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Prosa => Erotik


Gespenstersäule - von manou.c.grosz, 04.09.2010
Gespenstersäule

Durch das leicht angekippte Fenster stolpert ein Windzug auf ihren Schreibtisch. Papierne Blätter rascheln, Sylvia blickt auf. Im Schein der Lampe wirbeln winzig kleine Staubkörnchen durcheinander, drehen sich, werden langsamer und setzen sich.
Ted schläft, seine gleichförmigen Atemzüge sind wie Hohn, der sie durchbohrt, während ihr Herz unruhig schlägt, die Finger zitternd nach einem Glas Wodka greifen und ihre Augen durch den Raum zucken. Die klare Flüssigkeit rinnt ihre Kehle hinunter, brennt, ätzt, beruhigt. Eine trügerische Wärme breitet sich in ihr aus, da sich im nächsten Moment die Gänsehaut bemerkbar macht. Es ist der 26. Oktober, der Winter ist nicht mehr weit. Fröstelnd erhebt sie sich und kriecht unter seine Bettdecke, schmiegt ihren kalten Körper an seine wohlige Wärme, legt ihre Hand in seinen Schoß.
Er stöhnt kurz auf und dreht sich auf die Seite, hingewandt zu ihr. Beinahe berechnend lässt sie ihre fest geschlossenen Finger an seinem Penis hinab gleiten, zögert nicht, sie hinauf wandern zu lassen, und abwärts und aufwärts. Sie spürt, wie sich seine Wärme wie eine Welle auf sie legt, nur die Füße sind noch kalt. Sie presst ihren Oberkörper an den seinen, legt ein Bein auf seine Hüfte. Die Schatten wandern in die andere Ecke des Zimmers, der Nebel senkt sich über sie. Immer noch atmet er gleichmäßig, aber sein Penis reagiert im Schlaf.
Vorsichtig löst sie sich von ihm und eilt an den Schreibtisch, um einen Vers niederzuschreiben:
„Es muß ein Stoßzahn sein, eine Gespenstersäule.
Kannst du nicht sehen, es macht mir nichts aus, was es ist?“

Aus der Kommode holt sie sich dicke Socken. Es ist 23.45 Uhr. Noch ein Glas Wodka. Ein Blick in die Schwärze der Nacht, das Fensterviereck mit seinen Holzstreben kommt ihr entgegen. Die Scheiben schimmern glatt, irgendwo summt der Motor eines Autos. Ted dreht sich im Bett auf den Bauch.
Sie steht auf und schaltet im Flur das Licht an. Stößt die Tür zu Friedas Zimmer auf, die nur angelehnt ist: es duftet nach ihrer Tochter und sie liegt ruhig unter ihrer Bettdecke. Behutsam schließt Sylvia das Fenster, streicht die Vorhänge glatt.
Geht weiter zu Nick, dem Baby. Sie lässt die Nachtlampe brennen, kleine Sterne drehen sich über der Wiege, eine schöne Welt gegen die Realität. Kurz überlegt sie, sich zu ihm zu setzen, doch etwas treibt sie fort.
Lautlose Schritte über den Flur, sie macht das Licht aus und geht zurück ins Schlafzimmer.

Ted sitzt im Bett und raucht.
„Schlafen die Kinder?“
Einen Momentlang weiß sie nicht, was sie antworten soll, sein Blick trifft sie unverhofft. Sie hatte sich etwas anderes gewünscht. Dann besinnt sie sich darauf, dass sie verheiratet ist und sagt leise:
„Ja, alles okay.“
Er zieht den Schnupfen in der Nase hoch und erwidert nichts.

Sie setzt sich an den Schreibtisch.
„Wenn du nur wüsstest, wie die Schleier meine Tage
umgebracht haben.
Für dich sind sie nur etwas Durchsichtiges, klare Luft.“
Noch einmal füllt sie ihr Glas. Zögernd schaut sie zu ihm. Er zieht wieder an seiner Zigarette. Sie setzt das Glas an die Lippen und kippt es hinunter. Hustet. Kneift die Augen zusammen und dreht sich so, dass er ihr nicht ins Gesicht blicken kann.
Es ist 23.59 Uhr.

Er steht auf, stellt sich hinter sie und legt ihr die Hände auf die Schultern, ganz dicht beim Nacken. Sein vertrauter, fester Griff. Seine Finger massieren die harten Muskelstränge, er beugt sich hinab und flüstert:
„Herzlichen Glückwunsch. Ich liebe dich.“
Sie streckt ihren Rücken, der unter seiner Last in sich zusammen gefallen ist.
„Gut.“
Mehr fällt ihr nicht ein.
Sie kann es spüren, wie er von ihr Abstand nimmt. Zwischen ihnen Urzeitalter, Mauern und Gummiwände. Elektroschocks. Einsamkeit. Was weiß er schon davon. Nicht einmal zwei Kinder können eine Brücke bauen. Sie sitzt im Kerker der Erinnerung, allein. Seit dem Tod ihres Vaters glaubt sie an nichts mehr. Ganz bestimmt nicht an Ted, auch wenn sie es versucht hat. Er kann ihn nicht zurück bringen. Ihr Vater hat sie verlassen, bevor sie es umgekehrt konnte. So wird es mit Ted sein.
Sie sitzt ausgestreckt da.

