Homepage | Kalender | Mein Profil | Meine Post | Autorenliste | Buchshop
Poesie
Prosa
Verschiedenes
Werkstatt
Forum
Sonstiges

Prosa => Phantasy & SciFi


Winterwonderland - von sunshishi, 21.12.2008
Winterwonderland



Es lebte einmal ein kleiner Junge mit seinem Großvater in einer Welt voller Schnee und Eis.
Als der Junge erwachte, dampfte sein Atem in kleinen Wölkchen vor seinem Mund. Sein Schlaffell schmückten Eiskristalle und vor dem einfachen Zelt knirschten die Schritte des Großvaters im tiefen Schnee.
„Aufwachen, Tami!“, rief Großvater Nuuk, während er seine Hunde vor den Schlitten spannte.
Murrend kuschelte sich Tami tiefer in die Felle. Er mochte den frühen Morgen nicht, vor allem die Kälte.
Seine Finger waren steif gefroren.
Die Zehen spürte er kaum noch. Selbst tagsüber beim Laufen wurden sie nicht richtig warm.
Tamis Lippen bibberten.
„Es geht gleich los, Junge!“
Das Eingangsfell wurde zurückgeschlagen und Nuuk krabbelte herein.
Brachte einen frostklirrenden Wind mit, der Tami erschauern ließ.
„Wo bleibst du denn, Tami? Heute ist der große Tag.“
Sanft schüttelte er seinen Enkel und erhielt ein eisiges Schweigen. Großvater Nuuk setzte sich neben die Schlafstelle auf ein Sitzkissen und zog seine Fäustlinge aus. Er rieb seine Hände und blickte lächelnd auf den Fellberg hinab, unter dem Tami sich vergraben hatte.
„Weißt du“, sinnierte Nuuk, „mein Großvater hat mir früher mal eine Geschichte erzählt. Davon, weshalb wir den Schnee als unseren Verbündeten sehen sollten. Er war in der Jul-Nacht unterwegs zum Dorf seiner Geliebten, die später meine Großmutter wurde. Es hatte geschneit, die ganze Nacht hindurch und er war müde. Er wäre erfroren.“
Vorsichtig lugte Tami unter den Decken hervor und sah seinen Großvater aus neugierigen Augen an.
„Hilfe bekam er von einer zauberhaften Schönheit.“
Nuuk kicherte vor sich hin, während Tami sich aufrichtete und die Schlaffelle zurückschlug.
„Soll ich dir ihre Geschichte erzählen?“
Eifrig nickte Tami.
Großvater Nuuk rutschte sich auf dem Kissen zurecht und räusperte sich.
Dann begann er.
„Sie tanzte, wirbelte umher, schwebte empor und stürzte herab. Tanzte ohne Musik. Es war ihr erster Auftritt, umringt von ihren Schwestern. Unerkannt in gleicher Tracht drehte sie sich mit ihnen. Sie tanzte vor Freude.
Sie würde sie endlich richtig sehen. Würde ihnen nahe kommen, sie zum lachen bringen. Was hatte sie nicht alles von der großen Welt gehört. So lang war die Wartezeit gewesen. Manchmal war das Jauchzen bis zu ihr gedrungen. Die Alten erzählten, dass es knirschte, wenn die Menschen durch die frisch gedeckte Landschaft stapften. Ihre Schwestern berichteten von klirrenden Eiszapfen, in denen sich das Sonnenlicht brach und bunte Reflexionen warf. Weiße Wölkchen dampften aus den Mündern der Menschen und malten Kringel in den Wind. Schornsteine rauchten, Kerzen glommen. Hinter klaren Scheiben saßen Kinder und beobachteten die Kunstwerke der Schwestern, die sie an die Fenster zauberten. Bald würde sie alles selbst erleben.“
„Woher weißt du all das?“, wollte Tami wissen und sah seinen Großvater skeptisch an.
„Sie hatte ihm von ihrer Reise berichtet und davon, was ihre Schwestern alles in der großen, weiten Welt gesehen hatten“, lächelte Nuuk. „Darf ich weiter erzählen, was sie gesagt hat?“
Tami schwieg und der Großvater fuhr fort.
“Sie kreiselte dem großen Weiß entgegen, voller Erwartungen.
Aus der gleichförmigen Masse tauchten dunkle Formen auf. Tannen wuchsen in den Himmel. Einige ihrer Wegbegleiter ruhten sich auf ihnen aus. Weiter unten entdeckte sie eine andere Silhouette. Aufgeregt hüpfte sie zwischen ihren Schwestern umher. Sie konnte ihr Glück kaum fassen.
Ein Mensch! Direkt vor ihr. Nichts würde ihre Begegnung aufhalten. Es würde nicht mehr lange dauern.“
Nuuk unterbrach die Geschichte erneut und versank in stiller Erinnerung an seinen Großvater. Was musste bei diesem ersten Zusammentreffen in der eisigen Schönheit vorgegangen sein?
