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Falaysia - Fremde Welt, Band 1: Kapitel 3: Schlaflos - von Ina, 02.09.2012
Schlaflos



Leon hatte Kopfschmerzen, Kopfschmerzen, die ihm die Schädeldecke zu zersprengen drohten, und die Atmosphäre in dem Wirtshaus, in dem er saß, trug nicht gerade zu einer Besserung seines Zustandes bei. Der an sich so gemütlich aussehende Raum war so verqualmt, dass er Probleme hatte, überhaupt die Gesichter einzelner Personen zu erkennen, und der Rauch biss in seine schmerzenden Augen. Zudem waren einige der Gäste durch den Alkohol, der heute hier in Unmengen floss, auch noch in so guter Stimmung, dass sie sich laut grölend zu einem Wettkampf im Armdrücken entschlossen hatten.
Die beiden Kontrahenten waren ein riesiger vollbärtiger Seemann und ein ebenfalls kräftiger, aber um einen ganzen Kopf kleinerer Wachmann mit Halbglatze, der wohl mit diesem Spaß seinen freien Tag feiern wollte. Sie saßen nicht weit entfernt von Leon an einem der robusten Holztische und hatten eine Schar von Freunden um sich gesammelt, die sie laut anfeuerten. Erst sah es so aus, als würden beide gleich stark sein, doch dann begann erstaunlicher Weise der muskelbepackte Arm des Seemanns zu zittern und zu wanken, und schließlich landete seine Hand mit einem schmerzhaften Krachen auf den Tischplanken. Der Wachmann sprang johlend auf und schlug sich wie ein Gorilla auf die breite Brust, um noch einmal deutlich seine Stärke zu demonstrieren, während sich der Seemann mit einem finsteren Blick in eine Ecke verzog. Bald schon aber fand sich ein neuer Gegner, und das Spiel ging weiter, unterstützt von dem lauten Gegröle der Zuschauer.

Leon rieb sich ermüdet die Schläfen und versuchte ein wenig Abstand von dem ganzen Lärm im Wirtshaus zu gewinnen, abzuschalten und zu vergessen, wo er war, doch es gelang ihm nicht. Wie sollte es auch?! Dies war nun wirklich nicht die richtige Umgebung, um zu entspannen und sich ein wenig von den Strapazen der letzten Monate zu erholen. Alles, was er jetzt brauchte, war Schlaf – möglichst viel davon. Es war schon so lange her, dass er das letzte Mal richtig geschlafen hatte, dass er sich kaum noch an dieses Gefühl erinnern konnte.
Die letzte Nacht war er durchgeritten und auch am Tage hatte er kaum eine ruhige Minute finden können. Heute hatte er endlich ein gemütliches kleines Zimmer mit einem richtigen Bett in einem Wirtshaus finden können und war nicht in der Lage dieses zu nutzen. Stattdessen musste er in der stickigen Wirtsstube sitzen, weiter seine überreizten Nerven strapazieren und warten. Er hatte eine Nachricht von einem Freund erhalten, der ihn dringend sprechen musste. Woher dieser wusste, dass er in der Stadt war, war ihm schleierhaft, da er erst am frühen Morgen angekommen war und niemanden von seinen alten Freunden darüber informiert hatte. Er hatte ohnehin nicht vorgehabt, lange zu bleiben. Da gab es nur dieses Treffen, das erst in ein paar Tagen stattfinden sollte, und in der Zeit dazwischen hatte er gehofft, sich endlich etwas erholen zu können. Den Besuch bei alten Freunden hatte sich Leon eigentlich sparen wollen. Wenn die Angelegenheit nicht wirklich dringend war, würde er Tido alle Knochen brechen!