Seine Hände verlassen sie. Leise dreht er sich um und holt aus seinem Kleiderschrank ein Paket. Sie beobachtet ihn dabei aus dem Augenwinkel. Und schreibt:
„Ich will es nur nehmen und still zur Seite gehen,
Du wirst gar nicht hören, wie ich es öffne, kein Knistern
Von Papier, kein Fallen von Bändern und keinen Schrei
am Ende.
Ich glaube, du traust mir diesen Takt nicht zu.“

Er steht vor ihr.
„Das ist für dich.“
Behutsam legt sie den Karton zur Seite, steht auf und nimmt ihn bei der Hand, zieht ihn ins Bett, er folgt ihr, wie immer. Hastig zieht sie den Morgenmantel aus, aber die Socken lässt sie an. Sitzt da vor ihm mit ihrem mageren Körper und schaut ihn aus braunen Augen an. Zieht die Decke über sie beide, wie ein Minizelt. Er räuspert sich. Trotz des Lichts der Schreibtischlampe wird es dunkel um sie. Wieder greifen ihre Hände nach seinem Penis, der klein und schlaff in seinem Schoß ruht.
Seine Hände schnellen hervor, ergreifen ihre Brüste.
Sie nimmt die zweite Bettdecke und wickelt sie im kalten Oktoberluftzug um sie herum.

„Ich will keine Geschenke von dir.“
„Warum nicht?“
Statt einer Antwort wandern ihre Hände an seiner Körperlandschaft auf und ab, da ein Muskelstrang, dort eine Narbe, sie kennt diese Topografie gut und wird nicht müde, sie zu erkunden. Es stimmt sie ein bisschen traurig, dass er immer nur eines will: ihre Hand in seinem Schoß. Aber ihre Hand ist gern dort. Bevor er noch ein Wort sagen kann, küsst sie ihn und greift wieder gezielt zu, mit beiden Händen. Schmeißt ihn um, nimmt seinen Penis zwischen die Lippen, die Feuchtigkeit dringt oben und unten aus ihr heraus. Sein Stöhnen findet unter der Bettdecke kein Echo. Irgendwo schreit eine Krähe und vielleicht hat sich das Baby gerade umgedreht. Sie macht unbeirrt weiter, setzt sich auf ihn, ihre Hand auf seinem Mund. Er unten rum riesengroß, oben rum ratlos und still. Wird lauter. Stöhnt vor Wollust. In ihr Kälte.

Als er erschöpft unter ihr einschläft, fängt Nick an zu schreien. Müde schleppt sie sich in die Küche und setzt Wasser auf, um ein Fläschchen zuzubereiten. Läuft zum Kleinen, nimmt ihn aus der Wiege und setzt ihn in die Trage, zurück in die Küche. Während das Wasser brodelt, wischt sie sich die Locken aus der Stirn. Draußen schreit abermals eine Krähe und der Kleine zuckt zusammen. Sie kühlt das Fläschchen runter. Ihre Hände werden eiskalt.
Setzt sich auf den Stuhl in der Ecke, grelles Neonlicht und die Schwärze der Nacht umgeben sie. Als sie Nick in den Armen hält und ihm den Sauger vorsichtig in den Mund bugsiert, wird er ruhig.
Vor den letzten 30 Millilitern schläft er ein. Erschöpft trägt sie ihn zurück in die Wiege, es scheint, als könne er innerhalb von einer halben Stunde Kilos zunehmen.
Diesmal schließt sie die Tür fest hinter sich.

Als sie ins Schlafzimmer zurückkehrt, atmet Ted ruhig und gleichmäßig.
Sie setzt sich an den Schreibtisch und notiert:
„Diesmal hätt ich mich gerne umgebracht, ganz egal wie,
Nun sind diese Schleier da, die wie Vorhänge schimmern,
Durchscheinender Atlas eines Januarfensters,
Weiß wie Babybettzeug und glitzernd von totem Atem.
O Elfenbein!“

Sie gießt sich ein viertes Glas Wodka ein, schluckt, hustet kurz und kriecht unter ihre eigene Bettdecke. Es ist der 27. Oktober, ihr Geburtstag.



©2010 by manou.c.grosz. Jegliche Wiedergabe, Vervielfaeltigung oder sonstige Nutzung, ganz oder teilweise, ist ohne vorherige schriftliche Genehmigung des Autors unzulaessig und rechtswidrig.

Kommentare


Von lothar
Am 01.05.2013 um 12:43 Uhr

Tolle Geschichte! Ich denke dieser verzweifelte orale Akt ist (leider) eine typische Alltagssituation bei Paaren. Die Leere und Hoffnungslosigkeit der Frau ist gut rausgearbeitet.

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Es gibt 1 Kommentar


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