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- Die Geister, die ich rief - (Auszug aus dem Leben eines Alkoholikers) - von TomJoker, 15.06.2017
Mein kleines Netbook stand wie immer vor mir auf dem Wohnzimmertisch, dazwischen ein leerer Teller. Eine Kleinigkeit hatte ich noch gegessen, natürlich nicht viel. Meine Freundin aus Wien, zugeschaltet per Skype, machte sich Sorgen um mich. Ich lag oft auf der Couch, der Fernseher lief nebenbei, und sie bekam natürlich mit, wie ich oft plötzlich Schweißausbrüche bekam. Mein Schlaf war unruhig, wenn ich überhaupt schlafen konnte. Aber was sollte sie auch tun? Sie in Wien und ich hier in Berlin. Wir hatten uns über das Internet kennengelernt und führten sozusagen eine Internet-Fernbeziehung. Sie wusste von meinem Alkoholproblem, trotzdem hatten wir gemeinsame Zukunftspläne, ich wollte nach Wien ziehen, ganz neu anfangen - ganz ohne Alkohol. Das war auch eine ihrer Vorbedingung: Ich musste "trocken" sein und vorher eine Therapie besucht haben. Das hatte sie mir auch bei ihren Besuchen immer wieder deutlich gemacht. Ich hatte mir auch schon erste Informationen eingeholt, aber ernsthaft noch nichts in die Wege geleitet. Ein wenig Zeit hatte ich ja noch. Ich war arbeitslos, meine letzte Abfindung vom letzten Arbeitgeber bröckelte zwar langsam, aber noch reichte sie zum Leben & zum Saufen.

Auch heute konnte ich wieder nicht richtig einschlafen und mein Rücken tat weh. Meine Freundin wurde langsam müde, ich warf ihr einen "Cyber-Kuss" zu und sagte ihr, sie solle sich keine Sorgen machen. Ich machte eine kleine Lampe an, damit sie mich wenigstens sehen konnte. Ich schaltete um auf NTV, die Talksendungen von RTL & Co. liefen bereits in der nächtlichen Wiederholung. Plötzlich bemerkte ich, wie meine Wohnzimmertür aufging, und eine junge schwarze Frau in mein Zimmer kam. Ganz wortlos setzte sie sich auf die Rückenlehne meiner Couch. Bevor ich etwas fragen konnte, kamen zwei andere Frauen ins Wohnzimmer und setzten sich neben sie. Ich war völlig verwirrt, konnte mir das nicht erklären. Meine verbale Bitte, die Wohnung zu verlassen ignorierten sie mit Schweigen, so, als wenn ich gar nicht da wäre. Ich schlief kurz ein und befand mich in einem seltsamen neuen Raum in meiner Wohnung. Es hingen Bilder an der Wand. Ich wollte raus, fand aber keinen Ausgang. Eine junge Frau, die auch nicht kannte, hockte in der Mitte und starrte mich nur an. Ich brüllte Sie an, sie möge mir sagen, wo der Ausgang ist, doch sie blieb stumm. Schließlich fand ich in Ecke des Raums einen schmalen Ausstieg, zwängte mich durch. Meine Hände tasteten nach Halt, und ich spürte Stoff unter meinen Händen. Meine Augen erkannten blauen Stoff, - die Farbe meiner Couch. Ja, ich hatte nur geträumt, ich lag auf meiner Couch. Als ich die Augen jedoch wieder ganz öffnete, waren sie immer noch da - die Frauen von vorhin, immer noch sitzend und schweigend...

Ich stand auf und fand mich plötzlich wieder in diesem seltsamen Raum wieder. Diesmal allein, ich erkannte Gesichter von Politikern in den Bilderrahmen, als mir plötzlich schwindelig wurde. Ich wollte mich auf den Boden setzten, als mich eine Frau, die ich auch nicht kannte, am Arm fasste und fragte, ob sie mir helfen könnte. Ich antwortete nur, dass ich mich auf den Boden setzen wolle. Ich spürte, wie meine Beine nachgaben und ich stürzte. Ich nahm noch kurz den Tisch wahr, im Augenwinkel mein Netbook, wie es den Tisch runterfiel - zusammen mit mir, zwischen die leeren Bierflaschen, die sich die letzten Wochen angesammelt hatten. Ich hörte die beängstigten Schreie meiner Freundin aus den Lautsprechern meines kleinen Computers. "Alles klar, Schatz - nichts passiert", versuchte ich sie zu beruhigen. Mehr hätte ich auch nicht sagen können, denn ich wusste gar nicht, was passiert war. Ich merkte nur, dass mein Herz raste, und ich nicht die Kraft hatte aufzustehen. Ich war von der Couch geflogen, das wusste ich. Und das mein Netbook nichts abbekommen hatte, so dass meine Freundin noch mit mir reden konnte. "Du hattest einen epileptischen Anfall“, rief sie mir besorgt zu. "Nicht bewegen, bleib liegen. Ich rufe Deine Mutter an, damit sie die Rettung rufen kann." Mir fiel ein, dass ich die Wohnungstür abgeschlossen hatte und der Schlüssel steckte. "Schatz," rief ich ins Mikrofon "Du musst denen die Tür aufschließen" und bemerkte im gleichen Atemzug, was ich für einen Unfug erzählte. "Keine Sorge, sie sind schon unterwegs und werden die Tür aufbrechen." Na prima, dachte ich noch, aber irgendwie war es jetzt auch egal, ich wollte nur zurück auf meine Couch, keinesfalls ins Krankenhaus. Wenig später klingelte und klopfte es an meiner Tür, dann hörte ich nur noch (echte) Stimmen und einen lauten Bohrer...

