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Thomas Friedrich Sänze - Der Lazaruswahn - von ThomaFriedrichSaenze, 20.03.2018
Thomas Friedrich Sänze
Der Lazaruswahn

Marie gähnte und schaute auf die große Bahnhofsuhr. In zwanzig Minuten würde ihre Kollegin übernehmen, dann konnte sie endlich Feierabend machen. Sie strich sich ihr langes, braunes Haar aus dem Gesicht und gähnte erneut.
Marie war 30 Jahre alt, Psychologiestudentin. Mit dem Kioskjob verdiente sie sich zusätzliches Geld. Außerdem vermittelte ihr der Hauptbahnhof interessante Einblicke in das menschliche Wesen.
Etwas gelangweilt beobachtete sie, wie die Menschenmassen an ihrem Kiosk vorbeizogen. Aufregendes war heute leider noch nichts passiert. Marie erspähte gerade einen korpulenten Herren, der ihr als Studienobjekt recht interessant erschien, als es knallte.
Sie zuckte zusammen und schaute sich um. Was war das? Bevor sie etwas erkennen konnte, krachte es erneut. Panik brach aus. Menschen rannten wild schreiend durcheinander und immer wieder knallte es. Marie war ratlos. Was war der Grund für diese Panik?
Wieder krachte es, diesmal näher. Der korpulente Mann, der ihr vorhin aufgefallen war, brach zusammen. Mehr erstaunt als entsetzt sah Marie dann einen schmächtigen, in Schwarz gekleideten Mann, mit blassen Gesicht und Glatze. Er ging ruhig auf den Gestürzten zu, hob dann eine Pistole und schoss ihm in den Bauch.
Fasziniert beobachtete sie, wie der Mann in Schwarz weiter wahllos um sich schoss. Immer wieder knallte seine Waffe. Am Ende lagen sieben Menschen auf dem Boden. Überall war Blut, und man konnte das Stöhnen und Wimmern der Verwundeten hören.
Mittlerweile war der Mann in Schwarz auch auf Marie aufmerksam
geworden. Fast gemütlich schlenderte er auf sie zu. Als er dann
die Waffe hob und abdrückte, bedauerte Marie dies sehr. Dieser Mann
in Schwarz, wäre ein interessantes Studienobjekt gewesen.

Am Ende konnte die Polizei nur noch die Leiche des Täters sicherstellen. Augenzeugen sagten aus, der Amokläufer habe sich nach der Tat selbst erschossen.
Durch seinen Ausweis konnte die Polizei den Mann in Schwarz als den angesehenen Psychiater Dr. Heribert Schmidtke identifizieren.
Die Ungeheuerlichkeit seines Verbrechens sorgte für große Aufregung in der Bevölkerung. Überall war der Amoklauf des Heribert Schmidtke Gegenstand hitziger Diskussionen.
Die Fachwelt war bestürzt. Dr. Heribert Schmidtke war ein erfolgreicher Arzt von tadellosen Ruf gewesen. Niemals hatte er Anzeichen irgendeiner psychischen Störung gezeigt.
Keiner seiner Kollegen konnte Schmidtkes Amoklauf erklären. Schließlich gaben sie einige allgemeine Äußerungen von sich, die darüber hinwegtäuschen sollten, das man selbst ahnungslos war.
Schmidtke hatte seine Beweggründe mit ins Grab genommen.

