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Absolute Ehrlichkeit - von frui, 18.04.2006
Ellen blinzelte, während die Bilder des letzten Abends an ihrem inneren Auge verschwommen vorüber flogen. Ihr Kopf fühlte sich schwer und benommen an. Als sie versuchte ihn ein wenig anzuheben, durchfuhr ihn ein heftiger Schmerz. Sofort legte sie sich schützend die Hand vor die Stirn, als ob sie damit den Schmerz beruhigen könnte.
Als sie die Augen etwas weiter öffnete, sah sie das nur wenige Sonnenstrahlen den Raum zu erobern versuchten. Am Fenster gegenüber konnte sie das leuchtende Rot des Sonnenaufgangs sehen.
Nachdem sie sich ein wenig beruhigt hatte, konnte sie friedliche Atemzüge neben sich hören. Sie sah sich um und sah wie Jack auf dem Rücken liegend neben ihr schlief. Leise stand sie auf und ging aus der kleinen Hütte hinaus ins Freie. Wieder fingen die Bilder des letzten Abends an sie zu attackieren, doch sie wollte lieber nicht daran denken. Stattdessen lehnte sie sich auf ein Holzgeländer, das die Veranda der Hütte abgrenzte und starrte in den Sonnenaufgang, während sie hoffte einfach darin zu versinken.
Die Tür hinter ihr knarrte, als Jack sie öffnete. Dumpf hallten seine Schritte vom Holz unter seinen Füßen wider. Er war barfuss.
„Morgen Schönheit.“, flüsterte er zärtlich, während er versuchte ihr einen Kuss auf die nackte Schulter zu geben. Ellen zog sie jedoch zur Seite, sodass seine Lippen ihre Haut nur leicht streiften. Seine dunklen, braunen Augen sahen sie fragend an. Ellen hatte die Arme schützend um ihren Oberkörper geschlungen und streichelte sich mit den Händen über die freien Oberarme, um sich ein wenig zu wärmen. Jack stützte sich auf den Holzbalken und starrte ebenfalls für einige Sekunden in den blutroten Sonnenaufgang.
„Es geht nicht.“, sagte Ellen leise, ohne ihren Blick auch nur für einen Moment von der aufsteigenden Sonne abzuwenden. Jack drehte sich zu ihr um und lehnte nun seinen Rücken an den dafür zu dünn aussehenden Holzbalken.
„Wieso nicht?“, fragte er ein wenig trotzig. Ellen bewegte sich weiterhin noch nicht, doch sie schloss ihre Augen und seufzte.
„Weißt du, wie oft mir schon diese Frage gestellt worden ist? Und das die Antwort jedes Mal nicht befriedigend für den anderen gewesen war?“
„Versuch es.“, forderte sie Jack leichter Hand auf. Nun drehte sich Ellen doch zu ihm um. Sie war überrascht worden von dem unbekümmerten Ton in seiner Stimme. Für eine Sekunde hatte er ihr auch einen kleinen Stich versetzt, weil es ihm anscheinend doch nicht so wichtig war. Jack sah sie aber nicht an. Er spielte mit einem kleinen, abgebrochenen Ast, den er vom Boden aufgehoben hatte.
„Es geht nicht, weil es nie funktionieren würde. Ich liebe meine Arbeit zu sehr.“
„Ich verlange nicht, dass du deine Arbeit aufgibst oder auch nur einschränkst. Ich will nur, dass du jeden Abend zu mir heimkommst, damit ich dich für einige Zeit schützend in meine Arme nehmen kann.“
Am Ende seiner Worte sah er ihr in die Augen. Ellens Magen zog sich unangenehm zusammen. Sie kannte das Gefühl, nur war es lange her gewesen, dass sie es gespürt hatte. Doch sie hatte sich im Griff. Statt ihm ihre Überraschung zu zeigen, verzog sich ihr Gesicht zu einem spöttischen Grinsen.