Leon gähnte und das Hämmern in seinem Schädel verstärkte sich. Gott, wie er das Leben hasste! Nicht immer, aber es gab Phasen in seinem Leben, in denen er sich wünschte, einfach so aus seinem Körper steigen zu können und diese verfluchte Welt zu verlassen. Und gerade jetzt befand er sich in einer dieser Phasen. Er hatte das Frühjahr über bei verschiedenen Bauern gearbeitet, jeden Monat seinen Standort wechselnd, und sich einige Dukaten verdient. Damit würde er für eine Weile über die Runden kommen, konnte wieder durch die Lande ziehen, hier und dort für ein paar Tage bleiben und vielleicht den einen oder anderen Job annehmen. Die Zeit der harten Arbeit war vorbei. Die Saat war gesetzt und die Felder bearbeitet – erst im Spätsommer würden die Bauern wieder Hilfe brauchen und bis dahin konnte er sich wieder zurückziehen, seine Freiheit und Unabhängigkeit genießen und seine selbst auferlegte Einsamkeit zelebrieren.
Der Kontakt mit anderen Menschen war ihm über die langen Jahre der Einsamkeit ein Gräuel geworden und dennoch sehnte er sich nach ihnen – nach jenen, die er so oft so verachtete. Es gab einige Menschen, über die Lande verstreut, die so etwas wie Freunde für ihn waren, die ihn immer, wenn er in ihrer Nähe auftauchte, gerne sahen und zu sich einluden. Doch die meiste Zeit ging er selbst diesen Menschen, die ihm so gut gesonnen waren, aus dem Weg, denn sie erinnerten ihn an Zeiten und Personen, die er vergessen wollte, an Geschehnisse, die weit zurückzuliegen schienen und doch so nah waren, weil sie immer wiederkehrten, in seinen Alpträumen und trübsinnigen Gedanken.
Diese furchtbaren Erinnerungen waren es, die ihm immer wieder so zu schaffen machten, dass er weder schlafen noch essen noch hoffen konnte – hoffen, eines Tages wieder ein halbwegs zufriedenes Leben zu führen oder vielleicht sogar wieder glücklich zu werden. Und sie machten sein Leben, dieses sinnlose, leere Dasein manchmal fast zu einer Qual, gerade wenn sein Körper durch die harte Arbeit auf dem Feld geschwächt und ausgemergelt war und seine Ängste und Trauer ein solches Ausmaß annahmen, dass er das Gefühl hatte, seine Seele würde von innen her völlig zerfressen werden. Gerade in diesen Phasen seines Lebens brauchte er Ruhe und viel Schlaf, um wenigstens wieder halbwegs zu einem normalen Menschen zu werden.

Leon hielt sich die Ohren zu, als das Grölen der Männer erneut anschwoll. Der Wachmann hatte wohl wieder gewonnen, aber das interessierte Leon nicht sonderlich. Er fand diese Kraftprotzerei idiotisch. Als ob Stärke das Einzige war, worauf es im Leben ankam. Wenn diese Männer mehr Hirn besäßen, müssten sie sich nicht mit solch erbärmlicher Arbeit herumschlagen und würden stattdessen ordentlich viel Geld mit dem Handel oder anderen gewinnbringenden Dingen verdienen. Sie waren gesund und kräftig und psychisch stabil… fast beneidete er sie…
Es gab in diesen Tagen jedoch nur wenige, denen es tatsächlich besser ging als Leon selbst. Er ließ seinen Blick über die Gesichter der Menschen gleiten, die sich in der Wirtsstube befanden. Wirklich glücklich und zufrieden sah hier keiner aus, auch wenn viele darum bemüht waren, gute Laune zu verbreiten. Doch die meisten wirkten dennoch müde und erschöpft, frustriert von ihrer erbärmlichen Existenz. Hier ertränkten sie ihre letzten Hoffnungen und ungelebten Träume im Alkohol, grölten herum, bemitleideten sich gegenseitig oder schockierten die anderen mit neuen gruseligen Geschichten über die wilden Menschen aus dem Osten und über die neuen Unruhen, die sich im ganzen Land auszubreiten schienen wie eine gefährliche, tödliche Krankheit.
Leon beobachtete dies alles distanziert und mit schlechter Laune. Er war zwar selbst eine dieser unglücklichen, traurigen Gestalten, aber er war noch nicht verzweifelt genug, um sich diesen Leuten anzuschließen und sein Leben im Alkohol zu ersäufen. Es war zwar ein einsames, ebenso erbärmliches Leben, aber es war ein Leben!
Plötzlich entdeckte er in der Menge eine Gestalt, die ihm vertraut vorkam. Es war ein kleiner, schmächtiger Mann mit einem aufgeweckten Gesicht, der sich mühsam zwischen den massigen, schwitzenden Leibern der anderen Gäste hindurch kämpfte und direkt auf ihn zukam. Er rief ihm etwas zu und lächelte. Komisch, Leon hatte kein einziges Wort seines Freundes verstanden. Dabei war dieser gar nicht mehr weit von ihm entfernt.
Es dauerte nicht lange und Tido hatte keuchend seinen Tisch erreicht. Er wischte sich über die schweißbedeckte Stirn und grinste ihn an. Dann griff er nach Leons Händen und riss sie ihm von den Ohren. Augenblicklich setzte der ohrenbetäubende Krach in der Wirtsstube wieder ein.

