Kapitel 1 – Das letzte bisschen Freiheit
~ Zeeben ~
Ihr Leben lang hatte sie gewusst, dass dies passieren würde. Mit jedem Tag, den sie gelebte hatte, war sie dem Augenblick einen Schritt näher gekommen. Fünfzehn Jahre hatte sie gehabt, um sich auf dieses Ereignis vorzubereiten und dennoch erwischte es sie kalt, als ihre Mutter sagte:
„Du solltest dir wirklich etwas Hübscheres anziehen. Du weißt doch, dass Leyon heute kommt.“
Mit einem lauten Scheppern fiel Zefoni der Löffel aus der Hand in ihre Tasse, so dass der Tee in alle Richtungen spritzte. Doch sie konnte sich jetzt nicht darum kümmern.
„Er kommt heute!?“, rief sie aufgebracht. Wie hatte sie das nur vergessen können? Ihre Mutter, die mit besorgter Mine nachsah, ob Zefonis Tee auf etwas Wichtigem gelandet war, nickte geistesabwesend. Dann befahl sie einer Bediensteten den Tisch abzuräumen.
„Ich werde ihn nicht empfangen–“, begann Zefoni, doch ihr Vater schnitt ihr das Wort ab. Es war das erste Mal, dass er an diesem Morgen sprach.
„Leyon U’Sarha legt einen weiten Weg zurück, um dich zu sehen. Ich werde deinen üblichen Trotz diesmal nicht dulden!“, sagte er ruhig und mit einem Ton der keine Widerworte duldete. Zefoni versuchte es trotzdem:
„Aber ich–“, fing sie an.
„Hoch in dein Zimmer, Zefoni!“, befahl ihr Vater diesmal lauter, „Ich sage das nur einmal!“
Kurz sah Zefoni sich Hilfe suchend nach ihrer Mutter um. Doch die war noch immer damit beschäftigt die Bediensteten anzuweisen und gab vor sie beide nicht wahrzunehmen. Zefoni stand so wütend auf, dass ihr Stuhl umfiel, und stampfte um etliches lauter als notwendig die großen Mamortreppen hinauf in den zweiten Stock, in dem sich ihr Zimmer befand.
Weshalb regte sie sich eigentlich so auf? Dieses Verhalten war sie von ihren Eltern schließlich gewohnt. Ihre Mutter beschränkte sich auf oberflächlichen Smalltalk und das Herumkommandieren der Dienerschaft. Wenn es um Wichtiges ging, war sie niemals da. Für ihren Vater war Zefoni dafür umso wichtiger. Für das Prestige und die Beziehungen der Escari Yonaka. Ihre Wünsche und Interessen zählten nichts. Sie fragte sich, ob ihr Vater überhaupt bemerkt hatte, dass sie so etwas besaß.
Zefonis Bruder ging es genauso. Er war grade mal dreizehn Jahre alt und doch lastet eine ungeheure Last auf ihm. Zefin würde irgendwann Familienoberhaupt der U’Escar werden, ihrer Familie, die die herrschende Sippe im Clan der Escari Yonaka war. Ob er es so wollte oder nicht.
Zefoni Rolle war beinahe genauso fest geschrieben, wie die ihres zwei Jahre jüngeren Bruders. Sie würde Leyon, zweiten Sohn des Oberhaupts der U’Sarha, heiraten. Die Verbindung zu den U’Sarha zu stärken war für ihren Vater sehr wichtig, denn die gehörten zu den einflussreichsten Familien in ganz Vesperania. Es wurde ihnen sogar nachgesagt privaten Kontakt zur Kaiserin zu haben.
Leyon war ein vorzügliches Match für Zefoni. Ohne diese arrangierte Heirat hätte sie wahrscheinlich sowieso nie einen Mann gefunden. Sie sah zu mittelmäßig aus und hatte einen so unsozialen Charakter, dass noch nicht mal ihr Status das ausgleichen konnte. So oder ähnlich erzählte ihre Mutter das jedenfalls ihren Freundinnen gerade laut genug, dass die Bediensteten es hören und weitererzählen konnten. Meist schnappte Zefoni es dann gleich am nächsten Tag auf.
Doch es störte sie kaum noch. Sie wusste was ihre Mutter mit unsozialem Charakter meinte. Zefoni las lieber anstatt auf Bälle zu gehen. Sie lauschte lieber Abenteuergeschichten als der Gerüchteküche, lernte lieber die Namen der Sterne als die neusten Tänze. Aber ihr schlimmster Fehler war, dass sie zauberte.
