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Prosa => Phantasy & SciFi


Gold - Mein Blut kriegt ihr nicht - von HelenaG., 04.08.2014
Klappentext

Seit zehn Jahren besteht das Leben der 19-jährigen Dina aus Flucht, Verstecken und Nicht-auffallen. Die einzige Person, der sie ihr Geheimnis anvertraut, ist ihr Freund Mykola, mit dessen Hilfe sie in San Francisco untertaucht.
Doch eine kurze Begegnung mit ihren Jägern ändert alles. Es geht nicht mehr nur um Dina und sie selbst muss ihre Verfolger aufsuchen, um ein anderes Leben zu retten. Aber wem kann sie vertrauen?

Kostprobe:
"Tränen beschweren mir die Sicht. Er ist es wirklich. Er lebt. Ohne weiter darüber nachzudenken, springe ich auf, renne auf ihn zu und umschlinge ihn. An seine Brust gedrückt weine ich erleichtert darüber, dass es ihm gut geht. Auch Mykola schließt mich in seine Arme und hält mich fest. „Ich hatte solche Angst“, gebe ich zu.
„Das wollte ich nicht. Es ist alles gut, Baby. Du bist in Sicherheit.“ Meine Sicherheit ist mir egal. Ich hatte nur solche Angst dich nie wieder zu sehen, füge ich in Gedanken hinzu."



Gold - Mein Blut kriegt ihr nicht

„Sag niemandem, WAS DU BIST.“

„Sie sind BÖSE.“

„VERSTECK DICH so gut du kannst.“

„Und wenn sie dich doch finden … LAUF!“



Prolog - Direkt ins Herz

Man sagt, Liebe sei das schönste Gefühl auf der Welt. Sie beflügle und wärme. Liebe verzeihe und verstehe.
Aber nicht hier und jetzt. Das gilt zumindest nicht für mich. Nicht, wenn meine Liebe mir gerade alles nimmt, was ich besitze.

Halt suchend drücke ich die Hand, die mir gereicht wird fester, während das Blut schmerzhaft aus der Wunde in meinem Herzen quillt.
„Dina?“ Irgendjemand spricht mit mir, aber ich beachte es nicht. Stattdessen starre ich geschockt in diese großen dunklen Augen, die mich von der gegenüberliegenden Seite feindselig anvisieren. Das eigentlich wunderschöne Gesicht verzieht sich zu einer teuflischen Grimasse und zerstört mich mit nur einem Blick.
Ich wurde getroffen. Direkt ins Herz.

Meine Beine wollen unter mir nachgeben, und damit allen preisgeben, was ich innerlich empfinde. Aus Stolz lasse ich es nicht zu.
Ich halte dem Schmerz stand, der sich durch die Klappen meines Herzens frisst und widerstehe dem Drang mich fallen zu lassen.
Ich bin stark und ich werde nicht aufgeben. Noch nicht.
Aber wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass man einen Einstich ins Herz übersteht? Wenn das Herz ausfällt und aufhört zu schlagen, wie stehen dann noch die Überlebenschancen?
Der Schock sitzt tief und die Folter raubt mir die Luft zum atmen. Ich beiße die Zähne zusammen, sauge hastig und zitternd Sauerstoff ein.
Mittlerweile müsste ich abgehärtet sein und doch erschüttert mich die Verletzung tiefer als je zuvor und reißt mich mit in den dunklen Abgrund, der sich unausweichlich vor mir ausbreitet.

Hilfesuchend wandert mein Blick nach rechts. Dahin wo meine Sonne direkt neben mir steht und mir die Hand hält.
Sobald ich das Leuchten in den Augen sehe, verschließt sich die Wunde etwas, aber immer noch quält mich das Tropfen der brennenden Flüssigkeit an dieser empfindlichen Stelle.
Meine Sonne sieht mich liebevoll an und drückt aufmunternd meine Hand. Ich weiß, dass sie mich niemals aufgeben wird. Niemals.