Es kam mir wie eine Ewigkeit vor, doch plötzlich war mein Wohnzimmer voller Menschen. Ich hörte nur "Wo ist er denn? Ach da liegt er ja." Eine weitere Stimme sagte "Ach, schau mal da, alles klar." Sie hatten wohl meine Bierflaschen entdeckt. Mir war es egal, ich wollte wieder auf meine Couch. Nachdem man bemerkt hatte, dass ich ansprechbar war, hob man mich auf die Couch zurück. Ein Arzt machte sich sogleich mit allerlei Geräten über mich her. Man unterhielt sich miteinander, ich verstand kaum etwas davon. Ich sollte mit ins Krankenhaus, was ich aber ablehnte. Ich wollte doch nur hier wieder auf meiner Couch liegen. "Gut," sagte der "Boss" der Truppe, "brauche ich nur eine Unterschrift von Ihnen..." Ich unterschrieb einen Zettel und man sagte mir noch, dass meine Wohnungstür "pfleglich" geöffnet wurde, ich könne noch abschließen. Dann waren sie auch schon wieder weg. Ich saß da und hörte die Stimme meiner Freundin aus meinem Netbook. Etwas kraftlos hob ich es wieder auf den Tisch. Sie schimpfte mit mir, warum ich denn nicht mit ins Krankenhaus gefahren sei. Da käme noch was, das wäre noch nicht alles...Aber ich wollte nicht mehr mit ihr diskutieren. Ich wurde müde in verfiel in einen Dämmerschlaf.

Ich weiß nicht mehr, wie lange ich geschlafen hatte. Als ich meine Augen wieder öffnete, sah ich jemanden in meinem Wohnzimmersessel sitzen. Er hatte eine Decke über seinen Oberschenkeln liegen, und es fehlten seine kompletten Beine. Er starrte mich nur an und sagte nichts. Was ich noch vor wenigen Stunden passiert war, war in meinem Gehirn nicht mehr präsent. "Du, hier sitzt jemand ohne Beine", rief ich in Richtung Computer meiner Freundin zu. Sie versuchte noch mich zu beruhigen, doch ich machte einfach den Computer aus. Warum? Ich weiß es nicht mehr.

Ich fragte den "Beinlosen" woher er meine Wohnungsschlüssel hätte, bekam jedoch keine Antwort. Stattdessen sah ich, wie sich mittlerweile ein fremdes Pärchen an meiner Musikanlage zu schaffen machte und irgendwelche Kabel installierte. Auch sie schwiegen mich an, als von ihnen wissen wollte, wie sie in meine Wohnung gekommen wären. Ich bekam Angst und verzog mich ins Schlafzimmer. Von dort aus rief ich über mein Handy die Polizei an. Nachdem ich berichtet hatte, standen ca. 15 Minuten zwei Polizisten vor meiner Tür. Ich zeigte nur in Richtung Wohnzimmer, welches sie kurz inspizierten, und mir dann mitteilten, da wäre niemand. Ich verstand die Welt nicht mehr, bedankte mich und bat um Entschuldigung. Keuchend saß ich auf dem Bett und versuchte zu verstehen, was los war. Da schloss es an meiner Wohnungstür und mehrere Personen kamen herein, ohne mich zu beachten. Sie packten diverse Sachen aus meinen Regalen in große Taschen - ganz einfach so, schweigend natürlich. Ich rief ein zweites Mal die Polizei an, sie sollten nochmals kommen, jetzt wäre wirklich jemand hier. Und in der Tat, sie kamen ein zweites Mal. Nach einer kurzen Begehung meiner Wohnung, fragte mich der Polizist ganz freundlich, ob nicht gestern Nacht bei mir schon die Rettung gewesen wäre. "Ja" antworte ich, "aber war das gestern?" "Na, jedenfalls", sagte er, "lasse ich sie heute nicht mehr hier alleine in der Wohnung. Die Rettung kommt gleich..." Ich verstand nicht ganz - Rettung?

Ich nahm noch kurz war, wie meine Mutter & meine Tante mit ängstlichen Blicken die Treppen hoch kamen, da saß ich schon im "Feuerwehrstuhl" und wurde die Treppen runter zum Krankenwagen transportiert. Alleine laufen ließen meine geschwächten Muskeln nicht mehr zu. Als wir los fuhren, fragte ich den Krankenpfleger im Wagen noch, wer sich denn jetzt um die fremden Leute in meiner Wohnung kümmern würde. "Seien Sie mal ganz beruhigt, das macht die Polizei." antwortete er mir, "und um Sie kümmern wir uns."



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