„Leon, ich glaube, du brauchst mal wieder ein wenig Ruhe“, sagte Tido mit einem milden Lächeln. „Du siehst schlecht aus.“ Sorge stand in sein Gesicht geschrieben, und Leon bezweifelte, dass diese nur mit seinem üblen Aussehen zusammenhing.

„Danke, Tido“, gab Leon zurück und rang sich ein Lächeln ab. „Also, was gibt es so Wichtiges, dass du mich von meinem wohlverdienten Schlaf abhältst?“

Das Gesicht seines Freundes verfinsterte sich. Er zog sich einen Stuhl heran und setzte sich. Dann beugte er sich weit zu ihm nach vorne. Leon tat es ihm nach, mit einem sehr mulmigen Gefühl im Bauch.
„Du kannst nicht hier bleiben“, sagte Tido leise und sah sich vorsichtig nach allen Seiten um. „Am besten ist es, du packst deine Sachen und kommst gleich mit mir.“

Für einen Moment verschlug es Leon die Sprache. „Was… was… – wieso?“ fragte er verwirrt.

Wieder sah sein Freund sich um. Er wirkte nervös, schien große Angst zu haben. „Hast du von den Aufständen in Elkon und Fadris gehört?“ fragte er sehr leise.

„Ja… aber ich dachte, das seien nur Gerüchte…“, gab Leon zögernd zu.

„Es ist alles wahr!“ raunte Tido ihm zu. „Die Aufstände, die Anschläge auf die Basislager, die Zerstörung der Feste in Kamun. Wer genau da seine Finger im Spiel hatte, ist noch nicht klar, aber es heißt, Renon stecke dahinter. Die Bakitarer sind in heller Aufruhe – eben weil alles für eine Weile relativ friedlich war.“

Leon starrte seinen Freund ungläubig an. Sein Herzschlag hatte ein ziemlich ungesundes Tempo angenommen und er hatte das Gefühl, nicht mehr richtig Luft zu bekommen, so eng war es in seiner Brust geworden.

„Sie waren erst ziemlich konfus“, fuhr Tido mit seinem schockierenden Bericht fort, „weil die Angreifer so schnell wieder weg waren. Aber jetzt sind sie auf einem Rachefeldzug, der schon ganze Dörfer in Schutt und Asche gelegt hat und nur Tod und Verderben zurücklässt. Und seit heute machen sie in jeder einzelnen Stadt Jagd auf jeden Menschen, der Kontakte zu den Renon-Rebellen hat oder hatte. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie auch hier damit anfangen.“ Er sah Leon eindringlich an. „Ich werde noch heute Abend die Stadt verlassen. Und auch du solltest so schnell wie möglich verschwinden!“

„Aber wie… wie wollen sie das herausfinden?“ fragte Leon immer noch sehr verwirrt. „Ich meine, das mit den Kontakten zu den Renon? Wieso sollten sie ausgerechnet auf mich kommen? Ich bin schon seit Ewigkeiten kaum unter Menschen ge…“

„Ja, aber willst du es wirklich riskieren, erwischt zu werden?“ gab Tido eindringlich zurück. „Jetzt, wo vielleicht sogar er hier auftaucht?“

Leon wurde bleich. Das war der schlimmste Gedanke, den jemand seit langem in ihm wachgerufen hatte. „Marek?“ fragte er mit belegter Stimme und das Nicken seines Freundes verstärkte die Übelkeit, die langsam in ihm aufstieg. „Ist er schon in der Stadt?“

Sein Freund schüttelte den Kopf. „Es heißt, er sei auf dem Weg hierher, weil wohl einer der Drahtzieher der Überfälle hier mit einigen Vertrauten ein Versteck gefunden hat. Aber, wenn er dich hier sieht, könnte er denken…“

„… dass ich damit zu tun habe“, beendete Leon leise den Satz seines Freundes und musste mit aller Kraft nun auch noch gegen das Gefühl von Panik ankämpfte, das von ihm Besitz ergreifen wollte.

„Sein Hass auf dich war eine Zeit lang sehr tief“, setzte Tido beklommen hinzu.

„Ich weiß“, erwiderte Leon und fuhr sich mit der Hand über das Gesicht, so als könne er damit all die Ängste und Befürchtungen, die sich in den letzten Minuten in ihm angestaut hatten, einfach wegwischen. Doch es war nur eine leere Geste.

