Wieder in der Kaserne angekommen verging keine Minute, in der ich nicht an sie denken musste. Wir telefonierten zwar täglich zwei Stunden miteinander, aber es reichte mir nicht. Es dauerte also nicht lange, bis ich an den Wochenenden für unseren Feldwebel duschen, schlafen, beim Sport oder in der Stadt war. Ich möchte meinen Kameraden nochmals dafür danken, dass sie mich mit ihren Ausreden deckten und mir somit ermöglichten, von Freitag bis Sonntag bei ihr gewesen sein zu können. Hatten wir Veranstaltungen, war ich selbstverständlich zur Stelle und fuhr erst im Anschluss zu ihr. Der Bundeswehrausweis ermöglicht es, so oft Bahn zu fahren, wie man möchte. Es gab Wochenenden, an denen ich drei Mal hin und her fuhr. Sechs Fahrten mit je 120 Minuten Fahrzeit für jeweils drei Stunden mit ihr. Obwohl wir uns nur unterhielten und Zeit mit Gesprächen über das Leben verbrachten fühlte ich mich ihr sehr nahe.
Am Abend stehen wir gemeinsam in unserer Küche. Sie ist neu. In der Mitte befindet sich eine Kochinsel, die wir mit einem Gasherd ausstatten ließen. Wir kochen gerne mit Gas. Es gibt Rouladen. Wir bereiten sie nach einem alten Familienrezept zu. Speck, Senf und Gurken. Dazu essen wir Stampfkartoffeln. Die Kartoffeln sind aus dem Kleingarten ihrer Eltern. Die schmecken viel besser als die gekauften. Der Wasserkocher geht aus und ich gieße eine Kanne Tee auf. Zum Abendbrot trinken wir immer Anistee mit einem Teelöffel Honig. Nach dem Abendbrot räume ich das Geschirr in die Spülmaschine. Ich sortiere die Teller nach Farbe und Größe. Das Besteck stelle ich mit dem Griff nach unten in den Korb. So wird es richtig sauber.
Im Anschluss daran setze ich mich zu meiner Frau auf das Sofa. Im Fernsehen läuft eine Krimiserie, die wir jeden Samstag schauen. Wir rätseln immer darüber, wer der Mörder ist. Meistens rät meine Frau richtig. Auch heute.
Bevor ich ins Bett gehe, stelle ich die Zeitschaltuhr unseres Kaffeevollautomatens auf 10 Uhr.
Der Duft des Kaffees zaubert mir ein Lächeln auf die Lippen. Ich blicke zur Seite und sehe ihr beim Schlafen zu. Sie hat einen tieferen Schlaf als ich. Ihre Haut reflektiert das Sonnenlicht, das durch unser Schlafzimmerfenster scheint. Ich stehe auf und gehe duschen. Danach ziehe ich die Kleidung, die meine Frau mir gestern Abend zurecht gelegt hat, über und gehe die Treppe hinunter. Felix sitzt mit seinem Schwanz wedelnd vor der unteren Treppenstufe. Er kommt nicht nach oben. Ich tätschle sein Köpfchen und gehe in die Küche um ihn in den Garten zu lassen. Er macht allmorgendlich an den Komposthaufen. Mein Lieblingsbecher steht in der rechten Seite des Hängeschrankes über der Spüle. Ihn ziert das Motiv einer kleinen schwarzen Katze.
Mittlerweile ist meine Frau aufgestanden. Sie steht in ihrem weißen Bademantel vor mir, gibt mir einen Kuss und greift zu ihrem Kaffeebecher. Ich schenke ihr ein. Wir setzen uns an den zuvor von mir gedeckten Frühstückstisch.. Die Sechsminuteneier sind mit dem klingeln der Eieruhr fertig. Meine Frau schlägt das obere Drittel ihres Eies mit dem Messer ab und löffelt zuerst das abgeschlagene Teil aus. Ich hingegen klopfe mit der Spitze des Eis dreimal auf den Tisch bis die Schale bricht. Nun befreie ich das obere Drittel des Eies von seiner Schale, die ich wiederum in den Eierbecher lege. Ich stelle das zu einem drittel gepulte Ei auf die Schale in den Eierbecher und beginne es zu essen. Die Sonnenstrahlen schimmern durch das schwarze Haar meiner Frau auf den weißlackierten Küchentisch.