Er betrat das Zimmer. Den Patienten hatte man auf seine Anweisung hin ans Bett gefesselt. Die ausgemergelte Gestalt atmete ruhig und gleichmäßig. Er konnte kaum glauben, das derselbe Mann sich vor wenigen Augenblicken noch wie ein tollwütiger Hund benommen hatte.
Langsam durchquerte er das Zimmer und blieb vor dem Bett stehen. Oliver Eucharis war ein großer Mann im besten Mannesalter. Er zählte etwa seit drei Jahren zu Schmidtkes Patienten. Ein Fall von Schizophrenie.
So lautete zumindest Schmidtkes Diagnose. Allerdings fragte er sich inzwischen, ob diese auch zutraf. Denn trotz dreijähriger Behandlung hatte sich Eucharis Zustand nicht verändert. Er war noch genauso verrückt wie am ersten Tag. Heribert stand vor einem Rätsel. Und er hasste Rätsel!
"Oliver!" Er sprach alle seine langjährigen Patienten mit Vornamen an. Die Rolle des besorgten Vaters gefiel ihm. Eucharis zuckte zusammen und öffnete seine Augen.
"Herr Doktor! Sind Sie das?
"Ja, Oliver. Du hast mich gerufen! Erinnerst du dich?" Eigentlich hatte Eucharis wie ein Wahnsinniger gebrüllt. Aber Schmidtke beschloss das erst einmal beiseite zu lassen.
"Ja! Natürlich erinnere ich mich!"
"Nun? Was gibt es denn so dringendes!" Eucharis versuchte sich aufzusetzen, was ihm aufgrund der Fesseln natürlich nicht gelang.
"Ich wollte Sie warnen, Herr Doktor! Er will Sie haben!" Schmidtke konnte Panik in Eucharis Stimme hören. "Schnell, Herr Doktor! Verstecken Sie sich! Nicht das er Sie auch kriegt!"
"Wer? Wer soll mich nicht kriegen, Oliver!" Er konnte sein Glück kaum fassen. Während der langen Zeit der Behandlung hatte Eucharis sich noch niemals zu der Stimme in seinem Kopf geäußert. Immer wenn Schmidtke bisher näher darauf eingegangen war, brabbelte er irgend etwas von "Gefährlich!" und sagte keinen Ton mehr. Vielleicht würde er jetzt endlich sein Schweigen brechen. "Vor wem soll ich mich verstecken?"
"Vor Lazarus!" zischte Eucharis und es klang wie ein Fluch. Schmidkte spürte, wie sich seine Nackenhärchen aufstellten.
„Was will Lazarus von mir?“
„Er kommt! Verschwinden Sie! Sie müssen sich in Sicherheit bringen!" Schmidtke versuchte ihn zu beruhigen, aber Eucharis wurde immer aufgeregter. Wild warf er sich hin und her. Immer wieder schrie er. "Er kommt! Er kommt!" Schließlich blieb ihm keine Wahl mehr und er ließ den Patienten medikamentös ruhigstellen.
Dann überließ er Eucharis wieder sich selbst und verließ das Zimmer.

Als Schmidtke am nächsten Morgen aufwachte, fühlte er sich völlig zerschlagen. Benommen wühlte er sich aus dem Bett und torkelte ins Bad. Nach einer Dusche ging es ihm gleich wesentlich besser.
Pfeifend verteilte er Rasierschaum in seinem Gesicht und grinste. Eucharis und sein Lazarus! Also wirklich! Belustigt begann er sich zu rasieren. Mit einem Schrei riss er das Messer weg. Ein Schnitt! Er hatte sich geschnitten! Blut tropfte ins Waschbecken.
"Mist! Wie ist denn das passiert!"
"Ich habe nachgeholfen!" Heribert zuckte zusammen.
"Hallo!" Suchend blickte er sich um.
"Ja!"
"Was zum Teufel geht hier vor!" Wieder schaute er sich um. Das Bad war nicht sehr groß und bot einem Fremden keine Möglichkeiten zum Verstecken. "Wer immer Sie sind! Kommen Sie raus!"
"Da ich in deinem Geist bin, ist das leider unmöglich!"
"Was!"
"Gestatten, Lazarus!"
"Aber das gibt es doch nicht!"
"Das Offensichtliche zu leugnen wird dir nicht viel nutzen!"
"Ich bilde mir das nur ein!" Schmidkte schaute entschlossen in den Spiegel. "Anscheinend brauche ich dringend Urlaub!"
"Offenbar scheine ich deiner Aufmerksamkeit zu entgehen! Was können wir denn da tun? Lass mich kurz einen Moment darüber nachdenken! Ja! Ja, natürlich! Warum ist mir das nicht gleich eingefallen!"
Schmidtke fühlte brennenden Schmerz an der Wange. Entsetzt sah er im Spiegel, dass er sich selbst gerade in die Wange geschnitten hatte. Blut floss nun aus einer zweiten Wunde im Gesicht.
"Kein Wunder, dass sich deine Frau scheiden ließ! Wenn du immer so dämlich glotzt, kannst du von Glück sagen, dass sie dir kein Gift ins Essen gerührt hat! Nun, dann wollen wir doch einmal Spaß miteinander haben, Herr Doktor!"
Hilflos musste Schmidtke mit ansehen, wie er immer wieder die Rasierklinge hob und sich am ganzen Körper Schnittwunden zufügte. Höhnisch und schrill dröhnte Lazarus lachen durch seinen Kopf
"O ja! Wir werden bestimmt eine Menge Spaß miteinander haben!"