Der Gebrauch der Magie galt in ihren Kreisen als abnormal. Es hatte Zefoni viel Mühe gekostet die alten Zauberbücher aufzutreiben. Bücher aus einer Zeit als man in Vesperania Magiern noch mit Toleranz, wenn nicht Respekt, entgegen getreten war. Schon als kleines Kind hatte Zefoni zaubern wollen. Sie hatte damals eine Amme gehabt, die ihr aus einem Buch voller Abenteuergeschichten vorgelesen hatte. Zefoni war begeistert gewesen, aber vor allem hatte sie die Magie fasziniert. Als ihr Vater davon erfuhr, entließ er die Amme auf der Stelle, aber Zefonis Wunsch blieb.
Über die Jahre hatte sich dieser Traum in ein unumstößliches Lebensziel entwickelt. Zefoni musste es erreichen oder ihr ganzes Leben ergab keinen Sinn mehr. Mit elf Jahren hatte sie dann, sie war wieder einmal von zu Hause weggelaufen, einen echten Magier kennen gelernt. Ein Vesperanier, der sich als Vendan vorstellte. Zefoni hatte ihm von ihrem Wunsch erzählte und ihn angefleht, sie mit zu nehmen. Nichts wollte sie mehr, als ihr tristes zu Hause zu verlassen, die Bälle und Tänze, Kleider und Gerüchte hinter sich zu lassen und Abenteuer zu erleben, wie sie in den Büchern standen. Vendan hatte gelacht und ihr ein Zauberbuch geschenkt. Ihr Erstes. Dann hatte er ihr mit seiner tiefen melodischen Stimme geraten, das Buch gut zu verstecken und auswendig zu lernen. Sie würden sich wieder sehen, wenn sie so weit wäre und wenn sie dann immer noch auf Reisen gehen wolle, dürfe sie ihn begleiten und seine Schülerin sein.
Dann hatte er sie zurück zu ihren Eltern gebracht, die ihm Zefoni ohne ein Wort des Dankes entrissen hatten. Zefoni war schnell zu einem Fenster gelaufen, um Vendan zu beobachten, wie er, ohne zurück zu blicken, fort ging und schließlich im fernen Wald verschwand. Lange hatte sie den Fleck beobachtet, wo sie ihn zuletzt gesehen hatte und noch heute ertappte sie sich dabei, wie sie ihn gedankenverloren anstarrte, als könne Vendan dort jeden Moment wieder auftauchen und sein Versprechen einlösen.
Es wurde langsam Zeit für seinen Auftritt. Sie hatte nicht die geringste Lust sich mit einem Jungen zu verloben, den sie noch nie zuvor gesehen hatte. In ihrer Fantasie war aus Vendan immer mehr ein Held, ihr Retter, geworden. Sie stellte sich vor, wie er mitten in einen der wöchentlichen Bälle platzte. Die Frauen kreischten, kriegten in ihren engen Korsetts keine Luft mehr und fielen in Ohnmacht. Die Männer griffen zitternd nach ihren Degen, doch eine Handbewegung von Vendan und die Klingen fielen aus ihren kraftlosen Händen. Panisch flüchteten sie in die Ecken oder kümmerten sich um ihre bewusstlosen Gattinnen. Nur eine blieb ganz ruhig. Zefoni, die zuvor gelangweilt an einem der Tische gesessen hatte, erhob sich in dem Durcheinander, schritt langsam in die Mitte des sich leerenden Ballraums, ergriff Vendans ausgestreckte Hand und ließ mit ihm zusammen das alles hinter sich.
Und manchmal, in letzter Zeit häufiger, war dort auch ein gesichtsloser Junge namens Leyon, der vor Angst schlotterte und dem sie mit einem Lächeln in der Stimme sagte ‚Tut mir Leid, ich kann dich nicht heiraten. Ich gehöre zu ihm.’
Doch würde er wirklich kommen? Je konkreter ihre Hochzeit mir Leyon wurde, desto mehr Zweifel kamen ihr. Würde sie dieser verhassten Welt jemals entkommen? Heute verlobte sie sich, gab Leyon das Versprechen, ihn in fünf Jahren zu heiraten. Obwohl das nur eine symbolische Geste war, kam es Zefoni wie reale Fesseln vor, die sie an Vesperania ketteten. Und sie hatte keine Möglichkeit zu fliehen.
„Lass! Ich mache das schon selbst.“, fauchte sie die Zofe ruppiger als beabsichtigt an, als diese beginnen wollte sie anzukleiden. „Du kannst jetzt gehen.“
Die Zofe blickte verunsichert, verließ aber mit einem „Sehr wohl, Mylady.“ Zefonis Garderobenzimmer.
