Die andere Seite
Unvermittelt blieb Tom stehen. Pascha war überrascht und lief noch einige Meter weiter, blieb dann jedoch ebenfalls stehen, kehrte zu Tom zurück, und setzte sich brav zu Toms Füßen hin. Tom stand wie versteinert da, er hörte nur noch die Musik aus seinem kleinen Radio. In Toms Gedanken formierten sich Bilder aus der Vergangenheit. Bilder, die er tief in seiner Seele vergraben hatte weil sie ihn zu sehr schmerzten. Bilder voller Grauen für eine solch junge Seele wie Tom eine war.
Er sah den Vogel, einen jungen Sperling, in dem Apfelbaum vor dem Haus oben in der Krone auf einem dünnen Zweig sitzen. Er sah die Steinschleuder in seiner linken Hand und wie sie sich langsam nach oben streckte, den Sperling ins Ziel nahm. Der Sperling lag jetzt genau im Ziel. Hätte Tom nun den Stein auf die Reise geschickt wäre der Sperling voll getroffen worden. Aber Tom wollte nicht töten. Er zog die kräftigen Gummis seiner Schleuder weiter an und entließ den Sperling gleichzeitig aus dem Mittelpunkt seines Zieles. Er wollte den Spatz nur erschrecken. Der Stein den Tom im Leder seiner Schleuder hielt, sollte wenige Zentimeter neben dem Sperling den Ast auf dem er saß, treffen. „Dem Vogel passiert nichts!“ dachte Tom und öffnete Daumen und Zeigefinger seiner rechten Hand. Ein Ruck ging durch die Steinschleuder, die Tom eigenhändig aus einer Astgabel angefertigt hatte, und der Stein ging auf die Reise sein Ziel zu treffen. Der Stein hatte die Schleuder noch nicht verlassen als eines der Gummis, die den Stein beschleunigten, zerriss...
Ursprünglich hatte Tom den Vogel treffen wollen, überlegte jedoch und kam zu dem Schluss, dass es überhaupt nichts bringen würde dieses Tier zu töten. Warum auch, dieser Sperling hatte niemandem etwas getan. Er lebte einfach und war ein wunderschönes Tier.
Der Sperling hatte keine Angst. Neugierig beobachtete er Tom und schien sich interessiert die Schleuder anzusehen, mit der er auf ihn zielte. Er spürte, dass von Tom keine Gefahr ausging, auch wenn der eine tödliche Waffe auf ihn gerichtet hielt. Aber der Gedanke zählt.
Toms ursprünglicher Gedanke war den Sperling zu treffen und so nahm das Schicksal, erneut, seinen Lauf.
Als eines der Gummis unter der starken Spannung zerriss bekam der Stein sofort einen anderen Drall. Seine Flugbahn wurde, nur ein wenig, abgelenkt. Das genügte. Der Sperling wurde unterhalb des linken Flügels voll getroffen und viel tödlich verletzt sofort zu Boden.
Erschrocken rannte Tom sofort zu dem Sperling hin, der nun zitternd und mit dem Tode ringend, im Gras lag, um ihm zu helfen. „Das wollte ich nicht kleiner Spatz, ich hab doch nur Spaß gemacht. Ich wollte Dich nicht treffen, aber das Gummi ist doch gerissen!“ Tom hob den Sperling auf und er spürte, dass der kleine Vogel im Sterben lag. „Bitte kleiner Vogel, ich hab das nicht gewollt..., bitte nicht sterben..., es tut mir so leid!!“ Tom hielt den Vogel in seiner rechten Hand. Der Sperling zitterte und Tom spürte die Angst und Verzweiflung des Tieres fast körperlich. Tom fühlte auch den kalten Hauch des Todes, der wie ein schwarzes Phantom heran jagte, um sich den Vogel zu holen. „Nein!!!“ Verzweifelt stellte sich Tom dem schwarzen Phantom entgegen. Der Sperling rang nach Luft und Tom musste verzweifelnd erkennen, dass er hier nichts mehr tun konnte. Der linke Flügel des kleinen Vogels war unter der Wucht des Geschosses zur Hälfte abgetrennt worden, der kleine Brustkorb rot von Blut. Tom viel auf die Knie als ihm bewusst wurde dass er soeben einen Mord begangen hatte. Einen Mord aus Übermut und grenzenloser Arroganz. Es spielte keine Rolle mehr, ob er den Sperling hatte treffen wollen oder nicht. Es spielte auch keine Rolle, dass ein Gummi seiner Schleuder riss. Der Sperling lag im Sterben, das allein zählte.
