Sie wusste nicht wie viel Zeit vergangen war. Es hätten Stunden sein können, aber auch erst Minuten. Schließlich wurde sie langsamer. Nichts um sie herum kam ihr auch nur im geringsten bekannt vor. Dabei hatte sie ihre ganze Kindheit lang mit Soul hier im Wald gespielt. Der Gedanke an Soul brachte sie völlig zurück in die Realität. Er kämpfte irgendwo hinter ihr mit diesen Kreaturen. Die Tränen begannen wieder schneller zu laufen und schließlich musste Luna stehen bleiben. Sie sah nichtsmehr. Es war dunkel und ihre Augen waren von Tränen verschleiert. "Was tu ich jetzt?" flüsterte sie. Tausend Gedanken gingen durch ihren Kopf. Soul tot, die Raubkatzen auf der Suche nach ihr, die Leichen ihrer Freunde, oder das was noch von den Leichen übrig war. Das leichte Gefühl, das die Drogen immer in ihr auslösten, war wie weggeweht, stattdessen fühlte ihr Kopf sich jetzt schwer und untragbar an. Sie hatte das Gefühl, als wäre eine Last auf ihren Schultern gelandet, die sie einfach nicht tragen konnte. Zum zweiten Mal an diesem Tag wurden ihre Knie zittrig und diesmal ließ sie sich auf den weichen Waldboden fallen. Sie wusste nicht wo sie war, sie wusste nicht wo sie hingehen sollte, also saß sie einfach da. Schließlich lehnte sie sich an den nächsten Baum und legte ihre Arme um ihre Knie. Noch immer flossen die Tränen unerbittlich und ein Schluchzer nach dem anderen schüttelte ihren ganzen Körper. "Was tu ich jetzt?" flüsterte sie immer wieder, das Knacken um sie herum im Wald übertönend. Irgendwann legte sie ihren Kopf leicht auf ihre Knie und schlief ein.
Am nächsten Morgen wachte sie zitternd auf. Sie brauchte erst einige Minuten bevor ihr klar wurde wo sie war und warum sie hier war. Die gestrigen Ereignisse schlugen auf sie ein wie Hagelkörner bei einem Sommergewitter. Eins nach dem Anderen kam ihr wieder in den Sinn und da fiel ihr auch wieder ein, warum ihre Augen so weh taten. Sie hatte gestern Abend geweint. Viel geweint.
Es war noch kaum hell. Ihre Zähne schlugen vor Kälte aufeinander und sie war nicht sicher ob sie sich überhaupt bewegen konnte. Vorsichtig versuchte sie ihren linken, großen Zeh zu bewegen. Nach einigen Versuchen war sie sich ziemlich sicher, dass der Zeh sich bewegte und sie sich das Gefühl nicht nur einbildete. In diesem Moment verfluchte sie sich, dass sie keine anständigen, warmen Schuhe trug. Es war immerhin Herbst. Die Nächte waren kalt und ein paar zerfetzte Converse hielten nicht unbedingt warm.
Nach und Nach bewegte sie auch ihre anderen Zehen und schließlich den ganzen linken Fuß. Es wurde heller und heller während Luna da saß und ihren Körper langsam wieder auftaute. Ihre Zähne klapperten noch immer in ihrem Mund und ihr Atem kondensierte vor ihr. Als die Sonne schließlich durch die Baumwipfel zu scheinen begann, war Luna sich ziemlich sicher aufstehen zu können. Nach einigen Versuchen stand sie tatsächlich. Erst jetzt fiel ihr ein, dass das weitaus größere Problem noch vor ihr lag. Sie hatte keine Ahnung wie sie hier her gekommen war und wie sie hier wieder weg kommen sollte. Sie wusste nicht wo Soul war, aber irgendwie schien ihr die ganze letzte Nacht jetzt ziemlich unwirklich. Vielleicht hatte sie doch was falsches geraucht? Vielleicht hatte sie halluziniert und war in den Wald gelaufen. Hätte Soul sie einfach so laufen lassen? Wenn er selbst auch was von dem Zeug genommen hatte sicher. Schon einmal war etwas ähnliches passiert und Soul hatte sich bis heute nicht richtig verziehen, dass er damals nicht da gewesen war um auf sie aufzupassen. Damals war sie in der Stadt verloren gegangen und ein paar zwielichtige Typen hatten mit ihr ihre Spielchen getrieben. Luna hatte hinkend und blutverschmiert, aber trotzdem allein, den Weg nach Hause gefunden. Sie kannte die Stadt wie ihre Westentasche. Aber dieser Teil des Waldes schien ihr Fremd. "Soul?" rief sie schließlich. Irgendwo hier musste er ja sein. Keine Antwort. Unsicher ging sie ein paar Schritte in eine Richtung. Sie hatte keine Ahnung ob sie sich auf Soul zu oder von ihm weg bewegte. Gestern Nacht hatte sie sich nicht darum gekümmert wohin sie gelaufen war. "Ach scheiss drauf" flüsterte sie und ging einfach in eine Richtung. Irgendwo musste sie ja aus diesem verdammten Wald rauskommen.