Nachdem sie gegangen war, ging Zefoni zu dem großen Fenster, schob die Vorhänge zurück und schwang sich auf die breite Fensterbank. Sie hatte nicht vor sich für ihren aufgezwungenen Verlobten auch noch schick zu machen. Andererseits würde ihr Vater nicht zulassen, dass sie in ihrem Morgenmantel die Feierlichkeiten beging und ihre Mutter würde ihr Kleid auswählen. Das bedeutete Lavendel oder Magenta. Zefoni schnaubte verächtlich. Ihre Mutter kleidete sich ausschließlich in Farben, die wie die Protagonistinnen von Schnulzromanen hießen.
Da suchte sie sich ihr Kleid doch lieber selbst aus. Vorzugsweise ein Schwarzes. Sie lächelte grimmig. Sie würde zu ihrer Verlobung in Trauerkleidung erscheinen, um ihr letztes Bisschen Freiheit zu Grabe zu tragen.
*Vendan! Wo bleibst du?* Sie warf einen letzten Blick auf den Waldrand, bevor sie sich von der Fensterbank schwang und ein langes schwarzes Kleid aus einem der Schränke holte. Es war aus schlichter, aber teuerer, schwarzer Seide und hatte einen kleinen Stehkragen. Es lag an den Armen und vom Hals bis zur Hüfte eng an und wurde nach unten hin weiter. Es bedeckte ihre Füße komplett und hatte hinten ein großes Fenster, so dass ihr Rücken frei lag.
Zefoni besah sich im Spiegel. Sie war mit 1,72m Körpergröße klein für eine Vesperanierin und hatte auch sonst eine grazile Gestalt. Sie hatte keine üppigen Formen, wie sie die Männer liebten, sondern war schmal und wendig. Auch ihr Gesicht wirkte geschliffen. Sie hatte hohe Wangenknochen, eine lange gerade Nase und ein spitzes Kinn. Sie könnte schön sein, doch sie war bleich, sogar für eine Vesperanierin und um ihre Augen zeichneten sich deutliche Ringe ab. Ihre weichen Lippen waren farblos und trugen Spuren von ihrer Angewohnheit in unterdrückter Wut auf sie zu beißen. Ihre Haare hingen beinahe ungepflegt wirkend kraftlos bis zu ihren Schultern.
Zefoni drehte ihren Kopf, um sich von allen Seiten zu sehen. Sie legte normalerweise keinen Wert auf ihre Erscheinung, doch heute wollte sie depressiv und desolat aussehen. Entwaffnet, wie sie war, musste sie auf passiven Widerstand zurückgreifen. Man konnte ihr befehlen zu heiraten, aber niemand konnte sie zwingen dabei glücklich zu sein, oder nett zu ihrem Zukünftigen.
Sie war die tragische Heldin in einer absurden Komödie. Das alles konnte nur auf zwei Weisen enden: Entweder mit ihrem schicksalhaften Tod oder einer Wahnsinnspointe.
Sie dachte gerade über die beste Version von Ende Nummer Eins nach, als sie die Absätze ihrer Mutter im Gang klackern hörte. Wenig später riss diese leibhaftig die Türflügel auf und machte eine äußerst passend theatralische Miene.
„Malie hat mir berichtet, dass du dich nicht herrichten lassen willst? Ist das wahr?“, fragte sie mit einem pathetischen Zittern in der Stimme. Zefoni blickte ihrer Mutter in die Augen und sagte dann so ruhig und bestimmt wie möglich:
„Ich bin alt genug, mich selbst anzuziehen. Ich bin ja schließlich auch alt genug mich zu verloben.“ Ihre Mutter tat einfach so, als hätte sie das nicht gehört und begann stattdessen Zefoni von allen Seiten zu begutachten.
„Was trägst du da überhaupt? Ich habe extra ein so schönes Kleid in Apricot für dich anfertigen lassen. Darin würdest du nicht wie eine Todkranke aussehen.“
„Mutter, ich trage dieses Kleid. Schwarz ist schön und was ist Apricot überhaupt für eine Farbe? Orange?“ Ihre Mutter gab ihr keine Antwort sondern inspizierte sie weiter.
„Hast du dir schwarzen Lidschatten unter deine Augen geschmiert?“, fragte sie ungläubig.
„Ja. Wieso?“, fragte Zefoni gelangweilt, als würde sie sich nicht ärgern, dass ihre Mutter das bemerkt hatte.
