Stewarts Blick war starr auf die Inschrift des Grabsteines gerichtet. Es war kurz nach 23 Uhr und der Friedhof war trotz des frisch gefallenen Schnees ein dunkler, fast schon unnatürlich düsterer Ort. Stewart zog den Kragen seiner Jacke hoch und versuchte, die altgewordenen, steinernen Finger im warmen Tief der Daunen-Fütterung zu verstecken.
Er jetzt bemerkte er den Schatten zu seiner Linken. Es war soweit. „Sie kommen spät“ sagte er zu dem Fremden, weiter den Blick auf die frisch aufgeschüttete Erde gerichtet, die seinen Bruder bedeckte.
„Ich komme nie zu spät.“
Natürlich, dachte Stewart. Er selbst schlich sich ja auch weit nach der Beerdigung wie ein streunender Köter auf den Friedhof. Und hatte er erwartet, alleine zu gehen? Nein.
„Er hat den Hals für mich hingehalten und ist ins Gefängnis gegangen. Damals, 1956. Aber das wissen sie ja.“ Der Fremde erwiderte nichts. „Aber wie er es letztendlich geschafft hatte, den Mörder meiner Frau zu finden, das wusste ich lange Jahre nicht.“ Stewart drehte sich zu dem Fremden. „Er hat es mir erst kurz vor seinem Tod erzählt. Sie haben ihm den Mörder gebracht und er hat ihn mir ausgehändigt. Und jetzt soll ich letztendlich doch die Rechnung begleichen.“
Der Fremde nickte.
„Ich wusste, nachdem er es mir erzählt hatte, das der Pakt nicht ihn betraf. Ich wusste nur nicht, wann sie kommen würden.“ Der Fremde drehte sich zu ihm. Stewart konnte kein Gesicht erkennen. „Eine Frage: Wird mein Tod so schmerzhaft wie seiner?“
Der Fremde nickte erneut und Stewart begann zu kreischen. Das amüsierte den Fremden und im nächsten Augenblick war es totenstill. Und leer. Keine Menschen-„Seele“ mehr auf dem Friedhof.
Christian Ertl
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