Teil I
Da stehst du nun mit den Koffern in der Hand und du weisst, du musst da jetzt für fünf Monate hinein, und das nur weil du dich nicht beherrschen konntest, dich zu einem Duell auf offener Straße hinreissen ließt. Ein Gehen müssen, das dir eine höhere, nicht greifbare Obrigkeit aufbürdete, von der Ungewissheit begleitet, ob man da auch heil wieder herauskommt.
Das Tor öffnet sich, und vor deinem Angesicht breitet sich die karge kalte Zelle aus. Das sich darin befindliche Metallbett, das kleine Tischchen und der Stuhl, der durch das Gitterfenster schwach einfallende Lichtstrom, die kahlen Wände, sie stehen dir unwirtlich gegenüber, wie du ihnen als Gast nicht dienen willst. Sie wirken trostlos und traurig, noch viel deprimierender als du es selbst schon bist. Unbehütet und mit Unbehagen betrittst du die Zelle. Das Geräusch der hinter dir einrastenden Zellentür verursacht dir Augennässe, doch Weinen funktioniert nicht, die Tränen stocken zwischen deiner Selbstachtung und Ausweglosigkeit.
Und wie du die graue Flanelldecke des ordentlich zugerichteten Bettes auseinandernimmst, um dich in ihr zu wärmen, wird die Zellentür aufgeschlossen und eine schroffe Stimme, die einem schnauzbärtigen, kleinwüchsigen Wärter entstammt, befiehlt dir, mitzukommen.
In Schatten des Wärters schreitest du den mit Zellen gesäumten Gang voran, du bist nervös und deine Schritte haben nicht die gewohnte Koordination, weil du deinen Fuß gedanklich schon früher auf den steinigen Boden setzt. Beinahe ständig gerätst du deswegen in Sturzgefahr. Du bist erleichtert, dass dich der Wärter, vor einer dunkelgrünen Tür angekommen, auffordert, stehenzubleiben.
Der Wärter verschwindet hinter der dunklengrünen Tür und lässt dich wartend zurück. Minutenlang stehst du da und starrst auf diese Tür, aber es tut sich nichts, keiner scheint sich um dich zu kümmern. Um dem hässlichen Dunkelgrün zu entfliehen, schließt du die Augen. Aber statt der erwarteten Dunkelheit des Nichts projiziert sich ein Bild, das einen kleinen Jungen zeigt, auf die Rückseite deines Augenlides. Fröhlich und unbekümmert sitzt der Junge in einem Zimmer von Spielzeugen umgeben auf dem Fußboden.
Für einige Momente bringst du die Kraft auf, deinen Schwermut beiseite zu schieben und ein gequältes Lächeln entweicht deinen Lippen.
Jäh reißt du die Augen auf, als du mit den Worten „Herr Markus M., Häftling Nr. 7853, bitte eintreten!" gerufen wirst. Erst jetzt bemerkst du, dass die Tür zum Zimmer, vor der du verharrtest, offen steht und du erblickst einen hinter einem aus hellem Kieferholz gefertigten Schreibtisch sitzenden glatzköpfigen Beamten. Er hebt sich vom grünuniformierten Exekutivpersonal dadurch ab, dass er eine blaue Uniform, die offensichtlich aus einem Stoff besserer Qualität geschneidert ist, trägt. „Herr M., ich heiße Sie herzlich willkommen in unseren Gemäuern.", ruft der Beamte in herrischem Tonfall und fügt warnend hinzu „Wir legen hier größten Wert auf Zucht und Ordnung, hier gelten andere Gesetze als draußen. Sollten Sie auch nur den geringsten Versuch unternehmen, diese Gesetze zu mißachten, dann werde ich persönlich die Verantwortung für Ihre Bestrafung übernehmen! Ich gehe davon aus, dass Sie verstehen, was ich damit sagen will!". „Ja natürlich!", ist deine blitzartige, unbedachte Antwort. Es scheint, als ob der blauuniformierte Beamte auf eine verbale Äußerung solcher Naivität lediglich gewartet hätte. Wie inszeniert und schon unzählige Male vorgeführt, hievt der Beamte sich derart theatralisch auf die Beine, dass der Stuhl, rückwärts auf den Boden kippt. Er beginnt zu brüllen, was du dir eigentlich einbildest, dieses Zimmer, in dem er seinen Dienst tut, akustisch zu verunglimpfen. Er wird dir schon noch beibringen, mit der Demut Freundschaft zu schließen und was Gehorsam und Disziplin bedeuten.
Der Wärter, der dich hierher führte, packt dich am linken Arm und zerrt dich aus dem Zimmer. Nach Verlassen des Zimmers stoßt ein zweiter Wärter dazu, der den anderen Arm umschlingt. Von den Wärtern in die Mangel genommen, wirst du den Gang entlang gezogen, die Wendeltreppe hinunter in den Keller und dabei werden die beiden immer schneller, bis sie Laufschritt erreichen und du es aufgibst, ihr Tempo mitzugehen. Die Wärter bleiben davon unbeirrt und tragen dich rasant weiter. Die bewegte Reise findet ihr abruptes Ende in einem dunklen Verlies, das im letzten Winkel des Gebäudes seinen Platz hat und dich – so kommt es dir jedenfalls vor – offensichtlich schon herbeiwünschte.
Fortsetzung folgt