„Warum Tom? Ich habe Dir doch nichts getan!“ In den Augen des kleinen Vogels lag grenzenlose Angst. „Ich weiß doch kleiner Sperling, du hast mir nichts getan und es tut mir unendlich leid, dass der Stein dich getroffen hat. Ich werde niemals mehr in meinem Leben so etwas tun. Das schwöre ich dir, aber bitte - du darfst nicht sterben, ich wollte dich nicht verletzen!!“
„Zu spät Tom.. Du hast den Stein auf die Reise geschickt und damit mein Schicksal besiegelt. Ich bin doch noch so jung... und jetzt... muss ich sterben.“ „Nein!“ Tom fing an zu schreien und schaute verzweifelt zum Himmel auf. „Lieber Gott bitte, bitte... es tut mir Leid. Lass diesen kleinen Vogel nicht sterben bitte bitte. Glaub mir doch, ich wollte nicht...!“ Plötzlich lag der Sperling ruhig in Toms Hand, sein Zittern hatte aufgehört. „Nein... Nein... Neiiin. Bitte nicht!!!“ Das Herz des Sperlings schlug nicht mehr. Der Vogel war tot, und es gab nichts mehr, was Tom noch hätte tun können. Niemand auf dieser Welt konnte dieses kleine, zerstörte Leben reparieren. Tom begann zu schluchzen und dicke Tränen flossen seine Wangen herunter. Noch einmal öffnete der Sperling die Augen und sein Blick schien Tom zu sagen „Hoffentlich hast Du verstanden Tom!“ Dann schloss er für immer seine tiefblauen Augen.
In Tom zerbrach etwas. Den Sperling in der Hand haltend, suchte er nach einem Weg dies alles wieder ungeschehen zu machen. Aber da war kein Weg, da war nur ein toter Vogel den er in der Hand hielt. Vorsichtig schloss Tom seine Hand, er wollte den Sperling wärmen und beschützen. „Bitte, bitte kleiner Spatz, wach doch wieder auf, bitte verzeih mir!“ Verzweiflung stieg in Tom auf als er erkannte, dass all seine Bemühungen umsonst bleiben würden. Der Sperling war tot und alles Flehen war vergeblich. „Ahhhhhh!“ Tom schrie. Immer wieder. Er schrie sich sein Leid von der Seele. Aber niemand konnte ihn hören.
„Mörder!“ brüllte ihn eine Stimme plötzlich an. Eine Stimme, tief in seinem Herzen. „Du bist ein Mörder, Tom! Warum hast Du das getan!?“ „Ich weiß nicht... ich wollte doch nicht...!“ schluchzte Tom. „Er weiß es nicht, ach wie schrecklich, er wollte doch nicht!“ Lautlos sprach diese Stimme, und sie troff vor Hohn und Sarkasmus. „Es tut mir so Leid... “ „Zu spät dummer Junge. Diesen Vogel hast du auf dem Gewissen. Damit wirst du jetzt leben müssen!“
Hoffentlich hast du wenigstens verstanden was hier passiert ist, den tieferen Sinn von all dem! Dann war der Tod des kleinen Vogels wenigstens nicht völlig sinnlos!“ „Ja... “ hauchte Tom „Ich habe verstanden“ und mit der letzten Silbe formten sich Bilder in seinem Kopf. Er sah ein Vogelnest, dass zwei Sperlinge mühevoll in der Spitze eines Apfelbaumes angelegt hatten, wie sie ihre Brut voller Anstrengung fütterten. Später: Zwei kleine Sperlinge die flügge wurden, und ihre ersten Flugübungen machten, wie sie voller Lebensfreude durch die warme Luft des Sommers jagten. Dann, die Steinschleuder, den Stein, den peitschenden Knall eines zerreißenden Gummis. Einen sterbenden Sperling.
