogar zu den Klassenbesten zählte. Na ja, im Urlaub konnte man die kleine Streberei verzeihen.

Seltsamerweise schien es Nicole weniger zu gefallen, dass sich ihr Bruder von diesem Mädchen so in den Bann ziehen lies. Es war schon manchmal seltsam - obwohl sich Reinhard und Nicole des öfteren wegen irgend etwas in der Wolle hatten, schien es Nicole trotzdem nicht so richtig zu gefallen, dass sich ihr Bruder plötzlich für die fremde Konkurrenz interessierte.


Die Fahrt zum Hotel dauerte knapp eine halbe Stunde.





Anhang:
(alle Namen sind frei erfunden - jede Ähnlichkeit wäre rein zufällig)


Familie Hausmann
Vater Ralf (39)
Mutter Nora (35)
Tochter Nicole (12)
Sohn Reinhard (14)

Familie Müller
Karlheinz Müller Ingenieur (42)
Evamaria Müller Sachbearbeiterin (34)

Familie Schwaab
Ursula Schwaab (43)
Hermann Schwaab (41)
Michaela Schwaab (15)



Autor: Werner May


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