Ihr leicht alternatives Aussehen traf meinen Geschmack auf den Punkt. Sie war nicht eine dieser “Tussis”, obwohl auch sie ewig im Badezimmer vor dem Spiegel stand und sich zurecht machte, bevor sie abends wegging. Sie zog sich mehrfach um, bis sie am Ende doch wieder das anbehielt, was sie vor der Arie vor ihrem Kleiderschrank trug. Ich fand es süß. An einem Abend kochte ich für sie in Ihrer Wohnung. Sie war gerade eingezogen, weil ich ja der Nachmieter ihrer alten Wohnung war. Es gab Steinbutt auf grünen Bandnudeln. Am Nachmittag kaufte ich dafür ein. Ich war aufgeregt wie ein kleiner Schuljunge vor seinem ersten Kuss. Sie mochte es, glaubte ich, denn sie aß den Teller leer. Ich kann mich noch an meine zittrige Aussprache erinnern, die es mir fast unmöglich machte, auch nur einen vollständigen Satz heraus zu bringen.
Nach dem Essen und einer Flasche Rotwein aus dem Supermarkt um die Ecke wurde ich ruhiger. Sie stand auf und umarmte mich zaghaft. Ich fühlte mich unwohl. Es war die erste bewusste Umarmung zwischen uns. Sie nahm meine Hand und zog mich zum Sofa. Kerzen leuchteten, Räucherstäbchen glimmten und im Hintergrund spielte eine ruhige Loungemusik.
Ich lag mit dem Rücken auf dem kleinen dunkelblauen Sofa. Sie lag auf mir, ich berührte mit beiden Händen ihren Rücken, in den ich mich gleich verliebte. Ihr Rücken wurde zu einer meiner Lieblingsstellen ihres Körpers. Ihre langen, dunklen, leicht gewellten Haare hingen mir ins Gesicht und ich spürte den Atem, der sich nach einiger Zeit mit leichtem Stöhnen verband. Wir küssten uns zum allerersten Mal. Es war ein langer Kuss, die CD begann von vorne und wir redeten bestimmt zwei Stunden nicht. Wir berührten und küssten uns nur. Langsam bewegte sie sich auf mir hin und her, rieb ihr Unterleib an meinem. Trotz Kleidung spürte ich sie intensiv. Dann fragte sie mich, ob es mir zu schnell ginge, wenn wir jetzt mit einander schlafen würden. “Nein.”
Sie ging ins Badezimmer. Ich war nervös als wenn es mein erstes Mal werden würde. Sie war wunderschön. Ich wollte sie halten und nie wieder loslassen. Sie kam aus dem Badezimmer zurück und sagte, dass sie nicht rasiert sei, da es in der letzten Zeit ja nicht notwendig gewesen wäre. Sie lächelte und zog sich aus. Dann knöpfte sie meine Hose auf. Ich half ihr dabei mich auszuziehen. Sie setzte sich auf mich, ich berührte erneut ihren Rücken, der diesmal nackt war. Ich spürte ihre Haut, dann wie ich langsam in sie eindrang. Es gab nichts um uns herum, wir waren eins, kein Zeitgefühl, keine Musik und keine Gedanken.
Ich schaue auf den Tisch und überlege, ob ich Marmelade oder Konfitüre esse. Der Geruch des warmen Toasts zieht in meine Nase und ich greife zu dem selbstgemachten Pflaumenmus. Ich nehme es mit einem Löffel aus dem Glas und lasse es auf die Scheibe Toast fallen. Nun verstreiche ich das Mus mit meinem Frühstücksmesser und verteile dabei die Pflaumenstückchen gleichmäßig auf dem Brot. Meine Frau lächelt. Genüsslich trinkt sie ihren Kaffee. Felix sitzt neben ihr auf den kremfarbenen Küchenfliesen und wartet darauf, dass einer von uns etwas fallen lässt. Er lungert aber nicht.