Immer wieder schaute Tom den toten Sperling an. Hoffte, sein kleines Herz würde wieder zu schlagen beginnen. „Was hatte der Sperling gesagt? Hoffentlich hast Du verstanden Tom! Ja kleiner Sperling, ich habe verstanden. Nie wieder werde ich mit einem anderen Leben spielen oder es gefährden, das schwöre ich!“
Tom hielt den kleinen Sperling eine ganze Weile liebevoll, ja zärtlich, in seinen Händen und betete für dieses kleine Leben dass er zerstört hatte. Er fühlte zum ersten Mal in seinem Leben wirkliche Trauer und Hilflosigkeit. Die Scham die er für seine Tat empfand war grenzenlos.
Später begrub er den Sperling in einer Zigarrenkiste, die er sorgfältig mit Watte ausgelegt hatte. Er trauerte mehrere Wochen bevor der Schmerz langsam nachließ. So half der Tod eines kleinen Vogels, Toms Bewusstsein für Recht und Unrecht zu schärfen. Diese Lektion sollte Tom nie wieder vergessen. „Sei vorsichtig mit Deinen Gedanken, sie führen ins Ziel und können verletzen, können töten. Dem Schicksal kann niemand entkommen, auch ein kleiner Sperling nicht.
Tom in Gefahr
„Wuff?“ Pascha sorgte sich um Tom, der wie in Stein gemeißelt einfach nur da stand und sich nicht mehr rührte. Pascha wartete noch einige Sekunden um schließlich das letzte Mittel dass ihm zur Verfügung stand Tom auf sich aufmerksam zu machen, einzusetzen. Pascha sprang Tom an, legte ihm die Vorderläufe auf die Schultern und stupste ihm seine feuchte Nase ins Gesicht. Doch Tom spürte nichts mehr, er hörte nur noch dieses Lied und diese fremde Stimme, die wie aus weiter Ferne zu ihm sprach. „Sirhan!“ rief diese Stimme, und ihr Klang wurde drohend. Wellen von Boshaftigkeit und grenzenlosem Hass überfluteten ihn. Gefühle, die Tom fremd waren und denen er nichts entgegensetzen konnte. Tom viel auf die Knie, als erneut eine Welle von brennendem Hass über ihn hereinstürzte. Seine Verletzung riss auf und er begann stark zu bluten. Aber auch das spürte Tom nicht. Toms Körper verkrampfte sich, und gequält fing er an zu weinen. „Sirhan!!!“ schrie diese Stimme und wiederum fühlte Tom Hass in sich aufsteigen, aber auch Gefühle von Mitleid und Liebe, Leben und Sterben. Gefühle, in ihrer Intensität so stark, dass Tom sich übergeben musste.
Pascha witterte Gefahr, spürte Toms seelische Not und handelte. Ein sanfter Bis in Toms Hand genügte. Tom viel auf den Rücken und öffnete verwirrt die Augen. Sofort war Pascha über ihm und schaute ihn fragend an. Dieses Mal schien er zu fragen, „Na, Tom alles klar?“ Tom wischte sich die Tränen aus den Augen und blinzelte Pascha, der ihn aufmerksam beobachtete, fragend an. „Ist ja gut, Pascha. Komm lass mich aufstehen!“ Pascha sprang auf die Seite und Tom stand mühsam auf. „Aua...Mensch, tut das weh!“ Toms Hemd war rot von Blut. „Ich sollte besser nachhause gehen“ dachte Tom, als er sein Hemd sah. „Was machen wir jetzt, Pascha wollen wir weitergehen oder gehen wir nachhause?“ Pascha jagte los. Richtung Wald. Eine klare Antwort. „Na gut.“ Tom hob das Radio auf und folgte Pascha der, wie von tausend Hummeln verfolgt, losgerannt war und vor lauter Lebensfreude bellte. Das kleine Radio war verstummt, und sosehr Tom sich auch bemühte, es ließ sich nicht mehr einschalten. Nie wieder.