„Du!“ Die Stimme von gegenüber hallt von den Wänden wider und versetzt mir einen weiteren schmerzlichen Stich ins Herz. Ich habe diesen Klang schon so oft gehört, aber nie hat er so bitterkalt geklungen, wie jetzt.
Die ungewohnten Laute gelten mir, doch ich wage es nicht mich von meiner Sonne abzuwenden. Pure Angst durchflutet mich, bei dem Gedanke, dass der nächste Treffer mein Herz durchbohrt, wenn ich mich umdrehe.
Erst die abwechselnden Kälte- und Hitzeströme, die über mich einbrechen, lenken meine Aufmerksamkeit wieder auf mein blutendes Herz.

Wie bin ich in dieses Chaos geraten?



Kapitel 1 - Diese unendliche Tiefe hilft mir zu vergessen

Ich sitze auf dem Bett in meinem Zimmer und beobachte verträumt die Narbe auf meinem Unterarm. Sie verändert sich, wird blasser. Nicht jetzt gerade, aber innerhalb der letzten zehn Jahre hat sie sich sehr stark verändert. Im Gegensatz zu meinen Erinnerungen. Die fühlen sich so an, als wäre es gestern gewesen.
„Didi! Los komm schon“, schreit die schrille Stimme meiner Mitbewohnerin durch das ganze Haus, während ich höre, wie sie ungeduldig mit den Schlüsseln klimpert. Eigentlich würde ich am liebsten in meinem Zimmer bleiben, aber das geht nicht. Das Leben müsse weitergehen, sagt July. Trotzdem sitze ich noch etwas länger auf der weichen Matratze und träume vor mich hin, während ich das vernarbte Gewebe untersuche.
Es ist nur noch eine leichte rosa Linie auf der Innenseite zu erkennen, die senkrecht von der Armbeuge bis zum Handgelenk verläuft. Als ich vorsichtig mit dem Finger darüber streiche, spüre ich das unangenehme Kribbeln, das von der Narbe aus durch jede Zelle meines Körpers läuft. Sie schmerzt immer noch, obwohl sie schon lange verheilt ist.
Erst als ich die müden Augen schließe, spielen sich die Erinnerungen wie in einem Film vor mir ab.
Zwei junge Mädchen, eine neun, die andere vierzehn Jahre alt, spielen Fangen auf einer großen Wiese. Das fröhliche Kichern ist das einzige Geräusch weit und breit. Während sie voller Freude über das Grün rennen und ihre Kindheit genießen, flattern die dunkelbraunen Haare und die bunten Kleider im Wind. Sie sehen sich zum verwechseln ähnlich.
Plötzlich sehe ich nur noch den dunklen Raum, Irin und überall Blut. Im Hintergrund höre ich schmerzverzerrte Schreie. Meine Schreie. Blut. Überall Blut.
Schnell reiße ich die Augen auf und lasse die schrecklichen Erinnerungen verschwinden.
Es ist jetzt genau zehn Jahre her und kein Tag ist vergangen, an dem ich nicht an sie gedacht habe. Ich vermisse sie so sehr. Die Tränen, die mir in die Augen steigen wollen, blinzle ich weg.

„Didi! Wo bleibst du?“, will July wissen. Meine Mitbewohnerin steht jetzt im Türrahmen zu meinem Zimmer und schaut mich ungeduldig an. Ich schneide ihr eine Grimasse und hoffe, dass sie dort noch nicht lange steht.
Vorsichtig macht sie einen Schritt auf mich zu. „Du träumst schon wieder vor dich hin.“
Meine Mundwinkel zucken nach oben, weil sie damit eindeutig richtig liegt und trotzdem weiß ich, dass sie mich nicht danach fragen wird. July stellt nie unnötige Fragen, deswegen ist sie auch meine beste Freundin.
Wir haben uns vor etwas mehr als einem Jahr kennen gelernt und sind seit dem unzertrennlich. July hat damals einfach drauf losgeplappert. Mir erklärt, dass ich nicht so trübselig durch die Welt laufen könne, dass das mein hübsches Gesicht ruiniere.
Ich weiß, noch genau, wie sie mir zeigen wollte, wie ich erhobenen Hauptes zu gehen habe und dass sie tatsächlich aus dieser kleinen Bar einen Laufsteg gemacht hat. Auf einer feuchten Stelle ist sie ausgerutscht und direkt auf den Hintern geplumpst. Es war das erste Mal, dass ich nach so langer Zeit wieder richtig gelacht habe.
July ist direkt wieder aufgestanden, hat gesagt, dass sie sich von so etwas nicht unterkriegen lasse und ist weiter stolziert. Ich hab sie von Anfang an gemocht.

