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Unfalltod - von frasdorf, 15.02.2005
Carl Major konnte nichts mehr erkennen. Der Regen wurde zu einer einzigen Wasserwand und der Wind drückte diese Massen quer über die Straße. Die Scheibenwischer des Mitsubishi kamen nicht hinterher und das Fernlicht zeigte nur noch Fragmente der Landschaft, die ihm mit 30 Meilen pro Stunde entgegen kam. Schneller konnte er nicht fahren.
„Wir werden wohl noch ein paar Minuten mehr brauchen. Du solltest Mary anrufen, das sie sich mit dem Essen nicht zu beeilen braucht.“
Sonja Major nahm das Handy aus der Handtasche und wählte die Nummer ihrer Freundin. Carl blickte kurz in den Rückspiegel und sah ihre kleine Tochter friedlich auf dem Kindersitz schlafen.
„Mary, hey, ich bin es, Sonja.“ Carl hörte eine besorgte Stimme aus dem Handy. „Nein, mach dir keine Gedanken. Es ist zwar ein höllischer Regen, aber uns geht’s gut.“ Sie drehte sich zu Leila um. „Auch der Kleinen geht es gut, sie schläft. Wir werden nur ein paar Minuten länger brauchen.“
Carl musste seine Augen ordentlich anstrengen, um überhaupt etwas erkennen zu können. Die Straße vor ihm war nur noch anhand der Seitenpfosten zu erkennen. „Ja, auch lauwarme Knödel essen wir. Bis später.“ Sonja drückte auf „Auflegen“. „Sie meinte, die Knödel werden zwar kalt, aber besser kalte Knödel als tote Freunde. Manchmal ist sie schon sehr makaber.“
„Ja.“ Carl glaubte, die nächsten Seitenpfosten nur mit Glück finden zu können. „Ich glaube, es ist wohl besser, anzuhalten.“
„Ach, wo.“ Sonja lehnte sich zu ihm rüber und versuchte selbst, die Straße zu finden. „Na ja, ich finde, es geht.“
Mmh, dachte Carl, wenn jetzt nicht bald der Regen nachlässt und ich anhalten muss, fängt sie wieder mit der Keiferei an. Aber diesmal würde er sich auf keine Diskussion einlassen. Sie war unendlich stur und wenn sie meinte, es müsse so funktionieren, dann bitte, soll sie doch fahren. „Ich versuche mein Bestes“ brachte er halbfreundlich über die Lippen. Sie streifte diese Bemerkung von ihrer Schulter und meinte nur „Ja, klar, so wie immer.“
„Was denn?“ Carl sah sich versucht, zu ihr zu schauen. „Ich meine, es ist wirklich nicht gerade leicht, hier vernünftig zu fahren. Ich habe nicht mal eine Ahnung davon, ob ich noch auf der richtigen Straßenseite bin.“ Sein Ton wurde augenblicklich schärfer. Er hielt sich schon seit langem nicht mehr mit dem Streit-Vorspiel auf. Nicht bei ihr. Es läuft eh immer auf Ärger hinaus.
„Du wirst schon wissen, was du tust“ meinte sie schnippisch.
Jetzt sah er zu ihr. „Wenn du es besser kannst, dann...“
Ein lauter Knall, das Geräusch von zerberstendem Glas und reißendem Metall. Ein fast bis zur Besinnungslosigkeit schmerzhafter Ruck des Gurtes, der Carl in den Sitz zurückpresste, als der Wagen, den er nur zehntel Sekunden vor dem Aufprall aus den Augenwinkeln bemerkte, sich in den Motor des Mitsubishi bohrte und seitlich wegschleuderte. Beide Fahrzeuge drehten sich wie ein Eislaufpaar im Wirbel rechts und links von der Fahrbahn. Weitere zwei Sekunden später folgte dem Knall des Aufpralls der „Lärm“ der Ruhe. Für Augenblicke war Carl auf den direkten Weg in die Ohnmacht und nur mit Gewalt konnte er sich davon abhalten, die Augen zu schließen und seinen Körper erschlaffen zu lassen.
Endlos schien ihm die Zeit, sich wieder bewegen zu können. Zuerst registrierte er, das offensichtlich der andere Wagen genau wie ihrer sich nicht überschlagen hatte. Quer über die Straße mussten beide Motorblöcke verteilt sein. Er versuchte, sich aus dem Sitz zu lösen. Erstaunlicherweise gelang ihm das ohne große Schwierigkeiten. Und im selben Moment, als er den Gurt löste, sah er, wie Sonja sich ebenfalls bewegte.
„Was war das?“ Sie stand völlig neben der Spur, schien aber ebenfalls nur leicht verletzt zu sein. Sie hatten wirklich unglaubliches Glück, meinte Carl im ersten Moment. Die Windschutzscheibe flog fast in einem Stück nach außen und der Motorraum schob sich auch nicht in den Fußraum, was wohl bedeutete, dass sie keinen direkten Frontalzusammenstoß mit dem anderen Wagen hatten.
„Ein Unfall, aber uns ist...“ Er sah sich nach Laila um und seine Stimme verstarb. Auf dem Kindersitz war ein Körper ohne Kopf. Der lag auf der Rückbank, zusammen mit einem Teil der Windschutzscheibe. Das Glas hatte den Kopf sauber abgetrennt.