In Gedanken versunken trottete Tom hinter Pascha her. Er versuchte eine Erklärung dafür zu finden was um ihn herum vorging. Er hatte so viele Fragen, doch niemand antwortete ihm.
Die beiden hatten den Wald fast erreicht. Tom warf Stöckchen und Pascha brachte sie immer wieder brav zurück, als Pascha plötzlich herum schwang und laut zu knurren begann. Er zog seine Lefzen hoch und legte seine beeindruckenden Reißzähne frei. „Spinnst du, da ist doch niemand!“
Pascha fixierte irgendetwas. Etwas, das Tom nicht sehen konnte. Er sah seinen Hund fragend an. „Komm, lass uns weiter spielen!“ Doch Pascha hörte nicht auf. Irgendetwas irritierte ihn. Irgendetwas Unsichtbares näherte sich Pascha und Tom. Näherte sich leise und hinterrücks, und nur der Instinkt eines Hundes bildete die letzte Bastion, die Tom noch schützen konnte.
Pascha war verwirrt denn er spürte deutlich, dass sich etwas ihrem Standort annäherte. Doch auch er konnte niemanden sehen. Da war kein Geruch, kein Laut. Da war einfach... nichts. Doch sein Instinkt hämmerte in wildem Stakkato auf ihn ein. „Gefahr!!! Pascha..., hier stimmt was nicht..., Gefahr!!!“ Immer wilder wurde Paschas Empfindungen, immer wilder schlug sein Instinkt auf ihn ein. Pascha senkte seinen Kopf, und seine Nackenhaare sträubten sich. Er machte einen Buckel und bereite sich darauf vor kämpfen zu müssen, denn er fühlte, dass dieser Gegner ihm überlegen war. Bisher hatte Pascha in schöner Regelmäßigkeit sein Revier gegenüber anderen Hunden verteidigt. Die Kämpfe die er focht, waren von kurzer Dauer und er blieb stets der Sieger. Aber dieses Mal...
Er jaulte kurz auf als er sich der unsichtbaren Bedrohung, von der Tom nichts ahnte, bewusst wurde. Heiser und gequält klang sein Bellen. Pascha spürte die Kälte und eine unbändige Wut schlug ihm entgegen. „Na Du Köter..., willst Dein Herrchen verteidigen was?“ hörte er plötzlich die Stimme eines Kindes zu sich sprechen. „Du läufst jetzt besser weg und überlässt mir Tom kampflos. Wenn nicht, werde ich Dich zerfetzen!!“ Nur undeutlich hörte er noch Toms Rufe. „Pascha was ist denn los, komm, hör bitte auf. Du machst mir Angst“ Langsam näherte sich das Unsichtbare, und Pascha traf eine Entscheidung.
Wild fauchend warf er sich den Gegner mit all seiner Kraft entgegen. Zehn, zwanzig Meter hatte er in wenigen Sekunden zurückgelegt. Nach weiteren zehn Metern machte er aus vollem Lauf einen gewaltigen Satz durch die Luft und sprang den unsichtbaren Gegner an. „Ha, ha blöder Köter, hast du dir wirklich eingebildet, du könntest irgendetwas gegen mich ausrichten!“. Paschas entschlossener Angriff war ins Leere gegangen. Er war unsanft im Gras gelandet, sein mutiger Angriff vollkommen sinnlos gewesen.
Tom bekam jetzt wirkliche, echte Angst. Sein junger Verstand war komplett überfordert. Erst der Sturz mit seinem Fahrrad, dann diese fremde Stimme in seinem Kopf, die intensiven fremden Gefühle und jetzt lief auch noch sein Hund Amok. „Bitte Pascha..., bitte, bitte hör auf. Sei wieder gut... ich habe Angst...“ flüsterte Tom. Er verstand die Welt nicht mehr. So bösartig hatte er seinen Hund noch nie erlebt.
Pascha sprang auf die Beine und blickte Tom traurig an. So als wolle er sagen „Ich kann Dir nicht helfen Tom.....verzeih mir bitte“. Diese Verzweiflung konnte Tom in Paschas Augen sehen.