Ihr anfangs noch relativ beschwingter Gang verlangsamte sich nach etwa eine halben Stunde. Sie hatte letzte Nacht kaum geschlafen und noch nichts gegessen. Ihr Magen knurrte jetzt unentwegt. "Ich hab jetzt wichtigeres zu tun als essen." flüsterte sie sich selbst zu und ging weiter. Sie hatte jegliches Zeitgefühl verloren, jedoch schien ihr der Wald langsam aber sicher wieder bekannter. War das nicht der Baum, den Jakob benutzt hatte um seine Liebe zu Denise zu verewigen? Sie ging näher an den Baum und sah tatsächlich das eingeritzte Herz und die Initialen der beiden. Sie legte ihre Hand auf die Kerben in der Rinde, wie um sicher zu gehen, dass sie sich das ganze nicht nur einbildete. Auch unter ihren Fingern zeichnete sich das Herz ab. Sie fuhr es einmal ab und wusste dann wo sie hingehen musste.
Umso näher sie der Lichtung kam, umso blödsinniger schienen ihre Halluzinationen der gestrigen Nacht. Alles sah aus wie immer. Gegen einen Baum zu ihrer Linken war Soul erst vorige Woche gerannt, nachdem er zu viel getrunken hatte. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht bei dem Gedanken.
Die Lichtung war jetzt wenige Meter vor ihr. Plötzlich blieb sie irritiert stehen. Irgendwas roch hier seltsam. Sie atmete ein paar mal durch die Nase ein und aus, konnte den Geruch jedoch nicht zuordnen.
Schließlich zuckte sie die Schultern und ging weiter. Bevor sie den Waldrand erreichte, sah sie die erste Leiche. "Verdammt!" war alles was sie hervorstoßen konnte. Dann begann sie zu laufen. Sie wusste, wo Soul und sie gestern gestanden hatten. Und sie wusste jetzt auch, dass es keine Hallzuination gewesen war.
Die Panik in ihr wurde immer größer, als sie alle ihre Freunde und Bekannten, einen nach dem anderen tot vor sich liegen sah. "Bitte nicht Soul" flüsterte sie. Als sie die Stelle erreichte wo sie gestern gestanden hatten, sah sie nichts von ihm. Hatte er es geschafft den Monstern zu entkommen? Oder hatten sie ihn mit Haut und Haar aufgefressen? Luna begann am ganzen Körper zu zittern. "Soul?" rief sie wieder. "Soul! Hörst du mich?" Verzweiflung verzerrte ihre Stimme. "SOOOOOUUUUUUL!" schrie sie nochmal mit aller Kraft. Dann brach sie weinend zusammen. Sie saß in einer Blutlacke, die von einem ihrer toten Freunde stammte und weinte. Wieder schüttelten ihre Schluchzer ihren ganzen Körper.
Plötzlich hörte sie in einiger Entfernung jemanden stöhnen. "Soul?" rief sie leise. Ein weiteres Stöhnen war die Antwort. Sie sprang auf und lief auf das Geräusch zu. Sie fiel beinahe über ihre eigenen Füße im Hohen Gras, aber das störte sie nicht. Sie wusste, dass Soul lebte.
Als sie ihn fand, hörten die Tränen sofort auf zu fließen. Er war von oben bis unten blutig. "Soul!" rief sie, trotz allem voller Freude. "Ich hab mir solche Sorgen gemacht." Ein weiteres Stöhnen reichte ihr vorerst als Antwort. Souls Kleidung war großteils zerrissen und blutig. Sein sonst so schönes Gesicht und seine wunderschönen, braunen Locken waren verklebt von Blut und Erde. Vorsichtig streichelte sie über seine Wange. "Wir müssen hier weg." flüsterte sie. "Kannst du gehen?"
Soul schien leicht zu nicken. Luna nahm seine Hand. "Komm, ich helf dir hoch" flüsterte sie und versuchte seinen Arm um ihre Schulter zu legen. Soul stützte sich mit seiner anderen Hand ab und gemeinsam brachten sie seinen Körper in eine mehr oder weniger aufrechte Position. "Ich bring dich zu einem Arzt" flüsterte Luna als er seine ersten unsicheren Schritte machte. Sie wusste nicht was sie sonst hätte tun sollen. Die Lichtung lag mitten im Wald. Kein Weg und keine Straße führten hier hin. Sie hoffte, dass es noch so früh war, dass nicht viele Menschen auf den Straßen unterwegs waren. Das letzte Stück des Weges würden die beiden Wohl oder Übel mit dem Bus zurück legen müssen.
