Prosa => Alltag
Gute alte Freunde - von Katzenfreundin, 17.06.2004
Gute alte Freunde
Schnaufend laufe ich die Hauptstraße lang. Nur noch zehn Minuten Zeit um den Bus zu erreichen. Das wird knapp.
Plötzlich kommt mir eine Frau in die Quere.
"Entschuldigung!" kommt aus unser beiden Munde. Dann eine freudige Überraschung.
"Mensch, Helga, bist du es wirklich?" frage ich sie.
Herzliche Umarmung, kurze Musterung.
"Du hast zugenommen", sind ihre ersten kritischen Worte.
"Wie geht es dir?" frage ich sie.
"Schlecht!" klagt sie. "Horst ist ständig geschäftlich unterwegs. Sein Gehalt reicht gerade mal für das Nötigste."
Ich begutachte ihre helle Pelzjacke und wundere mich.
"Hast du Zeit?" möchte sie wissen. "Wir haben uns lange nicht gesehen."
Und schon sitzen wir in einem kleinen Café und trinken eine Tasse Kaffee.
Helga hat viel zu erzählen. "Stell dir vor, Maria hat ein uneheliches Kind und weißt du von wem? Du wirst nie darauf kommen. Von unserem Mathelehrer Herrn Jansen. Ja und Sabine lebt mit einem Farbigen zusammen," berichtet sie empört.
Ich schaue gelangweilt auf die Uhr. Eine Stunde vergeht, zwei Stunden vergehen und dann endlich ihre Frage:
"Sag mal, wie geht es eigentlich dir?"
Ich beginne zu erzählen, berichte von meinem Mann und von meinem Job als Sekretärin. Stumm sitzt sie mir gegenüber, sieht nachdenklich in die Luft und fängt von neuem zu erzählen an. Über ihre langweilige Ehe. Nie ist ihr Mann zu Hause, klagt sie, immer muss sie abends ausgehen, weil sie nicht alleine sein will. Sie ist nervös, raucht eine nach der anderen und ich trinke meinen fünften Kaffee.
"Langsam muss ich aufbrechen", meint sie schließlich. "Es ist schon spät! Es war nett, dich einmal wieder zu sehen."
Ich gebe ihr recht und begleite sie zu ihrem tollen BMW.
"Wie kommst du jetzt nach Hause?" fragt sie mich.
"Mein Auto ist in der Werkstatt", erkläre ich. "Ich muss wohl ein Taxi nehmen."
Sie schweigt. Ihr nachdenklicher Gesichtsausdruck bedeutet wohl, sie überlegt.
"Steig ein!" sagt sie kurz. "Ich fahre dich nach Hause."
Schweigend nehme ich neben ihr Platz. Sie zündet sich erneut eine Zigarette an. Wie viele sie am Tag raucht, will ich von ihr wissen.
Ein Schulterzucken von ihr folgt. "Keine Ahnung. Ich zähle sie nicht."
"Habt ihr keine Kinder?" frage ich sie.
Sie dreht den Kopf zu mir und sieht mich überrascht an. "Ja, natürlich! Ich habe vergessen, es zu erwähnen. Ich habe eine Tochter. Sie ist zwei Jahre alt."
"Wo ist die jetzt?" erkundige ich mich.
Sie erzählt von ihrer Mutter. Die ist krank, leidet an Diabetes und hohem Blutdruck und kümmert sich um die Helgas Tochter.
Gott sei Dank! Ich atme förmlich auf, als ihr Wagen vor unserem Haus hält. Hastig verabschiede ich mich.
"Bis zum nächsten Mal!" ruft sie mir nach. "Ruf doch mal an! Ich stehe im Telefonbuch."
"Werde ich machen", verspreche ich ihr.
In unserem Haus atme ich erst einmal tief durch. Mein Mann hat schon auf mich gewartet und ich mache Abendbrot für uns beide.
Und dann denke ich mit Wehmut an jene Zeit, in der Helga und ich zusammen zur Schule gingen. Wir waren die besten Freundinnen, die durch dick und dünn gingen. "Siamesische Zwillinge", haben viele uns spöttisch genannt.
Wie sich die Zeiten doch ändern.
Von Ronin
Am 01.07.2004 um 23:33 Uhr
kann mich meinen Vorrednern nur anschließen.
Die Geschichte ist gut geschrieben und passt ganz hervorragend in die Rubrik "Alltag", denn das ist wirklich alltäglich (man schaue sich nur mal zwei Leute an, die sich zufällig im Supermarkt mal wieder treffen. Der Dialog schön oberflächlich und beendet wird es mit dem klassischen "Wir telefonieren" und das war es).
Schnelllebige Welt :-(
Von Asrai
Am 25.06.2004 um 20:04 Uhr
Menschen werden immer egoistischer.
Von Webmaster
Am 23.06.2004 um 19:05 Uhr
>Wie sich die Zeiten doch ändern.
Wie wahr, wie wahr.
Ich denke, diese Geschichte hat wirklich jeder schon erlebt und wie sich die Zeiten, vor allem die Menschen in diesen Zeiten ändern.
Wie oft wünscht man sich die Vergangenheit zurück. Wie es früher einmal war. Einen Menschen, mit dem man sehr verbunden war.
Dann ging man neue Wege und verlor sich aus den Augen, aber diese Zeit, die einem fehlte, wird man nie wieder überbrücken können um nahtlos da weitermachen zu können, wo man aufhörte.
Eigentlich schade, vor allem, wenn es sehr gute Freundschaften waren, die ein oder mehr Jahrzehnte anhielten, oder aber eine alte Liebe die man nie vergisst.
Viele Grüße,
Michael