Und Tom hatte Freunde. Freunde die er noch nicht kannte. „Hierher, Tom... komm in den Wald. Tom, hier wird Dir nichts geschehen... wir beschützen Dich ...“ Wie ein leisen Raunen hörte Tom diese leise, Feengleiche Stimme. Die Stimme kam aus dem Wald. „Aber da ist doch keiner!“ Auch Pascha hatte die Stimme vernommen und seine Augen suchten den Waldrand ab. Doch auch er konnte niemanden sehen. „Schnell Tom!!“ „Was?!“ Die Stimme gab Pascha neue Zuversicht und... er wurde zum Bluthund. Pascha verstand auf unerklärliche Weise, dass sein Tom von dem was hier passierte, nichts begriff. Und er handelte. Er rannte die wenigen Meter zu Tom zurück um ihm einen kräftigen Stoß zu verpassen. Tom kam ins straucheln, viel aber nicht hin. „Beeil Dich Tom, Du bist in Gefahr!!“ raunte erneut die fremde Stimme aus dem Wald. „In Gefahr..?“ „Tom, um Gottes Willen, lauf los, sonst ist es zu spät!!“ Unvermittelt heulte in Toms Unterbewusstsein eine Alarmsirene auf. „Ich muss hier weg!“ Tom blieb zu Nachdenken keine Zeit mehr. Ihm wurde kalt, ganz plötzlich fing er an zu frieren und sein Atem kondensierte an der Luft als herrsche tiefster Winter. Endlich zählte auch Tom eins und eins zusammen. Sein Durch- geknallter Hund. Die fremde Stimme, die ihn rief.
Tom bekam eine Gänsehaut und rannte, so schnell er konnte, los.
Es wurde der längste Lauf seines Lebens.
Paschas Kampf
Pascha lief nicht los. Er drehte sich um, und versuchte das Unbekannte mit all seinen Sinnen zu erfassen. Er sah nichts. Er hörte nichts. Er roch nichts. Und dennoch, irgendetwas näherte sich ihm. Das könnte er deutlich fühlen. Vollkommen automatisch versuchte sein Instinkt den fremden Gegner irgendwo in seiner Erinnerung einzuordnen. Aber da war keine Erinnerung. Pascha konnte diesmal nicht auf eine erprobte Strategie zurückgreifen um den fremden Gegner zu bekämpfen. Die Krallen seiner Läufe fuhren heraus und verankerten sich tief in der Erde um ihm den benötigen festen Stand, aber auch eine sichere Beschleunigung zu geben.
Pascha bellte nicht mehr. Er hörte nun nur noch auf seinen Instinkt.
Direkter Angriff? Sinnlos, kein sichtbares Ziel!
Möglichkeit einen Biss an der Kehle des Gegners anzubringen? Sinnlos, kein sichtbares Ziel! Andere Möglichkeit den Gegner aufzuhalten? Keine bekannt, kein sichtbares Ziel!
Kampflos aufgeben? Nicht möglich, Tom ist in Gefahr und zu beschützen!
Irgendwelche anderen brauchbaren Möglichkeiten? Gegner solange aufhalten, bis Tom den Wald erreicht hat, dann schnellstens selbst in Sicherheit bringen!
Paschas Augen blitzten auf. Innerhalb von Sekundenbruchteilen hatte er die Lösung seines Problems gefunden.
Er drehte seinen Kopf in Richtung Wald, und sah Tom rennen.
Wann erreicht Tom den Wald? Cirka 50 Meter, etwa sieben Sekunden!
Pascha wendete seinen Kopf und versuchte nun die Entfernung zum Gegner zu schätzen.
Entfernung zum Gegner? Cirka 15 Meter, plus minus 3 Meter. Schnell näher kommend!
Günstigste Sprungdistanz? Aus vollem Lauf 5 Meter, aus dem Stand 3 Meter!
Verletzungsgefahr? Unbekannt!
Pascha ließ sich nun nur noch von seinem Instinkt leiten. Er sah nicht mehr die Welt um sich herum, er griff an.