Langsam bewegten die beiden sich vorwärts. Lunas hatte das Gefühl ihr Rücken würde jeden Moment unter seinem Gewicht abbrechen. Soul war gute 15 Zentimeter größer als sie und sie hatte das Gefühl als würde sie mindestens zwei Drittel seines Gewichts tragen.
Eine Weile gingen die beiden nur schweigend durch den Wald. Keiner von ihnen hatte die Ereignisse der letzten Nacht verarbeitet. Es erschien alles noch so unwirklich und wenn Luna die Leichen, oder das was von ihnen übrig war, nicht gerade noch gesehen hätte, würde sie immer noch an den Halluzinationen festhalten.
Luna war so tief in ihren Gedanken versunken, dass sie garnicht merkte wie Soul mehr und mehr von seinem Gewicht selbst trug. Als sie das Ende des ausgetrampelten Pfades erreichten, nahm Soul seinen Arm von ihrer Schulter und er konnte alleine stehen. Verwundert starrte Luna ihn an. "Bist du sicher, dass du allein gehen kannst?" fragte sie und hielt ihm ihre Arme entgegen. Sie rechnete damit, dass er jeden Augenblick wieder zusammen brechen würde. Sein Körper sah noch immer furchtbar zerschunden und schwach aus. "Ja, das geht schon... ich fühl mich eigentlich sogar besser als du aussiehst." antwortete Soul.
Luna schaute Soul ungläubig an. "Danke" sagte sie unsicher. Ihr Sarkasmus funktionierte nach der letzten Nacht noch nicht wirklich gut. "... wenn du dich plötzlich nichtmehr so gut fühlen solltest, dann sags mir." Die beiden gingen eine Weile nur schweigend nebeneinander her. Soul hatte keine weiteren Probleme mehr beim gehen. Als sie die Stadtgrenze erreichten, griff Luna unsicher nach Souls Hand. Soul lächelte ihr zu, und wie immer schien sein Lächeln alle ihre Sorgen zu vertreiben. Schon nach kurzer Zeit erreichten die beiden eine Bushaltestelle. Die ersten Frühaufsteher waren schon auf den Straßen unterwegs, aber es waren nur wenige. Schließlich war Sonntag.
Die Leute an denen sie vorbei gingen, starrten sie mit weit aufgerissenen Augen an. Luna hatte das Gefühl, dass einige sich sogar noch nach ihnen umdrehten als sie schon aneinander vorbei gegangen war. Sie konnte es ihnen aber nicht verübeln. Das Bild, das die beiden boten, musste auch wirklich interessant aussehen. Soul, mit seinen völlig zerfetzten, blutigen Sachen, sie selbst dreckig und zerzaust. Luna war froh, als sie in den ersten Bus einstiegen und sich in die letzte Reihe setzten. So waren wenigstens die Blicke nichtmehr so stark auf sie gerichtet. Erschöpft legte Luna ihren Kopf auf Souls Schulter. "Ich kann das alles nicht glauben" flüsterte sie.
"Es erscheint mir auch wie ein Traum... wie ein ziemlich schlechter Traum" antwortete Soul. Dann schwiegen beide wieder. Immer wieder starrten Menschen sie vereinzelt an. Ein kleines Kind brach in Tränen aus, als es sie erblickte. Luna lächelte. Sie mochte keine Kinder. Soul lächelte ebenfalls, weil er wusste wie sehr das weinende Kind Luna freuen würde.
Auch wenn Luna äußerlich entspannt schien, zählte sie innerlich die Stationen bis zu ihrer Wohnung. Es waren noch drei.
Jetzt waren es noch zwei.
Die vorletzte Station.
Schließlich stand Soul auf und Luna folgte ihm. Wenn sie es nicht besser gewusst hätte, würde sie sagen, er wäre kerngesund. Am Morgen war er sogar zu schwach zum Sprechen gewesen und jetzt ging er vor ihr her, als wäre es das natürlichste auf der Welt.
Von JanNietsch
Am 27.05.2010 um 23:10 Uhr
Von Murmeltearding
Am 26.05.2010 um 23:27 Uhr
Wär natürlich super... aber wird wohl nie wahr werden... :/
Von JanNietsch
Am 26.05.2010 um 20:41 Uhr
Soviel hab' ich noch nicht xD
Das wären ja umgerechnet um die 300A5 Seiten. Also schon ein ganzes Buch ^^
Da muss nur noch ein Verlag ja sagen ;)
Von Murmeltearding
Am 24.05.2010 um 18:34 Uhr
Und so langs wer ließt, werd ich weiter uploaden... weil fertig is es ja schon :D
Von JanNietsch
Am 23.05.2010 um 13:20 Uhr
Was heißt dabei eigentlich 100Seiten? 100 Din-A4 oder Din-A5 Seiten?
zuletzt geändert am 23.05.2010 um 13:22 Uhr.