„Oh, Gott.“
„Was?“ Sie kam langsam wieder zu sich und folgte Carls Blick. „Was ist?“ Sie wurde sauer, weil er nicht antwortete, und drehte sich auch nach hinten.
Bob Weller hatte nicht so viel Glück, wie er sich erhoffte. Er lebte immer noch und hing eingeklemmt seitlich aus seinem Fiat. Seine Füße konnte er nicht mehr spüren, aber das war ihm egal. Minuten vergingen, ehe er sich der Situation klar wurde. Er versuchte, den anderen Wagen, der ihm sein Leben nehmen sollte, ausfindig zu machen. Irgendwo da drüben auf der anderen Straßenseite musste er sein. Der Regen ließ nach und er konnte die Motorteile auf der Fahrbahn erkennen. Er hörte Schritte und sah auf. Ein Mann bewegte sich beinahe traumatisiert auf ihn zu. Eine Frau kam ihm hinterher. Sie war völlig außer sich und trommelte verzweifelt auf den Rücken des Mannes. Sie schrie dem Mann Schimpfwörter hinterher, aber Bob interessierte sich nicht dafür. Er flüsterte dem Mann zu „Mister, sie müssen mich töten.“
Carl schreckte entsetzt zurück. Erst dachte er, der andere wäre tot, bis der sich plötzlich bewegte, ihn ansah und von ihm verlangte, ihn zu töten.
„Das Schwein lebt noch.“ Sonja schrie auf und wollte sich sofort auf den Mann stürzen. Carl musste sie zurück reißen. Er hielt sie fest und während sie wieder auf ihn einschlug, fragte er den Eingeklemmten völlig verwundert „Wie bitte, ich soll sie töten?“
„Lass mich, ich mach ihn alle.“ Sie zerrte so heftig an ihm, das seine Fingernägel sich tief in ihren Arm bohrten.
Bob sagte noch mal „Sie müssen mich töten. Ich wollte sterben, aber der Aufprall war nicht heftig genug. Aber wenn sie mich töten“ er hielt kurz inne „mit einer Glasscherbe den Hals aufschneiden, ja, dann kommt keiner darauf, das sie es waren.“
„Sind sie völlig verrückt?“ Kurz war Carl soweit, den Mistkerl wirklich zu töten, notfalls mit vielen, vielen Fußtritten ins Gesicht.
„Ich töte ihn!“ Er fuhr zu Sonja herum. Sie hielt eine große Scherbe in der Hand. Er konnte in ihren Augen lesen, wie Ernst es ihr war.
„Nein, das wirst du nicht. Das wäre Mord!“
„Aha, aber dieser Scheißkerl hat unsere Tochter auf den Gewissen, schon vergessen?“ Sie wollte auf Bob loslaufen, aber Carl stellte sich ihr in den Weg.
Bob glaubte, nicht richtig zu hören. „Was habe ich getan? Ihre Tochter?“
Carl schrie ihn an. „Genau, du Arschloch, unsere Tochter wurde tödlich verletzt.“
„Du bist selbst genau so ein Arsch wie dieser Hurensohn“ schrie Sonja hinter ihm. „Sag ihm, das Leila geköpft wurde.“
Carl hörte an ihrer Stimme, wie sie versuchte, ihn zu umlaufen.
„Ich werde ihm den Rest geben.“ Ihre Stimme wurde immer schriller. Carl spuckte Bob ins Gesicht und drehte sich wieder zu Sonja. Gerade noch konnte er sie aufhalten, bevor sie Bob mit der Scheibe ins Gesicht gestochen hätte. Er schubste sie zurück.
„Bist du verrückt. Er bettelt doch völlig danach, das wir ihn kalt machen. Wenn du ihn nicht umbringst, dann verpiss dich. Ich habe keine Probleme damit, diesem Typ die Lichter auszublasen.“
„Aber es wäre Mord. Und das geht nicht.“ Carl baute sich vor ihr auf. Sie packte die Scherbe fester und feine Bluttropfen vermengten sich mit dem Regen, der von ihrer Hand tropfte.
„Ok.“ In ihren Augen stand der absolute Irrsinn. Sie war zwar völlig außer Atem, aber Carl kannte ihre Kraft. Er musste aufpassen. „Ok“ stammelte sie „ich habe auch kein Problem damit, dich zu töten, wenn du mich nicht sofort vorbei lässt.“
Carl verschlug es den Atem. Sie hob langsam den Arm mit der Scherbe in seine Richtung. „Nein, ich habe auch kein Problem mehr mit dir.“ Sie grinste. „Was ist? Bist du für oder gegen mich?“
Bob bellte „Ja, du Arsch. Lass sie durch.“
Officer Smithback hatte in dieser Nacht Notdienst, als ein Anruf eines Autofahrers vom Highway 73 einging.
„Sie haben den Notruf gewählt. Officer Smithback am Telefon.“
Er hörte ein kurzes Knacken, was ihm sagte, das der Anruf von einem Handy kam. Die Verbindung war nicht sehr gut, also draußen auf dem Highway, dachte er sich.
„Ja, mein Name ist Thomson, John Thomson. Ich bin hier draußen ungefähr fünf Meilen vor der Stadt auf dem Highway 73. Es gab einen Unfall. Zwei Verletzte, zwei Tote. Ein Kind und eine erwachsene Person.“



Christian Ertl
christianertl@gmx.de



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