„Oh mein Gott!“, schrie die, „So kann dich Leyon nicht sehen! Und vor allem nicht Lord U’Sarha. Womit muss ich nur immer kämpfen!“ Tatsächlich schaffte sie es sogar sich ein paar Tränen in die Wimpern zu blinzeln. Zefoni verdrehte die Augen.
„Also gut.“, sagte sie schließlich, um das lächerliche Spektakel zu beenden, „Ich lasse mich von Malie schminken und frisieren, aber das Kleid bleibt!“ Ihre Mutter schniefte noch einmal laut, gab Malie dann ein Zeichen, stolzierte aus dem Zimmer und knallte die Tür so sehr, dass Zefoni zusammen zuckte.
* * *
Eine Stunde später war Zefoni kaum wieder zu erkennen. Ihre Haare schimmerten und waren ordentlich hochgesteckt. Ihre Augen strahlten unter langen Wimpern und dunklen Lidern hervor. Die dunklen Ringe waren unter einer Schicht Puder verschwunden. Ihre Lippen glänzten blassrosa und rosa betonte auch das Rouge ihre Wangen. Sie war sehr hübsch, aber nicht sie selbst. Zefoni verabscheute ihr Spiegelbild jetzt noch viel mehr als zuvor. Sie ähnelte einem Püppchen und genau wie mit einem willenlosen Püppchen wurde mit ihr gespielt. Am liebsten würde sie sich mit den Händen durch die Haare gehen und mit ihren manikürten Fingernägeln die ganze Schminke wieder vom Gesicht kratzen, aber stattdessen zog sie sich ihre hochhackigen Schuhe an und ging nach unten in den Salon.
Ihr Vater saß in einem ledernen Lehnstuhl und rauchte eine teure Zigarre. Er war wie immer die Ruhe selbst. Ihre Mutter hingegen ging nervös im Raum auf und ab, kontrollierte es auf Sauberkeit und Ordnung wieder und wieder. Als sie Zefoni erblickte, die steif in der Tür stand hielt sie inne.
„Ja.“, sagte sie schließlich herablassend, „Ganz gut. Sicherlich hat Malie ihr Bestes gegeben. Was meinst du, Fernest?“ Zefonis Vater brummte „Gut so.“, ohne auch nur einmal von seinem Buch aufgeblickt zu haben.
„Danke, Vater.“, antwortete Zefoni sarkastisch, doch der nahm keine Notiz von ihr. Stattdessen redete ihre Mutter weiter.
„Und grad noch rechtzeitig. Lord und Lady U’Sarha müssen jeden Moment hier eintreffen. –Fernest, jetzt leg doch bitte dieses Buch weg und bereite dich vor. – Wie gesagt, sie kommen jeden Moment. Zefoni, ich möchte, dass du jetzt schnell deinen Bruder holst und dann soll er sich an das Piano setzten und du stellst dich daneben, so dass es so aussieht, als hättest du gerade zu seinem Spiel gesungen. Dann haben wir schon gleich ein Gesprächsthema, auf dass wir zurückgreifen können, wenn nötig. Hast du gehört, Fernest? Du erzählst dann, davon, wie sehr die beiden Musik lieben und so und – jetzt tu endlich dieses Buch weg! – Und du Zefoni erzählst ihnen von deinen Lieblingsliedern, aber nicht wie letztes Mal. Es interessiert keinen welche Tonart und welche Was-Weiß-Ich es hat. Sag einfach, dass du es magst weil… weil zum Beispiel Blumen drin vorkommen und du so gerne Blumenwiesen magst oder so–“
„Ich werde nichts dergleichen sagen, Mutter!“, unterbrach Zefoni ihren Redeschwall mit angewidertem Gesichtsausdruck.
„Du sollst doch nur nicht wieder mit dem ganzen hohen Zeug ankommen. Das interessiert hier keinen. Zu kluge Frauen sind schwierig und machen nur Ärger. Lord U’Sarha weiß das. Er wird es nicht mögen, wenn du über so was redest. Und jetzt geh schnell, hol deinen Bruder. Und erzähl ihm, was er tun soll!“
Dankbar ergriff Zefoni die Möglichkeit, den Salon zu verlassen. Besonders langsam stieg sie die Treppen hinauf, in das Turmzimmer, um das sie ihren Bruder beneidete. Man hatte von hier eine großartige Aussicht und wurde kaum gestört, denn keiner ging die vielen Stufen ohne einen wichtigen Grund hinauf.
Zefin lag in seinem Bett auf dem Rücken und schien zu schlafen. Doch als Zefoni näher kam, öffnete er die Augen und sah sie an.