„Was meinst du, July? Kann ich so gehen?“, frage ich und versuche damit das Gespräch in eine Richtung zu lenken, die ihr gefällt.
„Mal sehen. Was haben wir denn da?“ Sie hebt eine Augenbraue und begutachtet mein Outfit mit einem kritischen Blick von unten bis oben.
Um es ihr leichter zu machen, stehe ich auf und präsentiere ihr das kurze Schwarze, das ich trage, indem ich eine Pirouette drehe.
Als würde sie übertrieben ernst darüber nachdenken, hebt sie sich einen Zeigefinger an ihr Kinn.
„Es ist doch eigentlich egal, was du anhast.“
Ihre Worte überraschen mich. July ist es immer wichtig, was jemand trägt. Wenn ich mich nicht anständig kleiden würde, würde sie nicht einmal mit mir das Haus verlassen. Mit zusammengezogenen Augenbrauen sehe ich sie fragend an.
„Didi, Süße. Wir wissen beide, dass es Mike nicht interessieren wird, was du anhast. Und die anderen sind dir sowieso egal.“ Ihr Grinsen ist frech und ich weiß genau, worauf sie damit hinaus will. Aber heute wird er mir nicht die Kleider vom Leib reißen, wie er es sonst tut, wenn wir ihn im Club treffen. Im Gegensatz zu meinem Freund, hat July keine Ahnung, was vor zehn Jahren geschehen ist und um es weiterhin zu verbergen, setze ich ein Lächeln auf und nicke.
„Und was sagst du zu mir?“ Sie sieht an sich herunter und möchte von mir einen Kommentar zu ihrer Auswahl. Heute hat sie sich für das kürzeste Kleid aus ihrem Schrank entschieden und das will etwas heißen, denn Julys Kleider verdecken für gewöhnlich immer nur das nötigste. Es ist knallrot und damit besonders auffällig.
An jeder anderen Frau würde der eng anliegende Stoff nuttig wirken, aber July kombiniert ihre Accessoires so dazu, dass es aussieht, als wäre sie aus einem High-Fashion Modemagazin entsprungen. Ihre großen braunen Locken fallen ihr bis zur Taille und umschmeicheln ihre schlanke Figur noch zusätzlich.
„Du hast dich selbst übertroffen, July“, versichere ich ihr.

