Ich habe nun ein kleines Häuschen mit Bootsanleger in meiner Heimatstadt Lübeck. Es ist keine pompöse Luxusvilla mit vergoldeten Wasserhähnen und Italienischem Marmor, aber es bietet mehr als ausreichend Platz für Freunde und Familie. Der finanzielle Erfolg eines Autors ist nicht mit dem eines Popstars gleichzusetzen, aber meine Frau und ich sind mit dem, was wir haben, mehr als glücklich.
Sechshundert Quadratmeter umfasst unser Grundstück , das gleichermaßen zu vier Teilen in Rasenfläche, Gemüsegarten, Terrasse und ein traumhaftes, duftendes Blumenbeet aufgeteilt ist. Zwischen weißen Rosen bilden rotfarbene die Form eines Herzens, das die Initialen meiner Frau und mir beinhaltet. Diese sind wiederum gelb und ein Ausdruck unserer Freude.
Es ist Samstag und ich mähe den Rasen. Ich mag den Duft der nun in der Luft liegt. Unser Hund Felix tollt mit dem Nachbarssohn herum und gewöhnt sich so schon mal an Kinder. Während ich sorgfältig die Rasenkante schneide, steht meine schwangere Frau am Schlafzimmerfenster im ersten Stock unseres Einfamilienhauses und schüttelt die Bettdecke aus. Eine Feder der Decke schwebt langsam zu Boden und landet auf der Terrasse vor der Glasschiebetür zur Küche. Aus dieser tritt Timo heraus und begrüßt mich mit einem Lächeln.
“Guten Tag” sprach er fröhlich in seinem Tarnanzug. Daraufhin fragte ich ihn forsch wo die Meldung sei. Er schreckte zurück und ich lachte. Ich war Schichtführer im Offiziersheim und Timo hatte gerade seine Grundausbildung beendet. Wir kamen aus der gleichen Stadt, kannten uns aber nicht. Es dauerte nicht lange bis er mein Stellvertreter wurde. Die Fluktationsrate bei der Bundeswehr ist durch den Wehrdienst sehr hoch. Außerdem hatte auch er schon Erfahrungen in der Gastronomie. Das ist bei gastronomischen Einrichtungen der Bundeswehr nicht selbstverständlich. Der faule Jan war in seinem zivilistischen Dasein Informatiker, Marcel war Erzieher oder wollte es nach seinem Wehrdienst werden und unser Koch war eigentlich Klempner. Trotzdem veranstalteten wir Hochzeiten, Geburtstage oder militärische Festlichkeiten.
Als Ordonnanz, Kellner beim Bund, arbeitet man sieben Tage von Morgens bis Nachts und hat im Anschluss sieben Tage frei. Zwei Wochen Arbeit im Monat für 1100 € netto zuzüglich der Miete seiner zivilen Wohnung. Ich wohnte damals allerdings noch bei meinen Eltern.
Torge, der kochende Klempner, der morgens um 7 Uhr in einem weißen T-Shirt in der Küche stand und trotz durchzechter Nacht lautstark Heavy Metal hörte, machte das beste Rührei, das ich jemals gegessen hatte. Micha war hochgradig schwul und zickiger als jede meiner Exfreundinnen. Wir waren eine Schicht und hockten von morgens bis abends aufeinander. Zudem teilten Timo und ich uns eine Stube. Wir fuhren nach unserer Dienstwoche gemeinsam mit dem Zug nach Lübeck und es dauerte nicht lange, bis wir auch in unserer Freiwoche etwas zusammen unternahmen.
Wir nehmen in der Sitzecke unserer Terrasse platz und trinken jeder eine Tasse Kaffee. Meine Frau bringt die Plätzchen, die sie heute morgen gebacken hat. Sie sind noch warm. Es ist ein altes Rezept ihrer Großmutter.