Am Mittag fahren wir zu meinen Schwiegereltern. Sie wohnen in einem kleinen Dorf nur wenige Kilometer von uns entfernt. Der Schäferhund steht am Zaun und kläfft. Wir parken unseren Kombi auf der Auffahrt. Ich gehe zum Kofferraum, öffne ihn und lasse Felix heraus. Er läuft zu Aslan und begrüßt ihn. Während die beiden Hunde durch den Garten toben, gehen wir über die Veranda ins Haus. Elke, die Mutter meiner Frau, sitzt in ihrer Schürze auf der Eckbank am Küchentisch und schält Kartoffeln. Um uns zu begrüßen legt sie das Schälmesser auf der Wachstischdecke ab und erhebt sich.
Manfred, ihr Mann, sitzt im Wohnzimmer in seinem Sessel und liest die Sonntagszeitung. Nebenbei flimmert lautlos der Fernseher. Er blickt über sein Brillengestell und sieht uns freudig an. Die Zeitung legt er mit dem Teil der Todesanzeigen aufgeschlagen neben sich auf den kleinen, runden Beistelltisch. Er nimmt die Brille ab, klappt sie zusammen und steckt sie, während er aufsteht um uns ebenfalls zu begrüßen, in seine Hemdtasche. Er trägt ein kleinkariertes Baumwollhemd dessen Ärmel er hochgekrempelt hat. Vor uns stehend schaltet er den Fernseher aus, umarmt seine Tochter und klopft mir auf die Schulter. Die Hunde stehen hechelnd vor der Terrassentür. Manfred lässt sie ins Haus und bittet Elke, die beiden mit Wasser zu versorgen. Schlappernd stößt Felix gegen den Napf und verschüttet die Hälfte des Inhaltes auf der dunkelbraunen, von weißen Pferden gezierten Wolldecke, die zum Schutze des neuwirkenden Teppichbodens dient. Ich ermahne ihn mit erhobenem Zeigefinger und rücke vorsichtig den Trinknapf zurecht.
Während des gemeinsamen Mittagessens erzählt Elke von den Enkeln ihrer Nachbarn. Sie kommen regelmäßig rüber um Aslan für einen kleinen Spaziergang im Dorf abzuholen. Sie lieben ihn und er bekommt reichlich Auslauf wenn die Jungs mit ihm über die Felder rennen. Elke und Manfred können in ihrem Alter nicht mehr soviel mit ihm rumtollen. Ich greife zu der blaubeblümten Porzellanschale um mir noch einen Nachschlag an Petersilienkartoffeln aufzufüllen. Sie sind ausgezeichnet. Gemüse liegt noch ausreichend auf meinem Teller. Wir beginnen ein Gespräch über meinen Schwager zu führen. Er ist Betriebswirt und arbeitet in einem mittelständischem Betrieb. Seine Frau arbeitet halbtags als Kassiererin in einer Drogerie. Sie haben zwei Kinder und ein kleines Häuschen im Nachbardorf. Thomas, mein Schwager, hat sich gerade eine neue Mittelklasselimousine bestellt. Nächste Woche fährt die Familie nach Wolfsburg, um das neue Auto abzuholen. Felix liegt mit seiner Schnauze auf meinem Fuß und schnauft. Manfred greift zum dritten Mal zu der Schale, aus der er sich die letzten zwei Kartoffeln nimmt. Gemüse ist noch reichlich da. Felix erhebt sich und geht zur Tür, vor der auch Aslan bellend steht. Es klingelt und Elke steht auf, um den Enkeln von nebenan die Tür zu öffnen.