Zusammen verlassen wir unsere kleine Wohnung und das Gebäude. Das Zack liegt nur ein paar Straßen weiter. Trotzdem nehmen wir uns ein Taxi, weil ich wie immer darauf bestehe. Zwei 19-jährige Frauen sollten sich so spät nicht alleine auf den Straßen von San Francisco aufhalten.
Nach einer kurzen Fahrt hält der Taxifahrer direkt vor der großen schwarzen Tür. July steigt als Erste aus und zieht sofort alle Blicke auf sich. Ich versuche, hinter ihr zu bleiben und keine Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen, was mir neben July nie schwerfällt.
Weil July den Besitzer kennt, dürfen wir kommen und gehen, wann wir wollen, auch wenn wir noch keine 21 sind.
Während wir auf den Eingang zugehen fordert der muskulöse Türsteher die wartende Schlange auf beiseite zu gehen, um uns durchzulassen. Als July vorbeiläuft, glotzt er ihr auf den Arsch. Ich verdrehe nur angewidert die Augen.
Im Club ist es gewohnt laut. Der Bass der Housemusik lässt die Wände vibrieren, während die Luft nach Zigaretten und Schweiß stinkt. July deutet mir, dass sie auf die Tanzfläche verschwinden will. Ich nicke ihr zu und sehe ihr noch kurz nach, wie sie in dem bunten Blitzlicht verschwindet. Am liebsten würde ich gemeinsam mit ihr in der Menge abtauchen und alles vergessen, aber ich komme nur hier her um meinen Freund zu treffen.
Ein Blick auf mein Handy verrät mir, dass er noch nicht hier ist, also laufe ich Richtung Toiletten, um mich solange dort zu verstecken. Die Räume sind bereits ziemlich überfüllt, deswegen muss ich mich durch die Menge drängen.
Das Damen-WC ist einigermaßen sauber. Noch. Ich bahne mir einen Weg zu den Spiegeln, wo die Mädels in einer Reihe stehen und sich beinahe synchron das Makeup auffrischen. Nachdem ich mich unter sie gemischt habe, beginne ich mir mein blond gefärbtes Haar zu bürsten. Unter all diesen lebensgroßen Barbiepuppen falle ich gar nicht auf und das ist eigentlich auch mein Ziel.
Das Klingeln meines Handys reißt mich aus meinen Gedanken. Ich sehe nach, wer es ist und nehme ab, ohne ihn zu begrüßen. Stattdessen warte ich darauf, dass er etwas sagt. Er kommt nicht oft in den Club, weil er meint, dass es zu gefährlich sei, wenn man uns zusammen sieht, aber ich wusste, dass er heute kommen würde.
Auch er spart sich die Begrüßung.
„Wo bist du?“
„Im Zack.“
„Gut. Komm zur Bar“, fordert er und legt auf.
Ich kann es kaum erwarten ihn zu sehen, verlasse aber trotzdem nur langsam den Raum, um keine Aufmerksamkeit zu erregen.
Die Diskothek hat drei Theken auf zwei Etagen verteilt. Ich muss erst alle Drei absuchen, bevor ich ihn an der Letzten entdecke.
Im schwachen Licht steht Mykola am Tresen im Untergeschoss. Die knapp bekleidete Bedienung serviert ihm zwei Cocktails und versucht ihn in ein Gespräch zu verwickeln, indem sie ihm ihr Dekolleté präsentiert. Er bezahlt die Getränke und ignoriert ihre Flirtversuche.
Schnell eile ich die letzten Meter in seine Richtung und falle ihm um den Hals. Er drückt mich sofort fest an sich. Hält mich lange in seinen Armen, ohne etwas zu sagen. Ich atme seinen herben Duft ein und genieße die Geborgenheit, die er mir bietet.
Mykola ist der einzige Mensch auf Erden, der meine Vergangenheit kennt. Der mich kennt und über mich Bescheid weiß. Er hat es geschafft mich aus den Klauen des Monsters zu befreien, das mich gefangen gehalten hat. Eigentlich bin ich vor genau zehn Jahren gestorben, gemeinsam mit Irin. Mykola hat mich wiederbelebt. Er belebt mich jeden Tag aufs Neue wieder.
Geduldig wartet er und gibt mir den Halt, den ich heute von ihm brauche. „Ich liebe dich“, flüstert er nach einiger Zeit an meinem Ohr. Ein leiser Schluchzer entfährt mir. Ich kralle meine Finger noch tiefer in seinen Nacken und drücke mich an seine Brust. Ich liebe ihn auch.
Vorsichtig haucht Mykola mir einen Kuss auf mein Ohr, lockert seine Umarmung und streicht mir zärtlich über den Rücken. Widerwillig löse auch ich mich langsam von ihm. Am liebsten würde ich laut losheulen, verkneife mir aber jede Träne. Das würde zu viel Aufmerksamkeit auf mich ziehen.
Ich lasse die Hände sinken und sehe meinem Freund in die Augen. Sie sind so dunkel. Hier drinnen wirken sie tief schwarz. Wie ein dunkles Meer, in dem ich am liebsten direkt versinken würde. Diese unendliche Tiefe hilft mir zu vergessen. Lange sehe ich nur in seine Iris und verliere mich darin.
Mykola sagt nichts. Er mustert mich nur, wägt wahrscheinlich ab, wie schlimm meine Stimmung heute ist.
Nachdem er schließlich zu einem Ergebnis gekommen ist, reicht er mir eines der Gläser, die die Bedienung auf den Tresen gestellt hat. Ich nehme den White Russian entgegen und trinke ihn auf Ex. Auch er kippt seinen hinunter.