“Komisch sah er aus. Was machte er da? Schlief er? Er lag ausgestreckt auf der weichen Decke, die ihre älteren Schwestern unter ihm ausgebreitet hatten. Sie berührte seinen schwarzen Wuschelkopf. Die steifen Haare piekten. Glitzerten Menschen? Sie purzelte durch die Locken, kullerte seine Stirn hinab und kam auf seiner Nasenwurzel zum Halten.
Ein blasses Gesicht.
Seine Wimpern schimmerten weiß. Menschen sahen so nicht aus! Man hatte ihr berichtet, dass sie rosige Haut hatten.
Etwas stimmte nicht. Er war viel zu kalt.
Die Schwestern, die sie begleitet hatten, deckten ihn fürsorglich zu. Er sollte aufwachen und sich bewegen. Sie stupste ihn an, doch er rührte sich nicht. So sollte ihre erste Begegnung nicht ausfallen. Lustig hatte sie es sich vorgestellt. Das hier war traurig. Keine lachenden Gesichter, keine haschenden Hände.
Der weite Weg umsonst.
Dieser Mensch würde sie nicht einmal sehen, nicht spüren. Er war viel kühl, um etwas zu fühlen. Sie rutschte auf seine Nasenspitze und sah hinab. Seine Lippen zitterten. Warum freute er sich nicht über die weiße, glitzernde Pracht? Ihre Schwestern hatten sich viel Mühe gegeben. Jetzt weinten sie. Glasklare Tropfen perlten von seinem Umhang. Allein mit dem unbeweglichen Menschen machte es keinen Spaß. Traurigkeit überkam sie. Einer silbernen Träne gleich floss sie über seine rote Nasenspitze, verweilte einen Moment. Ob sie ihn zum Lachen bringen konnte, wenn sie ihn kitzelte? Seine Nase zuckte. Er nieste. Sie flog – ohne zu tanzen, aber voller Glück.
Sie hatte ihn ins Leben zurück geholt und sich selbst dafür aufgegeben.“
Einen Moment lang wirkte Nuuk traurig, aber schnell kehrte das Lächeln in seine Augen zurück.
„Sie trat eine neue Reise an, brach auf zu großen Abenteuern und kehrte vielleicht in ihre Heimat zurück.“
Mit dem Finger deutete er nach oben.
Langsam erhob er sich und kroch auf den Ausgang zu. Dann winkte er Tami, der ihm grinsend folgte. Vor dem Zelt schauten sie beide zum Himmel empor. Die Sonne erstrahlte am blauen Himmel.
„Wenn du Glück hast, wird sie uns auch besuchen und uns von ihrer Reise erzählen.“
Tami freute sich, als er den Hundeschlitten bestieg und zu seinem ersten Jul-Fest aufbrach. Den Schnee sah er mit völlig neuen Augen. Selbst seine kalten Zehen waren vergessen.
Sie erreichten am Abend den Festplatz, der von vielen Iglus eingekreist war. Schnell versorgten sie ihre Tiere und setzten sich dann zu den anderen ans Lagerfeuer. Eine alte Schamanin stand im Mittelpunkt, hielt einen Stab mit Krallen von Eisbären und knöchernen Perlen.
„Willkommen zum Jul-Fest. Lasst uns die Sonne grüßen, die in den kommen Tagen zu uns zurückkehren wird und preisen wir sie durch das Licht.“
Sie machte eine Handbewegung in Richtung des Lagerfeuers, welches hoch empor flammte mit einem gleißenden Zischen. Nach großem Staunen und bedächtigem Schweigen brach Redseligkeit und Gelächter aus. Die Schamanin nickte lächeln und rasselte mit ihrem Stab.
„Wer kann uns eine Geschichte erzählen, um den Winter gebührend zu verabschieden?“
Schweigen.
Betretenes zu Boden sehen.
Da erhob sich Tami und schritt mit leuchtenden Augen in den Kreis, um die Geschichte seines Großvaters und dessen Großvaters vorzutragen.



I laugh in the face of danger - then I hide till it goes away.



©2008 by sunshishi. Jegliche Wiedergabe, Vervielfaeltigung oder sonstige Nutzung, ganz oder teilweise, ist ohne vorherige schriftliche Genehmigung des Autors unzulaessig und rechtswidrig.

Kommentare


Von NicoleKiefer
Am 22.12.2008 um 15:03 Uhr

Eine wunderschöne Kurzgeschichte zur Winterzeit, sowohl Sprachlich als auch Inhaltlich sehr gut gelungen. Besonders die Poetische Formulierung der Geschichte des Großvaters gefällt mir sehr gut.

Bewertungen

Bewertung: 1.5/6
(8 Stimmen)

Es gibt 1 Kommentar


Aktionen


QR-Code als Direktlink


Werbung


Suchwolke