„Aber er hatte es aufgegeben, mich zu jagen“, murmelte er. „ Ich hatte eine Zeit lang Ruhe vor ihm.“

„Damit ist es vorbei“, meinte sein Freund und seufzte tief, „für uns alle. Uns wird nichts anderes übrig bleiben als vorerst zu fliehen. Ich will mir gar nicht ausmalen, was sie mit denen machen, die sie erwischen. Und ich war noch nie ein tollkühner Held. Das Schlachtfeld überlass ich lieber den wirklichen Kriegern.“

Er versuchte zu lachen, aber aus seiner Kehle drang nur ein merkwürdig ersticktes Glucksen, hervorgerufen durch die nackte Angst, die in seinen Augen geschrieben stand. „Ich reite in der Nacht los… also, wenn du dich mir anschließen willst…“

Leon schüttelte den Kopf. „Das kann ich nicht, Tido. Ich muss mich unbedingt mit jemand treffen und dieser jemand wird erst in ein oder zwei Tagen in der Stadt sein.“

„Dann musst du dich verstecken“, sagte sein Freund nachdrücklich. „Und wenn ich ‚verstecken‘ sage, bedeutet das, dass du dich so lange nicht draußen blicken lässt, bis dieser jemand endlich erscheint.“ Er seufzte tief und schwer und schüttelte dann verständnislos den Kopf. „Ist das denn wirklich so wichtig – so wichtig, dass du dafür dein Leben riskierst?“

Leon schwieg für eine Weile nachdenklich. Diese Frage hatte er sich bisher noch gar nicht gestellt, aber in Anbetracht der neuen Entwicklungen, erschien es ihm fast noch dringender als zuvor den Grafen zu treffen. Er musste doch von allen Personen, die Leon kannte, derjenige sein, der am besten über alles informiert war. Und einfach nur kopflos zu fliehen, ohne zu wissen, was tatsächlich los war, war so ganz und gar nicht Leons Art.

„Ich… ich weiß es nicht“, gab er offen zu. „Aber… ich kann einfach noch nicht gehen. Wenn es zu brenzlig für mich wird, werde ich schon noch rechtzeitig wegkommen. Ich werde einfach Augen und Ohren offen halten und hoffen, dass mein Freund möglichst bald erscheint.“

Wieder atmete Tido tief durch. „Gut. Du musst ja wissen, was du tust. Aber sag nachher nicht, ich hätte dich nicht gewarnt!“

Leon brachte ein halbherziges Lächeln zustande. „Ich danke dir. Aber vielleicht… könntest du mir doch noch einen kleinen Gefallen tun. Du als Schmuggler musst doch eigentlich die besten Verstecke für einen Aussätzigen wie mich kennen, oder?“

Tido erwiderte sein Lächeln, aus dem bald ein breites Grinsen wurde. „Allerdings“, schmunzelte er, „aber sollten eines Tages wieder ruhigere Zeiten anbrechen, hast du dieses Versteck nie gesehen!“

„Ich hab ein Gedächtnis wie ein Sieb“, versprach Leon lächelnd.

„Gut“, meinte Tido nur und erhob sich. „Dann sehen wir uns gleich draußen.“

Leon nickte dankbar, und sein Freund wandte sich um und verschwand in den Rauchnebeln der Wirtsstube.
Leon atmete tief durch. So würde er also auch dieses Mal nicht zur Ruhe kommen. Nein, viel schlimmer, jetzt fingen die Strapazen erst richtig an. Er fragte sich nur, wie lange sein erschöpfter Körper das noch alles mitmachen würde, denn er wusste genau, dass das, was nun auf ihn zukam, anstrengender werden würde, als alles, was er in den letzten fünf Jahren durchgemacht hatte.
Die Jagd ging also wieder los, und er war nicht sicher, ob er dieses Mal genug Kraft hatte, um zu überleben.









Weiter geht es mit Kapitel 4, das ich so bald wie möglich posten werde. Und bitte, wer es noch nicht getan hat – hier für dieses Buch abstimmen.

Natürlich nur, wenn es euch gefällt!!! Danke!!!






©2012 by Ina. Jegliche Wiedergabe, Vervielfaeltigung oder sonstige Nutzung, ganz oder teilweise, ist ohne vorherige schriftliche Genehmigung des Autors unzulaessig und rechtswidrig.

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