„Das ist alles? Du glaubst doch wohl selber nicht, dass dir das reichen würde.“
„Stimmt.“, sagte Jack trocken. Das Lächeln erstarb in Ellens Gesicht angesichts seines ernsten, festen Blicks. „Ich will ein Teil deines Lebens sein. Ich möchte daran teilhaben, ich möchte, dass du mich an allem teilhaben lässt: Deinem Leben, deinen Gefühlen, deinen Gedanken.“
Ellen überkam bei seiner Aufzählung ein kalter Schauer. Irgendwie fühlte sie sich beraubt. Sie schlang ihre Arme noch etwas enger um sich und sagte kühl:
„Mit anderen Worten: Du willst mich besitzen. Du wirst mich aber nie besitzen.“ Sie sah wieder in die Ferne auf den Horizont. Einige Momente später erwiderte Jack leise:
„Das weiß ich.“ Wieder zog sich Ellens Magen zusammen. „Aber ich möchte daran teilhaben, was du bist.“ Jack drehte sich nun wieder direkt zu ihr. Er lehnte sich nicht mehr weiter an den Verandabalken. Seine Stimme begann hitzig und leidenschaftlich zu werden, als er weiter sprach. „Weißt du, für mich ist Liebe nichts anderes.“ Ellen begann sich unwohl zu fühlen, als er Liebe sagte. „Es bedeutet nichts anderes, als jemanden zu haben, der einen so nimmt, wie man ist. Der begierig danach ist, alles zu erfahren, was du denkst, was dir widerfahren ist. Jemand, der ein Teil deines Lebens sein will.“
Die Worte sanken wie Balsam auf Ellens Seele. Für einen Moment vergas sie, wie ihr bisheriges Leben gewesen war, wieso sie es so sehr liebte und warum sie es nie hatte ändern wollen. Vorsichtig schob sich Jack zwischen sie und den morschen Holzbalken.
„Darf ich ein Teil deines Lebens sein?“, flüsterte er zärtlich. Er nahm Ellens Kinn in seine Hand, um ihr Gesicht zu ihm rauf zu ziehen. Plötzlich sagte Ellen:
„Ich hasse es, wenn es so kitschig wird.“ Jack lachte leise.
„Wieso?“
„Weil solche kitschigen Sachen in schlechte Bücher und Filme gehören und nicht ins wahre Leben. Sie sind einfach nicht wirklich.“
„Siehst du? Genau das habe ich gemeint. Ich will nur hören, was du denkst.“
„Du meinst also absolute Ehrlichkeit?“, fragte Ellen und ignorierte weiterhin, dass Jack sie mit leichter Gewalt versuchte zu küssen. Sie wollte ihn am reden hallten.
„Ja, ich meine absolute Ehrlichkeit.“, antwortete Jack wie ein folgsamer Schüler.
„Mehr nicht?“, fragte Ellen provozierend weiter.
„Mehr nicht.“, antwortete Jack monoton. Seine Gedanken waren schon längst nicht mehr mit voller Aufmerksam bei dem Gespräch. Er war nur noch wenig Zentimeter von ihren Lippen entfernt. Als sich ihre Nasen leicht streiften, fragte Ellen:
„Und der Sex?“
Sie merkte wie Jack bei dieser scharf geschossenen Frage zusammenzuckte. Doch nur wenig später ließ er sie los und lehnte sich lässig an den Balken hinter sich.
„Zusatz.“, antwortete er selbstbewusst. „Er ist nur ein Ventil für diese herzzerreißende Leidenschaft, die du gerade zunichte gemacht hast Ellen.“ Ellen lächelte ihn an. In ihrem Magen begann sich ein begieriges Kribbeln auszubreiten, während Jack ihr unverwandt in die Augen sah. Sie lehnte sich nach vorne, um ihn zu küssen, doch als sie nur noch wenige Zentimeter von seinem Gesicht entfernt war, zog er langsam seinen Kopf nach hinten, sodass sie seine Lippen nicht erreichen konnte.
„Vergiss es.“, sagte er mit einem verschmitzten Lächeln. „Erst, wenn du verstanden hast, was ich dir…“
Mit einer schnellen Bewegung legte Ellen ihm ihre Hand in den Nacken und zog sein Gesicht zu sich herunter.



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