Er stand mit seinem Mercedes an einer roten Ampel. Lazarus hatte darauf bestanden, dass sie eine Spritztour unternahmen. Erst hatte er sich ihm verweigert. Daraufhin übernahm Lazarus erbost kurzzeitig die Kontrolle und zwang ihn, mit der Axt aus dem Keller seine Katze Cäsar zu töten.
Danach war Schmidkte freiwillig ins Auto gestiegen, nur um soviel Abstand wie möglich zwischen sich und sein zerstückeltes Haustier zu bringen.
Seine Hände umklammerten krampfhaft das Lenkrad. Nervös schaute er auf die Ampel. Eine ältere Dame überquerte gerade die Straße. Schmidtke bemerkte sie kaum. Aber als die alte Frau genau vor der Kühlerhaube seines Wagens war, gab er Vollgas.
Sie wurde durch die Luft geschleudert und prallte leblos auf die Straße. Schmidtke verschwand mit seinem Auto, ohne sich auch nur umzusehen. Tränen standen ihm in den Augen und er hätte sich am liebsten übergeben.
"Du Bastard!" knirschte er mit den Zähnen. Lediglich höhnisches Gelächter hallte als Antwort durch seinen Schädel.

Zu Hause angekommen, ging er zielstrebig ins Wohnzimmer und öffnete den Wandsafe. Für den Fall eines Einbruchs hatte er sich vor einiger Zeit eine Pistole gekauft. Nun würde er sie brauchen.
Langsam schob er das Magazin in die Waffe, lud sie durch und entsicherte die Pistole. Dann hielt er sie an seinen Kopf.
"Wir werden doch nichts Dummes tun, oder?"
Schmidtke drückte ab. Das heißt er versuchte es. Nichts tat sich.
"Böser Junge! Man könnte fast meinen, du wolltest mich los werden! Aber das ist natürlich ein Irrtum, nicht wahr! Du spielst nur gerne mit dem Ding! Warum hast du nichts gesagt? Suchen wir doch eine Spielwiese, um die Pistole auszuprobieren! Was hältst du von einem Besuch im Hauptbahnhof? Das wird bestimmt ein Spaß...!"

ENDE

Hinweis auf mein Werk: Fulcher von Fabeln - TOD IN ELBING ISBN: 9783737514521



©2018 by ThomaFriedrichSaenze. Jegliche Wiedergabe, Vervielfaeltigung oder sonstige Nutzung, ganz oder teilweise, ist ohne vorherige schriftliche Genehmigung des Autors unzulaessig und rechtswidrig.

Kommentare


Von ThomasF
Am 11.04.2018 um 13:17 Uhr

Hallo ,diese verrückten beginnen immer mit den Haustieren ,oder ? Es ist wenig plausibel mit dem Dämon und was Marie da nun eigentlich sollte. Und zunächst kann er sich nicht selbst erschießen und dann aber doch, nunja. Grüße

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Es gibt 1 Kommentar


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