„Du bist schön.“, sagte er nach einer kurzen Stille.
„Ich hasse es.“, antwortete Zefoni. Dann setzte sie sich neben ihn auf das große Himmelbett.
Sie hatte kein besonders enges Verhältnis zu ihrem Bruder. Er wurde, als zukünftiger Lord U’Escar von ihrem Vater verhätschelt. All die Aufmerksamkeit, die Zefoni sich immer gewünscht hatte, kam ihm zuteil. Diesem Neid wirkte ein großes Mitgefühl entgegen, denn sein Schicksal war so fest geschrieben, dass es fast größer als er selbst war. In manchen Momenten hatte sie ihm Trost gespendet, ihn in den Arm genommen und Geschichten erzählt. Dieselben, die sie damals so inspiriert hatten, ihn aber höchstens gruselten. Doch wenn dann ihr Vater kam und ihm beibrachte zu Fechten, mit ihm Reiten und Jagen ging, dann brannte in Zefoni eine so große Eifersucht, dass sie fast zum Hass wurde. Ihr einziger Schutz davor war, es auszublenden, ihn auszublenden. So hatten die beiden, obwohl sie dieselbe schwere Last trugen, hatten sie kaum die Chance sich gegenseitig zu stärken.
Gerade in diesem Moment wünschte sich Zefoni, es wäre anders gewesen. Sie brauchte jemanden, der sie hielt und ihr sagte, dass es in Ordnung war, dass alles gut werden würde, doch Zefin war erwachsener geworden. Er brauchte keine Umarmungen mehr, jetzt wo sie sie so nötig hatte. Ihr freier Rücken fühlte sich kalt und sehr nackt an.
Sie stand wieder auf und übermittelte Zefin die Botschaft ihrer Mutter. Gemeinsam gingen sie nach unten, wo sie von einer Bediensteten, wahrscheinlich von ihrer Mutter geschickt, eilends in den Salon geführt wurden. Wie befohlen stellte sich Zefoni neben ihren Bruder, der schwere Lieder am Piano spielte, und war ungewollt nervös.
* * *
Es kam ihr vor wie eine Ewigkeit, in denen die Klavierballaden absurd disharmonisch zu dem immer schneller werdenden Klackern der Absätze ihrer Mutter den großen Saal erfüllten, als das halb erwünschte, halb gefürchtete Klopfen an der Flügeltür eine abrupte Stille erzeugte.
„Herein!“, rief ihre Mutter heiser. Der Butler Garland öffnete die Tür und verkündete näselnd:
„Lord U’Sarha, Oberhaupt der Sarhari Istena und Herzog von Isten, mit Lady U’Sarha, Lord Lanset U’Sarha, Lord Leyon U’Sarha und Sir La’Zar aus dem Haus der Sarhari Istena.“ Hinter ihm betraten Personen den Salon. Zefoni blickte weg. Wenn sie ihn nicht ansah, würde es ihn nicht geben. Er wäre weiter der gesichtslose Junge aus ihren Tagträumereien, der sich zitternd vor Angst in der hintersten Ecke des Salons verkroch.
„Lord U’Escar, Oberhaupt der Escari Yonaka und Graf von Yonaka.“, stellte Garland weiter vor. Zefoni kniff ihre Augen fest zusammen, als könne sie so auch ihre Ohren verschließen. –„Lady U’Escar“ – Es half nichts. Sie konnte das gezierte Kichern ihrer Mutter hören und sogar, wie ihre teuren Schuhe über den Mamorboden schabten bei dem höfischen Knicks, den sie machte. – „Lord Zefin U’Escar.“ – ihr Bruder machte eine kleine Verbeugung und strich dabei mit seinem Ärmel an Zefonis vorbei. Sie konnte nicht länger so tun, als wäre das alles nicht real, als würde jeden Moment Vendan den Saal betreten, seine Zauber wirken und sie befreien. Sie musste sich fügen. – „und ganz besonders Lady Zefoni U’Escar.“
Als Zefoni aufblickte, sah sie etwas Unbegreifliches. Fassungslos starrte sie die Person an, die als letzte den Saal betreten hatte, die Garland als Sir La’Zar vorgestellt hatte. Sie ähnelte– Nein, es war Vendan. Dieser erwiderte ihren Blick gleichgültig und ohne ein Zeichen des Widererkennens.
Erst als Zefin sie unauffällig aber fest anstieß, wurde sie sich ihrer Situation bewusst und machte rasch einen Knicks. Als sie wieder aufsah, hatte Vendans Blick sich schon wieder von ihr abgewendet.