„Hi Mike“, ruft July, die jetzt hinter mir stehen muss, aber ich sehe nicht nach, um ihr die Trauer in meinem Gesicht zu verheimlichen. Mykola nickt ihr zu und gibt dann der Barkeeperin ein Zeichen.
Mykola mag July nicht und am liebsten wäre ihm, dass ich überhaupt keinen Kontakt zu anderen Menschen habe. Aber mittlerweile hat er, glaube ich, akzeptiert, dass ich Gesellschaft brauche, weil er selbst fast nie Zeit für mich hat.
Es ist schon sehr lange ein Streitthema bei uns, aber heute habe ich nicht die Kraft, um mit ihm zu diskutieren.
Die halb nackte Frau hinter der Bar stellt drei Cocktailgläser vor uns ab. Ich halte ihr meine Kreditkarte hin und sage, sie soll die ganze Nacht für Nachschub sorgen. Ohne auf die anderen zu warten, schlucke ich das Mixgetränk in einem Zug.
Als Mykola sich eine Zigarette anzündet, werfe ich ihm einen angeekelten Blick zu. Es gefällt mir nicht, wenn er raucht, aber ich weiß, dass es ihm heute auch nicht gefallen wird, dass ich mich betrinken werde, also verkneife ich mir den Kommentar, der mir auf der Zunge liegt.
Noch drei weitere Kaffeelikörmischungen trinke ich, dann höre ich auf zu zählen. Im Augenwinkel nehme ich war, dass July von zwei Männern in Muskelshirts angebaggert wird. Sie lässt sich von ihnen die Drinks ausgeben.
Vor mir nippt Mykola nur an seinem Getränk. Er wird sich nicht betrinken, damit er auf mich aufpassen kann. Ich weiß, dass er sich wünscht, dass auch ich nüchtern bleibe, trotzdem tue ich ihm den Gefallen nicht. Zumindest nicht heute.

Etwas später kommt July wieder zu mir und Mykola zurück.
„Kommsu tanzen?“, lallt sie.
Die Muckimänner scheinen in Spendierlaune gewesen zu sein, denn sie haben July abgefüllt. Ich lasse schnell noch einen letzten White Russian verschwinden und bejahe Julys Frage mit einer Kopfbewegung.
Mykola folgt uns widerwillig zu dem abgegrenzten Bereich vor dem DJ-Pult, stellt sich aber an den Rand und verschränkt die Arme vor der Brust. Mein persönlicher Bodyguard. Mit anzüglichen Bewegungen versuche ich ihn zum Tanzen zu bewegen, aber er geht nicht darauf ein.
Ich weiß, dass er mich heute nicht anfassen wird. Nicht am Todestag meiner Schwester.
Tränen bedecken mir die Sicht bei dem Gedanke an Irin. Um nicht zu weinen, vergesse ich alles um mich herum und konzentriere mich auf die Beats der Soundanlagen. Ich passe mich dem Rhythmus an und kreise die Hüfte immer schneller im Takt. Den Kopf lasse ich in den Nacken fallen, während ich mich von der Musik mitreißen lasse und die Vergangenheit und alles um mich herum vergesse.