Timo und ich gehen in die Garage zu meinem neuen Auto. Es ist ein alter, restaurierter Mini Cooper, den ich mir neulich gekauft habe. Mit dem Erfolg dieses Buches erfüllte ich mir den Traum von diesem Zweitwagen, den ich nur an schönen Tagen fahren werde. Er ist in Porschesilber lackiert, hat eine dunkelblaue Volllederausstattung, Chromarmaturen und ein dunkelblaues Stoffknöpfverdeck. Der neu aufbereitete Motor hat eine Leistung von 63 PS, die für dieses Fahrzeug völlig ausreichend sind. Wir drehen eine Runde durch die Alleen unseres Wohngebietes, genießen den warmen Fahrtwind und planen die Überraschungsparty seiner Frau anlässlich ihres Geburtstages. Nach der kleinen Wochenendfahrt entferne ich mit einem Ledertuch den Vogelschiss von der Motorhaube meines kleinen Flitzers. Sanft streiche ich über den Kotflügel bevor ich das Garagentor hinter uns schließe. Ich fasse noch einmal nach, um zu prüfen, ob das Schloss auch ordentlich eingerastet ist, bevor ich mich auf den Weg zur Terrasse mache. Dort liegt in einem kleinen Schrank das Schachbrett, dass er und ich uns vor Jahren gemeinsam kauften.
Timo brachte mir das Schachspielen bei. Nach dem Frühstücksgeschäft blieb viel Zeit für außerdienstliche Beschäftigungen. Jan, der ununterbrochen mit seinem Game Boy spielend am Tresen saß, war ein gern gesehenes Opfer unserer kreativen Langeweile. Wir bewarfen ihn so lange mit Papierschnitzeln, bis er wütend reagierte. Das konnte schon viel Zeit in Anspruch nehmen. Jan saß einfach stur auf seinen kleinen Bildschirm starrend dort. Plötzlich bewegten sich ca. 100 Kilo, verteilt auf eine Größe von 172 cm, vom Stuhl und rasten mit einem lauten Schrei und einer geballten Faust auf einen zu. Traf die Faust, gab es einen riesigen blauen Fleck. An Tagen, an denen die allgemeine Stimmung extrem angespannt war, meistens gegen Ende einer Schichtwoche, kam es auch vor, dass der Inhalt eines 10 Liter Wassereimers einem ins Gesicht schoss. Meistens traf es aber Jan.
Unsere Kreativität erweiterte sich im Laufe der Zeit. Reißzwecken auf Stühlen, Zahnpasta in der Nase eines schlafenden Kameraden oder Schläge auf den Hinterkopf, auf die Schulter oder den Oberschenkel waren alltäglich. Nach dem Mittagsgeschäft ließ Jan uns, natürlich auch zu seinen Gunsten, für zwei Stunden zum Sport gehen.
Am Nachmittag gehen meine Frau und ich Hand in Hand am Wasser spazieren. Die Sonne scheint und es klingt als würden die Vögel unser Lied singen. Sie gibt mir einen Kuss und lächelt mich anschließend mit halb geöffnetem Mund an. Ihre Augen glänzen und in ihnen spiegelt sich mein Gesicht. Felix bringt das Stöckchen, das ich kurz zuvor warf, zurück und wedelt mit seinem Schwanz. Er ist ein guter Hund. Wir machen uns auf den Weg nach hause. Auf den Weg dorthin nehme ich Felix an die Leine, damit er nicht durch die gepflegten Vorgärten unserer Siedlung läuft.
Auf dem Weg nach hause entschloss ich mich eine eigene Wohnung zu mieten. Zwei Tage später hatte ich meinen ersten Besichtigungstermin mitten in der Innenstadt. Die Wohnung war nicht weit von dem Wasserturm, in dem Timo wohnte und den Diskotheken und Bars, die wir gerne besuchten, entfernt. Als ich dann vor der zu besichtigenden Wohnung stand und sich die Tür öffnete, war es um mich geschehen. Lange dunkle Haare, volle Lippen, ungeschminkte, zart rosafarbene Haut, Augenbrauen und Nasenpiercing, ca. 170 cm groß und 50 Kilo leicht. Die Wohnung war von nun an nebensächlich. Ich wollte diese zarte, unschuldig wirkende Frau kennenlernen. Ich nahm das mehrfache Ausmessen der Wohnung als Vorwand sie in den nächsten Tagen häufiger zu sehen um den richtigen Moment abzuwarten, sie auf einen Drink in einer meiner gern besuchten Bars, einzuladen. Sie war schüchtern und trank Bier. Ich mag Frauen, die Bier trinken. Ich mietete die Wohnung im dritten Stock eines alten Wohnhauses.