Wild knurrend warf er sich seinem Gegner erneut entgegen. Sein Lauf war so gewaltig dass seine Läufe Gras und Erde aus der Wiese rissen. Und dann machte er einen riesigen Satz auf den Gegner zu und... landete wiederum im Gras. „Du hast keine Chance Köter! Gib auf bevor ich Dich vernichte!“
Damit hatte Pascha gerechnet, schnell überprüfte er, wann Tom den schützenden Wald erreichen würde. Cirka 10 Meter, Tom ist in Sicherheit!
Er hatte es geschafft. Das Unbekannte war durch seinen Angriff verlangsamt worden und er hatte Tom die Zeit verschaffen können, den schützenden Wald rechtzeitig zu erreichen.
Weiterer Angriff? Unnötig, Tom hat den Wald erreicht. Bring Dich selbst in Sicherheit!
Pascha gab Fersengeld und folgte Tom in den Wald.
„Du bist schlau Köter. Aber ich bekomme Ihn doch“
Pascha erreichte den Wald kurz nach Tom.
Tom hatte den Wald erreicht und tauchte in ihn ein. Sein Herz pochte wild und seine Wunde blutete heftig, doch er spürte den Schmerz nicht. Völlig außer Atem, drehte er sich um und suchte die Wiese nach Pascha ab. Pascha lief heute Weltrekord. Seine Läufe trommelten auf die Erde, und er suchte Tom. „Hier, Pascha, hierher!“ Tom winkte kurz zwischen den Tannen die hier sehr dicht standen, heraus. Sofort wurde er von Pascha entdeckt. Wenige Sekunden später krachte Pascha in den Wald. Ja, es krachte wirklich. Wie eine Kanonenkugel, durchbrach Pascha das dürre Unterholz des Waldrandes. Ein letzter Satz über einen schmalen Graben und er hatte Tom erreicht. Er ließ sich einfach auf den Boden fallen, so fertig war er. Seine Zunge hing aus dem Maul und er hechelte. Tom kniete sich besorgt vor ihn und streichelte ihn zärtlich über die Flanke. „Alles Okay, Pascha..., ist Dir was passiert!?“ Können Hunde grinsen? Pascha grinste, davon war Tom ab diesem Erlebnis überzeugt. Ja, Pascha grinste Tom an und seine Augen glänzten stolz. „Das hast Du gut gemacht, Pascha. Hast Du eine Ahnung was das war?“ Wuff!“ mehr wusste Pascha auch nicht. Tom umschlang Paschas Hals und drückte seinen Freund sanft. Pascha hielt ganz still als Tom leise schluchzte und zu weinen begann. Tom war so stolz auf seinen vierbeinigen Freund. So verhielten die beiden viele Minuten, und Tom beruhigte sich zusehends.
Vom Waldrand her krächzte ein Rabe.
„Wo sind wir hier eigentlich?“ Tom sah sich um. „Ach ja, da sind ja meine Tannen“. Tom und Pascha befanden sich am Rande eines alten Judenfriedhofes, der schon viele hundert Jahre hier sein musste. Tom stand auf und schaute sich die alten Gräber genauer an. Vor diesem Erlebnis hatten ihn die Gräber nie interessiert. Es waren alte Gräber, die Grabsteine verwittert und von Unkraut überwuchert. Dennoch, der Friedhof strahlte Ruhe und Frieden aus, hier schien die Zeit stillzustehen. „Jakob Stein, geb. 1856 gest. 1905“, las Tom. „Rachel Grünspan, geb. 1798
gest. 1860. Alle schon lange tot!“ Tom verlor das Interesse an den Gräbern und ging zu seinen Tannen. Kurz darauf stand er vor drei riesigen Tannen. Allesamt gut 20 Meter hoch. Er überlegte kurz ob er hochklettern sollte, überlegte es sich aber anders denn er hatte Schmerzen. Seine Wunde hatte zwar zu bluten aufgehört aber er fühlte sich nicht stark genug die ersten zwei Meter zum ersten Tannenwedel an dem er sich festhalten konnte, zu überwinden. Stattdessen legte er seinen Kopf an die größte Tanne und sagte leise „Danke“.
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