Inshallah
Er sah auf den Wecker auf dem Nachttisch. 10.00 Uhr war es.
Länger geschlafen als sonst hatte er.
Hakim zog sich so an, als würde er zu einem Fest gehen. Als er in die Küche kam, sah er seine Frau, sie bereitete das Mittagessen vor. Sein Sohn spielte in einer Ecke mit einem Feuerwehrauto. Sie brachte ihm Kaffee „Zum Mittagessen bin ich wieder da“, sagte er.
Er stieg die schmale Treppe aus dem zweiten Stock hinunter. Als er aus der Haustür kam, blendete ihn die Sonne, er konnte zunächst nur Schatten erkennen.
Er ging in Richtung Wochenmarkt. Hier war er oft zur U-Bahn gegangen und zur Arbeit gefahren. Als Krankenpfleger arbeitete er hier, obwohl er Arzt war.
Das Gedränge wurde immer größer, überall Menschen, die verkauften und kauften, Blumen, Obst und Gemüse, Gewürze, Töpfe aus Ton.
Er dachte an seine Eltern und Geschwister. Sie lebten nicht mehr; irrtümlich war ihr Haus von einer Bombe getroffen worden, wie man ihm gesagt hatte.
Sein Vater war Bauer gewesen. Was in den Städten passierte, bekamen sie kaum mit.
Ein paar Schafe und Ziegen besaßen sie, Olivenbäume und einen kleinen Hund.
Aber plötzlich flogen Flugzeuge über sie, zum ersten Mal sah er Panzer vorbeifahren, Männer in Uniform aus anderen Ländern kamen und blieben.
Hakim drängte sich durch die Menschenmassen. Er war jetzt etwa in der Mitte des Marktes. Zwei Polizisten kamen ihm entgegen, sahen ihn kurz an, gingen weiter.
Ihm wurde immer heißer, er griff unter seinen Mantel und fasste die Schnur an. Ihm wurde erst jetzt richtig bewusst, was er machen wollte; seine Sicherheit verlor sich ein wenig, er versuchte sich zu beruhigen.
Für seine Familie würde gesorgt werden, sie würde Deutschland verlassen. Er war jetzt und hier im Einsatz, im Dschihad, im Einsatz für die Sache Gottes.
Ihm waren in der letzten Nacht nicht die beiden Grabesengel erschienen, hatten ihn nicht über seinen Glauben befragt; er würde direkt ins Paradies eingehen.
Er tauschte dieses diesseitige Leben für ein jenseitiges ein, damit die nach ihm kamen, sich nicht mehr fürchten , nicht mehr trauern müssten.
Alles begann sich um ihn zu drehen, zu kreisen. Er hörte Geräusche, Verkehrslärm, Stimmen, als hätte er Wasser in den Ohren.
Er zog an der Schnur.
Und dann sah er seine Frau und seinen Sohn. Sie liefen ihm winkend entgegen. Jetzt waren sie schon fast bei ihm.
„Allah’u Akba“, flüsterte er.