Irgendjemand packt mich am Arm und lässt mich aus meiner Trance erwachen. July steht neben mir und sagt etwas, doch die Musik übertönt alles. Sie wirkt genervt und führt mich zu einem ruhigen Platz in einer Ecke des Club. „Lass uns verschwinden“, nuschelt sie direkt in mein Ohr, damit ich sie besser verstehe.
Das Taubheitsgefühl lässt nach und ich fühle wieder die Traurigkeit, also erkläre ich mich damit einverstanden, dass wir nach Hause gehen.
Gemeinsam verlassen wir das Gebäude, nachdem wir uns durch die verschwitzte Masse von Betrunken gedrängt haben. Außerhalb bemerke ich, dass Mykola nicht da ist.
„Wo ist Mykola?“, will ich wissen. July sieht mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. Erst jetzt fällt mir wieder ein, dass July gar nicht weiß, dass Mike eigentlich Mykola heißt.
„MYKOLA?“, schreit sie und bricht dabei in lautem Gelächter aus. Ich weiß nicht, warum, aber ich lache mit, lasse mich von ihr mitreißen.
Eine Weile stehen wir auf dem Gehweg und kriegen uns nicht mehr ein. Es tut gut, sich mit July zu amüsieren. Sie ist eindeutig die beste Freundin, die man sich wünschen kann.
„Didi ich brauch‘ frische Luft. Könn‘ wir nach Hause laufen?“, fragt sie, nachdem wir uns von dem Lachanfall erholt haben. Ich zögere.
„Was kann uns denn schon passieren?“, hängt sie an, um mich zu überzeugen, dass es ungefährlich ist.
Mir fallen auf Anhieb sehr viele Dinge ein, die uns auf dem Weg zustoßen können. Dinge, von denen July keine Ahnung hat und hoffentlich nie haben wird. Ich will ihr gerade erklären, dass wir uns wie immer ein Taxi nehmen, da läuft sie ohne ein weiteres Wort los. Schnell eile ich hinterher.

Die Strecke vom Zack bis zu unserer Wohnung entpuppt sich als doppelt so weit und dreimal so lang, wenn man torkelt und July sich zweimal übergeben muss. Ich frage mich, wo Mykola ist, wenn man ihn braucht.
Eine Kreuzung von unserem Ziel entfernt, höre ich Stimmen hinter uns. Männer unterhalten sich in einer anderen Sprache, während ihre Schritte immer näher kommen. Sie verfolgen uns und das eigentlich schon seit dem Club. Ich habe es nur nicht bemerkt.
„Scheiße!“ Der Fluch entkommt mir, ohne, dass ich darüber nachdenke. July sieht mich verwirrt an. Sie weiß nicht, dass ich fließend Russisch spreche und verstehe, dass sie über uns sprechen.
Ich zwinge July sich mit mir in einer Einfahrt zu verstecken, damit sie uns nicht sehen. Sie protestiert und ich muss ihr den Mund zuhalten.
Einer der Russischsprechenden fragt, welche von uns beiden Gold ist.
Erschrocken schnappe ich nach Luft. Mein Herz donnert von innen gegen meine Brust und droht herauszuspringen. Sie suchen nach Gold. Angst macht sich in mir breit und ich presse July noch fester an mich. Halte sie ganz still.
Ein anderer antwortet, dass ihm jemand gesagt habe, dass sie braunhaarig sei.
Dann passiert alles ganz schnell.

July beißt mir in einen Finger. Ich schreie auf vor Schreck. Die Kerle entdecken uns. „Lauf July!“, schreie ich, packe July an der Hand und schleife sie hinter mir her. July stolpert über ihre eigenen Füße. Die Männer holen uns ein.
Sie sind zu dritt. Einer packt mich. Die anderen kümmern sich um July. Ich werde eine Kellertreppe hinunter geschubst. Auf allen Vieren krabble ich die Stufen wieder hinauf.
Die drei Typen sind weg. July auch. Sie haben die Falsche mitgenommen.

Endlich kullern mir die Tränen aus den Augen, die schon den ganzen Tag darauf warten.



©2014 by HelenaG.. Jegliche Wiedergabe, Vervielfaeltigung oder sonstige Nutzung, ganz oder teilweise, ist ohne vorherige schriftliche Genehmigung des Autors unzulaessig und rechtswidrig.

Kommentare


Von HelenaG.
Am 04.08.2014 um 10:23 Uhr

Weil ich hier noch nicht wirklich zurecht komme und nicht weiß, wie es sonst so gehandhabt wird, habe ich den ersten Teil (KT, Prolog und erstes Kapitel) einfach mal nach Gefühl eingefügt.
Gold ist mein erstes Werk und würde ich mich sehr über Feedback und Kritik bzw. Anregungen und Tipps freuen.
Liebe Grüße





_________
Helena G.

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